Sonntag, August 05, 2007

kultur ohne Ende

Es ist noch gar nicht so lange her, da kam Kultur recht selten vor. Am häufigsten begegnete sie uns in Gestalt des Kulturbeutels, der Waschlappen, Seife, Zahnbürste und Zahnpasta und noch dies und jenes für Sauberkeit und Wohlgefühl enthielt (und heute noch enthält).

Das ist verständlich; denn das lateinische cultura meint zunächst die Pflege des Körpers, dann aber doch und vor allem die Pflege des Geistes.

So erklärt sich die Existenz der Kulturessorts der Zeitungen und Zeitschriften, der Funk- und Fernsehredaktionen. Ihre Themen sind Theater, Film und Literatur, Kunst in allen ihren Spielarten, Architektur, Reisen. Immer geht es ums Geistige, ums Kulturelle, um Kultur. Sogar die kulinarische Welt findet in den Kulturressorts ihren Platz, was nicht weiter verwundert; denn es geht ja – siehe oben – um Körper und Geist.

Inzwischen müssen wir uns mit einer Unzahl von Kulturen auseinandersetzen, ja: auseinandersetzen; denn sich mit ihnen zu befreunden fällt schwer, ist oft ein Ding der Unmöglichkeit.

Unternehmenskultur, Kommunikationskultur, Vertriebskultur, Verkehrskultur, Streitkultur, Erinnerungskultur, Sicherheitskultur – es kulturt sich nur so durch die Gegend.

Woran liegt es, dass auf einmal alles und jedes zu irgendeiner Kultur wird? Für die Erklärung genügt ein einziges Wort: Faulheit!

Wir sind zu faul geworden, das, was wir meinen, genau zu beschreiben. So wie wir es zunehmend verlernen, unser Essen selbst zuzubereiten, so verlernen wir auch die Fähigkeit, etwas selbst in Worte zu kleiden.

Wir bevorzugen zunehmend die Konservensprache. Ein Griff ins Sprachregal, und alles ist ohne viel nachzudenken gesagt. Wir suchen keine Wörter mehr, es liegt ja schon alles fastfood-fertig griffbereit.

Dieses Verfahren hat einen zusätzlichen, einen ganz besonderen Vorteil: die Ungenauigkeit. Damit ist im Falle eines Falles – und der tritt immer häufiger ein – jeder Fluchtweg geöffnet:

Was man gesagt hat, hat man eigentlich gar nicht gesagt, jedenfalls nicht so, wie es aufgefasst wurde. Es lebe nicht nur die Denkfaulheit, es lebe auch das gewünschte Missverständnis!

Wenn wir uns diese „Kultur“wörter etwas genauer ansehen, stellen wir fest, dass sie nicht nur auf Faulheit beruhen, sondern auch aus der berühmten Mücke den ebenso berühmten Elefanten machen; sie übertreiben maßlos.

Die geforderte neue Verkehrskultur ist nichts anderes als rücksichtsvolles Fahren nach den Regeln der Straßenverkehrsordnung. An Stelle vieler anderer Beispiele nur noch dies: die Sicherheitskultur.

Da ist im Hamburger Abendblatt vom 02. 08. 2007 die Schreibe von „erheblichen Defiziten im Umgang mit der Sicherheitskultur“ – so jedenfalls wird der Minister Gabriel zitiert. (Es geht in dem Beitrag um die Sicherheit/Unsicherheit der deutschen Atomkraftwerke)

Umgang mit der Sicherheitskultur? Welch ein Unsinn! Die Sicherheit wurde auf die leichte Schulter genommen. Hier wurde nicht mit Kultur gespielt, sondern mit der Sicherheit.

Damit ist ein anderes Thema angesprochen: die Großmannssucht, der Wunsch, immer noch eins draufzupacken.

So wurde aus Technik Technologie. Und so wird aus Sicherheitstechnik und Sicherheitsvorkehrungen eine Sicherheitskultur. Unternehmenskultur – das Selbstverständnis eines Unternehmens, sein Umgang mit seinen Mitarbeitern, seinen Kunden, seinen Inhabern (Aktionären), ja, das kann man noch ahnen, aber muss es gleich Kultur sein?

Eins der „schönsten“ Beispiele für diese Großmannssucht ist das Wort „SUPER-GAU.

GAU ist das Kürzel für GröSSter Anzunehmender Unfall. Eine Steigerung ist nicht möglich, sollten wir denken. Aber in den Gazetten war die Rede von einem SUPERGAU. Na bitte, es geht immer noch eine Nummer größer.