Donnerstag, Mai 25, 2017

Es fehlen die richtigen Worte

In Manchester hat sich ein Terrorist bei einem Auftritt von Teenie-Star Ariana in die Luft gesprengt, hat 22 Menschen ermordet und dreimal so viele verwundet. Unter den Toten ein achtjähriges Mädchen, das sich so sehr auf ihr Idol gefreut hatte. Tot, ermordet, umgebracht.

Trauer geht um die Welt und wird in Worte gefasst wie diese: „All unsere Gedanken sind bei den Opfern und den Familien von allen, die betroffen sind.“ (Theresa May, Premier-Ministerin). „Meine Gedanken sind sind bei den Betroffenen und unseren großartigen Rettungsdiensten.“ (Jeremy Corbyn, Chef der Labour-Partei). „In Gedanken bei den Toten, dem Leid der Verletzten und denen, die ihre Liebsten noch suchen.“ (Steffen Seibert, Sprecher der Bundesregierung). „Bitte nehmt die Opfer und ihre Familien in eure Gedanken auf.“ (Justin Trudeau, Kanadas Premierminister). „Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien.“ (Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris).

Wie sich die Worte gleichen. Vorgestanzt, schablonenhaft. Schon unzählige Male so oder ähnlich gehört. Alles nur Heuchelei? Das zu denken und zu sagen, wäre nicht nur ungehörig, sondern ungerecht. Und doch stellt sich ein Unbehagen ein, das sich nicht wegdenken lässt. Sind es die abgenutzten Sätze, an denen das liegt? Sicherlich auch. Aber möglicherweise sitzt der wahre Grund tiefer. Vielleicht ist es das Gefühl, das Politiker und Bürger unausgesprochen gemeinsam empfinden: Mitgefühl und Trauer sind zu einem Ritual erstarrt, zu einem Ritual aus dem aus keinen Ausweg gibt. Es ist wie mit den Kranzniederlegungen, dem Zupfen an den Schleifen, dem Händefalten, dem gesenkten Kopf und dem leeren Blick in die Ferne, die spürbare Erleichterung, wenn alles getan ist.


Alles eine Formsache? In gewisser Weise ja. Aber ohne die Form zu wahren, kommen wir nicht durchs Leben, im öffentlichen so wenig wie im privaten. Es gibt eben Situationen, da verbietet sich die Sprachlosigkeit, so angemessen sie im Grunde wäre.

Ein Wort verliert seine Unschuld

Die Erzählung ist von Haus aus eine Literaturform, so wie die Kurzgeschichte, die Novelle, der Roman – nur ein bisschen kleiner eben und vielleicht auch etwas näher am Märchen. Was erzählt wird, muss nicht wahr sein. Nein, nicht gleich eine Lüge. Aber erfunden kann eine Erzählung schon sein.

Aber nun ist etwas Merkwürdiges passiert, genauer: Es geschieht etwas Merkwürdiges. Immer häufiger verlangen immer mehr Journalisten von den Parteien eine Erzählung, meinen aber Programme. Natürlich könnte man auf den Gedanken kommen, das sei ironisch gemeint. Schließlich liest sich so manches Parteiprogramm tatsächlich wie eine Erzählung. Nicht alles, manchmal sogar das Wenigste, ist ernst zu nehmen, hat etwas märchenhaft Beruhigendes, um den Wähler sanft in den politischen Schlaf zu reden. Aber das ist es nicht. Die Medien geben dem Wort Erzählung eine neue Bedeutung. Man könnte auch sagen, hier handelt es sich um einen Eingriff in die DNA des Wörtchens Erzählung.

Wer danach sucht, wie es dazu kam, stößt ganz schnell auf den Begriff Narrativ. Der hat eine steile Karriere hinter sich. Alles und alle Welt brauchte plötzlich ein Narrativ. Das war sozusagen über Nacht überall zu lesen. Weil das viele Menschen nicht verstanden haben, hat man sich darauf verständigt, Narrativ ins Deutsche zu übersetzen, also Erzählung. So einfach kann es gehen. Erzählung versteht jeder. Dass aber Journalisten mit Erzählung ein Programm meinen, was ja irgendetwas mit Information zu tun hat – das versteht wahrscheinlich niemand.


Dienstag, Mai 23, 2017

Die Geschichte von den drei bösen Schwestern


Fake News und Alternative Fakten sind Schwestern. Jetzt  haben sie eine kleine Schwester bekommen, die so böse ist wie sie. Sie heißt Narrativ und läuft uns in letzter Zeit immer öfter über den Weg, von den beiden anderen ganz zu schweigen. Alle drei verfolgen uns auf Schritt und Tritt. Heute nennt man so etwas Stalking. Das ist verdammt gemein, und wir sollten uns das nicht bieten lassen. Damit wir uns dagegen wehren können, sollten wir uns die drei einmal etwas genauer ansehen. Um die Sache zu vereinfachen, nennen wir die drei F, A und N.

A. ist am leichtesten zu durchschauen. Einer Tatsache wird eine Behauptung entgegengesetzt. Die liest sich dann wie die Tatsache. Aber spätestens beim zweiten Blick entpuppt sich das meist als Schwindel. Es ist also ziemlich einfach, der Sache auf die Spur zu kommen.

F. macht es uns schon schwerer. Eine Unwahrheit wird so raffiniert frisiert, dass sie wie die Wahrheit aussieht. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ein bisschen ist das so wie bei einem Friseur: F. geht rein und kommt als W. Wahrheit wieder raus.  So sieht es jedenfalls erst mal aus. Nur wer genau hinsieht, fällt auf diesen Trick nicht rein.

N. ist die jüngste der drei Schwestern und wahrscheinlich die raffinierteste. Sie tritt so unschuldig auf, dass man ihr nichts Böses zutrauen möchte. Dabei tauscht sie blitzschnell wie ein Hütchenspieler wichtige Begriffe gegeneinander aus, macht aus Informationen Geschichten, gaukelt uns vor, dass Geschichten das Aller-wichtigste sind. Sie behandelt uns wie Kinder, erzählt uns Geschichten, damit wir schneller einschlafen. Wenn eine Partei überzeugen will, dann muss sie eine Geschichte erzählen, sagt sie, ein Narrativ.

Geschichten können spannend sein, überraschend, aber sie sind keine Infor-mation. Sie tun nur so. Und weil nichts so schön ist, wie eine gut erzählte, eine gut erfundene Geschichte, ist die Gefahr groß, dass wir darauf reinfallen.

Die Gefahr sind wir selbst. Wir lieben Geschichten. Man schläft dabei so schön ein.



Samstag, Mai 20, 2017

Kleine Unterschiede - ganz groß

So klein Unterschiede sein mögen – gelegentlich sollte man sie groß heraus-stellen. Das verlangt einfach die Gerechtigkeit. Auch Kleinigkeiten haben ihre Bedeutung.

Was ist der Unterschied zwischen Theater und Musical?  Wenn wir ins Theater wollen, kaufen wir uns eine Karte, eine Eintrittskarte. Für ein Musical brauchen wir ein Ticket.

Wie kann man nur auf so etwas Albernes kommen? Ganz einfach. Man liest eine Ankündigung des Hamburger SchauSpielHauses zum Programm der Spielzeit 2017- 18, und da ist von Karten, Kartentelefon und Kartenservice die Rede, nicht von Tickets, Ticketphone, Ticketservice. Das Theater hat offensichtlich noch keinen Tick, sondern tickt ganz einfach richtig.

Fürs Musical brauchen wir also ein Ticket. Gibt es da – das wäre konsequent – auch Platztickets anstelle von Platzkarten? Diese Frage wäre auch bei der Bahn angebracht. Da gibt es auch nur noch Tickets, aber keine Fahrkarten. Und wie sieht es bei der Platzreservierung aus? Platzticket oder Platzkarte?

Und nun: Ernst beiseite. Man nehme diesen kleinen Ausflug in die Sprache so leicht, wie er hingeschrieben worden ist und nicht als einen treudeutschen Angriff auf den Gebrauch englischer Wörter, die sich im Deutschen eingenistet haben, es sei denn sie werden so dumm und so falsch benutzt wie das Public Viewing.

Ein anderes Beispiel: Der Radfahrer und der Rad Fahrende. Hier geht es um einen Unterschied, der klein aussieht, in Wirklichkeit aber ziemlich groß ist. Also: aufgepasst!

Eine Studentin der Stadtplanung an der HafenCity Universität Hamburg führt im Rahmen ihrer Meisterarbeit eine Umfrage bei Rad Fahrenden durch. Wie sie das machen will, ist rätselhaft; denn diejenigen, die jetzt gerade Rad fahren, wird sie kaum befragen können.

Die junge Dame hat nicht begriffen, dass ein Radfahrer nicht immer auch ein Rad Fahrender ist. Das ist er nur, wenn er gerade im Sattel sitzt. Ein Autofahrer ist ja auch dann ein Autofahrer, wenn sein Auto in der Garage steht. Erst wenn er Auto fährt, ist er ein Auto Fahrender. Wenn wir jemanden fragen, der auf sein Auto zugeht, „sind Sie ein Auto Fahrender?“, wird er sagen: „Ne, im Augenblick bin ich Fußgänger.“ Ein kleiner und zugleich doch großer Unterschied. Wie ist es dazu gekommen?

Das fing vor einiger Zeit mit einem vermutlich absichtlichen Missverständnis einiger Damen an. Sie dachten, dass mit „Studenten“ nur Männer gemeint seien; denn schließlich hieße es „der Student“. Auf den Gedanken, dass „Studenten“ nicht nur Männer, sondern auch Frauen sein können, sind die Damen nicht gekommen. Weil wahrscheinlich auch sie „Studentinnen und Studenten“ zu umständlich fanden, bestanden sie darauf, von Studierenden zu sprechen.

Dass zwischen Studenten, männlich oder weiblich, und Studierenden ein wesentlicher Unterschied besteht, hat nicht nur Roland Kaehlbrandt festgestellt. Aber er hat es besonders deutlich ausgesprochen. Er wünschte sich, dass Studenten doch viel öfter auch Studierende seien, also wirklich studieren.

Abgesehen davon: Der Student. Der Studierende. Beides masculinum. In der von Feministinnen angezettelten Diskussion ist der kleine Unterschied auf ein Nichts zusammengeschnurrt – bis auf die Tatsache, dass die Damen mit der Grammatik nichts am Hut haben.

Wer Absurdes über angestrebte politisch korrekte Schreibweise erfahren will, lese die Abhandlung der „AG Feministisches Sprachhandeln der Humboldt-Universität zu Berlin“. Dort bieten sich aufregende Möglichkeiten wie x-Form, x-Form I, Dynamischer Unterstrich, Wortstammunterstrich, Statischer Unter-strich, Binnen-I – dies nur als Beispiele. Wie gesagt: Von der Arbeitsgemeinschaft angestrebt, aber noch nicht die Regel. Die schönste Idee ist vielleicht, die Wortendung „er“ gegen „a“ zu ersetzen. Also Vata statt Vater, Koffa statt Koffer, Computa anstelle von Computer. Die Begründung: Mit der männlichen Endung würden Frauen diskriminiert.

Wer hilft den feministisch sprachhandelnden Damen zurück zu unverkrampftem Deutsch? Kein Helfa wird ihnen helfen können. Sie müssten sich schon nach einem Helfer umsehen.





Die vier Himmelsrichtungen

Norden und Süden – Osten und Westen. Nur diese vier Himmelsrichtungen gibt es, wenn wir mal die Feinheiten von Nordnordwest, Ostsüdost und so weiter außer Acht lassen. Das würde bei unserem Thema nur verwirren. Hier geht es um Politik und nicht um Geographie. Natürlich macht das die Sache nicht einfacher. Im Gegenteil.

Also: Politiker sprechen neuerdings gern von starken Kompassen, die sie unbedingt haben müssen. Ein starker Kompass? Einer, der die Himmelsrichtungen genau anzeigt, würde doch genügen. Soweit zum Allgemeinen. Und nun zu Speziellen. 

Politiker nehmen vor allem die Ost/West-Achse wahr. Sie unterscheiden vorwie-gend  zwischen Rechts und Links, beispielsweise zwischen Parteien wie DIE LINKE und AfD. Nord/Süd nehmen sie nicht so sehr zur Kenntnis. Dabei ist Nord/Süd viel wichtiger. Das wird spätestens dann klar, wenn  Nord/Süd für reich und arm steht. Genau das ist der Fall.

Offensichtlich fällt es Politikern schwer zu begreifen, dass es ziemlich egal ist, ob man rechts oder links ist. Auch Linke können reich sein und in Geld schwimmen. Und Rechte können bettelarm sein.

Wenn das so ist – und wer will das bestreiten? – was bedeutet das? Zunächst weist es auf die Fehlsichtigkeit der Politiker hin. Sie haben die Nord/Süd-koordinaten übersehen. Sie sehen die Reich/Arm-Problematik nicht.

Wenn sie das doch nur begreifen würden! Wenn sie doch nur sehen würden, dass viele Linke wie Rechte sich ein-und-dieselben Sorgen machen. Wenn ich Angst um meinen Job habe. Wenn ich nicht weiß, wie ich mit meinen beiden unterbezahlten Jobs zurecht kommen soll – dann spielen doch Links und Rechts keine Rolle. Da kann ich so Links sein, wie es linker nicht geht, und so Rechts, dass einem schwarz vor Augen wird.

Entscheidend ist, nicht ausgenutzt zu werden. Entscheidend ist, nicht um seine Zukunft gebracht zu werden. Entscheidend ist, für gute Arbeit gutes Geld zu bekommen. Alles andere regele ich dann selbst. Mehr will ich gar nicht. Dann erübrigt sich die eintönige, die einfältige Ost/West Links/Rechts-Debatte.





19. 11. 2016

So verliert man Wahlen

Die SPD. Durchgefallen. Und das zum dritten Mal. Erst an der Saar, dann in Schleswig-Holstein. Und nun in Nordrhein-Westfalen. Wer etwas dreimal nicht schafft, sich nicht qualifiziert, sucht sich im „normalen“ Leben Aufgaben, die seinen Fähigkeiten besser entsprechen. Politik scheint in dieser Hinsicht nicht ganz normal zu sein. Dazu kann sich eine Partei nicht entschließen. Sie müsste sich ja selbst abschaffen. Wenn es hart auf hart kommt, besorgen das andere. Zusammengefasst: Die Fähigkeit der SPD, im Herbst die No. 1 in der Politik zu werden, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Nicht qualifiziert. Durchgefallen eben.

Tausend Gründe schwirren durch die Gegend, wie das passieren konnte. Dabei ist gar nichts passiert. Es wurde alles gemacht. Der Misserfolg fiel ja schließlich nicht vom Himmel; er war hausgemacht, am wenigsten vielleicht an der Saar. Dort kuschelt man weiter in einer Großen Koalition als Juniorpartner.

In Schleswig-Holstein mag der fehlende Anstand des Herrn Albig seiner Frau gegenüber eine Rolle gespielt haben. Der wesentliche Grund für den Misserfolg, wie jetzt auch in Nordrhein-Westfalen, dürfte eine unbedarfte Weltfremdheit sein: „Mehr Gerechtigkeit für alle.“ Ein frommer Wunsch, von dem jeder weiß, dass er nicht zu erfüllen ist. Ein Versprechen, das nicht zu halten ist. Auch das weiß jeder. Und jeder weiß auch, dass die Binde, die die Augen der Justitia verhüllt, zwar die Gerechtigkeit symbolisieren soll, in Wirklichkeit aber als Blindheit empfunden wird.

So geht es also nicht. Gerechtigkeit hat viele Namen. Und die müssen in einem Wahlkampf auch genannt werden, wenn man gewinnen will. Warum sind unsere Schulen in einem so schlechten Zustand? Warum sind unsere Straßen so marode? Warum stehen wir ständig im Stau? Warum fehlt es an Polizisten? Wir zahlen doch so viel Steuern. Wo bleibt das Geld? Wofür wird es ausgegeben?
Kurz gesagt: Bildung, Infrastruktur, Sicherheit sind die Themen, die wirklich als wichtig empfunden werden. Darunter kann sich jeder etwas vorstellen. Aber unter Gerechtigkeit? Gerechtigkeit für alle? Oder „Mehr Gerechtigkeit für alle!“, also nicht die ganze Gerechtigkeit? Das wurde der SPD in Nordrhein-Westfalen von 74 % der Wähler aufs Butterbrot geschmiert mit der Feststellung „Die SPD sagt nicht, was sie für soziale Gerechtigkeit tun will.“ So verliert man Wahlen.


Samstag, Mai 13, 2017

Zwei Frauen, zwei Unternehmen, zwei Welten. Alles eine Frage des Charakters

Zwei Frauen

Nicola Leibinger-Kammüller, 57. Schwäbische Mutter von vier Kindern, liest jeden Morgen die Bibellosung, spricht außer Schwäbisch auch Hochdeutsch, ist Sprachwissenschaftlerin mit Doktortitel und Chefin des Technologiekonzerns Trumpf. Geprägt durch das Unternehmen, das Unternehmen prägend. Da ist etwas Calvinistisches im Spiel, eine gewisse Strenge, zugleich aber viel Verpflichtung. Mitarbeiter zu achten, gehört dazu. Nicht als Verpflichtung, sondern als Selbstverständlichkeit.

Hiltrud Werner, 50. Hat in Halle Betriebswirtschaft studiert. Daran erinnert der Anklang an einen Dialekt, den man dort spricht. Hat lange Zeit bei BMW gearbeitet, dann rund anderthalb Jahre beim Autozulieferer ZF. 2016 Wechsel zu VW. Leiterin der Revision und jetzt , 2017, Vorstand für „Integrität und Recht“. Eine Managerkarriere wie viele, und wie so viele: anstrengend. Nach unten treten, nach oben einen Diener machen – je tiefer die Verbeugung, desto besser.
Das mag eine böse Verallgemeinerung sein, aber erfunden ist das nicht. Es gibt diese Methode, und viele, die mit Hiltrud – Werner zu tun hatten, sage das sei ihre Methode gewesen. „Jeden Mitarbeiter muss man erst mal drei Treppenstufen nach unten treten, dann kann er sich wieder hochkämpfen.“ Das soll sie am 3. September 2014 gesagt haben. Und so soll sie ihre Arbeit beschrieben haben: „Sie werden Mitarbeiter weinend mein Büro verlassen sehen.“

Zwei Unternehmen

Trumpf. Ein Familienunternehmen. Gegründet 1923. 2,8 Milliarden € Umsatz im Geschäftsjahr 2015/16. Geschäftsfelder: Maschinenbau, Lasertechnologie und Software. Weltweit aktiv. Innovativ und konservativ zugleich. Konservativ verstanden als Zuwendung zu den Mitarbeitern, Zuwendung zu den Kunden. Verantwortung statt Verantwortungsgefühl, auch das konservativ. Keine hektische Quartalsberichterstattung, sondern langfristiges Denken. Keine Shareholder-Politik. Trotzdem kommt die Familie nicht zu kurz. Weil sie alle Beteiligten – Mitarbeiter und Kunden – am Erfolg teilnehmen lässt. Alles geregelt in einem Familiencodex, den jedes Familienmitglied zum 16. Geburtstag erhält. Zuverlässigkeit, Beständigkeit als Grundlage einer erfolgreichen Entwicklung, die auch mit Krisen fertig wird.

VW. Konzern mit über 200 Milliarden € Umsatz. Jahresproduktion: etwa 10 Millionen Kraftfahrzeuge. Die Nummer eins oder zwei weltweit. Über 600.000 Mitarbeiter an 120 Produktionsstandorten. Eine atemberaubende Entwicklung von Anfang an – in vieler Hinsicht, bis hin ins Wortwörtliche: Stichwort Dieselskandal. Lug und Trug, aus der Angst geboren. Ein Konzern, in dem die „unten“, die da „oben“ und die dann die ganz „oben“ fürchteten. Ein Regime des Schreckens. Wenn schon von Unternehmenskultur die Rede sein soll, dann war das, dann ist das eine total versaute. Ein Ende ist nicht abzusehen. Alle sind beteiligt. Die Shareholder, allen voran das Land Niedersachsen. Die Gewerkschaften, der Betriebsrat, der Aufsichtsrat.

Zu schwarz gemalt? Kaum. Weshalb hat Christine Hohmann-Dennhardt das Vorstandsressort „Integrität und Recht“ hingeschmissen? Einer erfolgreichen Arbeit stand der Leiter des Rechtswesens, Manfred Döss, im Wege – Herr Döss, der – so sieht es aus – von Recht und Unrecht so viel hält wie die ganze VW-Führungsmannschaft: nichts! Damit erklärt sich sozusagen von selbst, dass Hiltrud Werner jetzt für „Integrität und Recht“ zuständig ist.

Zwei Welten

Die Unternehmen Trumpf und VW haben das Wenigste gemeinsam. Das Wesentliche unterscheidet sie: ihr Charakter. Das gilt auch für die beiden Frauen, die diese Unternehmen prägen bzw. mitgestalten. Hier zeigt sich, dass nicht nur die Produkte eines Unternehmens, sondern auch sein Charakter zum Erfolg führen – oder ihn behindern, wenn nicht gar verhindern. Was hier kurz, aber hinreichend beschrieben ist, will den Leser anregen, sich eine eigene Meinung zu bilden. In diesem Sinne hat der Leser jetzt das Wort.





Montag, Mai 08, 2017

Kulturbeuteleien

Raten Sie mal, wie viele Kulturen es gibt. Es sind genau 152.  Das ist der Stand von 2016. Ich habe seitdem nicht mehr weitergezählt.  Gratiskultur, Billigkultur, Stillkultur, Sterbekultur, Konsumkultur, Vertrauenskultur, Fehlervermeidungs-kultur sollen es Beispiele genügen. Die Leitkultur steht auf Platz 41.

Herr Merz hat diese Kultur vor ein  paar Jahren erfunden. Gefunden kann er sie nicht haben, denn es gab sie nicht, so wenig wie es sie heute gibt. Aber Herr de Maizière hat sie jetzt auf Platz 1) gesetzt. Von 41 auf Platz 1, einfach mal so – das muss man sich vorstellen!

Unser Herr Innenminister kennt seinen Goethe offensichtlich gut: „In der Be-schränkung erst zeigt sich der Meister.“ 10 Kapitel genügen Herrn de Maiziére. Luther brachte es auf 95 Thesen.

Die Redaktion der ZEIT notiert in der Ausgabe vom 4. Mai noch viel mehr. Erstaunlich, was alles zu unserer Leitkultur prägend beitragen kann. Das geht vom Schäferhund über Currywurst  und Kurzhaarfrisuren bis hin zu den schnell-sten Kassiererinnen der Welt, von Gartenzwergen ganz zu schweigen. Und in den Kulturbeutel gehört natürlich auch die Zahnbürste. Endlich jetzt das Wort der Wörter: Kulturbeutel.

Typisch deutsch. Wir tragen unsere Kultur ständig mit uns rum. Da kann der Kulturbeutel gar nicht groß genug sein. Doof nur, dass das jeder gleich sieht und  wir auch noch stolz darauf sind. Ach, Herr de Maiziére, muss das sein?

Wir geben uns bei der Begrüßung die Hände? Das tun andere auch. Also nicht typisch deutsch, nicht Leitkultur.

 Bei De­mons­tra­tio­nen haben wir ein Ver­mum­mungs­ver­bot. "Ge­sicht zei­gen" – das ist Aus­druck un­se­res de­mo­kra­ti­schen Mit­ein­an­ders, sagen Sie. Haben Sie noch nie „vermummte“ Polizisten gesehen?

„Wir sehen Bil­dung und Er­zie­hung als Wert und nicht al­lein als In­stru­ment.“ Was hat das mit Leitkultur zu tun? Hebt uns das von anderen ab?

„Wir sehen Leis­tung als etwas an, auf das jeder Ein­zel­ne stolz sein kann.“ Eine kulturelle Leistung? Leitkultur?

Die Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israel? Das gebietet allein der Anstand.

„Wir sind Kul­tur­na­ti­on.“ Das stimmt. Aber andere sind das auch. Was wären wir ohne die Kultur unserer Nachbarn – Nachbarn aus aller Welt?

„In un­se­rem Land ist Re­li­gi­on Kitt und nicht Keil der Ge­sell­schaft.“ Hinter Religion ist ein Fragezeichen zu setzen. Eine religiöse Gesellschaft sind wir nicht. Nur 60% aller Deutschen sollen Mitglieder der evangelischen und der katholischen Kirche sein – auf dem Papier.

 „Wir haben in un­se­rem Land eine Zi­vil­kul­tur bei der Re­ge­lung von Kon­flik­ten.“ Mag sein. Aber macht uns das anders? Außerdem: Bei Nachbarschafts-streitereien kommt es immer wieder mal zu Mord und Totschlag, im wahren Sinne des Wortes.

„Wir sind auf­ge­klär­te Pa­trio­ten. Ein auf­ge­klär­ter Pa­tri­ot liebt sein Land…“. Wirklich? Herr Heinemann, einer der Präsidenten unserer Republik, sagte: „Ich liebe meine Frau.“ Deshalb, lieber Herr de Maiziére, bitte nicht übertreiben. Wir sind da nicht anders als andere. Ihr Hinweis auf die Kinderhymne von Bert Brecht – Respekt und Gratulation! Hier haben wir etwas Besonderes. Darüber können wir uns freuen.

„Wir sind Teil des Wes­tens. Kul­tu­rell, geis­tig und po­li­tisch.“ Aber die Nato.  Teil einer deutschen Leitkultur? Nein.  Sie ist Teil einer Interessengemeinschaft.

„Wir haben ein ge­mein­sa­mes kol­lek­ti­ves Ge­dächt­nis für Orte und Er­in­ne­run­gen. Bran­den­bur­ger Tor und der 9. No­vem­ber sind zum Bei­spiel ein Teil sol­cher kol­lek­ti­ven Er­in­ne­run­gen. Oder auch der Ge­winn der Fuß­ball­welt­meis­ter­schaf­ten. Re­gio­na­les kommt hinzu: Kar­ne­val, Volks­fes­te. Die hei­mat­li­che Ver­wur­ze­lung, die Markt­plät­ze un­se­rer Städ­te. Die Ver­bun­den­heit mit Orten, Ge­rü­chen und Tra­di­tio­nen. Lands­mann­schaft­li­che Men­ta­li­tä­ten, die am Klang der Spra­che jeder er­kennt, ge­hö­ren zu uns und prä­gen unser Land.“ 

Ja. Das alles ist richtig und auch wieder nicht. Wir sind so deutsch wie die Franzosen französisch sind, die Italiener italienisch usw. Wir unterscheiden uns voneinander, manchmal mehr, als es uns lieb sein kann.

Elke Schmitter hat es im SPIEGEL kurz und bündig geschrieben: „Kultur ist, was selbstverständlich ist.“ Die Art und Weise, wie wir leben, wie wir  uns benehmen, wie wir die Dinge sehen, woran wir glauben und woran nicht. Ein buntes Durcheinander von gut und schlecht, richtig und falsch. So ist es mit allen Kulturen.

De Gaulle hat den Unterschied zwischen der französischen und der deutschen „Kultur“ auf den Punkt gebracht: „Die Deutschen lieben Frankreich, die Franzosen achten Deutschland.“ Sogar damit kann man zurechtkommen – ganz ohne Leitkultur.

Abschließend zu Herrn de Maiziére; Die gute Absicht führt nicht immer zu einem guten Ergebnis.