Montag, August 13, 2007

Wovor haben wir Angst?

Warum sind wir so feige? Seit 1990 ist der 3. Oktober „Der Tag der Deutschen Einheit“. Man könnte diesen Tag auch „Nationalfeiertag“ nennen, aber so heißt er nicht. Für einen Nationalfeiertag sind wir zu feige. Als ob wir keine Nation wären, wenn auch die Spätgeburt unter den Nationen!

Nein, nicht wir sind zu feige, sondern unsere Politiker. Am 3. Oktober 1990 wurde die „Wiedervereinigung“ sozusagen standesamtlich. Aber das wirklich große Ereignis fand ein Jahr früher statt, am 9. November 1989. Da fiel die Mauer. Da wurde aus zwei Deutschlands wieder ein Deutschland.

Nein, es waren nicht die Politiker, die das erreicht hatten, es waren die Namenlosen, die in Leipzig Montag für Montag zeigten, dass sie das Volk seien. Und sie waren es dann auch. Dass ihr Erfolg auf den 9. November fiel, war der Politik peinlich.

Da war ja noch etwas anderes geschehen am 9. November anderer Jahre: Das Judenpogrom am 9. November 1938, die „Reichskristallnacht“. Der „Marsch auf die Feldherrnhalle“ des Herrn Hitler am 9. November 1923. Der Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs am 9. November 1918.

Der 9. November – ein Schicksalstag der Deutschen. Der Tag, der es verdient hätte, deutscher Nationalfeiertag zu werden. Der Tag, an dem sich eine Nation zu sich selbst hätte bekennen können, mit allem Für und Wider.

Stattdessen hieß es am 3. Oktober 1990 spröde, aber politisch korrekt: „Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990.“

Politisch korrekt war das schon, aber keine wirkliche Grundlage für den „Tag der Deutschen Einheit“, nichts für einen Nationalfeiertag. Alle, die diesen 9. November 1989 in der noch existierenden DDR herbeigebetet und vor allem herbeidemonstriert haben, sind in Vergessenheit geraten, sind in Vergessenheit gestoßen worden. Das, was dort – in der Noch-DDR – nicht etwa so einfach geschah, sondern gewagt und gemacht wurde, hat in der damaligen Noch-BRD so gut wie keiner begriffen. Das ist bis heute nicht begriffen worden.

Darunter leidet die „Deutsche Nation“ bis heute, ist in Ost- und Westdeutsche geteilt, und keiner hat die Traute, damit Schluss zu machen.

Aber so geht es pausenlos mit uns Deutschen. Unsere Nationalhymne zeigt es so deutlich wie kaum ein anderes Beispiel.

Sie, die deutsche Nationalhymne, hat drei Strophen, von denen zwei gestrichen wurden: die erste und die zweite. Da ich keine auswendig gelernt hatte, wusste ich auch nicht, was gestrichen worden war und warum – und was übrig gelassen wurde, und warum.

Ich ärgerte mich nur nach der Vereinigung der beiden deutschen Kunststaaten zu einem Staat wieder, dass dieses „Deutschland, Deutschland über Alles…“ die Nationalhymne sein sollte, was sie ja auch geworden ist. Das ging mir genau so gegen den Strich wie der 3. Oktober als Nationalfeiertag, an dem Politiker so taten, als hätten sie alles das bewirkt, was in Wirklichkeit das namenlose Volk erreicht hatte.

„Auferstanden aus Ruinen…“ von Brecht und Eisler fand ich viel passender. Aber Brecht, Eisler, die DDR? Nein, das ging nicht. Das ging genau so wenig, wie den 9. November zu akzeptieren.

Als ich dies dachte, wusste ich nichts über die Entstehung des „Deutschlandlieds“, hatte ich keine Ahnung, wovon da eigentlich die Rede war. „Deutschland, Deutschland über alles…“ meinte nicht die Vorherrschaft Deutschlands über andere Völker, sondern wollte, dass sich nun endlich die vielen, vielen, viel zu vielen deutschen Kleinststaaten zu einem Deutschland zusammenfinden sollten. Das ist dann ja auf unvollkommene Weise auch geschehen.

Wenn man sich das ins Gedächtnis ruft, wird fragwürdig, weshalb die beiden ersten Strophen gestrichen wurden. Na gut, „von der Maas bis an die Memel“, das stimmte nun nicht mehr. Trotzdem: Etwas Wichtiges wurde damit aus der deutschen Geschichte gestrichen.

Wir Deutschen haben wirklich kein Glück mit unserer Geschichte. Wie alle zu spät gekommenen, wie alle zu klein gebliebenen sind wir besonders empfindlich. Wir bellen, wo wir die Schnauze halten sollten und beißen, wenn es keinen Grund dafür gibt.

Zurück zur Nationalhymne. Nun haben wir die dritte Strophe. Wir sollten aber in den Schulen die beiden ersten nicht unterschlagen und erklären, was mit ihnen gemeint war.

Ebenfalls ein Schulthema: Natürlich kann ein Staat nicht zwei Nationalhymnen haben.

Aber da es mal zwei deutsche Staaten gab, sollten beide im Gedächtnis bleiben; denn sie haben beide ihre Berechtigung; schließlich ist Deutschland wirklich „aus Ruinen“

wieder auferstanden.

Schnell noch mal zurück gedacht: Deutschland, Deutschland anstelle eines Sammelsuriums von Rittergütern, Grafschaften, Herzogtümern und kleinen Königreichen – stattdessen ein Großes Ganzes, das war schon eine Idee. Und was haben wir heute? 16 Bundesländer, 16 Landesfürsten, 16 Kabinette – alles sechzehn- statt einmal!