Samstag, Oktober 28, 2006

Zeitgeschichte(n)

„Mehdorn sauer“ – eine kurze Notiz im heutigen Hamburger Abendblatt. Die Entscheidung über die Privativierung der Deutschen Bahn wurde wieder einmal verschoben, und das Bahnmanagement hat „Zweifel daran, ob die Entscheidung über die Zukunft des DB-Konzerns nun wirklich zeitnah fällt“.

Was ist mit zeitnah gemeint? Doch nichts anderes als bald, in Kürze, demnächst, lieber heute als morgen. Jede dieser Formulierungen sagt genauer, sagt deutlicher, worum es geht.

Von zeitnah zum Zeitfenster ist es nicht weit. Auch so ein Wort, das so lange nachgeplappert wird, bis man es gar nicht mehr in seinem Unsinn wahrnimmt. Meist sind die Zeitfenster eng. Das heißt nichts anderes als: „Wir haben nicht mehr viel Zeit, wir müssen bald etwas unternehmen, die Dinge müssen in Kürze geregelt werden. Das ist auch viel genauer. Aber Genauigkeit ist heute wenig gefragt. Man muss sich ja ein ein Hintertürchen, nein, ein Zeitfenster offen halten.

Bitte jetzt nicht das Zeitfenster mit dem Zeitraum entschuldigen. „In einem Zeitraum von 20 Jahren werden sich die Dinge wie folgt entwickeln…“ könnte man sagen und würde das auch gut verstehen. Die Zeit als Raum, den man ausgemessen hat, das klingt einleuchtend. Aber ein Zeitfenster von 20 Jahren?

Kleine Zwischenbemerkung: Warum müssen immer Entscheidungen getroffen werden? Warum wird nicht einfach entschieden?

Von zeitnah und Zeitfenster schnell noch ein kurzer Ausflug zum Kernwort Zeit. Dieses Wort ist eines der geheimnisvollsten, rätselhaftesten. Zeit ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn das nur alles wäre!

Wir haben keine Zeit. Wir nehmen uns die Zeit. Die Zeit will nicht vergehen. Die Zeit läuft uns davon. Auf Zeit spielen. Alles zu seiner Zeit. Die Zeit ist abgelaufen. In früheren Zeiten (die Zeit tritt also gelegentlich auch im Plural auf). Zeitgeschehen. Zeitlos. Weltzeit. Ortszeit.

Die Zeit: Ein Universum, ein Labyrint, ein zeitloses Abenteuer, etwas, das nie ganz zu verstehen sein wird.

Mittwoch, Oktober 25, 2006

Erfindungsreichtum

Eine Redewendung, eine Floskel, die sich wie eine Epidemie in unserer Sprache verbreitet ist „sich neu erfinden“. Unternehmen erfinden sich neu. Einzelne Menschen erfinden sich neu, es wird Unternehmen und Menschen nahegelegt, sich neu zu erfinden.

Das mag ja ganz hübsch klingen, so locker, so fröhlich, so ungezwungen und ist trotzdem sprachlicher Unfug. Es geht darum, sich neu zu orientieren, sich neue Ziele zu setzen, neue Wege zu gehen. Damit verändern sich natürlich Menschen und Unternehmen, sie werden nicht mehr die sein, die sie einmal waren. Aber deshalb haben sie sich noch lange nicht neu erfunden.

Mich erinnert „sich selbst erfinden“ an den so blödsinnigen Gebrauch des Wortes „intelligent“. Da ist immer häufiger von intelligenten Technologien die Rede, insbesondere in der Automobilindustrie. Erstens sind die Technologien nicht intelligent, sondern sie bewirken stur nur das, was ihnen vorher eingegeben worden ist. Und zweitens handelt es sich nicht um Technologie, sondern um Technik.

Wir haben leider nicht nur beim Geld eine ständige Inflation, sondern auch in der Sprache. Beides gibt wenig Grund zur Freude.

Globalisierungsdeutsch und anderer Sprachunsinn

Globalisierung, so wie sie heute verstanden wird, ist zuallererst eine Sache der Wirtschaft, des Handels, dann aber auch eine kulturelle Angelegenheit. Schließlich kann man ohne Sprache weltweit weder wirtschaften noch Handel treiben.

Dass Englisch die Sprache der Weltwirtschaft ist, hat sich so ergeben und ist nicht zu bemäkeln. Der Wert anderer Sprachen – Französisch, Spanisch, Deutsch – wird dadurch nicht gemindert. Dass diese anderen Sprachen die verschiedensten englischen Begriffe aufnehmen, sich sozusagen aneignen, ist vernünftig und deshalb verständlich. So versteht man sich über die Grenzen hinweg – es gibt ja noch welche – besser. Aber im Augenblilck haben wir es mit etwas ganz Anderem zu tun.

Hier geht es um die gockelhafte Eitelkeit, zu zeigen, wie toll man Englisch kann.
Nur ganz wenige Beispiele hier:

Der USER. Wie ärmlich klingt da doch ANWENDER oder BENUTZER.

EVENT LOCATION. Klingt besser als Veranstaltungsort, nicht wahr?

HIGHLIGHT. Höhepunkt, Glanzpunkt – du liebe Güte, wie Deutsch!

TOPPEN. Übertreffen – wie langweilig!

SHOPPEN. Einkaufen, einen Einkaufsbummel machen – wirklich provinziell, oder?

CEO, Chief Executive Officer. Vorstandsvorsitzender, Geschäftsführer. Klingt irgendwie nach Dorfältesten, die übrigens nicht immer die Dümmsten waren. Das mit dem Officer habe ich bis heute nicht begriffen. Sind wir denn im Krieg?

So weit, so schlecht. Jetzt ein kleiner Abstecher zu den so beliebten Allerwelts-,
Bequemlichkeits-, Passepartoutwörtern. Ich will nur eins hier nennen: generieren.

Generiert werden neue Produkte, neue Kundenbeziehungen, neue Ansichten, neue Erkenntnisse, wachsende Umsätze, höhere Gewinne, ach, einfach alles wird generiert. Dieses Wörtchen hat mehrere Vorteile. Es beeindruckt nicht nur Hauptschüler ohne Schulabschluss. Es sagt nicht ganz genau, worum es wirklich geht. Es erspart dem Redner oder Schreiber, einen kleinen Augenblick nachzudenken und nach einem genaueren Wort zu suchen. Erzeugen, erzielen, hervorbringen, erreichen wären einige Möglichkeiten. Je nach Zusammenhang gibt es noch andere Begriffe.

Das Modeunwort Konsens will ich hier nur erwähnen, aber nicht kommentieren. Das wäre zuviel des Guten.

Dienstag, Oktober 24, 2006

"Belastbar" - ein Wort macht Karriere

Seit einiger Zeit taucht dieses Wort überall und immer häufiger auf – in Zeitungen, Zeitschriften, in Gesprächen, einfach überall. Da fehlen belastbare Informationen, belastbare Daten, die zur Verfügung gestellten Zahlen sind nicht belastbar usw. usw.

Das Wörtchen belastbar, so wie es heute so gut wie ausschließlich gebraucht wird, soll das, worum es geht, verschleiern. Die Informationen, Daten, Zahlen sind ungenau, unzuverlässig, fragwürdig, unglaubwürdig usw. usw. Das ist der Punkt, soll aber nicht so deutlich gesagt, soll verschleiert werden.

Wenn jemand wenig belastbar ist, dann geht er bei den ihm übertragenen Aufgaben zu schnell in die Knie. Ich kann ein Konto mit einer Geldforderung belasten und ein Haus mit einer Hypothek. Ich kann jemanden mit einer Aussage belasten, die gegen ihn gerichtet ist. Sorgen können mich belasten, und wenn ich unter ihnen zusammenbreche, dann bin ich nicht belastbar belastbar genug.

Dass Politiker diesen Wortmissbrauch lieben, verstehe ich, finde es aber nicht gut.
Dass die Medien „belastbar“ unbesehen und unbedacht weiterverbreiten, verstehe ich nicht, und ich finde das auch nicht gut.

So könnte ich stundenlang klagen. Die Politiker „ringen“ um alles und jedes. Dabei streiten sie nur. Wenn es hieße „die CDU ringt mit der SPD“ um eine Lösung, dann wäre das in Ordnung; denn in dieser Großen Koalition versucht der eine den anderen ständig auf den Rücken zu legen. Über alles das, was nach vorherrschendem Sprachgebrauch „fähig“ ist, bestenfalls aber nur „geeignet“, will ich mich hier nicht weiter auslassen. Es gibt kein atomwaffenfähiges Material, sondern nur ein dafür geeignetes. Überall suchen die Politiker nach einem Konsens und tun sich schwer, ein „konsensfähiges“ Ergebnis zu erzielen. Das werden sie auch nie erreichen, da ein Ergebnis über keine Fähigkeiten verfügen kann, sondern nur Folgen hat.

Wie manchmal wirklich teuflisch mit der Sprache umgegangen wird, beweist die Aussage eines der 1945/46 in Nürnberg angeklagten Nationalsozialisten, der einräumte, dass „450.000 jüdische Ungarn der Endlösung zugeführt worden sind“.
Sie sind ermordet worden!

Damit nicht alles heute im allzu Bösen endet: Ein kleiner, ehrenwerter, provinzieller Förderverein, der sich für eine gute Sache einsetzt, schreibt in seinem „Newsletter“, seinen „Neuesten Nachrichten“ von „fundrasing“, was die Vereinsmitglieder unter dem Wort Spendensammler / Spendensammlung sicherlich besser verstanden hätten.

Wenn Klaus-Christian Schlichte-Groll im Hamburger Abendblatt vom 17. Oktober schreibt, dass das Modeunternehmen Lucia im nächsten Jahr, nachdem es zwei Jahre rote Zahlen geschrieben hat, eine schwarze Null als Ergebnis anstrebt, dann frage ich mich: Was ist der Unterschied zwischen einer schwarzen und einer roten Null? In einem ordentlichen Geschäftsabschluss kommt so etwas nicht vor. Ob da Politiker der Großen Koalition gemeint sind, die schwarzen und die roten Nullen? Nein, das kann nicht gemeint sein. Klaus-Christian Schlichte-Groll hat gar nichts gemeint, er hat nur Vorgekautes nachgeplappert.

Im Fernsehen wird nicht nur geträllert, sondern auch getrailert

Ich fernsehe nur noch selten, schalte nur noch hier und da den Fernseher ein. Möglicherweise fällt mit deshalb dies und jenes auf, das regelmäßige Zuschauer gar nicht mehr wahrnehmen. Aber natürlich kann ich das nur vermuten.

Gestern habe ich mir den Jürgen Leinemann-Film zu Gerhard Schröder angesehen. Das war im ZDF. Eigentlich müsste das SGTP heißen = Second German Television Programme. Das Gefühl hatte ich jedenfalls, als nach dem Leinemann-Film eine Sprecherin auf dem Bildschirm auftauchte und die Sendungen ankündigte, die nach den „Programm-Trailern“ gesendet würden.

Programm-Trailer? Sind Trailer nicht die Anhänger, mit denen die Leute mit den großen geländegängigen Autos ihre Pferde oder Yachten hinter sich herziehen? Klar, aber das war ja hier bestimmt nicht gemeint. Ein Blick in Cassell’s New German Dictionary zeigt, dass es für Trailer im Deutschen eine ganze Menge Bedeutungen gibt, unter anderem auch Vorschau, Voranzeige, Vorankündigung. Na bitte! Da wäre es doch gar nicht so verkehrt gewesen zu sagen: Nach den Vorfilmen sehen Sie…“
Aber das wäre vielleicht zu deutsch. Schließlich muss es ja Sinn machen, dass trotz der hundsmiserablen PISA Ergebnisse alle Deutschen die englische Sprache perfekt beherrschen.