Donnerstag, Juni 30, 2016

Sprachmüll


Es hat sich in den letzten Wochen und Tagen wieder einiges angesammelt, das in die Mülltonne gehört. So viel, wie im Folgenden notiert wird: Es ist nicht alles. Viel Sprachmüll wird immer noch durch die Gegend fließen.

So wird in der Politik – auf allen Ebenen – von Anknüpfungs-, Bezugs- und Refe-renzpunkten gesprochen. Ein Gespräch, eine Sendung (es sind nicht nur Politiker, die so reden)  wird nicht etwa eröffnet, nicht eingeleitet, sondern anmoderiert. Tragfähig und prioritär müssen Dinge sein, wenn man sich um sie kümmern soll, ganz besonders, wenn es um das Empowerment der nächsten Generation geht.

Bemerkenswert auch, mit welcher Begeisterung Politiker die enge Verwandt-schaft von Soziologie und Biologie für sich entdeckt haben. Seit Kurzen haben alle Menschen Wurzeln, sind also standorttreu, wenn man sie nicht aus ihrer Umgebung reißt. Und das bei der von Politikern so angebeteten Flexibilität! Syrer haben syrische Eltern. Afghanen haben afghanische Eltern. Ich habe deutsche Eltern und Großeltern und Urgroßeltern. Aber Wurzeln? Die habe ich nicht. Und die anderen auch nicht. Aber was machen gegen POLLY, die Politiker-Lyrik? Aussichtslos! Es scheint sich hier um zwanghaftes Verhalten zu handeln.

Kein Zweifel deshalb, dass der Zwang, reflektiert zu sein, uns über den Kopf wächst. Und was ist gemeint? Nachdenklich, kritisch, gewissenhaft, nichts anderes. Aber ach: Diese doofen altmodischen Wörter! Warum sollten wir sie hervorkramen, wo es doch mit reflektiert einfacher und schneller geht?!

Einer Politikerin fehlte neulich ein starker Kompass. Jedenfalls behauptete sie das. So taumelt die bildungsnahe Dame wahrscheinlich heute noch orientierungslos durch ihre Welt und unsere Sprache.

Wenn unterschiedliche Auffassungen zu einem von allen akzeptierten Ergebnis geführt werden, sprechen wir von Konsens, von Übereinstimmung. Mir wäre es lieber, wenn es hieße „wir haben uns geeinigt“ und nicht, „wir haben einen Konsens erreicht.“  Wenn aber gesagt wird, man habe die Gespräche konsensual geführt, dann wird mir schlecht. Wir sollten uns aber nicht vormachen. Konsensual wird nicht der Gipfel sein. Jeder Unfug, jeder Irrsinn lässt sich steigern. Beispiele dafür gibt es übergenug, nicht nur im Sprachgebrauch.

Schon bei Kleinigkeiten geht es los. Politiker übernehmen keine Verantwortung. Das wäre ja zu wenig. Sie übernehmen die Verantwortung deutlich – sagen sie. Und dann verschwinden sie im Undeutlichen, was in der Politikersprache eine große Rolle spielt. Was lernen wir? Verantwortung kann man auch undeutlich übernehmen. Wenn wir die Politiker beim Wort nehmen, scheint das möglich zu sein. Das scheint Vorteile zu bieten.

Die Kunst der Rede scheint nicht nur darin zu bestehen, Kleinigkeiten gehörig aufzublasen, sondern auch sich selbst. Beides scheint am besten zu gelingen, wenn man aus einfachen Wörtern etwas Größeres, etwas Bedeutendes, macht. Wie viel beeindruckender ist doch der Möglichkeitsraum gegenüber der Möglich-keit!

Sprachmüll überall. Eine Katastrophe. Weil hinter den Wörtern Gedanken stecken, Absichten. Und die sollen durchgesetzt werden. Das aber, finde ich, ist „unverhandelbar“. Auch so ein Unwort.

Schnell noch angehängt: Shitstorm. Soll heißen: Sturm der Empörung. Noch lang-weiliger kann eine Übersetzung nicht sein. Deshalb: Wie geht es besser? Krawall wäre wohl schon etwas besser.

Wenn wir wirklich hoch hinaus wollen, sollten wir uns an die Stanford University wenden. Dort gibt es einen Lehrstuhl für Komparatistik. Donnerwetter! Es geht um vergleichende Literaturwissenschaft.  Also: Das kann ich auch – oder geht es da um etwas anderes? Nicht um gute oder schlechte Texte?

Ich habe das Gefühl, dass es heute mehr Professoren als Taxifahrer gibt. Und jedes Kaff scheint eine Universität zu haben. Nur richtig lesen, schreiben und rechnen können die Jungs und Mädels nicht. Sollte da irgendetwas nicht stimmen? Sind Bildungsferne und Bildungsnähe so eng zusammengerückt, das weder von Nähe, noch von Ferne und von Bildung sowieso nicht die Rede sein kann?

Schön ist die Geschichte vom Getto in Venedig zum Ghetto überall (DIE ZEIT, 23. März 2016).  Dann wäre da noch „alarmistisch“, „systemisch“  und „verhan-deln“ statt „behandeln“. Auch so ein Unfug.

Schließlich auch noch die Angeberei der Journalisten: Resilienz = Widerstands-fähigkeit – Austerity = Sparpolitik auf Teufel komm raus usw. Warum nennen sie das Kind nicht beim deutschen Namen?

Europa - ein Trauerspiel


Europa hat  sich kleiner gemacht als es ist. Am 23. Juni hat sich die Mehrheit der britischen Bürger für LEAVE entschieden, raus aus der EU, der Europäischen Union. Statt 28 Staaten nur noch 27. Einer weniger. Aber das hat genügt. Die Welt steht kopf. Jedenfalls wird das so berichtet.

Die Briten haben sich gar nicht gegen Europa entschieden, nur gegen die EU. Das ist ein großer Unterschied. Europa ist mehr als die Europäische Union. Politik und Wirtschaft haben das offenbar nicht begriffen. Das ist das Trauerspiel, das jetzt auf allen Bühnen aufgeführt wird.

Armes Europa, dessen Reichtum die Briten infrage stellen! Es geht nur ums Geld. Wie viel verlieren wir? Wie viel gewinnen wir? Das fragen sich die Politiker aller Länder, die Wirtschaftsmanager sowieso. Europa – die Geldmaschine. Ist das wirklich alles?

Sollte das so sein, dann haben wir wirklich ein Problem. Denn die Geldmaschine arbeitet nicht für alle und jeden. Sie arbeitet vor allem für die, die schon alles haben.

Zu dumm, dass wir das erst jetzt begreifen. Die Herren Kohl und Mitterand haben die Sache wohl so – guten Glaubens hoffentlich – eingefädelt: der EURO würde schon alles regeln. Irrtum! Europa ist mehr als Geld.

Seinen wahren Reichtum verdankt Europa seiner Kultur. Kein anderer Kontinent reicht an diese Vielfalt heran. Das geht seit unendlichen Zeiten so. So viele Länder, so viele Dichter, Schriftsteller, Maler, Philosophen, Wissenschaftler – ein Reichtum ohnegleichen. Die Goethes und Schillers, die Kafkas und Brechts, die Kästners, Kleists, die Shakespeares, die Sartres, Prousts, Flauberts, die Gides, Maupassants, Balzacs und alle die anderen? Die Bachs, Mozarts, Beethovens, die Strauß. Die Dürers und Brueghels, die Picassos und die Baselitz. Die Einsteins, um die Wissenschaft zu erwähnen, auch die Freuds und Jungs. Sie sind der Reichtum Europas, unser Reichtum.

Es wird Zeit, dass wir uns zusammenreißen und darüber reden und nicht über Geld. Sogar Tante Minchen ist hier weiter als die Politik. Als sie, ohne Passkontrolle und damit ohne Grenze nach Frankreich, Italien, Dänemarkt uns sonstwohin in Europa reisen konnte, da hat Tante Minchen festgestellt, dass die Franzosen und alle anderen genauso sind wie sie, genauso nett und genauso unerträglich. Grenzenloses Europa.

So klein fängt Kultur an und entwickelt sich im Laufe der Zeit zum Großen. Daran sollten wir denken und nicht ans Geld. Das können wir dann immer noch machen. Auf die Reihenfolge kommt es an.

Sonntag, Juni 12, 2016

Nebenwirkungen


„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“.  Keine Werbung für Medikamente ohne diesen Satz. Das ist so vom Gesetzgeber vorgeschrieben. Die Vernunft spricht für diese Regelung; denn es könnte nicht nur die gewünschte Wirkung, sondern nebenher auch eine unerwünschte, riskante eintreten. Klar, dass wir uns davor schützen wollen. Einleuchtend die Empfehlung, den Arzt oder Apotheker zu fragen.

Verwunderlich ist allerdings die Tatsache, dass diese wichtige Empfehlung nur hier ausgesprochen wird; es handelt sich ja bloß um einen kleinen individuellen Bereich unseres Lebens. Andere können da eine viel größere Bedeutung haben, weil sie viele Menschen zugleich betreffen.

Nehmen wir als Beispiel die Energieerzeugung durch Atomkraftwerke. Die Risiken und Nebenwirkungen sind bekannt, wie Tschernobyl und Fukushima als die bisher schlimmsten Vorfälle von ungezählt vielen.

Ärzte oder Apotheker hier zu fragen, ist müßig. Wen aber dann sollten wir fragen? Wer könnte eine Antwort geben? Wer wäre dazu bereit? Vor allem aber: Wer fragt? Wer könnte fragen? Wer ist „wir“? Liegt da das Problem? Wahrscheinlich.

Eine neue Technik wird stets als Fortschritt dargestellt. Die Erfinder, die Entwickler sind stolz auf ihre Leistung. Das ist gut zu verstehen. So malen sie die Vorteile ihrer Erfindung in glühenden Farben aus. Natürlich kennen Sie auch die Risiken und Nebenwirkungen ihres Projekts. Sie sind sicherlich nicht leichtfertig damit umgegangen. Sie haben abgewiegelt und fanden, dass die Vorteile überwiegen und die Risiken und Nebenwirkungen nicht der Rede wert sind.

Nicht der Rede wert sind! Das dürfte der springende Punkt sein. Mögliche, auch wahrscheinliche Risiken und Nebenwirkungen werden verschwiegen. Weil der Mann von der Straße von Atomen und ihren Kräften keine Ahnung hat, sieht er nur die Vorteile und ahnt von möglichen Nachteilen nichts. So kommt er auch gar nicht auf den Gedanken, nach Risiken und Nebenwirkungen zu fragen. Und wenn er auf diese Idee käme, wen sollte er dann fragen? Arzt und Apotheker werden ihm keine Antwort geben.

So kommen wir ziemlich zwanglos-zwangsläufig zu der Frage, ob es nicht höchste Zeit ist, eine Frage- und Antwortstelle einzurichten, die stellvertretend für den Mann von der Straße fragt und antwortet.

Die gefühlte Welt


Es ist schon eine ganze Weile her. Da wurde ein unscheinbares Wörtchen auffällig: „gefühlt“.  Auf einmal tauchte „gefühlt“ überall und jederzeit auf. Da war die Rede von gefühlten 10 Grad, was die Temperatur anging, von einer gefühlten Ewigkeit. Und sogar von einem gefühlten Kontroll-verlust war die Rede. Alles war und ist plötzlich gefühlt, irgendwie. Das kam von heute auf morgen, sozusagen von einer Sekunde auf die andere. Niemand weiß genau, wie es dazu kam. Das „gefühlt“ war einfach da.

Geht es wirklich nur um etwas Gefühltes? Oder steckt mehr dahinter? Nehmen wir eine Erfahrung, die jeder von uns schon mal gemacht hat. Winter. Windstille Zwei Grad Minus.. Wir treten vor die Tür und finden es nicht besonders kalt.
 
Noch einmal Winter. Diesmal null Grad. Wir treten vor die Tür. Es weht ein heftiger Wind. Und was empfinden wir? Wir haben das Gefühl, dass es bitterkalt ist. Wie wir sehen, ist auf Gefühle kein Verlass. Zugegeben: Das ist keine neue Erkenntnis.

Neu ist aber, was in den meisten Fällen hinter dem heute so beliebten „gefühlt“ steckt. Nichts anderes als Bequemlichkeit, um nicht zu sagen: Faulheit, Sprach- und Schreibfaulheit: Minuten, die uns wie Stunden vorkommen, sind eine „gefühlte“ Ewigkeit. Der Weg, den wir auf unserem Spaziergang zurückgelegt haben, war „gefühlte“ 10 Kilometer lang. „Gefühlte“ Kilometer? Alles, was wir mit ein paar treffenden Worten beschreiben könnten, verkleinern wir auf das Modewort „gefühlt“. Was den gefühlten Kontrollverlust angeht, kann es sich nur um eine Einbildung handeln.

Nicht gefühlt, sondern eingebildet. Das ist des Rätsels Lösung. Wir möchten nicht zugeben, dass wir uns etwas einbilden, dass etwas gar nicht so war oder so ist, wie wir sagen.

Was wir entdecken, sind zwei kleine menschliche Schwächen: Wir flunkern gern ein bisschen, schwindeln ein wenig und versuchen es zu verheimlichen. Dazu werden wir offensichtlich immer sprech- und schreibfauler, machen es uns mit unserer Sprache bequem. Diese zunehmende Wortarmut könnte uns noch die Sprache verschlagen. Aber vielleicht ist die dann eintretende Stille eine Wohltat.

Verzufallt


Geschrieben wird so, wie es jedem gerade passt. Auch wenn es nicht passt. Alles muss immer schnell gehen, auch beim Schreiben. Da bleibt zum Denken, zum Suchen nach dem treffenden Wort, keine Zeit. Der Griff zu den „in-Wörtern“ ist ja auch zu verführerisch.

„Nachvollziehbar“ ist gerade groß in Mode, meist zusammen mit dem Wörtchen nicht. Klingt anscheinend viel besser als „das verstehe ich nicht, das begreife ich nicht, mit dem bin ich nicht einverstanden, so sehe ich das nicht, dem Gedanken kann ich nicht folgen“ usw. usw.

„Zielführend“, ein weiteres Wort aus dem Fertigwort-Suppentopf, immer wieder gern genommen wie jede 5-Minuten-Wort-Terrine. Schütteln wir mal. Tatsäch-lich: Klingt wie trockenfrost-tiefgefroren, ist deshalb nicht ohne Aufbereitung genießbar. Also los: Trennen wir das Substantiv vom Verb. Schon erkennen wir: Da muss es ein Ziel geben, und das soll geführt werden? Wohin und ob das überhaupt geht, bleibt im Dunkeln.

Was lernen wir? Ziele lassen sich nicht führen. Im glücklichen Fall lassen sie sich erreichen. Und deshalb: Jetzt hundertmal schreiben „Ich kann Ziele nicht führen. Aber ich kann sie erreichen.“

Das klingt leicht, ist es aber nicht. Die Verführung ist zu groß. Im Sprach-supermarkt ist die Frischwortabteilung sehr, sehr klein. Die Fast-Word-Regale nehmen den größten Platz ein. Was wie Vielfalt aussieht, ist in Wirklichkeit Armut, geistige Armut.

Zu allem Überfluss haben wir da noch den anscheinend unwiderstehlichen Drang, englischen Vokabeln Vorzugsplätze einzuräumen. Das führt nicht selten zu sprachlichen Kopfständen. Einer davon soll hier wieder auf die Füße gestellt werden.

Auf dem Umschlag einer Werbesendung des manager magazin, einer SPIEGEL-Ausgabe beigelegt, war zu lesen: „Randomisierte Umfrage.“ Nicht atomisiert, nicht materialisiert, nicht fingiert? Nein. Randomisiert.

Wenn Google das übersetzen sollte, was käme dabei heraus? „Verzufallte Umfrage.“ Wir lernen: Randomisieren heißt verzufallen. Verzufallt komm Ihnen dämlich vor? Aber es ist doch nicht dämlicher als randomisert.

Wie es der Zufall will, kommen wir zum „Rating“. Mal ist die Rangfolge gemeint, mal geht es um Bewertung. Der Unterschied ist klein, aber es gibt ihn. Bentutzt wird das Wort wahllos. Wie wäre es, die deutschen Begriffe zu benutzen? Es würde schneller klar, worum es geht.

Was das Wörtchen „adressieren“ angeht, verstand ich darunter bisher, Um-schläge mit den Adressen der Empfänger zu versehen. Neuerdings ist etwas anderes gemeint, jedenfalls in der „community“ der marketing and advertising people. Wenn sie mich ansprechen, dann adresssieren sie mich.

Vielleicht sollten wir die ohnehin außer Rand und Band geratenen Jungs und Mädels mal ein wenig dressieren, auf den Weg zur Vernunft bringen. Das muss ja nicht mit der Peitsche gemacht werden, und auch durch brennende Wortsünden müssen sie nicht springen. Es genügt, wenn sie sich in der Manege des aufregenden Wortzirkus an ein paar einfache Regeln halten und einfaches, gutes Deutsch schreiben.

Vorsicht, Zeitgraben!


In einem ZEIT-Artikel begegnete mir das mir bis dahin unbekannte Wörtchen „herkünftlich“. Irgendjemand muss da herkünftlich aus der Türkei oder sonst woher kommen. So war wohl der Zusammenhang. Ein herkömmliches Wort ist herkünftlich jedenfalls nicht, aber immerhin neu.

In einem lesenswerten Bericht über Melinda Gates erwähnt DIE ZEIT am 19. Mai einen riesigen „Zeitgraben“. Warum sollte es den nicht geben? Schließlich haben wir ja auch das Zeitfenster, das mal geschlossen ist, mal weit offen, das sogar schon mal geschmolzen ist. Hoffentlich fällt niemand in den riesigen Zeitgraben. Er wäre dort für immer und alle Ewigkeit begraben.

Und dann die ling-Sache. Nein, es geht nicht um diese saudumme Geschichte, dass alle Chinesen Ling statt Ring sagen. Es geht um eine bemerkenswerte Bemerkung der Linguistin Elisabeth Wehling, einer Hamburgerin, die in den USA forscht. Dort hat sie offensichtlich Erstaunliches festgestellt.

Sie ist der festen Überzeugung, dass die Endung „ling“ Menschen klein macht und sie abwertet. Ihre Begründung: Das Kleine steht im übertragenen Sinn oft für etwas Schlechtes, Minderwertiges, siehe Schreiberling und Schönling (Lüstling ist ihr nicht eingefallen, schade!) Frau Wehling geht bei dem Wort Flüchtling noch einen Schritt weiter: Zitat: „Außerdem ist ‚der‘ Flüchtling männlich – und damit transportiert dieses Wort sehr viele männliche Merkmale: ‚Der‘ Flüchtling ist eher stark als hilfsbedürftig, eher agressiv als umgänglich.“

Frau Wehling würde lieber von Flüchtenden sprechen. Dabei entgeht ihr, dass ein Flüchtender nicht in jedem Fall ein Flüchtling sein muss. Der Einbrecher, der vor der Polizei flüchtet, ist sicherlich kein Flüchtling, aber ein Flüchtender.

In der Frauengruppe der Berliner Humboldt-Universität wäre Frau Wehling gewiss gut aufgehoben.

Gott und die Welt...


Gott und die Welt, Evelyn Finger und Monika Grütters. Der hundertste deutsche Katholikentag, vom 25. bis 29. Mai in Leipzig begangen, fand auch in der ZEIT 23 vom 25. Mai statt. Gleich auf der Titelseite fragt Evelyn Finger „Wer vermisst Gott!“ und ist begeistert, dass ausgerechnet im gottlosen Sachsen-Anhalt, in Leipzig, der Katholikentag stattfindet: „Denn Sachsen-Anhalt hat nur 18 Prozent Christen, 4 Prozent Katholiken.“ Merkwürdig: Sind Katholiken keine Christen, oder nur andere?

Egal. Evelyn Finger empfiehlt den Kirchen zu sagen: „Das Christentum gehört zur Freiheits- und Aufklärungstradition Europas.“ Ist das nicht ein bisschen blauäugig, vielleicht sogar kühn, oder nur leichtfertig? Redet sie sich selbst und vielleicht auch noch anderen ein, was infrage gestellt werden muss?

Wie schrecklich Christen gegen Christen vorgegangen sind bis in die jüngste Vergangenheit, ist unfassbar. Mord und Totschlag, kreuzigen, aufs Rad flechten, bei lebendigem Leibe verbrennen waren Alltag vom dritten Jahrhundert an bis heute. Der Dreißigjährige Krieg: Katholiken gegen Protestanten. Die Bartholomäusnächte in Frankreich. Die Flucht der Hugenotten nach Preußen und so weiter, und so weiter.

Zum „und so weiter“ gehört auch dies: Martin Luther, einer der größten Judenhasser, Dazu gehören die „Deutschen Christen“ im nationalsozialistischen „Dritten Reich“. Die Ermordung von 6 Millionen jüdischen Menschen gehört dazu; denn sie wurde von den Christen zumindest hingenommen. Nicht wenige gingen darüber hinaus.

Was hat das Christentum zur Freiheit und Aufklärung in Europa beigetragen? Zählen Martin Niemöller, Dietrich Bonhoeffer, Kardinal von Gahlen und viele andere etwa nichts? Doch, natürlich. Aber Freiheit und Aufklärung waren nicht ihr Thema. Sie haben sich für Menschlichkeit eingesetzt. Das ist etwas anderes. Das ist mehr. So viel zu Evelyn Finger.

Und was sagt Monika Grütters, Kulturstaatsministerin unserer Republik? „Für mich gehört das Kreuz ins Kanzleramt. Gott und Freiheit sind kein Widerspruch.“ (DIE ZEIT 23. 25. Mai 2016) Wirklich nicht?

Im Gespräch mit der ZEIT erwähnt sie die „reine Lehre“, meint als Katholikin ihre Kirche und nicht die evangelische und eine andere schon gar nicht. Was an der Lehre ist rein? Wo ist die Freiheit? Frau Grütters bleibt da im Allgemeinen, im Ungewissen, beherrscht das Politikerdeutsch aber aus dem FF: „ Das Kreuz in der Schule oder im Gerichtssaal steht heute nicht für die Vorherrschaft einer Religion. Bei uns gilt die allseits akzeptierte Trennung von Kirche und Staat. Und doch steht das Kreuz hier für ein Bekenntnis zu einer ganz bestimmten Wertegrundlage.“ Und die wäre?  Das verrät Monika Grüttner nicht. Vielleicht weiß sie es selbst nicht. Vielleicht soll es auch ihr Geheimnis bleiben. Oder sollte das nur so dahingeplappert sein? Eine andere Äußerung der Kulturministerin könnte einen auf diesen Gedanken bringen: „Unsere Verfassung ermöglicht Pluralität und Vielfalt.“ Sind Pluralität und Vielfalt nicht einunddasselbe? (Haben wir eigentlich eine Verfassung? Oder begnügen wir uns noch immer mit dem Grundgesetz? Das scheint ja nicht das schlechteste zu sein.

Zum von Monika Grütters perfekt beherrschten Politikerdeutsch  gehören auch ihre letzten Worte im ZEIT-Gespräch: „…das ist für mich ein starker Kompass.“ Starker Kompass, schwacher Kompass? Es gibt starke und schwache Magnetfelder. Nichts als Geplapper. Wir sollten uns daran nicht gewöhnen.

Wie es der Zufall will. Bis zu ihren Äußerungen zum deutschen Katholikentag war mir Monika Grütters kein Begriff. Grütters? Ich erfuhr von ihr erst in der ZEIT vom 25. Mai. Und dann der SPIEGEL 23 vom 4. Juni mit dem Beitrag „Die liebe Monika.“

Der Vorspanntext: „Kulturpolitik. Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur, wirkt wie eine geborene Sympathieträgerin und hat dennoch in ihrer Amtszeit eine beachtliche Zahl von Gegnern  gefunden. Nicht jedem passt, wie sie gerade mit Wucht die Kulturnation Deutschland prägt.“

Auf den Seiten 126 bis 128 wird fast Zeile für Zeile das Hohe Lied auf die Kulturstaatsministerin  gesungen. Zu verstehen ist das nicht, zumindest, was die „Novelle des Kulturgutschutzes“ angeht, die Frau Grütters demnächst vom Bundestag verabschiedet sehen möchte. Sie plant, dass „national bedeutende Objekte“ für eine dauerhafte Ausfuhr gesperrt werden sollen.

Was heißt „national bedeutend“? Wer bestimmt, was „national bedeutend“ ist? Ist es überhaupt möglich, Arbeiten zeitgenössischer Künstler als „national bedeutend“ zu beurteilen? Geht das nicht erst im Rückblick? Künstler, Sammler  und Händler wehren sich verständlicherweise, auch wenn es ihnen hier wohl zuallererst ums Geld geht. Wichtiger scheinen mir die Fragen zu sein, die ich gestellt habe. 

Zu allem Überfluss habe ich noch eine Frage. Sind Dichter und Schriftsteller keine Künstler? Wenn sie es sind, und daran zweifle ich nicht, dann sollten doch ihre Gedichte und Bücher auch nicht dauerhaft ausgeführt werden. Ausgaben ihrer Werke dürften – sofern sie „national bedeutend“ sind, nicht für ausländische Verlage lizensiert werden. Ob Monika Grüttner sich traut, uns zu sagen, was „national bedeutend“ ist. Wenn sie sich traut, dann bitte mit Begründung. Sonst wäre es wieder Politiker-Bla-bla-bla.

Samstag, Juni 11, 2016

Effizienz


Mit dem geringstmöglichen Einsatz das bestmögliche Ergebnis erzielen, das ist Effizienz. Ein ehrgeiziges Ziel, gegen das nichts einzuwenden ist. Dumm nur, dass von Effizienz auch im Zusammenhang mit den SUVs die Rede ist. Vor allem die sprechen von Effizienz und ihrer Wichtigkeit , die diese Autodinosaurier fahren. Das sind vor allem  Manager, die gern mit ihrem SUV durch die City brausen. Sie, auch ihre Damen, setzen 2.500 kg Auto in Bewegung  um ein bisschen Mensch zu transportieren. Mit Effizienz hat das nichts zu tun. Abgesehen davon: Achten Sie auf die Reifen. Die sind hervorragend für den Asphaltdschungel geeignet. „Offroad“, in Feld, Wald und Wiese bringen sie das SUV keinen Meter weit, trotz 4-wheel-drive und anderem Klimbim.

Mittwoch, Juni 01, 2016

Wer einmal lügt...


… dem glaubt man nicht, selbst dann, wenn er die Wahrheit spricht. Immer öfter, immer heftiger wird die Glaubwürdigkeit der Politiker, der Politik infrage gestellt, und das ist sehr zurückhaltend gesagt. Weniger zimperlich ist man  an den Stammtischen, und nicht nur da. Von Lug und Betrug ist die Rede, davon, dass man „denen“ kein Wort glauben kann.

Ist das wirklich so? Können wir niemandem mehr trauen? Vielleicht ist dieses inzwischen abgrundtiefe Misstrauen gar nicht gerechtfertigt. Vielleicht ist alles nur Einbildung, mehr oder weniger. Das wäre zu hoffen. Leider ist es die Wahrheit.

Ein Beitrag in der Zeitschrift Cicero, Juni-Ausgabe 2016, Seite 99, lässt keinen Zweifel. Da wird notiert, was CDU, CSU und SPD 2013 in ihrem Koalitions-vertrag auf Seite 44 vereinbart hatten:

„Bei der Unterstützung  des Markthochlaufs der Elektromobilität setzen wir auf nutzerorientierte Anreize statt auf Kaufprämien.“

Drei Jahre später, im April 2016, beschließen die drei Parteien das Gegenteil: Kaufprämien von 3.000,00 bis 4.000,00 €.

Glaubwürdiger lässt sich Glaubwürdigkeit nicht infrage stellen.