Sonntag, November 30, 2014

Der "zunächste" Wahnsinn

Immer passiert irgendwo irgendwas. Wenn die Zeitung darüber berichtet, ist es so gut wie immer nichts Gutes. Damit müssen wir uns abfinden. Außerdem: „bad news is good news“. Sie fesseln uns mehr als gute Nachrichten.

Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass die Schreiber nicht richtig Deutsch können. Von gutem Deutsch will ich lieber gar nicht erst reden.

Da heißt es beispielsweise, dass irgendein Vorfall zunächst nicht zu klären war. Nehmen wir das wörtlich, dann wusste im ersten Augenblick niemand so richtig Bescheid.

Das hat der Schreiber aber nicht gemeint. Was er mitteilen wollte, war „bisher sind die Sachen noch nicht geklärt.“ Bisher ist gemeint, zunächst wird geschrieben.

Ist das nicht zum Verzweifeln? Zunächst scheint das nicht der Fall zu sein.
30. 11. 2014

Samstag, November 29, 2014

Freiheit

Am 25. Oktober sagte Bundespräsident Joachim Gauck: „Befreiung ist noch beglückender als Freiheit.“ (25-Jahrfeier im Leipziger Gewandhaus zur Demonstration in Leipzig, die den 9. November vorbereitete.

Diese Äußerung, dieses Gefühl ist verständlich. Aber es mindert nicht die Bedeutung der Freiheit. Das hat Herr Gauck auch nicht gemeint, und er würde, wenn man ihn fragte, wahrscheinlich Arthur Koestler zustimmen, den ich hier zitiere.

Arthur Koestler

„Manifest

Wir halten es für eine axiomatische Wahrheit, dass die Freiheit des Geistes eines der unveräußerlichen Menschenrechte ist.

Diese Freiheit besteht in erster Linie im Recht des Einzelnen, eigene Meinungen zu bilden und zu äußern, und zwar namentlich auch dann, wenn sie von den Meinungen der Obrigkeit abweichen. Der Mensch wird zum Sklaven, wenn er des Rechtes beraubt wird, “nein“ zu sagen.

Freiheit und Friede sind untrennbar verbunden. In jedem Lande, unter jedem Regime fürchtet die überwältigende Mehrheit des Volkes den Krieg und lehnt ihn ab. Die Kriegsgefahr ist gegenwärtig, sobald eine Regierung die Organe der Volksvertretung knebelt und damit das Volk außerstande setzt, zum Krieg „nein“ zu sagen. […]

Keine politische Ideologie, keine ökonomische Theorie kann sich das allgemeine Recht anmaßen, den Begriff der Freiheit zu bestimmen. Vielmehr muß der Wert aller Ideologien und Theorien nach dem Ausmaß der praktischen Freiheit beurteilt werden, die sie dem Einzelnen gewährt. Wir glauben ferner, daß keine Rasse, Nation, Klasse oder Glaubensgemeinschaft das ausschließliche Recht beanspruchen darf, die Idee der Freiheit zu verkörpern oder irgendeiner Gruppe von Menschen im Namen einer noch so edlen Theorie die Freiheit vorzuenthalten.

Jede menschliche Gemeinschaft kann und soll nach dem Maß und der Art der Freiheit bewertet werden, die sie ihren Mitgliedern einräumt. […]

Wir glauben, daß es keine Sicherheit in der Welt geben kann, solange die Menschheit in Bezug auf die Freiheit in Habende und Habenichtse aufgeteilt bleibt. Die Verteidigung der bestehenden Freiheiten und die Wiedereroberung der verlorenen Freiheiten ist ein einziger, unteilbarer Kampf. […]

Wir richten dieses Manifest an alle Menschen, die den festen Willen haben, bestehende Freiheiten zu verteidigen, verlorene Freiheiten wiederzugewinnen und neue Freiheiten zu schaffen.“

Der Monat, Heft 22, Juli/August 1950

Highbrowed oder so

Highbrowed English, White Collar English – also, so was haben wir auch im Deutschen. Hier wie dort haben wir die Hochgebildeten, die Gebildeten, die Eingebildeten und die Bildungsfernen.

Damit können wir leben, auch wenn die mehr oder minder Gebildeten und die Bildungsfernen aneinander vorbei reden und sich nicht verstehen. Allerdings sollten sich die mit den aus Verachtung missbilligend hochgezogenen Augenbrauen nicht wundern, wenn sie sich nicht verständlich machen können.

Sagt doch eine Highbrowed Lady, eine deutsche Unternehmerin, dass Lehrer, obgleich hochgebildet, nur eine repetative Tätigkeit ausüben, dass Mechaelektroniker im Gegensatz dazu kreativ seien – in ihrem Arbeitsfeld gäbe es ja ständig etwas Neues, während Lehrer immer nur wiederholten, was sie schon wiederholt haben.

Erstens: Ich glaube nicht, dass Lehrer nur eine repetative Tätigkeit ausübern, dass sie nichts anderes sind als Repetitoren - ausschließlich Wiederholungstäter.

Zweitens: Gnädige Frau, bitte sprechen Sie Deutsch, wenn sie verstanden werden wollen! Sollte das nicht Ihre Absicht sein, dann sollten Sie den Mund halten. Das würde ihnen zumindest Gemeinheiten wie diese ersparen. 28. 11. 2014

Humanitäre Hilfe - ein unerträgliches Schleierwort

Humanitär klingt besser als menschlich, nicht wahr? Besser, weil genauer, wäre es, von Nächstenliebe zu sprechen. Aber die, die uns am nächsten sein sollten in ihrer Not, sind uns unerreichbar fern… und wenn nicht, dann schieben wir sie einfach weg. Nein, nicht weg, sondern ab. So einfach geht das. 27. 11. 2014

Donnerstag, November 27, 2014

Konsens, Dissens, Nonsens

Übereinstimmung, unterschiedliche Meinungen und Unsinn. Klar, das gibt es überall in allen Lebenslagen. Geschrieben tauchen diese Wörter häufig auf. Im „gehobenen Deutsch“ der bildungsnahen (bildungsaffinen?) Schichten werden sie sogar häufig ausgesprochen. Irgendwie scheint Konsens hübscher zu sein als Übereinstimmung. Nonsens kommt im alltäglichen Deutsch schon öfter vor – unmittelbar und im übertragenen Sinne. Aber diese Spitzfindigkeiten lassen wir jetzt mal beiseite.

Sprachlich schlimm wird es, wenn aus Konsens konsensual gemacht wird. Wenn ein Gremium anstelle eines einmütigen Vorschlags einen konsensualen Vorschlag machen soll.

Nicht selten beginnt eine Diskussion mit unterschiedlichen, oft gegensätzlichen Argumenten. Das klingt natürlich wenig anspruchsvoll, um nicht zu sagen primitiv. Deshalb der Vorschlag, dem konsensualen Vorschlag den dissensualen Vorschlag zur Seite zu stellen. Dann haben wir wieder ein Sprachniveau. Und wenn wir von einer dissensualen Diskussion lesen oder hören, wissen wir, dass da die Fetzen geflogen sind. Es klingt nur hübscher.

Für die Überlegung, nun auch noch das Adjektiv nonsensual einzuführen, dürfte die Zeit noch nicht reif sein. So heftig unser schönes Deutsch uns auch davongaloppiert – manchmal müssen wir doch Geduld haben. Ob wir uns darauf konsensual verständigen können? Lassen wir es zunächst dabei, dass Nonsens – wie auch das Original nonsense nichts anderes bedeutet als Unsinn.
26. 11. 2014

Mittwoch, November 26, 2014

Ein bisschen albern

Irgend so ein Kommunikationsspezialist sprach von einem edukativen Auftrag im Schulmarketing. Edukativer Auftrag?

Willkommenskultur praktizieren fordert irgendeine Polit-Dame. Meint sie vielleicht, wir sollen Flüchtlinge willkommen heißen, möglicherweise sogar herzlich? Warum sagt sie es dann nicht?

Papst Franziskus erwähnt in seiner Rede vor dem Europa-Parlament eine Kultur des Konflikts. Das sei ihm nachgesehen, obgleich ich schon über 150 „Kulturen“ notiert habe und es beinahe täglich mehr werden. Die meisten beruhen auf Denkfaulheit. Die kann ich ihm nicht vorwerfen. Seine Gedanken, seine Rede – von solchen Päpsten sollen wir nicht nur einen haben, sondern viele.

Und jetzt in eine der untersten Niveau-Etagen: „Was sind Boxspringbetten?“ Diese Frage, die mir auf einer Internetseite gestellt wurde, habe ich, ohne weiter zu überlegen, also spontan,  mit „Bockssprungbetten“ beantwortet. Ich denke, Zicken und Böcke werden mir zustimmen.

Die letzte Albernheit heute Abend, 25. November 2014: „Lebenswerk“. Inzwischen werden schon Bücher über das Lebenswerk von Zwanzigjährigen geschrieben. Das könnte ich verstehen, wenn sich die Autoren vor Veröffentlichung  das Leben genommen hätten. Dann wäre ihrem bisherigen „Lebenswerken“ ja nichts mehr hinzuzufügen. Aber so ist es ja wohl nicht.
25. 11. 2014

Dienstag, November 25, 2014

Machtprobe

In der gestrigen Jauch-Sendung erwähnte Wolf Biermann, dass er reichlich erschrocken gewesen sein, als er im Vorgespräch mit Günther Jauch auf dessen Schreibtisch die neue SPIEGEL-Ausgabe gesehen hätte: „Kalte Krieger. Geschichte einer Machtprobe.“ (So jedenfalls habe ich Wolf Biermann verstanden.)

Ich war überhaupt nicht erschrocken. Ich habe mich nur fassungslos an den Kopf gefasst und habe mich gefragt: Machtprobe? Wer probt denn da was?

„Die mächtigste Frau der Welt“ (war irgendwo zu lesen,  ist aber barer Unsinn) gegen den mächtigsten Mann Russlands  (was einigermaßen zutrifft)?

Auch der SPIEGEL scheint inzwischen von allen guten Geistern verlassen zu sein. wenigstens gelegentlich, wie in diesem Fall. Angela gegen Wladimir. Machtprobe Deutschland gegen Russland? Da lachen ja die Hühner.

Nein, nein, nein! Zurück zur Vernunft! Und das heißt: Vergesst die Tatsachen und sprecht über Gefühle.

Wenn die Polen, die Litauer, die Letten und Esten das Gefühl haben, sie seien von Russland bedroht, dann ist das ernst zu nehmen, Und wenn Russland sich von der Europäischen Union  bedroht fühlt, dann sollten wir darüber nicht lachen. Auch das ist ernst zu nehmen.

Gefühle haben den Ersten Weltkrieg ausgelöst. Gefühle haben den Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Bitte nicht noch einmal, dass Gefühle zu Tatsachen werden!
24. 11. 2014


Samstag, November 22, 2014

Abrechnung nach Art der Politik

(Hamburger Abendblatt 22./23. November 2014, Seite 3): „Gabriel rechnet mit H & M ab – und ermahnt neben den Textilgiganten auch die Verbraucher.“
(Abrechnung, Ermahnung – was denn nun?)

Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel macht eine Werbetour für die deutsche Wirtschaft in Vietnam. Ich denke, das ist in Ordnung, das gehört zu seinen Aufgaben.

In einer Fabrik, die für van Laack, einen deutschen Edelhersteller von Hemden arbeitet, gibt es keinen Grund zu mäkeln, sagt der Bericht. Zu mäkeln ist aber an Herrn Gabriel.
Die Reise „… nutzt der SPD-Politiker dabei für eine Abrechnung mit Textil-Giganten wie H & M, KiK und Co. ‚Menschen dürfen nicht wie im Frühkapitalismus ausgebeutet werden’, schimpft der Bundesminister – und fordert Konsequenzen.“

Na endlich kommt mal jemand zur Sache. Aber was heißt „Konsequenzen fordern“? Nach Erfahrung nichts anderes, als selbst keine Konsequenzen zu ziehen. Das klingt gemein, ist es aber nicht. Es ist nichts als die reine Wahrheit. Hier der Beweis; Zitat aus dem Hamburger Abendblatt- Beitrag: „Die Bundesregierung will Unternehmen zu hohen Standards verpflichten. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) präsentierte deshalb  vergangenen Monat ein ‚Bündnis für nachhaltige Textilien’. Müller will ein Siegel, das die deutsche Textilbranche auf höhere Öko- und Sozialstandards wie etwa ‚existenzsichernde Löhne“ verpflichtet. Außerdem sollen Modeunternehmen besonders giftige Chemikalien durch umweltfreundlichere Stoffe ersetzen.“

Klingt gut, ist es aber nicht, wie das folgende Zitat zeigt: „Allerdings hat die Modebranche bereits abgewinkt. Die Durchsetzung in Deutschland üblicher Sozialstandards weltweit liege außerhalb des eigenen Einflusses. Vorerst rollt die Karawane erst einmal einfach nur weiter.

Viele Textilunternehmen haben in den vergangenen Jahren ihre Fabriken von China nach Bangladesch, Pakistan oder eben Vietnam verlagert. Der einfache Grund: In Vietnam sind die Arbeitskosten inzwischen deutlich günstiger als in der Volksrepublik China.“

Ich fasse zusammen: Politik der leeren Worte. Die Wirtschaft hält die Fäden in der Hand – weltweit – und lässt die Puppen tanzen. Wer wohl die Puppen sind?

Über die Kunst, viele Worte zu machen und nichts zu sagen

Soll ich glücklich sein, dass ich diese Kunst nicht beherrsche, oder vielleicht doch neidisch? Ich entscheide mich fürs Glücklichsein, und ich denke, der folgende Ausschnitt aus einem Gespräch mit Frau Yasmin Fahimi, SPD-Generalsektretärin, gibt mir recht (Hamburger Abendblatt 22./23. November 2014, Seite 5):

HA: „Stadtstaaten wie Hamburg haben Schwierigkeiten, Flächen für die Unterbringug von Flüchtlingen zu finden. Sollte ein Teil der Flüchtlinge in Flächenländern untergebracht werden, um dieses Problem zu lösen?“

Fahimi: „Zunächst müssen wir Flüchtlinge, die zum Teil schwer traumatisiert zu uns kommen, gut unterbringen und möglichst schnell in unsere Gesellschaft integrieren. Es darf nicht sein, dass wir sie nur irgendwie und irgendwo versorgen. Deshalb halte ich wenig davon, Flüchtlinge irgendwo ‚auf dem Land’ unterzubringen. Gleichzeitig sehe ich die Belastungen, die eine Großstadt wie Hamburg trägt. Wir sollten nach Lösungen im Sinne der betroffenen Flüchtlinge suchen.“

Also: Aufs Land lieber nicht. Aber in der Großstadt eigentlich auch nicht. Klar: Gut unterbringen und integrieren. Nett gesagt und nichts getan, nur leeres Stroh gedrochen. So dürfte Frau Fahimi „Lösungen im Sinne der betroffenen Flüchtlinge“ nicht finden – was immer sie mit diesen „Lösungen“ meint.

Wieder einmal: Wortgeklingel bis hin zum Tinnitus. Kein Grund für mich, neidisch zu sein. PS: Es wäre eine Wohltat, wenn mehr Politiker öfter den Mund hielten. Damit zum nächsten Kapitel:

Donnerstag, November 20, 2014

In der Kürze...

„In der Kürze liegt die Würze“, so das Sprichwort. Nicht selten aber liegt in der Kürze der Fehler, wie folgendes Beispiel zeigt:

Hamburger Abendblatt, 19. November – „Edathy muss wegen Kinderpornografie vor Gericht.“ Das ist nicht korrekt. Er ist wegen Kinderpornografie angeklagt. Ob das zutrifft, soll ab 23. Februar 2015 ein Gericht herausfinden. Korrekterweise hätte die Abendblatt-Überschrift heißen müssen: „Edathy wegen Kinderpornografie angeklagt.“

Klingt kleinkariert, ist es aber nicht. Jedenfalls nicht bei einem so heiklen Thema. Das Hamburger Abendblatt nimmt ein Urteil vorweg, das es noch gar nicht gibt. In Abwandlung eines anderen Sprichworts: Schnell ist die Zeitung mit dem Wort. Schreibe mit Weile. Aber wer hat schon Zeit heute?
19. 11. 2014

Dienstag, November 18, 2014

Die Sprache bringt es an den Tag

Unter dem Titel „Die geraubte Kindheit“ bringt das Hamburger Abendblatt am 18. November einen Beitrag zum Thema Erziehung. Untertitel: „Musikalische Frühförderung, naturwissenschaftliche Experimente, Mehrsprachigkeit: Erziehung droht in ein neues Extrem zu rutschen.“

Da werden, wen wundert es, erst mal die Fehler der Eltern besprochen. Die erziehen ihre Kinder zu Übermenschen, die jeder Herausforderung spielerisch gewachsen sein sollen. Sie zerstören die Unschuld der Kindheit. Sie wollen das Beste und erreichen das Gegenteil.

Sind die Eltern verrückt geworden? Oder hat man sie verrückt gemacht? Und wer verbirgt sich hinter „man“? Wer weiter liest, erfährt es.

„Die ersten Forderungen nach einer frühkindlichen Bildungsoffensive seien vom Bund der Deutschen Industrie, der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber und Wirtschaftsorganisationen wie OECD gekommen, schreibt Renz-Polster.

Der Kinderarzt zitiert aus einem Gutachten des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln: ‚Angesichts des demografischen Wandels und stagnierender Absol-ventenzahlen in höheren Bildungsgängen werden für Deutschland Befürchtungen laut, dass in Zukunft nicht mehr genügend Humankapital zu Verfügung steht, um den produktiven Einsatz des Sachkapitals zu ermöglichen… (deshalb) ist es erforderlich, die noch nicht erschlossenen Bildungspotenziale auszuschöpfen.“

Der Auffassung von Renz-Polster folgend, schließt der Beitrag wie folgt: „Prinzipiell falle Erziehung immer dann gewaltsamer und schonungsloser aus, je weniger menschlich und je ungerechtet es in der Gesellschaft zugehe.“

Wie wahr! Der Begriff Humankapital sagt alles. Mehr Verachtung von Menschlichkeit ist kaum denkbar. Eltern und Kinder im Würgegriff eines entarteten Kapitalismus.

Samstag, November 15, 2014

Die Leute wissen nicht, welchen Unsinn sie reden

Sie reden Unsinn und merken es nicht. Sie treiben Schindluder mit unserer Sprache und merken es nicht. Sie schreiben und sprechen so, wie sie im Supermarkt einkaufen: Schneller Griff ins Regal, rein in den Einkaufswagen. Wird schon passen.
Passt sprachlich allerdings nicht, wie folgendes Zitat zeigt:

„Deshalb setzen wir auch unseren Fokus auf Formate, die sich an ein internationales Fachpublikum richten.“ (Bernd Aufderheide, ´Hamburg-Messe-und Congress-Chef, HA 14. 11. 2014)

„Fokus“ und „Format“ –  zwei Wörter, die zurzeit Hochkonjunktur haben, die in den Selbstbedienungsregalen unserer Sprache als Sonderangebote ins Auge springen. Keine Bückware also, sondern hochaktuell. Da muss man einfach zugreifen. Und genau das hat Herr Aufderheide gemacht.

Bei allem Respekt vor Herrn Aufderheide: Bitte nicht nachmachen! Wer’s trotzdem macht, kann sich die Fingerspitzen verbrennen oder – schlimmer noch – die Zunge. Das tut höllisch weh.

Im Fokus, im Brennpunkt, in dem sich Lichtstrahlen feurig verbinden, geht es heiß her. Ganze Wälder sind schon dem Feuer zum Opfer gefallen, weil ein Glasscherben zur Zündschnur wurde. Also Finger weg vom Fokus.

Na, und dann das „Format“. Auch so ein missbrauchtes Wort. Damit wurden ur-sprünglich Abmessungen bestimmt, siehe DIN A 4 Papiere u.s.w. Dazu kam dann eine Art Überhöhung: „Der Mann hat kein Format.“ Das heißt: Er hat nicht die geistige Größe, die man von ihm erwartet hatte. So weit, so gut.

Aber dann: Auf einmal nennen Fernsehsender ihre unterschiedlichen Sendeformem „Format“, was mit Abmessungen, beispielsweise Sendedauer, nichts zu tun hat. Und schon macht sich das missbrauchte Wort wie ein Bazillus auf den Weg und verseucht unsere Sprache. Wenn schon „Fremdwörter“, dann bitte die, mit denen jeder umgehen kann, die jeder versteht.

„Deshalb konzentrieren wir uns auf Themen die sich an ein internationales Publikum richten.“ Oder: „Deshalb werden wir Themen anbieten, für die sich ein internationales Publikum interessiert.“ Oder, oder, oder. Jedes oder dürfte besser sein, als das Aufderheide-Original.
15. 11. 2014

Mittwoch, November 12, 2014

"Damit Küken nicht als Abfall enden"

Hamburger Abendblatt 10. November 2014, Seite 17

Wie weit wir durch unsere Fresssucht geistig verwirrt sind, wie sehr wir unmenschlich geworden sind durch unseren unersättlichen Appetit auf das tägliche Stück Fleisch, wie weit wir uns von den Gesetzen des Lebens und des miteinander Lebens entfernt haben, macht dieser Abendblatt-Beitrag in erschreckender Weise klar. Wir müssen nur ein wenig langsamer lesen als sonst, etwas aufmerksamer und dann ein bisschen nachdenken. Also los!

„Männlicher Legehennennachwuchs wird jährlich millionenfach getötet.“
Das ist grauenvoll. Das dürfen wir nicht zulassen. Das können wir mit unserem christlichen Gewissen nicht vereinbaren. Dagegen müssen wir etwas tun. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Das ist der erste Gedanke.

Dann der zweite Satz: „Ein deutsches Forschungsvorhaben zeigt jetzt Alternativen auf.“

Gott sei Dank, es geht also doch anders. Wir müssen die kleinen Kerlchen, die sich durch die Eierschale ins Leben picken und dummerweise ein Hähnchen werden sollen, nicht mehr wahllos ums Leben bringen, bevor es richtig beginnt.

Wie die deutsche Wissenschaft festgestellt hat, geht es auch anders. Die sogenannte Nah-Infrarot-Raman-Spektrokopie erkennt schon nach drei Tagen, ob ein männliches oder weibliches Küken heranreift. So könnte man schon die Eier sortieren und nicht erst die geschlüpften Küken. Die Sache soll kostengünstig sein.

Im zweiten Verfahren wird anders vorgegangen. Erst der neunte Brutschranktag gibt Hinweise auf Henne oder Hahn. Das ist teurer, aber man glaubt, die Kosten wieder reinholen zu können.

In einem unterscheiden sich die beiden Verfahren nicht: Sie sind jenseits von gut und einfach nur böse. Mord ist Mord.

Und dieser Mord wird uns als Alternative serviert. Wer soll sich da schämen? Der Schreiber oder der Leser?

„Wir retten die Hähnchen“ ist die Botschaft. Aber wovor will unsere Wissenschaft sie retten? Wo ich zu Tode komme, ist egal – im Ei, nach dem Schlüpfen oder nach einem hühnchen-hähnchen-qualvollen Leben in industrieller Massentierhaltung?

Erschreckend ist die Eiseskälte, mit der dieser Abendblatt-Beitrag abgefasst ist. Ich zitiere:

„Deutsche Hennen erzeugen gut 13 Milliarden Eier.“ Erzeugen? Die Hennen legen Eier, aber sie erzeugen sie nicht. Haarspalterei? Sieht so aus, ist es aber nicht. Das Natürliche wird zum Produktionsvorgang erniedrigt:  Eierproduktion.

„Hochleistungshennen legen bis zu 320 Eier im Jahr und werden geschlachtet, wenn die Leistung abfällt – meist nach gut einem Jahr. Sie taugen dann nur noch für Hühnersuppe oder als Tierfutter.“

Der Wahnsinn geht weiter. Es gibt nicht nur Hochleistungshennen, wir haben da auch noch Zweitnutzungsrassen:

„Die Henne legt pro Jahr respektable 250 Eier, bleibt aber hinter den Hochleistungsrassen zurück, die gut 300 Eier schaffen. Die Hähne sind einem (ebenfalls langsam wachsenden) Standard-Masthahn im Fleisch-ansatz unterlegen. Werden sie nach 70 Tagen geschlachtet, liefern sie zwei Kilogramm schwere Braten, während die hochgezüchteten Konkurrenten ein Schlachtgewicht von 2,8 Kilogramm (Abendblatt: 2800 Kilogramm) erreichen. (Die 2800 Kilogramm wären natürlich ein Traum.) Beides ist nicht zu verwechseln mit schnell wachsenden Ein-Kilo-Hähnchen, die nur 30 Tage alt werden.“

So geht das nicht nur bei uns in Deutschland zu. „Auch in der Schweiz macht die Rasse (Zweitnutzungsrasse) Karriere. Coop-Sprecher Urs Meier: ‚Die Kunden haben uns zum Engagement gratuliert. Die zweite Serie ist bereits in Produktion.“

11. 11. 2014








Dienstag, November 11, 2014

Nachhilfeunterricht für die SPD

„Die SPD braucht keine Nachhilfe in Sachen Koalitionsbildung“. Das behauptete Joachim Poß, Vize im SPD-Vorstand. Damit verteidigte er seine Partei gegen die CDU, die in der voraussichtlichen Koalition Rot/Rot/Grün in Thüringen einen Abgrund von Landesverrat sieht. Natürlich ist das Quatsch.

Aber Herr Poß, Nachhilfe in Sachen Koalitionsbildung braucht die SPD doch!

Niemand in Deutschland hat eine Große Koalition gewählt. Die SPD hat sich trotzdem darauf eingelassen und damit zu einer diktaturähnlichen Parlamentsmehrheit von etwa 80 Prozent geführt.

Mir kommen die Tränen, wenn ich daran denke, was die SPD aus sich gemacht hat.

Sie war die einzige Partei, die 1933 gegen die "Machtergreifung" Hitlers aufgestanden ist. (Der spätere Bundespräsident, der erste unserer Republik,  Theodor Heuß, stimmte für das "Ermächtigungsgesetz", half mit, die Demokratie zu Grabe zu tragen.)

Die SPD – an ihrem einsamen Widerspruch gegen das Ermächtigungsgesetz gemessen: ein Schatten ihrer selbst, ohne Rückgrat, ohne Selbstbewusstsein.

Ob da noch der notwendige Nachhilfeunterricht hilft? Zweifel sind angebracht.

Montag, November 03, 2014

"Politik ist nichts Schmuddeliges"...

…schreibt das Hamburger Abendblatt auf Seite 4 seiner Wochenendausgabe 1./2. November 2014. Aber was dann kommt, ist herz- und verstandzerreißend. Das ist aber nicht Schuld des Abendblatts; es berichtet nur.

Von allen guten Geistern verlassen haben sich schleswig-holsteinische Politiker geäußert. Sie wollen jetzt gemeinsam, also SPD, CDU, Grüne, FDP und Piraten, gegen den rasanten Akzeptanzverlust ihrer Zunft kämpfen.

„Ziel einer am Freitag vorgestellten Kampagne ‚Demokratie lebt von Beteiligung’ ist eine höhere Wählquote auf Landes- und kommunaler Ebene, aber auch mehr Anerkennung für diejenigen, die sich politisch betätigen.“ Da will man nicht zimperlich vorgehen und das heißt:

Gemeinden dürfen Wahlwerbung in ihren Straßen nicht mehr einschränken, sollen öffentliche Gebäude ‚grundsätzlich und kostengünstig’ für Veranstaltungen zur Verfügung stellen, müssen künftig ‚von restriktiven Bestimmungen für die Durchführung von Wahlkämpfen absehen’.

Die „Botschaft“ der Landtagsparteien: Wahlkämpfe und Politik seien ‚nichts Schmuddeliges’, sondern ‚Festtage der Politik’.

Also: Politik ist keine Festtagsveranstaltung, sondern – wenn ernst genommen – harte Arbeit. Und die Wahlkämpfe sind alles andere als ‚Festtage’. Sie sind mit ihren Allerweltsparolen eine einzige Peinlichkeit. Das Blaue wird vom Himmel herunter-, nein, ich will nicht sagen -gelogen, aber heruntergebetet. Festival der Gaukler – so könnten wir die Wahlkämpfe nennen, ohne zu übertreiben.

Nun sollen die „Festtage der Politik“ auch in die Schulen getragen werden, jedenfalls, wenn ein Wahlkrampf, pardon, Wahlkampf, ansteht. Kommunal- und Landespolitik sollen im Vorfeld von Wahlen Unterrichtsgegenstand werden. ‚Besuche von Politikern und Politikerinnen an den Schulen sind erwünscht’ heißt es.

So geht es dann mit Klein-bei-Klein-Vorschlägen weiter, nicht zuletzt auch, weil zu vermuten ist, dass dieser ganze Unsinn von den Wählern bezahlt werden soll und nicht von den Parteien.

Ganz zum Schluss des Abendblattberichts ist dann der Grund für die ganze Aufregung zu lesen:

„Seit Mitte der 1970er-Jahre sank die Wahlbeteiligung vn fast 85 Prozent auf zuletzt knapp über 60 Prozent. Bei den Kommunalwahlen 2013 sackte sie sogar auf das historische Tief von 46,7 Prozent.“

Spannende Frage: Woran liegt das?

Antwort Nr. 1: Klarer Fall. Das liegt an den doofen Politikern. Die haben von nichts eine Ahnung, denken nur an sich selbst und ihre Pöstchen. Und korrupt sind sie manchmal auch noch. Dann erzählen sie auch noch alle vier, fünf Jahre, der Wähler sei der Souverän, vergessen das aber gleich nach der Wahl.

Antwort Nr. 2: Klarer Fall. Das liegt an den doofen Wählern. Die wollen ja nur bedient werden, selbst aber nichts tun. Und in ihrer Gier gehen sie selbst dem dümmsten Versprechen auf den Leim. Sie glauben das Märchen vom Volkssouverän. Selbst schuld!

An beiden Antworten mag dies und das dran sein, aber sie treffen die Sache nicht wirklich.

Beide Seiten sind faul geworden, haben sich in ihrer Welt eingerichtet.

Die Politik  hat keine eigene Meinung mehr, sie holt sie sich durch Meinungsum-fragen. Stellung beziehen, eine eigene Meinung vertreten, ist nicht angesagt. Man könnte ja anecken! Parteidisziplin scheint alles zu sein. Fraktionszwang wird groß geschrieben. Und macht jemand das Maul auf, bekommt er schnell etwas auf die Fresse.

Und wir Wähler? Kein Interesse an Politik, es sei denn die Grundsteuer soll erhöht werden oder der Eintritt zum Freibad wird teurer. Der lokale Parteienklüngel? Wird hingenommen. Landespolitik? Ach, du liebe Güte! Da müssten wir ja mitdenken, um mitreden zu können. Na, lieber nicht. Da habe ich Besseres zu tun - usw. usw.

Nehmen wir das mal als eine einigermaßen zutreffende Momentaufnahme.  Was tun?

Millionen aufzuwecken, ist schwieriger als ein paar tausend Menschen auf den Weg zu bringen. Also sollten die Politiker anfangen. Bestimmt findet sich der eine oder andere Bürger, der ihnen dabei hilft.

Sonntag, November 02, 2014

Herrn Gauck zum Teufel jagen?

Bundespräsident Gauck hat gestern oder vorgestern von seinen Schwierigkeiten gesprochen, die er mit der Kandidatur des Linken-Politikers Ramelow für das Ministerpräsidentenamt in Thüringen hat. Das ist sein gutes Recht. Vielleicht würde ich genau so reagieren. Vielleicht.

Wie die Hyänen stürzen sich nun von allen Seiten alle möglichen, vor allem aber unmögliche Leute auf Herrn Gauck, maßregeln ihn, machen ihn fix und fertig.  Das machen sie in SPIEGEL ONLINE heute, am 2. November. Sie machen es in der mir so verhassten Internet-Anonymität und erlauben sich – feige dahinter versteckt – jede Gemeinheit.

Da platzte mir heute der Kragen. Ich schickte SPIEGEL ONLINE  dem folgenden Text (wurde auch veröffentlicht):

„Herrn Gauck zum Teufel jagen?

Nein, auf keinen Fall. Aber zunächst einmal. Ich bin immer wieder erstaunt, mit welcher Giftigkeit bis hin zur Unflätigkeit im Schutz der Anonymität geschrieben wird. Von Anstand keine Spur.

Jetzt zum Thema.
Wollen wir wirklich einen zahnlosen Alten als Bundespräsidenten? Wollen wir ihn nur als Gutentagaugust? Wen wir das so sehen, brauchen wir ihn wirklich nicht.
Parteipolitisch soll der Bundespräsident neutral sein. Das ist ihm so vorgeschrieben. Aber Partei ergreifen darf er doch wohl - auch und gerade dann, wenn es mal wieder nicht passt.
Ich finde, Herr Gauck ist der erste Bundespräsident, der nicht alle Sünden zudeckend über den Dingen schwebt.
Eins möchte ich noch ins Gedächtnis rufen: Unser erster Bundespräsident, Theodor Heuss, hat 1933 im Reichstag für das Ermächtigungsgesetz gestimmt und damit Hitler Tür und Tor geöffnet.“

Ich war heute Abend nicht der Einzige, der Partei für Herrn Gauck ergriffen hat. Aber wir waren eine erschreckende Minderheit.

02. 11. 2014