Mittwoch, September 28, 2016

"Lügenpresse". Also doch?

Was ist auf dem Jahrmarkt der Medieneitelkeiten, was ist bei Presse, Funk und Fernsehen neuerdings los? 

Die Burka-Lüge. Julia Löffelholz hat in kürzlich in DIE ZEIT berichtet, dass in Deutschland nur 300 Frauen eine Burka tragen und fragte, woher diese Zahl kommt. Ergebnis: Diese Zahl ist erfunden, beruht auf einem Missverständnis. Nehmen wir das mal so hin. In Quickborn – 20.000 Einwohner – wurde bisher eine Burkaträgerin gesehen.

Burkas sind also nicht der Renner. Vielleicht die Nikab, die Gesichtsverschleierung? Auch nicht. Die entwaffnende Antwort bei einer Umfrage in Berlin: „Wir verkaufen im Schnitt vier Nikabs im Monat. Aber die meisten, die wir verkaufen, gehen an Theater oder Film-produktionsfirmen.

Die Schwarzarbeit-Lüge. Unter dem Titel „Die Zahlenlüge“ notiert DIE ZEIT am 15. September: „300.000. Wie eine Meldung Hunderttausende Flüchtlinge in Deutschland unbewiesen zu Schwarzarbeitern erklärte.“ Autorin: Kerstin Bund. Ein kritischer Beitrag, glücklicherweise.

Da haben sich die beiden Herren aus Linz (Friedrich Schneider) und Tübingen (Bernhard Bookmann) etwas Infames ausgedacht: 300.000 Flüchtlinge arbeiten schwarz. Herr Schneider gibt in einem Telefonat zu: „Es ging mir um ein Stimmungsbild, nicht um eine wissenschaftliche Untersuchung.“ Wenn das nicht gemein ist, gemeingefährlich!

Noch schlimmer ist, was wir im letzten Absatz des Beitrags lesen: „Um das Sommer-märchen von den schwarzarbeitenden Flüchtlingsmassen in die Welt zu setzen, brauchte es nur zwei Dinge: Journalisten, die eine Schlagzeile suchen. Und Wissenschaftler, die allzu schnell bereit waren, die vermeintlichen Fakten dazu zu liefern.“

Also doch Lügenpresse? Schlimmer noch als Pegida und AfD es meinen? Kaum auszudenken und doch zu befürchten. Ist das nicht erschreckend? Wie sollen wir durch diesen Dschungel von Wahrheit und Unwahrheit hindurch finden – von den Halbwahrheiten ganz zu schweigen?


Die Opposition spiet keine Rolle

Unsere Große Koalition kann sich offensichtlich alles erlauben, auch die Abschaffung parlamentarischer, demokratischer Selbstverständlichkeiten. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte angeregt, der Opposition das Recht einzuräumen, Minister zur Befragung ins Parlament zu zitieren. Das haben die parlamentarischen Geschäftsführer von CDU/CSU und SPD abgelehnt.
Das wäre ja auch noch schöner! Die Opposition tanzt dann den Ministerinnen und Ministern auf der Nase herum. Das kommt überhaupt nicht infrage! Mit ihren lächerlichen 20 Prozent hat die Opposition sowieso nichts zu sagen – und zu fragen auch nicht. Basta!

Quelle: Hamburger Abendblatt, 27. Februar 2015, Seite 4. Eine olle Kamelle? Hat sich seitdem etwas geändert? Na bitte! 

Von Anstand keine Rede

Bettina Kudla, CDU-Bundestagsabgeordnete aus Leipzig. Sie hat auf Twitter zum wiederholten Mal den Anstand verloren: Erst bezeichnete sie den verfolgten türkischen Journalisten Can Dündar in einem Anflug von spätpubertärer Kalauerei unvermittelt als "Cansel Dünnschiss", nun schrieb sie, die "Umvolkung Deutschlands" habe begonnen - ein Nazi-Begriff. Ihre Parteifreunde sind empört, Konsequenzen haben Kudlas Ausraster aber nicht. (Soweit SPIEGEL ONLINE heute oder gestern.)
An einen Rausschmiss denkt die CDU heute noch nicht. Morgen vielleicht? Man kann nie wissen. Anstand wird in der Union, aber auch in der SPD ziemlich klein ge-schrieben, aber genau der wäre hier gefragt.


Montag, September 26, 2016

Minimal-invasive Bildung


Bildung schreiben wir in Deutschland groß, ganz groß und immer noch ein bisschen größer. Das machen wir schon so lange, dass wir nur noch einen Bildungsstummel in der Hand haben. (Hinweis für Bildungsexperten: Stellen Sie sich den Bildungsstummel wie einen Bleistiftstummel vor und denken Sie daran: Es muss endlich etwas Neues,  ein neuer „Bleistift“, her.)

Richtig. Darum müsste man sich kümmern, ganz besonders als Politiker. Das gilt vor allem für die, die sich Bildung auf die Fahne geschrieben haben, aber nicht nur für sie.

Nun ist das so eine Sache mit dem Neuen. Erstens muss man sich das Neue erst einmal ausdenken. Und zweitens muss man mit Widerstand rechnen. Wer trennt sich schon gern vom Gewohnten, vom „war doch immer so und eigentlich ganz in Ordnung.“

Sie haben keine Ahnung, wovon die Rede ist? Denken Sie einfach mal an Heinrich von Kleists Verfertigung der Gedanken beim Schreiben. Aus dem Hin-und-herdenken kann sich etwas entwickeln. Das Schreiben begleitet das Denken und umgekehrt. Manchmal kommt etwas Vernünftiges dabei heraus.

Nun gibt es aber auch eine ganz andere Methode. Sie erfordert eine gewisse Intelligenz, vor allem aber die Begabung, fantasievoll mit unserer Sprache umzugehen. Dabei kommt es in erster Linie darauf an, unverständlich zu sein, wenigstens aber geheimnisvoll und bedeutend. Das ist eine wichtige Voraus-setzung. Man muss Eindruck machen.

Was könnte eindrucksvoller sein als die Forderung nach minimal-invasiven Reformen? Einer unserer Politiker verlangte dieser Tage danach.

Keine Idee, was er gemeint haben könnte? Gehen wir einfach auf die Suche, google-hupfen durch die Gegend und sehen uns an, was uns da begegnet.

Invasion! Klingt kriegerisch, ist auch so. Eindringlinge, gegen die wir uns zur Wehr setzen wollen – hoffentlich erfolgreich. Das ist nicht nur auf den Schlachtfeldern so, auch in der Medizin. Da will uns so mancher Eindringling ans Leder.  Das ist ziemlich beunruhigend.

Aber die Medizin  hat hier schon Antworten gefunden: Invasive Operationsme-thoden. Da geht es um Operationen, die geringere Beeinträchtigungen mit sich bringen, weniger Schmerzen verursachen und zu einer schnelleren Heilung beitragen. So, das ist jetzt klar.

Aber was hat sich unser Politiker bei minimal-invasiven Reformen gedacht? Wahrscheinlich hatte er Angst, die Dinge beim Namen zu nennen. Schließlich können auch gut gemeinte und notwendige Reformen Nachteile mit sich bringen. Mit der ganzen Wahrheit rauszurücken ist in der Politik nicht immer einfach – woanders allerdings auch nicht.

Möglicherweise wollte er aber auch nur zeigen, wie bildungsnah, wie bildungs-affin, wie großartig er ist. Damit gehört er zwar zu der großen Gruppe von Politikern, die sich vorwiegend unverständlich ausdrücken. Entweder wollen sie es, oder sie können es nicht anders. So oder so: Politik und Bürger verstehen sich immer weniger.

„Wir brauchen Reformen, die mit möglichst geringem Aufwand zum Erfolg führen, so gut wie keine Nebenwirkungen haben und schmerzfrei sind.“ Wie wäre es damit? Ein paar Worte mehr, verständlich.



Sonntag, September 25, 2016

Überfremdung - eine alte Klamotte


Jede Wette. Bei Überfremdung denken wir heute zuallererst an die AfD. Die „Alternative für Deutschland“ ist eine ziemlich neue Partei. Sie schlägt uns dieses Wort seit vorgestern links und rechts um die Ohren, und sie wird sicherlich nicht aufhören damit. Alles hochaktuell also. Wieso dann „alte Klamotte“?

Ganz einfach. Die AfD hat in die Mottenkiste gegriffen. Anders gesagt: Sie hat geklaut. Und wo? In Bayern. Und bei wem? Bei der Bayernpartei. Die gibt es tatsächlich, wenn auch ganz klein mit nur 5.000 Mitgliedern.

Die Bayernpartei hatte schon 1953 die Gefahr der Überfremdung erkannt. Auf ihren Plakaten zum Bundestagswahlkampf hieß es: „rettet die Heimat vor Zentralismus, Marxismus und Überfremdung!!

Da waren die Bayern der Zeit weit voraus. Man soll nicht vorschnell sein. Da kann man ganz schnell auf die Schnauze fallen. Ist der Bayernpartei ja auch passiert. Aber nun wird alles wieder gut. Die AfD wird Deutschlands Angsthasen Mut machen. Na ja, sie wird es versuchen.

Was lernen wir daraus? Alles zu seiner Zeit. So, wie die Zeit für die AfD gekommen zu sein scheint, wird sie auch wieder vergehen. Ein bisschen Nachhilfe könnte nicht schaden. Wie wär’s?

Rein parteipolitisch lässt sich die Sache allerdings auch ganz anders betrachten. Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern Anfang September hat sich die AfD vor die CDU gesetzt. Wenn das keine Überfremdung ist!

Die „etablierten“ Parteien scheinen da einigermaßen ratlos zu sein. Vielleicht haben sie diese Überfremdung noch gar nicht erkannt und haben keine Ahnung, dass dies auch an einer gewissen Entfremdung liegen könnte. Politiker und Bürger scheinen sich immer weniger zu verstehen. Wie schade! Und wohin soll das führen?

PS: Angebot für alle, denen das Kürzel AfD nach augenblicklicher Lesart zu einseitig ist: AfD = Angebot für Dumpfköpfe.




Freitag, September 23, 2016

Ist denn schon Weihnachten?


Eines ist sicher: Die nicht verkauften Osterhasen sind längst in Weihnachtsmänner gegendert worden und werden in Kürze überall in den Regalen auftauchen, zusammen mit süßen Engelchen, Lebkuchen und Zimtsternen. Sternstunden der Discounter und Supermärkte! Da lässt sich die Politik nicht lumpen.

Der Bundestagswahlkrampf 2017 hat begonnen. Was bisher nicht verkauft werden konnte, kommt wieder in die Regale, manchmal in neuer Verpackung, manchmal wie gehabt. Kaum glaublich, aber wahr.

Valerie Wilms, Bundestagsabgeordnete DIE GRÜNEN, „fordert ihr Partei dazu auf ‚Visionen zu erarbeiten‘, wie es in den Anfangsjahren der Partei noch der Atomausstieg war.“ Hat sie selbst keine? Wer soll die Wahlversprechenregale füllen?

Herr Liebing, CDU-Vorsitzender Schleswig-Holsteins, will „Heimat neu denken“. Mehr Videoüberwachung, mehr Ordnungshüter gehören zu seinem 22-Punkte-Programm. Zu Ende gedacht: Deutschland eine JVA, Justizvollzugsanstalt. Da hat Herr Liebing Herrn Seehofer auf seiner Seite. Der hält Sicherheit ja für das Wichtigste in der Demokratie.

Peer Steinbrück sagt im Hamburger Abendblatt-Interview (Matthias Iken, 20. September 2016): „Wir müssen den Wählern eine Geschichte erzählen, warum die SPD die bessere Kraft für die Herausforderungen der Zukunft ist.“ Geschichten erzählen, na klar. Darin ist die Politik stark.

Und was ist mit den Herausforderungen von heute? Tja, da kann man nichts mehr machen. Der SPD-Parteikonvent beweist es. Die Mehrheit der Delegierten entscheidet sich für CETA, lässt sich hinters Licht führen mit Versprechungen, die nicht mal die Verpackung wert sind.

Da wird für Nachbesserungen plädiert, einen ausführlichen Anhörungsprozess zwischen Europäischem Parlament, den nationalen Parlamenten und gesell-schaftlichen Gruppen soll es geben. Kritische Punkte wurden „nachgeschärft“. Wer soll das glauben? Die Sache ist gelaufen.

Trotzdem sagt Herr Stegener, Mitglied des SPD-Parteivorstands: „ Wir sorgen für Veränderung bei CETA. Die privaten Schiedsgerichte sind aus dem Vertrag verschwunden. Wir reden nun über ein gemischtes Abkommen, das heißt, Europa entscheidet mit.“ Wie erbärmlich!

Europa entscheidet mit? Nichts da! Die internationale, die globale Wirtschaft führt wieder einmal die Politik vor, sagt, wo es langgeht.

Da kann Herr Gabriel in Sachen CETA zehnmal sagen „Wir wollen, dass die Globalisierung endlich den Menschen dient und nicht nur einigen wenigen in der Wirtschaft.“ Ein bisschen grenzt das an Betrug. Der Wille ist nicht die Tat. Herr Gabriel tut aber so. Na gut: kein Betrug, aber eine Schwindelei, ein Schummeln ist das schon.

Einspruch! Es ist doch mehr. Im Klartext sagt Herr Gabriel, dass die Globali-sierung bisher nicht den Menschen gedient hat, sondern nur einigen wenigen in der Wirtschaft. Da ist die Katze aus dem Sack. Danke, Herr Gabriel. Leider hat niemand so richtig zugehört.

Und was hat das alles mit Weihnachten, mit dem Bundestagswahlkampf 2017 zu tun? Die Lunte brennt. Die Zündschnur ist noch 12 Monate lang. Aber sie  zischelt unaufhaltsam vor sich hin. Vielleicht sollten wir die Supermarkt- und Discounterregale der Politik vom alten Plunder befreien, bevor uns die ganze Sache um die Ohren fliegt.

Kinkerlitzchen


Da habe ich heute eine ganze Tüte voll Sprachbonbons anzubieten, saure Dropse sind daruner, aber die meisten Bonbons sind verführerisch süß.

Fangen wir mal mit den sauren Dropsen an: prekär und sensibel. Wenn man sprachlich nicht mehr weiter weiß (wie bildungsfern sind eigentlich unsere geistigen Eliten?  Beschränken sie sich vielleicht auf die 800 deutschen Musswörter, die Schülern in Hamburg abgefordert werden?) – wenn man nicht mehr weiter weiß, dann werden sensibel und prekär in den "Focus" gerückt. Aber darauf wollen wir uns jetzt nicht weiter fokussieren. Sonst geraten wir noch in einen Brennpunkt und gehen lichterloh in Flammen auf.

Jetzt also und endlich zu den Süßigkeiten. Kinkerlitzchen. Wie lustig das schon klingt, ein bisschen wie Kinderlachen. Der Duden hat dieses lustige Wort schon 1900 in seinen Sprachschatz aufgenommen. Ist es nicht aufregend festzustellen, dass dieses Wort ursprünglich in Frankreich zu Hause war und Kleinigkeiten meinte? Dort sprach und schrieb man dieses Wort etwas anders (quincaillerie). Mit viel Fantasie liest sich das wie Kinkerlitzchen.

Wenn wir uns einmal auf den Kinkerlitzchenweg begeben haben, werden wir bald auch auf Fisimatenten stoßen. Die sollte man eigentlich nicht machen. Aber der Mensch ist schwach. Er hat immer wieder mal  Unsinn, Faxen, Blödsinn, Flausen, Kokolores im Sinn und freut sich darüber diebisch.

Und woher kommt Fisimatenten? Die Einzahl gibt es nicht. Wer tief im Lateinischen gräbt, stößt  auf visae patentes. Das sollen früher einmal ordnungsgemäße Patente gewesen sein. Die amüsantere Erklärung: Mit „visitez ma tente“ sollen die kleinen französischen Besatzungssoldaten die großen oder oder auch die kleinen Hamburger Töchter in ihre Zelte gelockt haben. Wer Schönes dabei denkt, hat recht.

Und damit zu Sperenzchen. Mach bloß keine Sperenzchen. Mach keine Schwierigkeiten. Mach keine Mätzchen,  mach keine Zicken. Natürlich haben die Wortarchäologen heraus-gefunden, woher sich dieses Wort – ein wenig angepasst -  in unsere Sprache verirrt hat. Kühn genug, ist auch von esperanza, von Hoffnung die Rede. Aber das wollen wir erst einmal auf sich beruhen lassen.

Wer jetzt denkt, die Sprachbonbontüte sei leer, irrt. Da steckt noch mehr drin. Aber das heben wir uns auf. Sonst verderben wir uns noch den Magen. Ach was Die drei sauren Drops, die noch in der Tüte sind, will ich doch noch schnell rausholen: Demokratieberater, Extremismusforscher, Politikwissenschaftler. Was sollen wir uns darunter vorstellen? Sind das Berufe? Es wird Zeit, Loriot zu korrigieren. Bei ihm hieß es „Früher war mehr Lametta.“ Mehr Lametta als heute war noch nie.

Mittwoch, September 21, 2016

Glaubenssache?


Flüchtlinge, Einwanderer, Schutzsuchende – alle diese Wörter gibt es und sie werden auch gelegentlich benutzt. Meist wird allerdings von Muslimen gesprochen und der Gefahr der Islamisierung Europas. Ist das nicht zu oberflächlich, eine Vereinfachung, die schon für sich gesehen, ein Problem ist?

Syrer, die aus ihrer Heimat fliehen, kommen ja nicht zu uns, weil sie Muslime sind, sondern weil sie sich vor dem Krieg, der nicht ihr Krieg ist, in Sicherheit bringen wollen. Menschen, die aus Marokko fliehen, aus Äthiopien, suchen hier ein menschenwürdiges Leben, das sie in ihrer Heimat nicht finden. Sie fliehen nicht, weil sie Muslime sind. Hier aber ist vor allem von Islamisierung, von Muslimisierung die Rede und – in diesem Zusammenhang – von den Werten des christlichen Abendlands. Die seien in Gefahr, will uns dieser und jener Politiker einreden.

Versetzen uns für einen Augenblick in die Situation der Menschen, die hier Zuflucht suchen. Nehmen wir einmal an, wir wollten Deutschland verlassen, wollten nach Indien, nach Südafrika, nach Vietnam, Pakistan, wohin auch immer. Wir wären sicherlich sehr überrascht, wenn man uns dort als Christen wahrnehmen würde und sich vor einer Christianisierung fürchtete. Wir kämen doch als Deutsche, so wie die anderen als Bürger ihrer Staaten zu uns kommen.

Mag sein, dass die Anhänger der islamischen Religion ihren Glauben ernster nehmen als wir katholischen und evangelischen Christen. Aber das können wir den anderen doch nicht zum Vorwurf machen.

Dienstag, September 20, 2016

Visionen


Der SPD-Parteikonvent hat sich mit einer Zweidrittelmehrheit für CETA entschieden. Nachbesserungen wurden noch verlangt. Ob es dazu kommt, dürfte in den Sternen stehen. So geht Politik. Weil Gabriel das Thema zur Kardinalfrage für die SPD gemacht hat, eine Ablehnung zugleich auch ein Nein zu Gabriel bedeutet hätte, kam es zu diesem Ergebnis. Wieder einmal Parteienegoismus statt Allgemeinwohl.

Ich sehe mich bestätigt. Die SPD ruiniert sich selbst. Andere brauchen da keine Hand zu rühren. So ging die Titanic unter. Stolz, unsinkbar und dann doch auf dem Meeresboden. Das Wrack wurde bis heute nicht geborgen, nur besichtigt und verfilmt. Schöne Aussichten für die älteste, geradeste und mutigste Partei.

Wie konnte es dazu kommen? Die SPD lebte von, mit und für ihre Mitglieder. Das waren hunderttausende. Ähnlich war es bei den anderen, der CDU, CSU usw., wenn auch nicht in diesem Umfang.  Und jetzt?

Nicht die Mitgliedschaft ist wichtig. Entscheidend sind Stimmungen. Und die können sich von heute auf morgen ändern. Daher weht der Wind. Und er weht alles andere als beständig. „Umlaufende Winde“ hieß es früher einmal im Radio. Diese Sendung gibt es nicht mehr – „OOST-Nord-OOST“ ist nicht mehr zu hören. Aber die Unbeständigkeit gibt es noch.

Bleiben wir bei „OOST- Nord-OOST. Nicht erst seit heute fehlen die Seekarten. Es fehlen, die Kapitäne, es fehlen die Mannschaften. Selbst die kleinste Politik beweist es, siehe Quickborner Tageblatt, 19. September 2016: „Wilms (Valerie Wilms, Bundestags-abgeordnete) „fordert ihr Partei dazu auf ‚Visionen zu erarbeiten‘, wie es in den Anfangsjahren der Partei noch der Atomausstieg war.“ Ach, Frau Wilms, welche Visionen haben  Sie?


Radio Hilversum


Wir leben in einer digitalisierten Welt. Das macht uns das Leben verwirrend einfach. Null und Eins, mehr ist nicht nötig. Nur zwei Finger brauchen wir, um die Welt in den Griff zu bekommen. Das war in analogen Zeiten anders. Da brauchten wir beide Hände. Wir mussten mindestens bis zehn zählen können. Das reichte. Acht davon sind jetzt überflüssig. Die Welt ist einfacher geworden. Das sieht aber nur so  aus. Sie ist ärmer geworden.

Wir alle haben einen Namen, unseren Namen. Damit stellen wir uns vor. Daran erkennt man uns. Wir sind keine Nummer. Wir sind analog und nicht digital, auch wenn wir zehnmal digitalisiert werden.

Sie wissen nicht, worauf ich hinaus will? Das will ich Ihnen gern erklären und lade Sie ein, sich mit mir vor mein altes, 60 Jahre altes Braun-Radio zu setzen. Wir sehen eine Welt vor uns, eine uns unbekannte Welt. Eine Welt, die uns neugierig macht. Eine Welt, die uns verführt, sie kennenzulernen:

Beromünster. Graz. Hilversum. Klagenfurt. Mte. Carlo. Marseille. Lyon. Eine Welt, die unserer Fantasie Flügel verleiht. Ja, ja, ja – dahin möchte ich. Die ganze Welt – sie gehört mir. Wie anregend, wie aufregend war es, auf Langwelle´, Mittelwelle und UKW um die Welt zu reisen!

Wie spannend auch, wie das magische Auge des Radios sich langsam öffnet. Ein wenig beleidigt vielleicht, weil noch Schlaf angesagt ist. Die Sender wollen geweckt werden. Aber dann war alles klar. Die Reise um die Welt beginnt.

Vorbei, vorbei.  89,7 – 100,03 – so sieht die digitale Welt aus: Anonym. Cool. Reduziert auf eins und null. Keine Möglichkeit mehr, zu träumen. Träume werden geliefert wie die Pizza durch den Pizza-Service. Statt schwimmen auf den Wellen der Sehnsucht: Surfen. Digital eben.

Sonntag, September 18, 2016

Gewinner des Tages


SPIEGEL ONLINE wählt jeden Tag einen Gewinner des Tages. Heute war Susanne Bayer dran. Sie wählte „parteiübergreifend“ die Spitzenpolitiker. Ihre Begründung: „dass die Einsatzbereitschaft fast aller Spitzenpolitiker unfassbar hoch ist… 16-Stunden-Tage sind für die Kanzlerin normal, sie hat Termine im Viertelstundentakt, nicht viel anders geht es ihren Kabinettskollegen…hier soll tatsächlich einmal gelobt werden. Für das Wahrnehmen von Verantwortung und das schiere Durchhalten.“

Respekt! Auf den ersten Blick ist dem nichts hinzuzufügen, auf den zweiten Blick aber doch. Etwas Wichtiges hat Frau Bayer übersehen. Termine im Viertelstundentakt lassen nicht auf Gründlichkeit schließen. Die aber wäre notwendig. Schließlich geht es in der Politik um Dinge, die Millionen Menschen betreffen. Wer will, wer kann so etwas Wichtiges in 15 Minuten verantwortungsvoll entscheiden?

Nein, nein, der Einwand, die notwendigen Entscheidungen seien von Experten gründlich vorbereitet, sticht nicht. Zu viele Fehler wurden und werden gemacht. Nicht alle lassen sich berichtigen. Churchill soll gesagt haben: „Ein Experte ist ein Mann, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat.“

Haben wir es wirklich mit einem unlösbaren Problem zu tun? Ist die Sache „alternativlos“? Wie wäre es mit einem Halbstundentakt? Wie wäre es mit weniger Gesetzen, weniger Anordnungen und Vorschriften, vielleicht sogar mit weniger Experten? Da könnte sich zeigen, dass weniger mehr sein kann

Leben im Viertelstundentakt

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SPIEGEL ONLINE wählt täglich einen Gewinner des Tages. Neulich waren es – pateiübergreifend – die Spitzenpolitiker.  Begründet wurde die Wahl mit unfassbarer Einsatzbereitschaft.  16-Stundentage und Termine im Viertelstundentakt – für die Kanzlerin normal. Nicht viel anders sieht es bei ihren Kabinettskollegen aus. Respekt!

Auf den ersten Blick ist dem nichts hinzuzufügen, auf den zweiten Blick aber doch. Etwas Entscheidendes wurde übersehen: Termin im Viertelstundentakt lassen nicht auf Gründlichkeit schließen. Die aber wäre notwendig. Schließlich geht es in der Spitzenpolitik um Dinge, die Millionen Menschen betreffen. Wer kann so etwas Wichtiges in 15 Minuten verantwortungsvoll entscheiden?

Nein, nein, der Einwand, die notwendigen Entscheidungen seien von Experten gründlich vorbereitet, sticht nicht. Zu viele Fehler wurden und werden gemacht. Churchill brachte es auf den Punkt: „Ein Experte ist ein Mann, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat.“

Ist das Leben im Viertelstundentakt wirklich ein unlösbares Problem? Ist die Sache „alternativlos“? Wie wäre es mit einer halben Stunde anstelle einer viertel? Wie wäre es mit weniger Gesetzen, weniger Anordnungen und Vorschriften und – weniger Experten? Weniger ist mehr. Das hat sich oft genug gezeigt.

PS: Wie im Großen, so im Kleinen. Warum lassen wir uns täglich hetzen? Und wie weit bringt uns diese Hetze? „Je langsamer du gehst, desto weiter kommst du“, sagt ein russisches Sprichwort. Das müssen wir nicht wörtlich nehmen. Aber wir sollten es uns zu Herzen nehmen. Es wird uns und dem, was wir tun, gut tun.

In der Ruhe liegt die Kraft


„Heute ist die gute alte Zeit von morgen“, sagte Karl Kraus. Eine verblüffende Erkenntnis, die nicht zu widerlegen ist. Noch treffender, noch gemeiner lässt sich der Irrglaube an die „gute alte Zeit“ nicht aussprechen. Aber hat Karl Kraus wirklich recht?

Wir sprechen von der guten alten Zeit, in der alles besser war, und vergessen trotzdem nicht zu sagen, wie hart wir damals arbeiten mussten, wie wenig wir hatten und dass wir uns durchbeißen mussten, egal wie. Das klingt nicht gerade nach einer guten Zeit.

Kein Wunder. Die gute alte Zeit war wie alle Zeiten: gut und schlecht zugleich, also wie heute. Und genau das ist unsere Chance. Wir müssen nur genau hinsehen und uns das Gute aus der schlechten guten Zeit herauspicken. Das ist gar nicht so schwierig, wie es aussieht.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Art und Weise, wie seinerzeit Politik gemacht wurde: In aller Ruhe, nach der Erkenntnis „in der Ruhe liegt die Kraft.“

Im Palais Schaumburg, dem Amtssitz des Bundeskanzlers, musste es, wenn Konrad Adenauer sich nach dem Mittagessen zu einem Nickerchen zurückzog, still sein. Keine Besucher, keine Telefonate, kein Herumgerennne  auf dem knarzenden Dielenboden. Die Mittagsruhe war heilig.

Als Dwight D. Eisenhower 1959 Deutschland besuchte, überließ Konrad Adenauer seinem Gast sein Doppelbett im ersten Stock des Kanzleramts und streckte sich selbst für ein Stündchen auf dem Liegesessel im Wohnzimmer aus.

Die erste Reise Adenauers in die USA dauerte 18 Tage, und zweimal im Jahr war er  für mehrere Wochen in Cadenabbia zur Erholung beim Boccia-Spiel. (DER SPIEGEL 38/2016) Das  war der Beweis: Man hatte Zeit damals und nutzte sie sinnvoll. Heute jagen wir der Zeit hinterher. Oder jagt die Zeit uns? Heute geht es im politischen Leben im Viertelstundentakt.

In der Ruhe liegt die Kraft, Also doch: Gute alte Zeit. Bessere Ergebnisse als damals werden heute nicht erreicht.

Donnerstag, September 15, 2016

Vom Zuknöpfen und Aufknöpfen


Norbert Blüm hat in der ZEIT eine zauberhafte Liebeserklärung an seinen alten Religions-lehrer veröffentlicht. Da heißt es: „Eine bleibende Ermahnung verbindet sich mit Ihrer schwarzen Soutane. Sie knöpften vor uns Ihre Soutane zur Hälfte auf. Dann knöpften Sie den ersten Knopf wieder ins Knopfloch, allerdings in das falsche. Unter atemloser Stille der staunenden Kinder setzten Sie das falsche Einknöpfen fort. Nach dem ersten Fehler landeten alle folgenden Knöpfe konsequent im falschen Knopfloch. Dann die Preisfrage: Wie stelle ich die richtige Reihenfolge wieder her? Die Antwort: indem ich alle Knöpfe wieder aufknöpfe, um vom Anfang her die Knöpfe ins richtige Loch zu bringen. Immer der Reihe nach.“

In aller Kürze: Der falsche Anfang führt nicht zum richtigen Ende. Das hatte Norbert Blüms Religionslehrer Pater Jung vielleicht bei Goethe abgeguckt: „Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande“,hatte der notiert.

Und die Moral von der Geschicht? Im Falle eines Falles allen Mut zusammenfassen und "Zurück auf Anfang"!

Recep Tayyip Erdogan alias Egowahn schreibt deutsche Schulbücher?


Damit wäre er sicherlich der prominenteste Autor des Westermann-Verlags. Westermann hat ein Arbeitspapier mit dem Titel „Die Türkei nach dem gescheiterten Putsch“ herausgebracht. Dieses Papier war für die  Klassensstufen 9 bis 13 vorgesehen. Darin wird eine Kariktur des britischen Magazins „The Economist“ gezeigt, in der Erdogan im Sultanskostüm, Hermelin über den Schultern, eine Gasmaske in der linken Hand, eine Gebetskette in der rechten. Dazu auch eine Karikatur aus dem britischen „Guardian“, die Erdogan mit einem Hakenkreuz zeigt. Hintergrund der Karikatur: Erdogans Aussage: „Hitler-Deutschland sei ein Beispiel effektiven Regierens“.

Die türkische Botschaft hat sich beim Verlag beschwert. Der Verlag nimmt die Beschwerde ernst und hat das Arbeitspapier zurückgezogen. Einseitig scheint das Arbeitspapier nicht zu sein; denn es wird auch eine regierungsnahe türkische Zeitung im Text erwähnt.

Mag sein, dass der Text insgesamt zu kurz gefasst war. Ali Sak, Sprecher und Co-Vor-sitzender der Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland e.V., sieht das so. Sak kritisiert übrigens den autoritären antidemokratischen Führungsstil Erdogans offen. Seiner Ansicht, Westermann hätte die Sache besser machen können, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen.

Aber auch in dieser Angelegenheit zeigt sich, wie hysterisch heute alle kontroversen Themen behandelt werden. Haben wir uns inzwischen alle angesteckt? Können wir nicht mehr in Ruhe miteinander sprechen? Eine kleine Denkpause könnte nicht schaden.

Mittwoch, September 14, 2016

Blühender Unsinn

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Ein paar Minuten nach dem Abendessen auf der Terrasse. Ruhe. Sogar die Flugzeuge scheinen leiser als sonst zu fliegen. Die Gedanken gehen spazieren. Ohne Ziel. Und begegnen wie aus heiterem Himmel dem blühenden Unsinn der emanzipierten, verirrten, verwirrten Damen der Berliner Humboldt-Universität. Das sind die Damen, die statt Computer Computa schreiben und sprechen möchten, Koffa statt Koffer, Kella anstelle von Keller usw., weil die Endung er männlich und damit diskriminierend, herabsetzend ist, jedenfalls was Frauen angeht. So werden die Damen – Konsequenz ist eine ihrer Stärken – auch Vata sagen und schreiben und nicht Vater. Ich frage mich, wie sie es mit der Mutter halten? Die endet, zumindest als Wort und geschrieben, ja auch männlich. Also: Mutta?


Dienstag, September 13, 2016

Kriegsspiele

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Wir müssen uns das, was in Syrien und Umgebung seit Jahren Tag für Tag und Nacht für Nacht gemacht wird, nicht zu Herzen nehmen. Da kamen inzwischen zwar einige hunderttausend Menschen um ihr Leben, aber es sind ja nur Spiele. Deshalb müssen wir das nicht ernst nehmen. Jedenfalls dann nicht, wenn wir es so sehen, wie es uns die Medien schildern.

Die Medien sprechen von Playern und Akteuren. Player! Nichts als ein Spiel also. Kein Grund zur Aufregung.

Dumm nur, wenn da jemand aus dieser Hölle bei uns landet. Dann wird es ernst. Dann ist das Spiel aus. Ausländer raus! Was wird sein, wenn wir einmal Ausländer sind?



Egoismus


Wir Deutschen halten uns für die Umweltschützer Nr. 1). Jedenfalls hören und lesen wir das gern. Bio, Bio über alles, sogar beim Sprit für unsere Autos. Jede Menge Palmöl, ein Naturprodukt, lassen wir in unseren Sprit kippen. So schonen wir die endlichen Erdölreserven und benehmen uns vorbildlich. Hut ab!

Leider ist das alles andere als vorbildlich. Wir sorgen dafür, dass die Palmölindustrie Regenwälder rücksichtslos rodet. Menschen werden aus ihren Dörfern vertrieben, werden in eine ihnen fremde Welt getrieben, in der sie sich nicht zurecht finden können. So sehr wir in unsere Lieblinge Hund und Katz vernarrt sind, der Tod der Regenwaldtiere berührt uns nicht. Es ist ja alles so weit weg. Wir spielen die Guten und sind alles andere als das. Wir stehen glänzend da auf der (Umwelt)-Bühne, die anderen zahlen.

(45% der Palmölimporte in die EU wandern in Biosprit, 16% in Elektrizität und Wärme, 34% in Lebensmittel. Quelle: European Federation for Transport and Environment, 2016.)

Wir haben immer noch nicht begriffen, wie nah uns die Folgen dieses rück-sichtlosen Raubbaus sind, wie sehr wir darunter noch leiden werden. Wir haben ja nicht einmal begriffen, was wir vor unserer eigenen Haustür anrichten – mit horizontweiten Mais-Monokulturen. Im Augenblick nehmen wir nur unseren tierischen Wegbegleitern die Lebensgrundlagen. Ein klein wenig weitergedacht: Wir bringen uns selbst um.

In einem anderen Zusammenhang sagt Zygmunt Bauman (SPIEGEL-Gespräch Heft 36/2016), ein bemerkenswerter Denker unserer Zeit: „ Das allgemeine Gefühl der Prekarität, das mit dem Prozess ökonomischer Deregulierung einherging, löst zwischenmenschliche Bande auf und schürt das Misstrauen aller gegen alle… Jeder ist für den anderen ein potenzieller Gegner und Konkurrent.“

Wir haben so ungefähr 200 Staaten. Aber keiner scheint verstanden zu haben, dass wir nur als Gemeinschaft eine Überlebenschance haben. Wie machen wir Egomanen uns das nur begreiflich?! Und wann fangen wir an, das Notwendige zu tun?

Die Kleinen sind die Großen


Wahrscheinlich ist das jedem von uns schon aufgefallen: Die Kleinen sind immer am frechsten. Anders können sie sich gegen die Großen nicht durchsetzen. Es geht dabei nicht nur – in diesem Fall gar nicht – um Zentimeter. Es geht um mehr.

Anlass dazu gibt der Artikel „Die sanfte Provokation“ (DIE ZEIT, 8. September). Da wird geschildert, was Klara Fries, eine Studentin,  in Anklam gegen die Neonazis auf die Beine gestellt hat: Das Jugendzentrum Demokratiebahnhof.

Da sagt zum Beispiel eine andere Clara, 16 Jahre jung, dass „in der Schule kaum über Politik diskutiert wird. Um nicht mit den rechtsextremen Schülern, die in jeder Klasse sitzen, aneinanderzugeraten, vermeiden die Lehrer Auseinander-setzungen um kontroverse Themen. Manche Pädagogen erzählen einem, wie sie das ‚Dritte Reich‘ als Unterrichtsstoff lieber ausklammern.“

Die Lehrer, in diesem Beispiel die Großen, Klara und Clara, die Kleinen. Klara und Clara haben sich nicht einschüchtern lassen. Sie reden nicht nur, sie tun etwas. Die Lehrer kneifen.

Das sieht so harmlos aus wie eine der üblichen Generationenfragen: Die da oben wollen ihre Ruhe, die da unten stiften Unruhe. Nein. Das ist kein Problem zwischen jung und alt. Das ist eine Charakterfrage. Karla und Carla haben die richtige Antwort gegeben. Sie, die „Kleinen“, haben Charakter, einige Lehrer, die „Großen“, haben ihn nicht.


Ab in die Mitte


Ralf Stegner, der SPD-Chef in Schleswig-Holstein, „will Wähler vom Rand wieder in die Mitte holen.“ Das hat er sich für die Landtagswahl 2017 vorgenommen. Die will er natürlich gewinnen. Da Herr Stegner in einer anderen Welt lebt, also auch eine andere Sprache spricht, als  Frau und Mann von nebenan, muss das übersetzt werden.

Um herauszufinden, was Herr Stegner meint, müssen wir uns fragen: Wo ist der Rand, und was ist die Mitte? Parteipolitisch betrachtet, verstehen sich SPD und CDU, zumindest bundesweit, als Mitte. Alle anderen sind demnach Rand-erscheinungen?

„Ziel der (Wahl)Kampagne sei es, dass die Sozialdemokraten als stärkste politische Kraft ihre Koalition mit Grünen und SSW fortsetzen könne.“ Ach ja, Kampagne, Wahlkampf, das übliche billige Geklimpere: Nicht über Verbote von Burka, Burkini und solchen Quatsch diskutieren, sondern über Bildung zur Integration zu kommen – so Herr Stegner. Bei Licht gesehen, alles Gerede.

Wer es nicht glaubt, lasse sich folgenden Satz auf der Zunge zergehen: „Vor allem erreichbare Nichtwähler müssten angesprochen werden.“ Und die nicht erreichbaren, Herr Stegner? „Die SPD werde zeigen, dass sie ein deutlich anderes Angebot als die politische Konkurrenz biete.“ Warum erst jetzt im Wahlkampf? Und was den Bund angeht: Wo ist da das deutlich andere Angebot? SPD und UNION sind doch die Mitte!

Ab in die Mitte? Nein, Herr Stegner. Raus aus der Mitte. Hin zum Rand. Dort sind die „kleinen Leute“, die sich Sorgen machen. Die Menschen, für die die SPD einmal angetreten ist. Haben Sie das vergessen?(Was Herr Stegner von sich gab, stand imQuickborner Tageblatt, vom 12. September).

Unser Deutsch


Erstaunlich, mit welcher Begeisterung sich Unternehmen daran beteiligen, aus zwei Sprachen ein Kuddelmuddel herzustellen, das zum Weinen genauso wie zum Lachen ist.

Beispiel: Die BCG-Anzeige – The Boston Consulting Group – DIE ZEIT, 8. September. Der Text muss notiert werden, er schreit danach.

„Warum Sie als Frau zu BCG passen? – Weil Sie besser im Team arbeiten… – Weil Sie besser  verhandeln… - Weil Sie sich besser in neue Sichtweisen hineinfinden… als andere.“

Wer sind die anderen? Kein Zweifel. Die anderen sind die Männer. Ebenso zweifelsfrei: Dieser dümmliche Text kann nur von einem Mann erdacht und geschrieben sein. Und dann das Gestammel zum Schluss: BUILD. CONNECT. GROW. („BAUEN?/GESTALTEN. VERBINDEN. WACHSEN.“ Ach, ja.)

Aber auch andere entwickeln eine blühende Fantasie, Unsinn zu verbreiten, Allen voran offenbar Politologen. Sie sind gnadenlos, wenn es darum geht, etwas bedeutsam, aber unverständlich auszudrücken. „Sie (die Wähler) erleben eine vielschichtige Transformation ihrer Lebenswelt, sie haben Angst vor einem Identitätsverlust – und zugleich plagen sie existenzielle ökonomische Sorgen.“ So spricht und schreibt der Politologe und Parteienforscher Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen. Alles verstanden? Nein?

Dann versuchen wir es noch mal, vielleicht so: „In der Welt der Wähler ändert sich viel, und das alles auf einmal. Sie wissen nicht mehr, wo sie hingehören, welche Rolle sie spielen. Und dann wissen sie nicht, wie sie finanziell über die Runden kommen sollen.“

Meine Damen und Herren Politiker, Manager, Berater und Politologen: Bitte lernen Sie endlich einmal das Deutsch – das einfache, das jeder versteht. Das macht allen das Leben leichter, an die Ihr Euch wendet. Ungewohnt und deshalb schwierig? Übung macht den Meister. Fangt einfach mal damit an. Es muss ja nicht gleich „die Leichte Sprache“ sein. Die ist nämlich so schwierig, dass man dafür Übersetzer braucht. Wer sich das wohl ausgedacht hat?

Von hier zur politisierten Sprache. In der ZEIT vom 1. September taucht ein für mich ganz neuer Begriff auf: „rent-a-battlefield“. Simpel übersetzt: Leih dir ein Schlachtfeld, wenn du noch keins hast.

Es geht um die unentwirrbaren Kämpfe in und um Syrien und Umgebung. Wer unterstützt wen? Wer bekämpft wen? Wer wechselt wann die Seiten? Hier kämpfen Marinetten gegen Marionetten. Zwei von denen, die die Fäden in der Hand halten, sind weit weg – Russland und  die USA.  Sie haben sich ein battle- field geliehen und haben es dann weiter verliehen – an die Staaten vor Ort. Ziemlich feige, glücklicherweise. Aber manchmal ist es wohl sehr tapfer, feige zu sein. Sonst würde alles noch viel schlimmer.


Wenn die Fahne flattert...


Unsere etablierten Parteien – CDU, CSU, SPD. GRÜNE, LINKE, FDP (irgend-jemand vergessen?) bezeichnen die AfD als rechtspopulistische Partei. Kein Widerspruch, sie ist so. Aber sie ist nicht die einzige rechtspopulistische. Der kleine, feine Unterschied: Die andere rechtspopulistische Partei – die CSU – gehört zu den Etablierten.

Die CSU rechtspopulistisch? Auf jeden Fall, wenn es um die absolute Mehrheit im Freistaat Bayern geht. Da kennt Horst Seehofer nichts. Da wird jeder Lederhose nach dem Hosenlatz geredet: Mia san mia. Und das hat Tradition. Was Franz Josef Strauß, Gott habe ihn selig, sagte, gilt heute noch. Rechts von der CSU ist kein Platz. Rechter als CSU geht es nicht.

Diese Auffassung hat Folgen. Nicht die Wirklichkeit zählt, sondern das, was für Wirklichkeit gehalten wird. Das ist sozusagen der Unterschied zwischen der realen und der virtuellen Welt:  nicht sehen, was ist, sondern sehen, was man möchte. Selbstbetrug.

Der Erfolg der AfD erklärt sich nicht aus ihrer nationalistischen Fremden-feindlichkeit. Das sieht nur so aus. Der AfD-Erfolg beruht auf dem, was die etablierten Parteien nicht gemacht haben.

Bildung. Gehört zum Wichtigsten, sagen sie alle, hängen das Thema an die große Glocke. Nur will niemand wirklich bimmeln. Geld für alles Mögliche, nur nicht für Lehrer. „Zum Schuljahresbeginn fehlen in deutschen Schulen Tausende Lehrkräfte. Die Behörden locken mit Werbefilmen und Prämien.“ (DER STERN, 8. September 2016).

Sicherheit. Sicherheit ist laut Herrn Seehofer das Wichtigste für die Demo-kratie. Stimmt nicht. Es ist die Freiheit. Abgesehen davon: Wenn Sicherheit so wichtig ist, warum dann der Stellenabbau bei der Polizei, bundesweit, länderweit, seit Jahren. Jetzt sollen tausende Polizisten herangezaubert werden – von heute auf morgen?

Steuern. Mehr Gerechtigkeit – das wollen alle, sagen sie. Geschafft hat es keiner. Mittelstandsbauch? Den tragen alle etablierten Parteien seit Jahren vor sich her. (Gehaltserhöhungen können ärmer machen.)

Subventionen. Ein elektrisierendes Thema. Eine Million Elektroautos bis 2020 hat sich die Regierung  herbei fantasiert. Weil das nicht klappt, werden jetzt 600 Millionen € zum Fenster rausgeworfen. Aber auch das klappt offenbar nicht.  Wie sollte es auch? Kaum jemand will die Dinger haben. Viel zu teuer, trotz der 4000 €-Prämie. Statt der Automobilindustrie Subventionen als Beruhigungsmittel zu verabreichen, wäre es hilfreicher gewesen, den verdieselten Vorständen der Autokonzerne die Leviten zu lesen, sie in die Pflicht zu nehmen: Ziele setzen, und zwar verbindlich, die Wege dahin jedem überlassen.


Missachtung. CETA und TTIP werden hinter dem Rücken der Bürger verhan-delt. Nicht einmal die Beauftragten der Bürger, die Bundestagsabgeordneten, haben freien Zugang zu den Daten. Darüber hinaus wird getrickst, dass sich die Balken biegen. CETA kann auch „vorläufig“ eingeführt werden – vorbei an allen Parlamenten. Sollten sich dabei „Fehler“ herausstellen, werden die nicht mehr korrigiert werden können.

Zusammengefasst: Das, was die etablierten Parteien  nicht auf die Reihe gebracht haben, ist das Problem und nicht das Tamtam, das die AfD veranstaltet.

Trotzdem: Betrachten wir den Erfolg der AfD als Glücksfall. Endlich kommt Leben in die Bude. Endlich reiben sich die „Etablierten“ den Schlaf aus den Augen. Endlich sehen sie, dass sie sich die Sache mit der AfD eingebrockt haben.

Hoffentlich sehen sie es wirklich.  Aber es sieht nicht danach aus. Alle stürzen sich schon jetzt in den Bundestagswahlkampf 2017. Die Fahnen flattern bereits im Wind. Und so kommt es wahrscheinlich, wie es in solchen Fällen immer kommt:

„Wenn die Fahne flattert, ist der Verstand in der Trompete.“

Samstag, September 10, 2016

Der weiße Neger


Hier geht es nicht um den weißen Neger Wumbaba, der als Missverständnis „aus den Wiesen steiget“ – anstelle des „Nebel wunderbar“, wie es Matthias Claudius gesehen hat.

Hier geht es um einen leibhaftigen Neger, der leibhaftig weiß ist. Dieser Mensch ist kein Neger, aber er heißt so. Er betreibt eine Dachdeckerei, und die hat ein Markenzeichen, ein Logo, wie es heute heißt. Das zeigt einen Neger  mit einem Dachdeckerhammer in der rechten Hand und unter sich ein Dach, darunter Dachsparren, auf die noch die Ziegel gelegt werden müssen. Mit einiger Fantasie kann man die Dachsparren als ein Baströckchen sehen.

DIE WELT vom 1. September berichtet darüber unter dem Titel „Sieg des Baströckchens.“ Es geht dabei um „political correctness“, um Willkür also.

Laut SPIEGEL ONLINE sagt Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland: „Er (der Herr Neger, der Dachdecker) sagt, dass es (das Markenzeichen) nicht rassistisch sei. Es ist zweifelhaft, ob er das aus seiner Perspektive einschätzen kann. Als Mensch, der höchstwahrscheinlich nicht über Rassismuserfahrung verfügt, fehlt ihm hier schlichtweg die Kompetenz.“ Anders gesagt: Der Mann ist ein Dummkopf.

Wieviel Missachtung, wie viel Verbohrtheit, wie viel Hass stecken unter der sogenannten Politischen Korrektheit in dieser Äußerung! Sektierer bestimmen, was political correct ist – sein soll. Hüten wir uns davor, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Im Zweifelsfall: Lasst fünfe gerade sein. Mit kleinen Fehlern lebt es sich besser als mit großen.


Missverständnisse


Wenn ich von Missverständnissen spreche, ist das geschmeichelt. Es scheint darum zu gehen, etwas nicht verstehen zu können – schlimmer vielleicht noch: etwas nicht verstehen zu wollen. Die Rede ist von den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, in denen die AfD die CDU überholt hat? Nein, ich spreche von den Reaktionen einiger Politiker auf die Wahlergebnisse.

Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende DIE GRUNEN im Bundestag: „Wir müssen uns um Menschen kümmern, die sich abgehängt fühlen.“ Gnädige Frau, das ist nicht nötig. Das macht schon die AfD. Sie sollten dafür sorgen, dass Menschen gar nicht erst abgehängt werden.

Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorstandsmitglied, verlangt eine klare Haltung. Haltung würde schon genügen. Aber die scheint der SPD abhanden gekommen zu sein. Das ist traurig; denn sie war einmal die einzige Partei, die in einer gefahrvollen Situation Haltung zeigte – Charakter. Aber das ist lange her: Reichstag  Januar 1933.

Die sogenannten etablierten Parteien sind durch den Wind, wie es in Norddeutschland heißt:  Ratlos, hilflos und furchtbar aufgeregt. Ungeeignetes, aber gern genommenes Beruhigungsmittel: Die Schuld bei den anderen suchen, nicht bei sich selbst. Dabei weiß jeder, dass dies zu einem Dämmerzustand führt, in dem klares Denken keinen Platz hat. 

Empfehlung: Das Rezept absetzen, von heute auf morgen, Entzugserscheinungen in Kauf nehmen. Die Zähne zusammenbeißen und sagen: Das haben wir uns selbst eingebrockt. Und nicht der AfD die Schuld geben. Vielleicht sollten wir der AfD sogar dankbar sein. Sie hat gezeigt, dass etwas nicht stimmt im Staate Bundesrepublik. Das sollten wir ernst nehmen.

AfD – Alternative für Deutschland? Lassen wir uns nichts vormachen. Wo ist sie, die Alternative? Außer Protest ist da nichts. Aber nur Gerede gegen die AfD hilft auch nicht.


Die Angst der Frauen


Bitte jetzt nicht auf die Idee komme, ich hielte unsere Presse für eine Lügenpresse. Aber eine Angstmacherpresse scheint sie mir schon zu sein. Ich finde, das ist genauso schlimm. Der Beitrag „Jungfernstieg: Frauen haben Angst“, DIE WELT, 1. September spricht für diese Ansicht.

Der „Bericht“ der WELT ist nichts anderes als Panikmache. 538 Hamburger wurden von App appinio (wer ist das?) gefragt, ob sie sich auf dem Jungfernstieg sicher fühlen. Das wollen wir uns etwas genauer ansehen. Ich habe die Zahl mal auf 500 reduziert. Das rechnet sich besser, ohne die Ergebnisse zu verfälschen.

180 Befragte fühlen sich auf dem Jungfernstieg sicher. 160 fühlen sich nicht mehr sicher. Und 55 haben sich dort nie sicher gefühlt. Die anderen Befragten? Keine Auskunft, keine Ahnung. Was heißt das?

Das heißt nur: Die Zahlen sagen nichts. Sie lassen nur ahnen, dass hier Stimmung gemacht werden soll, dass es um Panikmache geht. Nein, das ist nicht übertrieben.  Nur 28 Prozent der Frauen fühlen sich nach wie vor auf dem Jungfernstieg sicher, heißt es. 36 Prozent fühlen sich seit einiger Zeit nicht mehr sicher. Aber wie viele der rund 500 Befragten waren Frauen? Das wird nicht gesagt.

Geben diese Zahlen die Wirklichkeit wieder? Zeigen sie, was auf dem Jungfernstieg los ist? Wie viele tausend Menschen treffen wir dort jeden Tag? Und sagen die Auskünfte von 500 Jungfernstieg-Passanten: So und nicht anders ist es? Das darf bezweifelt werden. Die Gründe dafür bleiben im Dunkeln.

In Deutschland haben angeblich alle Angst, haben alle Angst vor allem. Wer will uns das bloß einreden? DIE WELT ist es nicht allein. Wir leben in einem Zeitalter der Hysterie, weltweit. Wenn das nicht aufregend ist!