Sonntag, August 19, 2007

Unter die Lupe genommen

Heute würde man wahrscheinlich sagen: „fokussiert“. Auch das wäre eine Betrachtung wert. Aber hier geht es um „hallo!“, „sensibel“ und „sensibilisieren“, Wörter, die uns nur so um die Ohren fliegen und in die Augen springen.

„Hallo“ ersetzt heute „Guten Morgen“, „Guten Tag“, „Guten Abend“, „Grüß Dich“.

Alles wird eingeschmolzen in ein kurzes „Hallo“ und verliert so seine Besonderheit.

Die ursprüngliche Bedeutung von „Hallo“ ist verloren gegangen. „Hallo“ rief man, wenn man jemanden, den man nicht kannte, auf sich aufmerksam machen wollte:

„Hallo, Sie da…!“

„Hallo?“ fragte man am Telefon, wenn man nicht sicher war, ob der Gesprächspartner einen noch hörte.

Alles vorbei. Wir stenographieren nur noch, sprechen in Kürzeln, was konsequenterweise zum Simsen geführt hat. Wir verstümmeln unsere Sprache. Faulheit und falsch verstandene Eigenheiten des Englischen werden die Gründe sein.

„Hallo, Herr soundso“, „hallo, Frau soundso“ fangen viele e-mails an. Wieviel schöner wäre „Guten Morgen, Herr soundso“, „Guten Tag, Herr soundso“ usw.!

Selbst die steife Anrede „Sehr geehrter Herr…“ wäre charmanter als „Hallo“.

Oberflächlichkeit, Unverbindlichkeit scheint das zu sein, was uns verbindet.

Die Wörtchen „sensibel“ und „sensibilisieren“ zeigen es womöglich noch deutlicher.

„Sensibel“ meint empfindsam, feinfühlig. So schlicht, so gut. (Zugegeben: Mein „Wahrig Deutsches Wörterbuch“ ist nicht mehr das allerneueste, aber so ganz und gar hat es sich bisher nicht geirrt, nicht daneben benommen.)

Was, bitte schön, sind nun sensible Daten? Manager und Politiker sprechen gern von sensiblen Daten, wenn sie mit der Wahrheit nicht herausrücken wollen. Das ist es also!

Sensibel heißt geheim halten, vernebeln, nur andeutungsweise zur Sprache bringen, sich nur nicht festlegen.

Was ist daraus zu lernen? Frage immer, was mit „sensibel“ gemeint sein kann! Um Empfindsamkeit, um Feinfühligkeit geht es sicherlich nicht. Also: aufgepasst!

Nun wird’s ganz schwierig: Sensibilisieren.

Da werden Menschen für den Krieg sensibilisiert. Kinder werden für Fettleibigkeit sensibilisiert, Mitarbeiter für IT-Sicherheit, für interkulturelle Andersartigkéit wird sensibilisiert. Was heißt das alles?

Da soll auf etwas aufmerksam gemacht werden. Da soll ein Gefühl, ein Verständnis für etwas geweckt werden. Da sollen die Augen geöffnet werden, um ein Problem zu erkennen.

Was sehen wir? Wenn wir genau sagen wollen, was wir meinen, brauchen wir ein paar Wörter mehr. Aber weil wir denk- und sprachfaul sind, genügt uns „sensibilisieren

Samstag, August 18, 2007

Man muss kein Katholik sein...

18. 08. 2007

Selbst wenn man wie Ralph Giordano der Meinung ist, dass nicht Gott den Menschen geschaffen hat, sondern der Mensch Gott (seine Götter), selbst dann kann man sich der Meinung von Robert Spaemann* zur Genmanipulation anschließen.

In einem Gespräch, das Susanne Kutter mit ihm führte (Wirtschaftswoche 32/2007),

sagt er:

„Das Eingreifen ins menschliche Genom muss verhindert werden, wir verfügen nicht über Kriterien, was ein wünschenswerter Mensch ist. Wenn man eine bestimmte Krankheit eliminieren könnte auf genetischem Weg ohne irgendetwas anderes in Mitleidenschaft zu ziehen, dann würde ich mit mir reden lassen. Aber das ist heute gar nicht möglich.

Und gleichzeitig geht die Phantasie der Wissenschaftler ja weit darüber hinaus. Die wollen wirklich einen besser angepassten Menschen. Einen Menschen, der besser für die Raumfahrt geeignet ist und andere Lebensbedingungen. Da wird der Mensch zum Material in der Hand anderer Menschen, die bestimmen, wie künftige Menschen aussehen. Das ist ein Grad von Selbstbestimmung, der ganz ungeheuerlich ist.“

* Spaemann, 80, emeritierter Professor für Philosophie der Ludwig-Maximilians-

Universität, befasst sich seit den Achtzigerjahren mit dem Verhältnis von

Naturwissenschaft zu teleologischem Denken und berät in diesen Fragen den

Papst.

Robert Spaemann spricht meiner Meinung nach viel zu leise, auch wenn er das Wort „ungeheuerlich“ benutzt. „Da wird der Mensch zum Material in der Hand anderer Menschen…“ – Schlimm genug das Wort „Menschenmaterial“, mit dem die Soldaten bezeichnet wurden, die in den Kriegen „verheizt“ wurden. Da nahm man die Menschen, wie man sie vorfand – menschenverachtend.

Wie jeder Wahnsinn, lässt sich auch dieser steigern – unter dem Deckmantel der Wissenschaft. Wie verlockend der Gedanke, Menschen zu schaffen, die sich für bestimmte Zwecke heranzüchten und für eben diese Zwecke einsetzen lassen:

Die besondere Eignung für die Raumfahrt klingt harmlos. Aber was steckt dahinter?

Welche anderen besonderen Eignungen? Die Fähigkeit, bedenkenlos zu töten? Der

zielstrebig eingesetzte Massenmörder? Eichmanns in Serie? Anspruchslose Arbeitssklaven? Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Sollte es Gott geben, was ich bezweifle, dann müsste man ihm sagen: „Bei der Schöpfung hättest Du beim Affen aufhören sollen. Dann hätten wir die Schwierigkeiten nicht, die uns umzubringen drohen.“

Montag, August 13, 2007

Nach ALDI

Fragt ein Deutscher, der schnell noch etwas einkaufen will, einen Türken: „Wo geht’s nach ALDI?“ Antwortet der Türke: „Zu ALDI.“ Der Deutsche: „Was, ALDI schon zu?“

Ein dummer, abgegriffener Witz? Abgegriffen ja, dumm bestimmt nicht; denn er zeigt, wie dümmlich wir mit unserer Sprache umgehen. „Wegen mir“ und „gewunken“ sind nur zwei Beispiele. Sie genügen.

Aber sie sind nur „die Spitze des Eisbergs“, der nun endlich einmal „auf den Prüfstand gestellt“ werden muss. Sollen wir den ganzen Eisberg oder nur seine Spitze „auf den Prüfstand stellen“? Je nach unserer Entscheidung haben wir die Wahl zwischen „der nun endlich einmal…“ und „die nun endlich einmal… auf den Prüfstand gestellt werden muss.“

Damit komme ich zur „Political Correctness“, die es angeblich auch bei uns gibt. Gemeint ist wohl, was man ungestraft oder auch unter Strafandrohung sagen darf.

Mitarbeiter darf man heute nicht mehr suchen, weil das Wort Mitarbeiter männlich ist – das Wort, wohlgemerkt. Mitarbeiter können aber durchaus männlich oder weiblich sein. Politisch korrekt ist aber Mitarbeiter/innen. Zu welchen verqueren Formulierungen dieser Unfug führt, ist in jedem Stellenanzeigenteil jeder Zeitung nachzulesen.

Politisch korrekt wird inzwischen aber auch private Korrespondenz geführt: „Ich würde mich freuen, wenn Sie/Ihr dabei wärt.“

Wenn „Sie dabei wärt“? Nach ALDI oder doch zu?

Nein, das ist nicht gemein. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Diese Sprachschluderei sollten wir nicht hinnehmen und mitmachen schon gar nicht!

Noch viel schlimmer ist, dass wir uns durch den Missbrauch kleiner, harmloser Worte einlullen lassen. Da ist beispielsweise von einem „sensiblen Thema“ die Rede. Was ist damit gemeint?

Sensibel heißt nach Brockhaus „empfindlich, einfühlsam“. Ein empfindliches, einfühlsames Thema ist aber kaum vorstellbar. Gemeint ist ein heikles, ein problematisches Thema, ein Thema, das Kopfschmerzen machen kann. Aber das wäre zu deutlich gesagt, nicht wahr?

Schlimmer noch: „ein sensibler Ort“. Sensibel kann ein Ort nicht sein, gefährlich aber durchaus. Das ist wohl gemeint. Aber wäre das nicht wieder viel zu deutlich?

Nicht selten ist die Rede davon, dass man irgendwelche Leute für irgendwelche Sachen sensibilieren müsse. Was könnte damit gemeint sein? Will man diese Leute auf irgendetwas mit der Nase stoßen? Will man ihnen etwas klar machen? Möchte man ein Gefühl für irgendetwas wecken? Es gibt viele Möglichkeiten, und jede verdient es, beim Namen genannt zu werden. Das setzt allerdings voraus, dass man

mal ein paar Minuten nachdenkt, bevor man mit „sensibel“ herausplatzt.

Noch eine Kleinigkeit: Bis zur Rechtschreibreform, die ja nun endlich zu so einer Art Gesetz geworden ist, habe ich geschrieben, wie ich es in der Schule gelernt habe –

mehr oder weniger richtig. Seitdem schreibe ich wie Goethe und Schiller. Die schrieben, wie ihnen die Feder gespitzt war – mehr oder weniger richtig.

Der Unterschied? Heute wird mehr oder weniger falsch geschrieben – mehr falsch.

Das liegt auch an der Flüchtigkeit des Computerschreibens, der auch ich mich nicht entziehen kann.

Kultur ist alles. Alles ist Kultur.

Der Missbrauch des Wortes Kultur frisst sich wie ein bösartiger, agressiver Krebs durch unsere Sprache. Ein Gegenmittel, eine Therapie gibt es anscheinend nicht.

Wenn der Politiker und Umweltminister Gabriel davon spricht, dass die Betreiber der Atomkraftwerke nicht imstande sind, eine „anständige Sicherheitskultur zu installieren“, dann meint er was? Sicherheit, aber nicht Kultur! Sicherheitssystem wäre sicherlich besser angebracht als Sicherheitskultur. Es ginge aber noch einfacher. Aber da lege ich mich mal sprachlich genau so faul zurück wie Herr Gabriel und alle die anderen.

Die anderen? Ja, zum Beispiel die STERN-Redakteure Andreas Albes und Hans-Hermann Klare, die in der Ausgabe 33 vom 09. 08. 2007 fragen: „Reicht das aus, um diese Kultur der Korruption zu beenden?“ Úmgang, Einverständnis mit der Korruption, Einstellung zur Korruption – alles dies wäre besser als „Kultur“. Aber Kultur ist ein verführerisches Wort: kurz und ungenau.

Ehrlicherweise muss ich etwas nachfügen. Alexander und Margarete Mitscherlich notierten bereits 1967 in "Die Unfähigkeit zu trauern" das Wort "Gehorsamskultur". Nun, auch bedeutende Menschen dürfen sich mal eine Bequemlichkeit leisten.

Wovor haben wir Angst?

Warum sind wir so feige? Seit 1990 ist der 3. Oktober „Der Tag der Deutschen Einheit“. Man könnte diesen Tag auch „Nationalfeiertag“ nennen, aber so heißt er nicht. Für einen Nationalfeiertag sind wir zu feige. Als ob wir keine Nation wären, wenn auch die Spätgeburt unter den Nationen!

Nein, nicht wir sind zu feige, sondern unsere Politiker. Am 3. Oktober 1990 wurde die „Wiedervereinigung“ sozusagen standesamtlich. Aber das wirklich große Ereignis fand ein Jahr früher statt, am 9. November 1989. Da fiel die Mauer. Da wurde aus zwei Deutschlands wieder ein Deutschland.

Nein, es waren nicht die Politiker, die das erreicht hatten, es waren die Namenlosen, die in Leipzig Montag für Montag zeigten, dass sie das Volk seien. Und sie waren es dann auch. Dass ihr Erfolg auf den 9. November fiel, war der Politik peinlich.

Da war ja noch etwas anderes geschehen am 9. November anderer Jahre: Das Judenpogrom am 9. November 1938, die „Reichskristallnacht“. Der „Marsch auf die Feldherrnhalle“ des Herrn Hitler am 9. November 1923. Der Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs am 9. November 1918.

Der 9. November – ein Schicksalstag der Deutschen. Der Tag, der es verdient hätte, deutscher Nationalfeiertag zu werden. Der Tag, an dem sich eine Nation zu sich selbst hätte bekennen können, mit allem Für und Wider.

Stattdessen hieß es am 3. Oktober 1990 spröde, aber politisch korrekt: „Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990.“

Politisch korrekt war das schon, aber keine wirkliche Grundlage für den „Tag der Deutschen Einheit“, nichts für einen Nationalfeiertag. Alle, die diesen 9. November 1989 in der noch existierenden DDR herbeigebetet und vor allem herbeidemonstriert haben, sind in Vergessenheit geraten, sind in Vergessenheit gestoßen worden. Das, was dort – in der Noch-DDR – nicht etwa so einfach geschah, sondern gewagt und gemacht wurde, hat in der damaligen Noch-BRD so gut wie keiner begriffen. Das ist bis heute nicht begriffen worden.

Darunter leidet die „Deutsche Nation“ bis heute, ist in Ost- und Westdeutsche geteilt, und keiner hat die Traute, damit Schluss zu machen.

Aber so geht es pausenlos mit uns Deutschen. Unsere Nationalhymne zeigt es so deutlich wie kaum ein anderes Beispiel.

Sie, die deutsche Nationalhymne, hat drei Strophen, von denen zwei gestrichen wurden: die erste und die zweite. Da ich keine auswendig gelernt hatte, wusste ich auch nicht, was gestrichen worden war und warum – und was übrig gelassen wurde, und warum.

Ich ärgerte mich nur nach der Vereinigung der beiden deutschen Kunststaaten zu einem Staat wieder, dass dieses „Deutschland, Deutschland über Alles…“ die Nationalhymne sein sollte, was sie ja auch geworden ist. Das ging mir genau so gegen den Strich wie der 3. Oktober als Nationalfeiertag, an dem Politiker so taten, als hätten sie alles das bewirkt, was in Wirklichkeit das namenlose Volk erreicht hatte.

„Auferstanden aus Ruinen…“ von Brecht und Eisler fand ich viel passender. Aber Brecht, Eisler, die DDR? Nein, das ging nicht. Das ging genau so wenig, wie den 9. November zu akzeptieren.

Als ich dies dachte, wusste ich nichts über die Entstehung des „Deutschlandlieds“, hatte ich keine Ahnung, wovon da eigentlich die Rede war. „Deutschland, Deutschland über alles…“ meinte nicht die Vorherrschaft Deutschlands über andere Völker, sondern wollte, dass sich nun endlich die vielen, vielen, viel zu vielen deutschen Kleinststaaten zu einem Deutschland zusammenfinden sollten. Das ist dann ja auf unvollkommene Weise auch geschehen.

Wenn man sich das ins Gedächtnis ruft, wird fragwürdig, weshalb die beiden ersten Strophen gestrichen wurden. Na gut, „von der Maas bis an die Memel“, das stimmte nun nicht mehr. Trotzdem: Etwas Wichtiges wurde damit aus der deutschen Geschichte gestrichen.

Wir Deutschen haben wirklich kein Glück mit unserer Geschichte. Wie alle zu spät gekommenen, wie alle zu klein gebliebenen sind wir besonders empfindlich. Wir bellen, wo wir die Schnauze halten sollten und beißen, wenn es keinen Grund dafür gibt.

Zurück zur Nationalhymne. Nun haben wir die dritte Strophe. Wir sollten aber in den Schulen die beiden ersten nicht unterschlagen und erklären, was mit ihnen gemeint war.

Ebenfalls ein Schulthema: Natürlich kann ein Staat nicht zwei Nationalhymnen haben.

Aber da es mal zwei deutsche Staaten gab, sollten beide im Gedächtnis bleiben; denn sie haben beide ihre Berechtigung; schließlich ist Deutschland wirklich „aus Ruinen“

wieder auferstanden.

Schnell noch mal zurück gedacht: Deutschland, Deutschland anstelle eines Sammelsuriums von Rittergütern, Grafschaften, Herzogtümern und kleinen Königreichen – stattdessen ein Großes Ganzes, das war schon eine Idee. Und was haben wir heute? 16 Bundesländer, 16 Landesfürsten, 16 Kabinette – alles sechzehn- statt einmal!

Wovor haben wir Angst?

Warum sind wir so feige? Seit 1990 ist der 3. Oktober „Der Tag der Deutschen Einheit“. Man könnte diesen Tag auch „Nationalfeiertag“ nennen, aber so heißt er nicht. Für einen Nationalfeiertag sind wir zu feige. Als ob wir keine Nation wären, wenn auch die Spätgeburt unter den Nationen!



Nein, nicht wir sind zu feige, sondern unsere Politiker. Am 3. Oktober 1990 wurde die „Wiedervereinigung“ sozusagen standesamtlich. Aber das wirklich große Ereignis fand ein Jahr früher statt, am 9. November 1989. Da fiel die Mauer. Da wurde aus zwei Deutschlands wieder ein Deutschland.



Nein, es waren nicht die Politiker, die das erreicht hatten, es waren die Namenlosen, die in Leipzig Montag für Montag zeigten, dass sie das Volk seien. Und sie waren es dann auch. Dass ihr Erfolg auf den 9. November fiel, war der Politik peinlich.



Da war ja noch etwas anderes geschehen am 9. November anderer Jahre: Das Judenpogrom am 9. November 1938, die „Reichskristallnacht“. Der „Marsch auf die Feldherrnhalle“ des Herrn Hitler am 9. November 1923. Der Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs am 9. November 1918.



Der 9. November – ein Schicksalstag der Deutschen. Der Tag, der es verdient hätte, deutscher Nationalfeiertag zu werden. Der Tag, an dem sich eine Nation zu sich selbst hätte bekennen können, mit allem Für und Wider.



Stattdessen hieß es am 3. Oktober 1990 spröde, aber politisch korrekt: „Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990.“



Politisch korrekt war das schon, aber keine wirkliche Grundlage für den „Tag der Deutschen Einheit“, nichts für einen Nationalfeiertag. Alle, die diesen 9. November 1989 in der noch existierenden DDR herbeigebetet und vor allem herbeidemonstriert haben, sind in Vergessenheit geraten, sind in Vergessenheit gestoßen worden. Das, was dort – in der Noch-DDR – nicht etwa so einfach geschah, sondern gewagt und gemacht wurde, hat in der damaligen Noch-BRD so gut wie keiner begriffen. Das ist bis heute nicht begriffen worden.



Darunter leidet die „Deutsche Nation“ bis heute, ist in Ost- und Westdeutsche geteilt, und keiner hat die Traute, damit Schluss zu machen.



Aber so geht es pausenlos mit uns Deutschen. Unsere Nationalhymne zeigt es so deutlich wie kaum ein anderes Beispiel.



Sie, die deutsche Nationalhymne, hat drei Strophen, von denen zwei gestrichen wurden: die erste und die zweite. Da ich keine auswendig gelernt hatte, wusste ich auch nicht, was gestrichen worden war und warum – und was übrig gelassen wurde, und warum.



Ich ärgerte mich nur nach der Vereinigung der beiden deutschen Kunststaaten zu einem Staat wieder, dass dieses „Deutschland, Deutschland über Alles…“ die Nationalhymne sein sollte, was sie ja auch geworden ist. Das ging mir genau so gegen den Strich wie der 3. Oktober als Nationalfeiertag, an dem Politiker so taten, als hätten sie alles das bewirkt, was in Wirklichkeit das namenlose Volk erreicht hatte.



„Auferstanden aus Ruinen…“ von Brecht und Eisler fand ich viel passender. Aber Brecht, Eisler, die DDR? Nein, das ging nicht. Das ging genau so wenig, wie den 9. November zu akzeptieren.



Als ich dies dachte, wusste ich nichts über die Entstehung des „Deutschlandlieds“, hatte ich keine Ahnung, wovon da eigentlich die Rede war. „Deutschland, Deutschland über alles…“ meinte nicht die Vorherrschaft Deutschlands über andere Völker, sondern wollte, dass sich nun endlich die vielen, vielen, viel zu vielen deutschen Kleinststaaten zu einem Deutschland zusammenfinden sollten. Das ist dann ja auf unvollkommene Weise auch geschehen.



Wenn man sich das ins Gedächtnis ruft, wird fragwürdig, weshalb die beiden ersten Strophen gestrichen wurden. Na gut, „von der Maas bis an die Memel“, das stimmte nun nicht mehr. Trotzdem: Etwas Wichtiges wurde damit aus der deutschen Geschichte gestrichen.



Wir Deutschen haben wirklich kein Glück mit unserer Geschichte. Wie alle zu spät gekommenen, wie alle zu klein gebliebenen sind wir besonders empfindlich. Wir bellen, wo wir die Schnauze halten sollten und beißen, wenn es keinen Grund dafür gibt.



Zurück zur Nationalhymne. Nun haben wir die dritte Strophe. Wir sollten aber in den Schulen die beiden ersten nicht unterschlagen und erklären, was mit ihnen gemeint war.



Ebenfalls ein Schulthema: Natürlich kann ein Staat nicht zwei Nationalhymnen haben.


Aber da es mal zwei deutsche Staaten gab, sollten beide im Gedächtnis bleiben; denn sie haben beide ihre Berechtigung; schließlich ist Deutschland wirklich „aus Ruinen“


wieder auferstanden.



Schnell noch mal zurück gedacht: Deutschland, Deutschland anstelle eines Sammelsuriums von Rittergütern, Grafschaften, Herzogtümern und kleinen Königreichen – stattdessen ein Großes Ganzes, das war schon eine Idee. Und was haben wir heute? 16 Bundesländer, 16 Landesfürsten, 16 Kabinette – alles sechzehn- statt einmal!

Ein Unternehmen spielt Gott

Hier ist noch einmal von M die Rede, dem Unternehmen, das im Eingriff in die Natur einer der Weltmarktführer ist; jedenfalls sieht es sich so, und die Folgen seiner Tätigkeit sind erschreckend – ganz gleich, ob sie beabsichtigt sind oder nur in Kauf genommen werden sollen.

Ein Auszug aus einem Gespräch mit Robert Spaemann* (Wirtschafstwoche 32 vom 06. 08. 2007) weist darauf hin, wenn auch indirekt:

„Das Eingreifen ins menschliche Genom muss verhindert werden, wir verfügen nicht über Kriterien, was ein wünschenswerter Mensch ist. Wenn man eine bestimmte Krankheit eliminieren könnte auf genetischem Weg ohne irgendetwas anderes in Mitleidenschaft zu ziehen, dann würde ich mit mir reden lassen. Aber das ist heute gar nicht möglich.

Und gleichzeitig geht die Fantasie der Wissenschaftler ja weit darüber hinaus. Die wollen wirklich einen besser angepassten Menschen. Einen Menschen, der besser für die Raumfahrt geeignet ist und andere Lebensbedingungen. Da wird der Mensch zum Material in der Hand anderer Menschen, die bestimmen, wie künftige Menschen aussehen. Das ist ein Grad von Fremdbestimmung, der ganz ungeheuerlich ist.“

Da läuft es einem kalt dem Rücken herunter. An nichts anderem arbeitet M, wenn auch zur Zeit noch auf Pflanzen bezogen doch schon mit katastrophalen Folgen für den Menschen. Wenn der unmittelbare Eingriff in den Menschen mehr Profit verspricht, wird M auch das tun – natürlich auch andere Unternehmen. Orwells 1984 liest sicht heute wie ein Schlummerlied. Orwells Fantasie hat weit in die Zukunft gegriffen, aber nicht weit genug. M ist über diese Fantasie weit hinaus.

Fahren wir nun alle zur Hölle? Die Fahrkarte für diese Reise hat M für uns bereits

bezahlt. Aber vielleicht wollen wir diese Reise gar nicht antreten. Dann allerdings müssen wir das klipp und klar sagen.

* Robert Spaemann, 80, emeritierter Professor für Philosophie der Ludwig-Maximilians-Universität, befasst sich seit den Achtiger-Jahren mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft zu teleologischem Denken und berät in diesen Fragen den Papst.

M wie Mord

Jeder Mord hat seine Geschichte. Mal nimmt sie nur wenige Sekunden in Anspruch. Ein anderes mal entwickelt sie sich über Jahre hinweg und scheint kein Ende zu nehmen, bis es dann doch „passiert“. Davon ist hier die Rede.

Der Fall M, um den es hier geht, ist in verschiedenen Veröffentlichungen nachzulesen, die ich hier auszugsweise, aber wortgetreu wiedergebe.

Zum besseren Verständnis: bei M handelt es sich nicht allein um Mord, sondern auch um ein Unternehmen. Das soll zunächst zu Wort kommen:

„Das Unternehmen ist einer der Weltmarktführer in der Entwicklung und Herstellung von umweltverträglichen Pflanzenschutzmitteln und mithilfe moderner Biotechnologie verbesserten Saatguts. Ziel von M. ist es, unter gleichzeitiger Schonung natürlicher Ressourcen, die Erträge und die Qualität der Agrarproduktion deutlich zu verbessern.“

Jetzt soll jemand zu Wort kommen, der selbst nicht mehr sprechen kann: Punjaram Kubde, ein indischer Baumwollpflanzer in der Region Vidarbha. Er hat sich, wie 521 Bauern in diesem und 1.200 Bauern im vergangenen Jahr, umgebracht, weil er keinen Ausweg mehr wusste.

Punjaram Kubde baute den „Bt Cotton“ von M an. „Der genveränderte Samen ist teuer, man muss ihn jedes Jahr neu kaufen, die Saat macht die Hälfte der Produktionskosten aus. Und wenn sie zu viel oder zu wenig Wasser bekommt, reagiert sie viel empfindlicher als normale Baumwolle.“ Zwei mal hintereinander „ersoff die Ernte im Regen.“ Da war Punjaram Kubde am Ende. „Er hätte sich aus der (von M gestellten Falle) nicht mehr befreien können. Er wäre für seine Gläubiger wie ein Leibeigener gewesen. Darum wählte er den einfacheren Ausweg.“ Er brachte sich um. „Er goss Pestizid in einen Metallbecher und trank.“

Nein, das war kein Selbstmord. Das war Mord. Und der Mörder? Wer ist der Mörder, etwa M?

Das Unternehmen M wurde 1901 gegründet, hat heute 17.000 Mitarbeiter in 100 Ländern und hat zuletzt einen Umsatz vom 6,3 Milliarden US-Dollar erzielt. Ein Mordsunternehmen also, aber kaum eines, das auf Mord aus ist.

Ein Unternehmen aber, das offenbar einzig und allein das Geld anbetet und deshalb auch über Leichen geht, wie das Beispiel zeigt. Der Tanz um Goldene Kalb? Viel schlimmer noch:

Hier spielt ein Unternehmen Gott!

Zeitgeschichte(n)

„Mehdorn sauer“ – eine kurze Notiz im heutigen Hamburger Abendblatt. Dien Entscheidung über die Privativierung der Deutschen Bahn wurde wieder einmal verschoben, und das Bahnmanagement hat „Zweifel daran, ob die Entscheidung über die Zukunft des DB-Konzerns nun wirklich zeitnah fällt“.

Was ist mit zeitnah gemeint? Doch nichts anderes als bald, in Kürze, demnächst, lieber heute als morgen. Jede dieser Formulierungen sagt genauer, sagt deutlicher, worum es geht.

Von zeitnah zum Zeitfenster ist es nicht weit. Auch so ein Wort, das so lange nachgeplappert wird, bis man es gar nicht mehr in seinem Unsinn wahrnimmt. Meist sind die Zeitfenster eng. Das heißt nichts anderes als: „Wir haben nicht mehr viel Zeit, wir müssen bald etwas unternehmen, die Dinge müssen in Kürze geregelt werden. Das ist auch viel genauer. Aber Genauigkeit ist heute wenig gefragt. Man muss sich ja ein ein Hintertürchen, nein, ein Zeitfenster offen halten.

Bitte jetzt nicht das Zeitfenster mit dem Zeitraum entschuldigen. „In einem Zeitraum von 20 Jahren werden sich die Dinge wie folgt entwickeln…“ könnte man sagen und würde das auch gut verstehen. Die Zeit als Raum, den man ausgemessen hat, das klingt einleuchtend. Aber ein Zeitfenster von 20 Jahren?

Kleine Zwischenbemerkung: Warum müssen immer Entscheidungen getroffen werden? Warum wird nicht einfach entschieden?

Von zeitnah und Zeitfenster schnell noch ein kurzer Ausflug zum Kernwort Zeit. Dieses Wort ist eines der geheimnisvollsten, rätselhaftesten. Zeit ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn das nur alles wäre!

Wir haben keine Zeit. Wir nehmen uns die Zeit. Die Zeit will nicht vergehen. Die Zeit läuft uns davon. Auf Zeit spielen. Alles zu seiner Zeit. Die Zeit ist abgelaufen. In früheren Zeiten (die Zeit tritt also gelegentlich auch im Plural auf). Zeitgeschehen. Zeitlos. Weltzeit. Ortszeit.

Die Zeit: Ein Universum, ein Labyrint, ein zeitloses Abenteuer, etwas, das nie ganz zu verstehen sein wird.

Dienstag, August 07, 2007

Kulturinflation

Leitkultur, Baukultur, Konsenskultur, Aktienkultur, Streitkultur, Unternehmenskultur, Schuldzuweisungskultur, Erinnerungskultur, Minderheitskultur, Musikkultur, Rechtskultur, Sprachkultur, Toleranzkultur, Unterrichtskultur, Lernkultur, Sicherheitskultur, Betroffenheitskultur, Teilzeitkultur, Führungskultur, Kooperationskultur.

Kultur der Insolvenz, Kultur der Gewalt, Kultur des Respekts, Kultur der Anstrengung, Kultur des Rücktritts…

Sonst noch was?

Sonntag, August 05, 2007

Einfach tierisch!

Der Hamburger Senat hat einen „tierpolitischen“ Sprecher, so vor einigen Tagen das Hamburger Abendblatt im Zusammenhang mit der Poggendorf-Affäre. Aber was ist denn ein „tierpolitischer“ Sprecher?

Wenn es den gibt, dann muss es doch auch einen „menschenpolitischen“ Sprecher geben. Davon war bisher aber noch nicht die Rede. Und wenn es ihn geben sollte, wird er sicherlich nicht so genannt.

Gemeint war möglicherweise der für den Tierschutz zuständige Sachbearbeiter. Aber das klingt natürlich nicht so toll und ist auch viel länger.

Da wir gerade bei aktuellen Sprachkunststücken sind, soll das Wort „Verkehrsbeeinflussungsanlage“ nicht unter den Tisch fallen. Der Begriff „Verkehrszeichen“ hätte es auch getan. Ob die nun aus Blech sind oder elektronisch gesteuert werden, spielt keine Rolle. Oder doch?

kultur ohne Ende

Es ist noch gar nicht so lange her, da kam Kultur recht selten vor. Am häufigsten begegnete sie uns in Gestalt des Kulturbeutels, der Waschlappen, Seife, Zahnbürste und Zahnpasta und noch dies und jenes für Sauberkeit und Wohlgefühl enthielt (und heute noch enthält).

Das ist verständlich; denn das lateinische cultura meint zunächst die Pflege des Körpers, dann aber doch und vor allem die Pflege des Geistes.

So erklärt sich die Existenz der Kulturessorts der Zeitungen und Zeitschriften, der Funk- und Fernsehredaktionen. Ihre Themen sind Theater, Film und Literatur, Kunst in allen ihren Spielarten, Architektur, Reisen. Immer geht es ums Geistige, ums Kulturelle, um Kultur. Sogar die kulinarische Welt findet in den Kulturressorts ihren Platz, was nicht weiter verwundert; denn es geht ja – siehe oben – um Körper und Geist.

Inzwischen müssen wir uns mit einer Unzahl von Kulturen auseinandersetzen, ja: auseinandersetzen; denn sich mit ihnen zu befreunden fällt schwer, ist oft ein Ding der Unmöglichkeit.

Unternehmenskultur, Kommunikationskultur, Vertriebskultur, Verkehrskultur, Streitkultur, Erinnerungskultur, Sicherheitskultur – es kulturt sich nur so durch die Gegend.

Woran liegt es, dass auf einmal alles und jedes zu irgendeiner Kultur wird? Für die Erklärung genügt ein einziges Wort: Faulheit!

Wir sind zu faul geworden, das, was wir meinen, genau zu beschreiben. So wie wir es zunehmend verlernen, unser Essen selbst zuzubereiten, so verlernen wir auch die Fähigkeit, etwas selbst in Worte zu kleiden.

Wir bevorzugen zunehmend die Konservensprache. Ein Griff ins Sprachregal, und alles ist ohne viel nachzudenken gesagt. Wir suchen keine Wörter mehr, es liegt ja schon alles fastfood-fertig griffbereit.

Dieses Verfahren hat einen zusätzlichen, einen ganz besonderen Vorteil: die Ungenauigkeit. Damit ist im Falle eines Falles – und der tritt immer häufiger ein – jeder Fluchtweg geöffnet:

Was man gesagt hat, hat man eigentlich gar nicht gesagt, jedenfalls nicht so, wie es aufgefasst wurde. Es lebe nicht nur die Denkfaulheit, es lebe auch das gewünschte Missverständnis!

Wenn wir uns diese „Kultur“wörter etwas genauer ansehen, stellen wir fest, dass sie nicht nur auf Faulheit beruhen, sondern auch aus der berühmten Mücke den ebenso berühmten Elefanten machen; sie übertreiben maßlos.

Die geforderte neue Verkehrskultur ist nichts anderes als rücksichtsvolles Fahren nach den Regeln der Straßenverkehrsordnung. An Stelle vieler anderer Beispiele nur noch dies: die Sicherheitskultur.

Da ist im Hamburger Abendblatt vom 02. 08. 2007 die Schreibe von „erheblichen Defiziten im Umgang mit der Sicherheitskultur“ – so jedenfalls wird der Minister Gabriel zitiert. (Es geht in dem Beitrag um die Sicherheit/Unsicherheit der deutschen Atomkraftwerke)

Umgang mit der Sicherheitskultur? Welch ein Unsinn! Die Sicherheit wurde auf die leichte Schulter genommen. Hier wurde nicht mit Kultur gespielt, sondern mit der Sicherheit.

Damit ist ein anderes Thema angesprochen: die Großmannssucht, der Wunsch, immer noch eins draufzupacken.

So wurde aus Technik Technologie. Und so wird aus Sicherheitstechnik und Sicherheitsvorkehrungen eine Sicherheitskultur. Unternehmenskultur – das Selbstverständnis eines Unternehmens, sein Umgang mit seinen Mitarbeitern, seinen Kunden, seinen Inhabern (Aktionären), ja, das kann man noch ahnen, aber muss es gleich Kultur sein?

Eins der „schönsten“ Beispiele für diese Großmannssucht ist das Wort „SUPER-GAU.

GAU ist das Kürzel für GröSSter Anzunehmender Unfall. Eine Steigerung ist nicht möglich, sollten wir denken. Aber in den Gazetten war die Rede von einem SUPERGAU. Na bitte, es geht immer noch eine Nummer größer.

Vom Spiel mit den Genen

Gene entscheiden mit darüber, ob ein Lebewesen überlebt oder untergeht, ob es gedeiht oder verkümmert. Man muss nicht wie Prinz Charles mit Pflanzen sprechen, aber als etwas Lebendiges sollten wir sie schon anerkennen. Damit nicht alles noch verwickelter wird, als es ohnehin schon ist, soll hier von Pflanzen die Rede sein, nicht von Menschen und Tieren.

Gene sind nichts anderes als Erbanlagen. Sie bestimmen Charakter und Fähigkeiten –meine ebenso wie die einer Fledermaus oder einer Sonnenblume.

Die Natur spielt seit jeher mit den Genen. Sie probiert ständig, ob etwas anders gemacht werden kann, möglichst besser. Dabei lässt sich die Natur viel Zeit. Sie geht sozusagen schrittweise vor, damit die mögliche Umordnung nicht zur Unordnung wird und Schaden anrichtet.

Herr Mendel ist dieser natürlichen Genmanipulation auf die Schliche gekommen. Seine „Regeln der Vererbung“, die mendelschen Regeln, sind Grundlage der Genetik; sie gelten auch heute noch.

Gibt es einen Unterschied zwischen dem, was Herr Mendel tat und was heute „Gentechniker“ machen? Ja, und der Unterschied ist groß. Herr Mendel folgte der Natur, beobachtete sie, verstand und erklärte sie. „Gentechniker“ verändern die Natur, und wer der Ansicht ist, sie vergewaltigten die Natur, dürfte nicht im Unrecht sein.

Wer die richtigen Fragen stellt, bekommt auch die richtigen Antworten. Eine der richtigen Fragen ist sicherlich: Wem nützt es? Wer hat welche Vorteile von der Genmanipulation? Das liest sich am zuverlässigsten zwischen den Zeilen, zum Beispiel im Hamburger Abendblatt, Wirtschaftsteil, vom 17. Juli:

„Genkartoffel soll unter Auflagen angebaut werden dürfen. Brüssel. Der Weg für die Zulassung der umstrittenen Gen-Kartoffel „Amflora“ in der EU für rein industrielle Zwecke ist frei. Die EU-Agrarminister stimmten bei ihrem Treffen in Brüssel gestern zwar weder mehrheitlich für noch gegen eine Genehmigung. Die EU-Kommission wird die Pflanze jedoch wegen der Pattsituation zulassen. Bei der vom deutschen Chemiekonzern BASF entwickelten „Amflora“ handelt es sich um eine Industriekartoffel zur Herstellung von Kleidung oder Papier.

Bundesagrarminister Horst Seehofer warb bei seinen Kollegen für eine Genehmigung. Schließlich könnten aus der Kartoffel große Mengen industriell nutzbarer Kartoffelstärke erzeugt werden. Der CSU-Politiker knüpfte die Zustimmung jedoch an Vorsichtsmaßnahmen. So müsse sichergestellt sein, dass es nicht zu einer Vermischung mit Lebens- oder Futtermitteln komme. Zudem dürfe der Anbau nicht die Bodenqualität mindern. In Deutschland werde auch darauf geachtet, dass eine ‚Koexistenz’ – also das Nebeneinander normaler Kartoffeln und er genveränderten – ohne Gefahr möglich sei. Dazu werde der Anbau wissenschaftlich begleitet… Die Pflanze enthält nach den Angaben ein Resistenz-Gen gegen das medizinsche Antibiotikum Kanamycin. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatt nach Untersuchungen aber erklärt, dass die Kartoffel für Mensch und Umwelt unbedenklich sei.“ (Beim Wein will sich Herr Seehofer dafür einsetzen, dass die traditionellen Herstellungsmethoden beibehalten werden.)

Was steht zwischen den Zeilen? Erstens: Herr Seehofer hat sich für die BASF eingesetzt, einen deutschen Chemiekonzern. Ein anderes Mal wird es sein französischer Kollege für seine Klientel tun, ein italienischer, ein polnischer, alle, alle werden es tun wie Herr Seehofer.

Zweiten: Was hält sich weiter zwischen den Zeilen verborgen? Das Profitstreben der BASF und der anderen Chemiekonzerne. Auch aus den „normalen“ Kartoffeln lässt sich Stärke für die Herstellung von Kleidung und Papier erzeugen. Möglicherweise nicht so profitträchtig, dafür aber ohne Nebenwirkungen.

Drittens: Die „Vorsichtsmaßnahmen, die Herr Seehofer an seine Zustimmung knüpfte, sind keinen Pfifferling wert. Alles das, was er sichergestellt sehen möchte, lässt sich nicht verwirklichen, nicht kontrollieren. Das ist Augenwischerei.

Im Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von heute, „Seehofers Kartoffelpolitik“, wird es deutlich: „Di EU-Kommision wird bei der Genehmigung entsprechende Vorgaben machen, die sicherstellen, dass die Amflora weder als Lebens- noch als Futtermittel verwendet werden darf“, sagt Seehofer.

Die Pläne der BASF dagegen: „Das, was nach der Stärkegewinnung von der Amflora übrig bleibt, die sogenannte Pulpe, solle als Futtermittel genutzt werden dürfen, in Brüssel laufe schon ein entsprechender Antrag.“

Ob Seehofer Wort hält und das verhindert? „Bei ihm weiß man nie genau, was er will: Gegenüber den Bauern äußert er immer Vorbehalte gegen Gentechnik. Aber wenn es konkret wird, stimmt er dann doch zu. Wie jetzt in Brüssel“, sagt Grünen-Fraktionschefin Renate Künast, seine Vorgängerin im Amt. So weit die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.

Die Politik läuft wie geschmiert, könnte man sagen. Manus manum lavat – so die Römer: eine Hand wäscht die andere. Das haben die Römer gesagt, aber keineswegs erfunden. Das war wohl schon immer so.

Trotzdem muss uns das nicht gefallen. Und den „Waschlappen“ mal so tüchtig was auf die Finger zu geben, kann nicht schaden.

Ja, ja, ja, ich höre es schon: Was wollen Sie? Lobby-Arbeit ist doch völlig normal, gehört zur Demokratie. Volksvertreter können nicht alles wissen. Deshalb brauchen sie den Rat von Fachleuten.

Klar, das verstehe ich. Aber Lobbyisten geben – wir sehen es immer wieder – keine Ratschläge, sondern arbeiten für die Klientel, die sie bezahlt. Das hat mit Demokratie wenig zu tun.

Wie heißt es doch? Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln. Sollten da die Kartoffelgene nicht so manipuliert werden, dass die Kartoffeln so klein wie Erbsen werden? Dann hätten wir die klügsten Bauern, Herrn Seehofer eingeschlossen.