Sonntag, Februar 25, 2007

Ein Loblied auf den Keks

Wenn uns etwas auf den Keks geht, dann geht uns etwas auf den Geist. Wir finden etwas, meist das Gerede, das Geschreibe, das Getue anderer, wenn nicht unerträglich, so doch wenigstens langweilend und störend. Die Jungs und Mädels, die ein bisschen jünger sind als ich, haben andere Begriffe um mitzuteilen, dass ihnen etwas auf den Keks geht. Aber ich will auf etwas anderes hinaus.

Mit Keks hat sich die deutsche Sprache das englische „cakes“ einverleibt, einfach mal so. Eine lebendige Sprache kann das und darf das, sie braucht dafür keine Erlaubnis.

Sie muss sich auch nicht schämen, wenn sie Wörter aus einer anderen Sprache buchstabengetreu übernimmt, wie zum Beispiel „set“. Drei Kochtöpfe, die sich in Größe und Verwendungszweck ergänzen, bilden einen Set. Früher sprach man da eher von einer Garnitur, aber Set hat sich durchgesetzt.

Na ja, ganz aufgegeben hat die Garnitur auch nicht. Wenn es um Unterwäsche geht – Hemdchen und Höschen / Shirt and Slip – hat die Garnitur immer noch das Sagen, auch wenn beide zusammen ein Set sind.

Einen Set gibt es übrigens auch in der Schauspielerei, genauer: beim Film. Wenn da ein Film gedreht wird, gehören alle, die daran mitarbeiten, zum Set. Ein Set bezeichnet eben Dinge oder Menschen, die zusammengehören, was aber auch nicht immer gilt; Ehepaare oder Familien wurden bisher noch nicht als Set bezeichnet.

Manche anderen Wörter leisten mehr Widerstand. Wenn es beispielsweise um Teller, Tassen, Suppenschüsseln und so weiter geht, ist auch heute noch von Service die Rede und nicht von einem Set. Wie wir sehen, ist Logik nicht das, was unsere Sprache auszeichnet.

Aber das ist immer noch nicht das, was ich sagen wollte. Was ich sagen wollte und jetzt auch sage: Wir dürfen uns mit unserer Sprache nicht alles erlauben.

Bei aller Phantasie, bei allem Einfallsreichtum: Wörter wie „verstoffwechseln“ und „Eignungshöffigkeit“ sind unerträglich.

Was macht sie so abstoßend, so widerlich? Entweder verdrehen sie die Sprache so vollständig ins Dümmliche wie „verstoffwechseln“, oder sie bauen einen abstoßenden, weil hässlichen Popanz auf, der den Blick auf die Wirklichkeit versperrt.

(Beim „verstoffwechseln“ geht es um links- und rechtsdrehende Milchsäuren und die Frage, welche denn nun die gesündere und dem Stoffwechsel zuträglichere sei. Wie auch immer: Die Milchesäuren werden gewiss nicht „verstoffwechselt“.)

Die „Eignungshöffigkeit“ ist mindestens genauso grässlich.

Dieses Wort wurde im Zusammenhang mit dem Atommüllendlager-Thema Gorleben in die Welt gesetzt. Zitat aus der Süddeutschen Zeitung vom 22. Februar 2007: „Eignungshöffigkeit ist einer jener schillernden Begriffe, die die jahrzehntelange Endlager-Diskussion in die Sprache gespült hat. Er steht für ‚Hoffnung auf Eignung’ – wobei unter Wissenschaftlern schon wieder strittig ist, ob sich hinter der Hoffnung eine ‚Wahrscheinlichkeit’ oder eine ‚Möglichkeit’ verbirgt.“

Eignungshöffigkeit – eines der Schleierwörter, die unsere Sprache vergiften, weil sie die Dinge nicht klar und deutlich beim Namen nennen. (Sind Hoffnungen, die an die Zukunft geknüpft werden, Höffigkeiten?)

Das Ganze ist ein völlig „verstöppeltes“ Thema, wie meine Frau sagte. Ob es jemals entstöppelt werden kann? Versuchen sollten wir es, auch wenn wir nicht wissen, ob der Versuch zum Ziel führt. Heute sagt man lieber ‚zielführend’, was unsinnig ist. Eine Diskussion zum Beispiel führt kein Ziel, weder an der Leine noch an der Hand, eine Diskussion kann zum Ziel führen. Aber ist schon wieder so deutlich.

Und immer wenn man denkt, nun sei für den Augenblick alles gesagt, tauchen noch andere Fragen auf. Was sind beispielsweise „muskuläre“ Verletzungen, die laut Hamburger Abendblatt HSV-Trainer und Mannschaft grosse Sorgen bereiten?

Wenn es muskuläre Verletzungen gibt, dann müsste es auch knochige und sehnige Verletzungen geben. Davon war bisher aber nicht die Rede. Hat es sie nicht gegeben, oder fehlen noch die richtigen unverständlichen, aber beeindruckenden Begriffe?

Eines ist klar: Unsere Sprache ist lebendig. Zur Zeit allerdings kränkelt sie. Wir gehen zu oberflächlich, vielleicht auch gleichgültig mit ihr um; das macht ihr zu schaffen. Gewiss, im Eifer des Gesprächs kann nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden, beim Schreiben, auch in der flüchtigen Tageszeitung, sollte das nicht passieren.

Der einzige Impfstoff, den wir gegen die Verwahrlosung unserer Sprache haben, ist der ständige Protest gegen jede Verhunzung. Anders ist der ansteckenden – Verzeihung – der viralen Wirkung der Dumm-, Blöd- und Schleierwörter nicht beizukommen.