Samstag, Juni 30, 2007

Ach du liebe Zeit!

Zeitnah, Zeitraum, Zeitfenster, Zeitpunkt, Zeitdruck, Echtzeit, Zeitvertreib, Zeitgeschichte... diese Aufzählung von "Zeitwörtern" ließe sich wohl endlos fortsetzen. Ich will das jetzt nicht tun, aber vielleicht fügt der eine oder andere Leser das eine oder andere "Zeitwort" hinzu.

Warum gibt es so viele "Zeitwörter"? Möglicherweise, weil die Zeit etwas Unfassbares ist, wohl auch etwas Unbegreifliches. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehen ineinander über, und es fällt uns schwer, das eine vom anderen und dies vom nächsten zu trennen. So gehen wir mit der Zeit recht hilflos um und auch ziemlich willkürlich.

Das führt zu den unterschiedlichsten Ergebnissen. Mal sind sie ausgesprochen albern, gelegentlich sinnvoll, an einige haben wir uns gewöhnt, andere möchten wir so ohne weiteres nicht akeptieren. Schauen wir uns ein paar Beispiele an.

"Zeitnah". Bitte veröffentlichen Sie den beigefügten Text zeitnah, hieß es in einer e-mail, die ich heute erhielt. Zeitnah? Gemeint war: Bitte veröffentlichen Sie den beigefügten Text umgehend, möglichst sofort. Warum zeitnah? Weil zeitnah so ungenau, so unverbindlich klingt? Möglich. Wie blödsinnig das ist, zeigt folgendes Beispiel. Wenn ich sofort losgehen muss, um den nächsten Bus zu erreichen, dann sage ich ja auch nicht "ich muss zeitnah gehen, um den Bus zu erreichen. Ich sage. Ich muss sofort los und nicht - zeitnah!

"Zeitraum". An dieses Zeitwort haben wir uns gewöhnt. Es beschreibt einen Anfang und ein Ende, eine Zeitspanne, die wir mit Zeitraum benennen. Je nachdem steht viel Zeit oder auch wenig zur Verfügung. Damit können wir umgehen. Wir sprechen aber nicht von einem kleinen oder einem großen Zeitraum, also nicht von einer Zeithütte oder einem Zeitpalast. Das ist beim "Zeitfenster" anders.

"Zeitfenster". Das ist ein neues Zeitwort, das erst kürzlich aufgetaucht ist und jetzt bis zum Überdruss in Anspruch genommen wird. Da schließt sich das Zeitfenster bald. Mal ist es zu eng, zu schmal. Nein, schließen sollten wir es nicht, aber vielleicht "auf Kipp" stellen. Oder doch weit aufreissen für gehörigen Durchzug, der diesen sprachlichen Schwachsinn in alle Winde verweht?
Wäre nicht so dumm. Würde für mehr Klarheit sorgen. Auch hier wieder: Bloß nicht sagen, worum es wirklich geht. Ein enges Zeitfenster heißt nichts anderes als "wir müssen uns beeilen, wir müssen schnell zu einer Lösung kommen". Das versteht jeder sofort. Konsequenz: Wir sollten das Zeitfenster schließen, ein für allemal!

"Zeitkorridor". Auch so ein Dummwort, ganz besonders dann, wenn von einem schwankenden Zeitkorridor die Rede ist. Wir haben doch den bewährten Zeitraum. Der könnte uns doch genügen, 0der?

"Zeitpunkt", "Zeitdruck", "Zeitvertreib". Alles Zeitwörter, die uns vertraut sind, die wir ganz selbstverständlich benutzen und - wenn wir ihnen begegnen - sofort verstehen. Der Zeitpunkt - gleich, ob der richtige oder der falsche - ist der Moment, auf den es ankommt. Wenn wir unter Zeitdruck stehen, dann müssen wir etwas ganz besonders schnell erledigen. Und auch an den Zeitvertreib haben wir uns gewöhnt, obgleich wir ja nicht die Zeit vertreiben, sondern nur unsere Langeweile.

"Echtzeit". Wenn etwas in Echtzeit passiert, dann passiert es sofort und gleich, in diesem Augenblick, und wenn nicht, dann im nächsten. Was ich sage, wird sofort gehört. Was ich zeige, wird sofort gesehen. Und was mir gesagt, was mir gezeigt wird - ich erfahre es sofort. Alles ganz normal, oder? Und nun kommt "instant messaging", Unterhaltung in Echtzeit.

Nun lasst doch endlich die Kirche im Dorf! Redet doch nicht das Blaue vom Himmel herunter. Traut euch, das Komplizierte einfach zu sagen und das Einfache sowieso. Oder habt ihr Angst, euch könnte jemand verstehen?

Ach du liebe Zeit!

PS: Es gibt auch schöne Zeitwörter, zum Beispiel "Zeitlupe". Heute sagt man "slow motion". Immer mehr vernünftige Wörter segnen das Zeitliche. Schade!