Samstag, Mai 13, 2017
Zwei Frauen
Nicola Leibinger-Kammüller, 57. Schwäbische Mutter von vier
Kindern, liest jeden Morgen die Bibellosung, spricht außer Schwäbisch auch
Hochdeutsch, ist Sprachwissenschaftlerin mit Doktortitel und Chefin des
Technologiekonzerns Trumpf. Geprägt durch das Unternehmen, das Unternehmen
prägend. Da ist etwas Calvinistisches im Spiel, eine gewisse Strenge, zugleich
aber viel Verpflichtung. Mitarbeiter zu achten, gehört dazu. Nicht als
Verpflichtung, sondern als Selbstverständlichkeit.
Hiltrud Werner, 50. Hat in Halle Betriebswirtschaft studiert. Daran
erinnert der Anklang an einen Dialekt, den man dort spricht. Hat lange Zeit bei
BMW gearbeitet, dann rund anderthalb Jahre beim Autozulieferer ZF. 2016 Wechsel
zu VW. Leiterin der Revision und jetzt , 2017, Vorstand für „Integrität und
Recht“. Eine Managerkarriere wie viele, und wie so viele: anstrengend. Nach
unten treten, nach oben einen Diener machen – je tiefer die Verbeugung, desto
besser.
Das mag eine böse
Verallgemeinerung sein, aber erfunden ist das nicht. Es gibt diese Methode, und
viele, die mit Hiltrud – Werner zu tun hatten, sage das sei ihre Methode
gewesen. „Jeden Mitarbeiter muss man erst mal drei Treppenstufen nach unten
treten, dann kann er sich wieder hochkämpfen.“ Das soll sie am 3. September
2014 gesagt haben. Und so soll sie ihre Arbeit beschrieben haben: „Sie werden
Mitarbeiter weinend mein Büro verlassen sehen.“
Zwei Unternehmen
Trumpf. Ein Familienunternehmen. Gegründet 1923. 2,8 Milliarden €
Umsatz im Geschäftsjahr 2015/16. Geschäftsfelder: Maschinenbau,
Lasertechnologie und Software. Weltweit aktiv. Innovativ und konservativ
zugleich. Konservativ verstanden als Zuwendung zu den Mitarbeitern, Zuwendung
zu den Kunden. Verantwortung statt Verantwortungsgefühl, auch das konservativ.
Keine hektische Quartalsberichterstattung, sondern langfristiges Denken. Keine
Shareholder-Politik. Trotzdem kommt die Familie nicht zu kurz. Weil sie alle Beteiligten
– Mitarbeiter und Kunden – am Erfolg teilnehmen lässt. Alles geregelt in einem
Familiencodex, den jedes Familienmitglied zum 16. Geburtstag erhält.
Zuverlässigkeit, Beständigkeit als Grundlage einer erfolgreichen Entwicklung,
die auch mit Krisen fertig wird.
VW. Konzern mit über 200 Milliarden € Umsatz. Jahresproduktion:
etwa 10 Millionen Kraftfahrzeuge. Die Nummer eins oder zwei weltweit. Über
600.000 Mitarbeiter an 120 Produktionsstandorten. Eine atemberaubende
Entwicklung von Anfang an – in vieler Hinsicht, bis hin ins Wortwörtliche:
Stichwort Dieselskandal. Lug und Trug, aus der Angst geboren. Ein Konzern, in
dem die „unten“, die da „oben“ und die dann die ganz „oben“ fürchteten. Ein
Regime des Schreckens. Wenn schon von Unternehmenskultur die Rede sein soll,
dann war das, dann ist das eine total versaute. Ein Ende ist nicht abzusehen.
Alle sind beteiligt. Die Shareholder, allen voran das Land Niedersachsen. Die
Gewerkschaften, der Betriebsrat, der Aufsichtsrat.
Zu schwarz gemalt? Kaum. Weshalb
hat Christine Hohmann-Dennhardt das Vorstandsressort „Integrität und Recht“
hingeschmissen? Einer erfolgreichen Arbeit stand der Leiter des Rechtswesens,
Manfred Döss, im Wege – Herr Döss, der – so sieht es aus – von Recht und
Unrecht so viel hält wie die ganze VW-Führungsmannschaft: nichts! Damit erklärt
sich sozusagen von selbst, dass Hiltrud Werner jetzt für „Integrität und Recht“
zuständig ist.
Zwei Welten
Die Unternehmen Trumpf und VW
haben das Wenigste gemeinsam. Das Wesentliche unterscheidet sie: ihr Charakter.
Das gilt auch für die beiden Frauen, die diese Unternehmen prägen bzw.
mitgestalten. Hier zeigt sich, dass nicht nur die Produkte eines Unternehmens,
sondern auch sein Charakter zum Erfolg führen – oder ihn behindern, wenn nicht
gar verhindern. Was hier kurz, aber hinreichend beschrieben ist, will den Leser
anregen, sich eine eigene Meinung zu bilden. In diesem Sinne hat der Leser jetzt
das Wort.
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