Mittwoch, September 23, 2015

Eine wichtige Frage und keine richtige Antwort

Die wichtigste Frage in und für Europa ist die Flüchtlingsfrage. Hunderttausende unter Krieg, Terror, bitterer Armut und vollkommener Aussichtslosigkeit leidende Menschen suchen Schutz und Bleibe in Europa, vor allem in Deutschland und Schweden.

Die Hilfsbereitschaft in beiden Ländern ist groß. Ob die Fähigkeit zu helfen damit Schritt halten kann, erscheint fraglich. Es ist schwierig, bei diesem Thema einen klaren Kopf zu behalten, zu verworren ist das Ganze.

Ich fürchte, dass sich auch hier der Egoismus durchsetzen wird wie seinerzeit, als Deutschland die Juden verfolgte und kaum ein Land bereit war, ihnen Schutz zu bieten und Asyl zu gewähren. Die USA und Großbritannien müssten sich heute immer noch dafür schämen. Aber dieser Gedanke hilft nicht weiter.

Genau so aussichtslos ist es, auf die Ursachen dieser grenzenlos erscheinenden Flucht nach Europa hinzuweisen. Wer hat Afrika erbarmungslos ausgeplündert, hat die Voraussetzungen für korrupte menschenfeindliche Potentaten geschaffen? Die europäischen Kolonialmächte. Und sie lassen nicht einmal heute die Finger davon. Darüber zu sprechen ist wichtig, hilft aber im Augenblick nicht.

Es hilft auch nicht zu sagen, dass die USA die Länder im Nahen Osten in Brand gesteckt haben. Sie haben es getan. Aber die politische Korrektheit, die sich nicht nur die Bundesrepublik Deutschland verordnet hat, verbietet es, darüber zu reden. Es würde auch nichts nützen, jedenfalls nicht jetzt und den Flüchtlingen schon gar nicht.

Das Übel an der Wurzel packen? In Afrika „aufräumen“? Willkürlich mit dem Lineal gezogenen Grenzen aufheben, die Länder neu ordnen nach alten Stammesmustern? Dasselbe im Nahen, im Mittleren Osten? In Afghanistan? Die Kriege ausrotten? Ein Leben in Frieden möglich machen? Wer soll das tun? Alle sagen, sie wollen es, aber keiner macht es. Jeder ist sich selbst der Nächste, und die Mächtigen sind sich selbst noch näher als alle die anderen.

So bleibt nichts anderes übrig, als jetzt für diese Sünden zu büßen. Und das heißt für Europa: Alle Flüchtlinge aufnehmen, ohne Unterschied und gleichgültig, was es kosten mag. Es wird uns auch in Zukunft an nichts fehlen, weder an drei Mahlzeiten am Tage, weder an einem Dach über dem Kopf. Es wird uns weiter gut gehen.
Heute ist Sonntag, der 20. September 2015, und das war mein Wort zum Sonntag.

Die Wunderwelt der Sprache

Mit dem Begriff Legasthenie-Förderung will ich mich nicht lange aufhalten. Es ging dem Autor (Hamburger Abendblatt?) nicht um die Förderung der Leseschwäche, wie er schrieb, sondern darum, was man dagegen tun könne. Hier zeigt sich wieder einmal, dass Computer nicht denken können. Korrektoren (der Korrektor ist ein abgeschaffter Beruf in Zeitungsverlagen) konnten denken.

Menschen mit eingeschränkter Mobilität. So bezeichnet man heute Roll-stuhlfahrer. Jedenfalls sollte man das tun, wenn man sich regelgerecht ausdrücken möchte. Aber wer stellt diese Regeln auf – und mit welcher Berechtigung? Kann mir jeder ganz nach Belieben den Mund verbieten, mir sagen, was und wie ich etwas zu sagen habe?  Nee!

Lieber als über die in ihrer Mobilität eingeschränkten Rollstuhlfahrer würde ich mal was über die in ihrer geistigen Mobilität eingeschränkten Politiker lesen. Aber vielleicht kommt das ja noch.

Menschen mit eingeschränkter Fähigkeit, Deutsch zu sprechen. Damit meine ich nicht etwa Flüchtlinge, Einwanderer aus Ländern, in denen eine andere Sprache gesprochen wird. Ich meine die Menschen, die statt Wohltätigkeits-veranstaltung  Charity-Veranstaltung sagen und schreiben. Und um was geht es bei den paid content-Modellen? Es geht um kostenpflichtige, zu bezahlende Internet-Nachrichten.

Soweit konnte ich mir noch einen Reim auf die kleinen Sprachwundersamkeiten* machen. (*Das Wort ist neu, soeben erfunden.) Aber dann wurde es schwierig für mich.

Da las ich, dass jemand ein storyfy geschrieben hätte. Ein storyfy! Darunter konnte ich mir nichts vorstellen. Und weil ich mir sicher war, dass weder der Duden, noch das gute alte Cassels Wörterbuch eine Antwort darauf geben würden, habe ich – Schande über mich!  - gegoogelt.

Warum schreibe ich das eigentlich nicht so deutsch wie cakes bei uns Keks geschrieben wird? Warum schreibe ich nicht gegugelt? Gehupft wie gesprungen? Aber ich will mich jetzt nicht auch noch zum Gugelhupf äußern, obwohl es mich reizt. Gugelhupf klingt viel verlockender als Napfkuchen. Einverstanden?

Also da hat jemand ein storyfy geschrieben. Was habe ich herausgefunden? storyfy ist ein Softwareunternehmen oder ein Softwareprogramm oder beides. Auf jeden Fall scheint storyfy es möglich zu machen, eigenen Gedanken, sofern sie vorhanden sind, alles Mögliche aus allen möglichen Quellen hinzuzufügen, das Eigene mit Fremdem anzureichern, alles zu vermischen und diese Cuvée als etwas Eigenes anzubieten. Sollte ich mich irren: Pardon! Sollte die Sache so sein: Pfui Deibel!

Manchmal machen Gedanken große Sprünge, für die es keine Erklärung gibt und die doch etwas für sich haben. Von storyfy bis zu einem Hochzeitsservice, über den das Hamburger Abendblatt am 19. September berichtete, ist es nicht mal ein großer Sprung. Trotzdem möchte ich ihn erwähnen.

Da machen gewitzte (clevere) Jungs und Mädels ein irres Angebot. Sie machen Vorschläge, wie man (Mann) seiner Angebeteten einen überzeugenden Heirats-antrag machen kann. Ganze Theaterstücke werden dort anscheinend angeboten.

Mal ehrlich: Schauspielerei und nichts sonst. Wenn die Dame des Herzens dahinter kommt, was dann? „Du hast mir etwas vorgespielt“,  das wäre noch der geringste Vorwurf, würde aber erklären, weshalb so viele Bündnisse fürs Leben eine Halbwertzeit haben, die diese Bezeichnung nicht verdienen. Ein Viertel wäre oft schon übertrieben.

Gedanken, die einem so durch den Kopf flitzen, sind gnadenlos. Sie nehmen keine Rücksicht, auch wenn das eine Thema mit dem anderen gar nichts zu tun hat. Klar, sie wollen sich auch zu Wort melden. Und was mache ich jetzt mit dem Thema aller Themen, der Flüchtlingsfrage?

Auf die lange Bank schieben? Nein, aber morgen.
19. 09. 2015

Sprachwanderungen

Kaum hatte ich dieses Wort notiert, fiel mir auf, fiel mir ein, dass dieses Wort zwei Bedeutungen hat. Ich meinte ursprünglich mein Wandern durch unsere Sprache, ein Wandern, das viel Freude macht, weil mir immer wieder Gedanken und Betrachtungen anderer Menschen begegnen. Viele von ihnen wissen mehr als ich, auf jeden Fall anderes. So kehre ich von jeder Wanderung bereichert zurück. Diese Wanderlust verdanke ich meinem Vater. Er hat die Liebe zur Sprache in mir geweckt.

Und die andere Bedeutung des Wortes? Die Sprache selbst wandert. Wörter verschwinden im Sprachgebrauch, andere kommen hinzu, und so manches Wort hat im Laufe der Zeit seine Bedeutung verändert.

Der Opportunist ist ein besonders packendes Beispiel. „Er ist der Inbegriff gefährlicher Prinzipienlosigkeit.“ Notiert Jonas Helbig in der ZEIT-Ausgabe von 10. September 2015 auf Seite 17. Ja, genau das bedeutete der Opportunist für mich bis ich Jens Helbigs Ausführungen las. Der Autor ergänzte seine Feststellung mit dem Satz „Dabei verkörperte er einst ein Ideal der Regierungskunst.“

Ich will einiges aus Jens Helbigs Schatzkästlein notieren, damit es mir nicht gleich wieder verloren geht.

Um 1870 Opportunist als neues Wort zum ersten Mal auf und hatte einen durch und durch guten Klang. Es stand, ganz und gar positiv, für die Kunst des Regie-rens. Louis Gambetta, „Führungsfigur der republikanischen Radikalen im Parlament“ bezeichnete damit sein Programm einer ‚Politik der Erfolge‘, einer ‚Politik der Ergebnisse. Opportunismus bedeutete in Gambettas Augen die Fertigkeit, unter sich ständig verändernden Gegebenheiten praktische, sprich am Möglichen ausgerichtete Politik zu betreiben.

Nach wenigen Jahren kippte die Bedeutung in Negative – aus welchen Gründen auch immer. Spätestens von 1880 an verstand man unter Opportunismus in Frankreich nicht länger eine kunstvolle Politik der Ergebnisse, sondern benutzte den Begriff als Schimpfwort. Dieses Schicksal teilt das Wort Opportunismus mit vielen anderen Wörtern. Die Bedeutungen wandern.

Besonders gefesselt hat mich der Ursprung des Begriffs, wie ihn Jens Helbig – ich denke, zutreffend – schildert:

„Der Begriff leitet sich von lateinisch ‚opportunus‘ ab (bequem, geeignet, gelegen, günstig oder passend), was wiederum auf ‚ob portum‘ zurückgeht, einen in der antiken Seefahrersprache verwendeten Ausdruck, der so viel wie ‚zum Hafen hin‘ meinte und einen günstigen, also in Richtung des Hafens wehenden Wind bezeichnete. Opportunismus ist so gesehen durchaus als Kunst zu verstehen, einen günstigen Moment abzupassen…“

Ich habe keinen Grund, Jens Helbigs Ausflüge in die verschiedenenen Politiken zu kritisieren – Marx, Lenin, Sozialdemokratie in ihren vielen Schattierungen, die „Wende“ 1989, die „Wendehälse“, Christa Wolf Ende 1989 – aber das war alles mal, mag für Historiker, Soziologen, Politiker interessant sein, nicht aber für einen Sprachwanderer.

Die abschließenden Gedanken von Jens Helbig sollte ich aber doch notieren; denn sie gehören nicht in die Vergangenheit, sondern haben ihre Bedeutung heute und morgen:

Die Geschichte des Opportunismus „lenkt den Blick auf eine Frage, die in einer komplexer werdenden Welt immer dringlicher wird und einfache Antworten ausschließt. die nach dem rechten Maß. Eine wirksame Politik wir denn auch nicht ohne die maßvolle Portion Opportunismus auskommen…“

Bleibt nur eine Frage: Was ist maßvoll?
21. 09. 2015

Späte Erfüllung


Franz Josef Strauss hat sich die Atombombe gewünscht und nicht bekommen, jedenfalls nicht ganz. Die USA haben sie uns zwar in den 1950er Jahren ins Nest gelegt, aber wir durften nicht ran an sie. Das behielten sich die US-Präsidenten vor.

Nun endlich, nach einigen Jahrzehnten, scheinen wir einen Schritt voranzukommen. „Die USA wollen 20 moderne Atombomben in der Eifel stationieren.“ Schreibt das Hamburger Abendblatt heute, am 23. September 2015, auf Seite 5.

Na ja, es liegen da schon welche, sie sollen nun gegen die ganz moderne Version B61-12 ausgetauscht werden. Technische Wehrertüchtigung wird das genannt. Die 13-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe soll die B16-12 haben. Als wenn die von Hiroshima nicht „genügt“ hätte.

Der noch explosivere Inhalt dieser Abendblatt-Meldung verbirgt sich in zwei Worten: „Atomare Teilhabe“. Machen wir uns klar, was das heißt:

Wenn die Bomben eingesetzt werden sollen – worüber der US-Präsident befindet, dann sollen sie von deutschen Piloten in die Ziele gebracht werden. Deutschland wird also teilhaben an dem zu erwartenden Inferno. Deutschland wird mitmachen, sagt es klarer. Deutschland macht sich mitschuldig, sagt es unmissverständlich. „Die Bundesregierung hat ihren Widerstand gegen die Aufrüstung aufgegeben.“ – so das Hamburger Abendblatt.

Der Bundestag hat zuletzt 2010 mit Mehrheit gegen die Atomwaffenstationierung gestimmt. Und die Bundesregierung, Kanzleramt und Verteidigungsministerium? Da heißt es „sinngemäß“:

Ohne technisch hochwertige Raketen könne die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung nicht gewährleistet werden. Ein Einsatz von Nuklearwaffen ist im Grunde nur eine theoretische Option – Atombomben dienen mehr zur Ab-schreckung. Nicht mehr als der erhobene Zeigefinger, schlimmstenfalls die geballte Faust? Wenn es das doch nur wäre!

Die Missachtung des Parlaments ist ein Skandal. Fast noch skandalöser ist die Argumentation des SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold. Er ist, wie angeblich die Bundesregierung, eigentlich für einen Abzug der Nuklearwaffen. „Doch unsere Nato-Partner sind derzeit dagegen – gerade vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts“, sagt Arnold, und weiter: „Wir leben nun mal in einer Welt, in der wir alle aufeinander angewiesen sind.“ Richtig. Aber sind das westliche Europa und Russland nicht auch aufeinander angewiesen? Sind sie bereit, sich gegenseitig umzubringen?

Bitte jetzt nicht ungläubig gucken und die Augen reiben: Ist es abwegig, hier an die neuesten KZ-Prozesse in Deutschland zu denken? Eine heute 91-jährige Frau hat vor 71 Jahren als sogenanntes „Blitzmädchen“ einige Monate in einem KZ als Funkerin Dienst gemacht. Jetzt wurde sie wegen Beihilfe zum Mord in zig tausend Fällen angeklagt. Hat sie sich freiwillig gemeldet? Vielleicht sogar mit der Absicht, jüdische Menschen umzubringen? Das wurde bisher nicht gefragt.

Fragen aber wird man – wenn überhaupt noch jemand da sein wird, der Fragen stellen kann: Haben Sie mitgemacht – ja oder nein? Und warum haben Sie mitgemacht? Weil alle anderen dafür waren? Dann werden Sie jetzt wegen Beihilfe zum Mord in millionen Fällen verurteilt.

Im Falle eines Falles könnte es der Bundesregierung und Herrn Arnold so gehen.  Aber dieser Fall ist unwahrscheinlich; denn dann ist alles Asche und vielleicht sogar nur hier und da der Schatten eines Menschen, in die Erde gebrannt, wie 1945 in Hiroshima.

Die Welt der Lüge

Kaum eine unserer vielen Welten ist so spannend und so verwirrend wie die Welt der Lüge. An sich soll man nicht lügen. aber wir tun es immer wieder und manchmal ist das fürs Zusammenleben auch günstig, fast könnte man sagen: notwendig. Für diese notwendigen Lügen haben wir sogar ein besonderes Wort: die Notlüge. Bei dieser Art von Lüge trägt niemand einen Schaden davon. Alle leben dank der Notlüge weiter friedlich zusammen, niemand ist gekränkt. So gesehen ist die Notlüge eine gute Lüge.

Und die schlechte Lüge? Das ist die, die bestraft werden muss. Jedes Kind weiß das. Früher bekam man für eine Lüge ein paar hinter die Ohren, wenn es gut ging, wurde man in die Ecke gestellt und musste sich schämen. Ich weiß nicht, wie Eltern heute mit den Lügen ihrer Kinder umgehen. Aber das ist Privatsache.

Nicht privat sind die Lügen, mit denen sich beispielsweise Unternehmen Vorteile verschaffen wollen. Und mit Not haben diese Lügen auch nichts zu tun, wie folgendes Beispiel zeigt (Bericht Hamburger Abendblatt, 17. 09. 2015):

Procter & Gamble wirbt für seinen Weichspüler Lenor mit dem Hinweis, dass damit „30 Prozent mehr Wäschen pro Liter“ möglich sind. Das stimmt sogar. Und trotzdem ist es eine Lüge. Procter & Gamble hat nämlich mit Einführung des verbesserten Konzentrats die Füllmenge pro Flasche Lenor von 1200 Milliliter auf 950 Milliliter gesenkt.

Der Haken bei der Geschichte: „Jeder durchschnittlich informierte Verbraucher wird das neue Produkt mit dem alten vergleichen und vermuten, des 30 Prozent mehr Waschladungen pro Flasche enthält. Tatsächlich sind es nur gut zehn Prozent mehr Wäschen.“ Dieser Ansicht der Verbraucherzentrale Hamburg hat sich das Landgericht Frankfurt angeschlossen.

Procter & Gamble hat zwar auf die Bezugsgröße „pro Liter“ hingewiesen, aber in einer viel kleineren Schriftgröße. „Trickserei“, wie die Verbraucherzentrale sagt? Für mich gehört das in die Abteilung Lug und Betrug, also Lüge.

Gegen das, was sich sich Volkswagen mit der Softwaremanipulation von Diesel-motoren geleistet hat, könnten wir die Procter & Gamble-Geschíchte in die Schublade „peanuts“ stecken. Aber das sollten wir nicht tun. Betrug ist Betrug und Lüge ist Lüge, jedenfalls wenn es um Gier und nicht um Not geht. Dafür haben wir ja die Notlüge.

Volkswagen lügt und betrügt nach Strich und Faden. Es geht um einen Milliar-denbetrug, um eine Milliardenlüge.

Was da gemacht wurde, kann ja nicht im Verborgenen geschehen sein. Jemand hat das so gewollt, hat es angeordnet und zig Mitarbeiter haben mitgemacht. Fliegen jetzt die Fetzen? Kommt das reinigende Gewitter?

Allzuviel Hoffnung sollten wir uns nicht machen, selbst wenn in Wolfsburg aufgeräumt werden sollte, was ja noch nicht feststeht.

Zumindest die deutschen Automobilhersteller dürften tiefer in der Tinte stecken, als wir bisher ahnten. Wie das? Ganz einfach so: Die Testverfahren, die sie zum Beispiel in Sachen Schadstoffminimierung anwenden, haben mit der Fahrpraxis so gut wie gar nichts zu tun. Das kennen wir alle ja schon in Sachen Spritverbrauch. Der wir heruntergerechnet bis zum Gehtnichtmehr.

Hier aber ist es noch schlimmer. Die von den Fahrzeugherstellern gemeldeten Computerwerte werden nicht etwa in der Praxis geprüft, es wird nur untersucht, ob die Computerberechnungen korrekt sind.

Ist das nur eine kleine Nachlässigkeit? Nein, das ist der nächste Skandal. Denn in Wirklichkeit werden die Angaben der Fahrzeughersteller nicht mit Praxiwerten verglichen. In aller Kürze: Die Fahrzeughersteller prüfen sich selbst. Am Ergebnis kann kein Zweifel herrschen: Betrug!

Den Weg für diese Betrügerei hat die automobilindustriehörige (tolles Wort – 24 Buchstaben!) deutsche Politik alles so flach gelegt, dass sogar wirklich flachgelegte Monstergeschosse noch in irgendeine umweltfreundliche Kategorie passen.

So, nun reicht’s, wenigstens für den Augenblick. Die VW-Geschichte wird weitergehen.
22. 09. 2015

Dienstag, September 15, 2015

Immer wieder aufs Neue: Sprachlos!

Was vor allem Politiker von sich geben,  verschlägt mir immer wieder  die Sprache. So spricht Thomas Strobl, CDU, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU- Bundestagsfraktion von „asylfremden“ Ländern. Asylfremd – ein ganz neues Wort. Eins mit tückischem Inhalt, ein Wort wie Gift!

Herr Strobl sagt in seinem verschwurbelten Politikerdeutsch: Unsere bitterarmen Nachbarn im Balkan sollen gefälligst zu Hause bleiben.  Armut gibt kein Recht auf Asyl. Das stimmt. Jeder Jurist wird das bestätigen. Das macht die Sache ganz besonders schlimm.

Fragt sich hier niemand, was er tun würde, wenn seine Kinder vor Hunger nicht in den Schlaf kommen, wenn seine Kinder nicht lesen und schreiben und rechnen lernen können, wenn sie dumm und arm  und „der letzte Dreck“ bleiben?

Jeder von uns würde sich seine Kinder greifen, um aus dieser Aussichtslosigkeit zu flüchten – über alle Grenzen hinweg.

Was machen wir? Viele von uns stimmen Herrn Strobl zu, machen die vor hoffnungsloser Armut Flüchtigen zu Asylfremden, zu Menschen ohne Recht auf Menschlichkeit, ohne Recht auf alles das, was wir für selbstverständlich halten – wenn es um uns geht.

Wir sind uns selbst die Nächsten – fern von dem Himmel, in dem so viele die ewige Seligkeit suchen. Wir werden sie nicht finden, die Seligkeit, wenn wir nur uns nahe sind, und nicht den anderen.

Zurück, herunter aus himmlischen Gedanken: Vergiften wir unser Zusammenleben nicht mit dieser ungehörigen Zweiklassengesellschaft!
13. 09. 2015

Was uns Deutschen fehlt

Gestern Abend habe ich mir im NDR-NORD  die „Last night oft the Proms“ der BBC angesehen. Wie in den vielen Jahren zuvor, war ich auch diesmal begeistert. Da geht einem das Herz auf. „Rule, Britannia, Britannia, rule the waves…“Gefühl vor allem und Verstand hinterher. Das muss nicht verkehrt sein.

Keine Frage: Gefühle sind dem Verstand überlegen. Gefühle kennen kein Wenn und Aber, sie beherrschen uns. Die „Last night of Proms“ sind ein besonders über-zeugender Beweis.

Die Macht der Gefühle ist überwältigend, aber wir sollten den Verstand nicht zu kurz kommen lassen – auch wenn es schwierig ist, hier immer wieder das Gleichgewicht zu finden.

So unbefangen und begeistert die Briten ihr „Rule, Britannia“ singen, so verklemmt gehen wir Deutsche mit einer Zeile unserer Nationalhymne um, einer Zeile, die inzwischen nicht mehr dazu gehört: „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt.“

Nicht nur die Nazis haben haben dieser Zeile unterstellt, was sie gar nicht meinte. Gemeint war nicht die Weltherrschaft, nach der die Nazis strebten, gemeint war der Wunsch, mit dem Flickenteppich der vielen kleinen deutschen Königreiche, Herzog-tümer, Grafschaften und so weiter. Alle sollten sich zuerst als Deutsche empfinden
und danach in Gottes Namen auch als Bayern, Württemberger, als Untertanen des sächsischen Königs.

Hier wurde ein Missverständnis missbraucht, so gründlich, dass wir die Sache nicht mehr in Ordnung bringen können. Oder wie ist es mit den sechs Millionen Juden, die im Namen Deutschlands ermordet wurden?

Lassen wir es also. Trotzdem halte ich es für sinnvoll, gelegentlich über dieses Missverständnis nachzudenken und darüber zu sprechen. Das gebietet allein die Ehrlichkeit, die wir dem Autor dieser Zeile, Hoffmann von Fallersleben, schuldig sind.

Sprachkrittelei, die soundsovielte

„Wer viel ließt, ist schlauer“ schrieb vor Jahr und Tag die Badische Zeitung. Da waren die Sprachreformen eins und zwei noch nicht verdaut. Ob man durch viel Lesen schlauer wird, will ich mal dahingestellt sein lassen. Eine gewisse Anregung nachzudenken, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen.

Das Wörtchen Majortitel, heute, am 15. September 2015 im Sportteil des Hamburger Abendblatts, zu lesen, lässt die Gedanken spazieren gehen.  Majortitel? Generaltitel? Hauptmanntitel? Nein, hier geht es nicht ums Militär. Hier geht es schlicht um Faulheit des Redakteurs. „major title“, hat er sich nicht getraut zu schreiben, obgleich er bestimmt wie viele seiner Kollegen die englische Sprache zu gern ausplündert. Gemeint war schlicht und ergreifend der Gewinn eines international bedeutenden Tennisturniers.

Wer von uns hat schon mal was versickert – ja, versickert, nicht versichert? Ich bin sicher: niemand. Einem Hamburger Abendblatt-Redakteur scheint das jetzt gelungen zu sein; denn er schreibt: „…das Wasser wird versickert.“

Lieber Redakteur, lassen Sie mal Ihren Sprachunfug versickern, bevor Ihnen die Sache bis zum Hals steht.

Selbstverständlich durfte heute auch die After Work Party nicht fehlen. Schon mal was von Feierabend gehört? Feierabend klingt so nach Pantoffeln, nach alten Leuten? Heute trägt man Sneakers? Ach so, das ist es. Es gibt keine alten Leute, es gibt nur noch Best Agers.

Also, was ist? Schlagt uns doch nicht jedes deutsche Wort tot! Menschen im besten Alter geht doch auch.

Kleine Unterschiede, kleine Bereicherung. Wenn jemand gegen Treu und Glauben handelt, dann sprechen wir von Veruntreuung. Ein schreckliches, verachtendes, kaltes Wort – zu recht.
Die Schweizer nennen das ungetreue Geschäftsbesorgung.  Das klingt im ersten Augenblick richtig gemütlich, als wäre das gar nicht so schlimm. In Wirklichkeit ist dieser Ausdruck genauer. Aus der weltenweit entfernten, „rein sachlichen“ Bezeichnung Veruntreuung wird etwas, hinter dem Menschen stecken, Menschen, die etwas getan haben, was sie nicht hätten tun sollen. Vielleicht ein Anlass, sich nicht immer hinter Sachen zu verstecken, die alles anonym machen und mehr unsere Unzulänglichkeiten beim Namen zu nennen. Ich finde, den Schweizern gelingt das hier vorzüglich.
15.  09. 2015

Freitag, September 11, 2015

Kauderwelsch

Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion in diesen Tagen In einer Diskussion zur Privatisierung von Polizeiaufgaben: Alle Regelungen müssten zeitnah finalisiert werden.“ Zeitnah finalisiert! Was für ein Deutsch! Alles muss umgehend erledigt werden – bitte, Herr Kauder, kein Kauder-Welsch mehr, sondern alles ganz einfach und gut verständlich.

Zugegeben, Herr Kauder ist mit seinem Welsch nicht allein. Die Übertragung von Polizeiaufgaben an private Dienstleister nennen unsere Beamten und Juristen „Beleihung von Privaten“. Kauder nicht allein beim Verhunzen unserer Sprache, was die Sache nicht besser, sondern nur noch schlimmer macht.
11. 09. 2015

Sonntag, September 06, 2015

Die Geschichte vom armen Wasserhahn

Es war einmal ein Wasserhahn, der  fühlte sich einsam und verlassen. Er wurde so traurig, dass ihm die Tränen kamen und er nicht mehr aufhören konnte zu weinen. Die Herrschaften sagten „der Wasserhahn tropft“ und holten einen Klempner.

Es dauerte aber nicht lange, da weinte der Wasserhahn wieder. Ein glücklicher Zufall fügte es, dass eine kleine Wasserfee vorbei kam und fragte: „Wasserhahn, warum weinst du?“

„Ich weine, weil ich so einsam bin. Jeder Hahn sehnt sich nach einer Wasserhenne, aber weit und breit ist keine zu sehen. Vielleicht gibt es gar keine.“

Die kleine Wasserfee überlegte einen Augenblick und sagte dann: „Ich glaube, ich kann dir helfen. Überall auf dem Wasser schwimmen doch Wasserhühner herum. Vielleicht kann ich ein Wasserhuhn überreden, zu dir zu ziehen.“

„Liebe gute Fee“. schluchzte da der Wasserhahn, „das habe ich schon so oft versucht,  aber es hat sich nie eins gemeldet. Vielleicht ist der Weg zu weit.“

Wieder überlegte die kleine Wasserfee einen Augenblick. Dann sagte sie: „Ich habe die Lösung. Ich besorge dir eine Wasserhähnin. Das ist eine ganz neue Züchtung, die von den fortschrittlichsten aller Feministinnen in die Welt gesetzt wurde. Das sind die, die Koffer jetzt Koffa schreiben und Computer Computa. Bestimmt haben die eine Hähnin für dich.“

Unser Wasserhahn hörte nicht auf, zu weinen. Aber diesmal waren es Freuden-tränen, Tränen der Vorfreude. 

Die Herrschaften werden wieder den Klempner rufen. Wer unsere Sprache liebt, wird hoffen, dass er diesmal Erfolg hat und den Wassa-Hahn abdichtet.

Ein Hauch von Selbstkritik

Meine „Tagebuch“-Notizen lassen keinen Zweifel: Ich habe an vielem etwas auszusetzen, zu bemäkeln, zu kritisieren. Und das mache ich dann. Die Kritiken fallen unterschiedlich aus: mal milde und verständnisvoll, mal bissig und gnadenlos.

Wenn zum Beispiel der Bundestagsabgeordnete Charles M. Huber behauptet, „Alle dunkelhäutigen Menschen fühlen sich von der Bezeichnung Neger beleidigt“, dann mag er das glauben. Aber es stimmt nicht. Der Neger Roberto Blanco hat ihm widersprochen. Herr Charles M. Huber spielt sich nur auf, und deshalb nenne ich ihn einen Klugscheißer. Eine milde Kritik, finde ich – nicht bissig, nicht gnadenlos. Aber beleidigt wird der Herr schon sein.

Am AfD-Fraktionsvorsitzenden Kruse in der Hamburger Bürgerschaft habe ich etwas ganz anderes auszusetzen. Wie viele Politiker möchte er offensichtlich drastisch, plastisch, bildhaft sprechen, um damit Eindruck zu machen. Das führt dann zu sehr merkwürdigen Äußerungen, zu lächerlichen, dümmlichen Formulierungen wie hier: „Wir haben doch eine Konsenssoße bei dem Thema Flüchtlinge, da muss man manchmal hineingrätschen.“ Großartig. Machen Sie mal, Herr Kruse. Das wird tüchtig spritzen. Da muss anschließend so manches in die chemi-sche Reinigung, um die Konsenssoßenspritzer zu beseitigen.

(Wie, lieber Herr Kruse, wäre es so: „Beim Thema Flüchtlinge werden alle Argumente in einen Topf geworfen und so lange verrührt, bis das Ganze eine ungenießbare Soße geworden ist. Da machen wir nicht mit.“ Das wäre dann bildlich wenigstens in Ordnung.)

Schnell noch dies: Wie verquast sich Politiker ausdrücken, auch PolitikerInnen, hat uns Frau Merkel vor ein paar Tagen vor Augen geführt und um  die Ohren gehauen: „ Nicht erkennbare Bleibeperspektive.“ In schlichtes Deutsch übersetzt: „Ich weiß nicht, ob ich bleiben darf. Ich habe keine Ahnung, ob ich bleiben darf. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt Aussichten habe.“

Liebe Frau Merkel, wollen Sie sich nicht endlich darum bemühen, das sprachliche Niveau Ihrer Mitbürger zu erreichen, aufzusteigen und nicht länger tief unten im finsteren Sprachkeller der Politik zu bleiben? Einfach mal begreifen, dass auch eine Hartz-4-Frau so wie Sie zwei Beine hat, zwei Arme, einen Kopf zum Denken und ein Herz zum Fühlen? (In welche Kategorie fällt diese Kritik?)

Jetzt zu einer ganz anderen Kritikabteilung: „Hamburgs Wirtschaft stellt sich klar hinter Olympia-Bewerbung“ – so das Hamburger Abendblatt heute, am 4. September 2015 auf Seite 21. 69 Prozent der Mitglieder der Handelskammer haben sich in einer repräsentativen Umfrage für die Olympischen Spiele 2024 in Hamburg ausgesprochen. Was habe ich daran auszusetzen? Gibt es da überhaupt etwas zu kritisieren? Eigentlich nicht viel, aber etwas Wesentliches:

Die Olympischen Spiele sind kein Sportereignis, sondern eine Geldmaschine. Es geht, um Milliarden, um Geld für das IOC, die Funktionäre und die Wirtschaft. Böse gesagt: Die Olympischen Spiele sind entarteter Sport, die Sportler Marionetten, und die Städte, die Olympische Spiele ausrichten, bleiben auf Milliardenschulden sitzen. Rom stottert noch heute die Schulden von 1960 ab.

Ich finde: Die Wirtschaft sollte die Finger von den Olympischen Spielen lassen, genau so wie die Poliltik. Die Dinge stehen Kopf und sollten endlich wieder auf die Füße gestellt werden, wie es in einem Leserbrief im Hamburger Abendblatt zu lesen war:

„Vom Kopf auf die Füße. (22./23. August: ‚Olympia: Behörden widersprechen Rechungshof) Die Auseinandersetzung zwischen Rechnungshof und Behörden erscheint mir teils lächerlich, teils ernst zu nehmen. Beide Parteien sprechen besonders engagiert über ungelegte Eier. Aber wenn die erst mal im Nest liegen? Wer zahlt, und wieviel? Ernst zu nehmen ist sicherlich der Hinweis des Rechnungshofs, dass bisher noch jede ‚Olympia-Stadt’ draufgezahlt hat und auf Schulden sitzen geblieben ist. Das IOC kassiert Millionen, und die ‚Olympia-Städte’ stottern ihre ‚Olympia-Schulden’ jahrzehntelang ab wie Rom seit den Spielen 1960. – Wie wäre es, die Sache endlich mal vom Kopf auf die Füße zu stellen? Warum müssen sich Städte um die Ausrichtung einer Olympiade bewerben? Es wäre doch viel einleuchtender, wenn sich das IOC bei den Städten bewerben würde. Das würde dann beispielsweise so aussehen: IOC an Hamburg: ‚Hallo, Hamburg, die nächsten Olympischen Spiele würden wir gern in Hamburg, in eurer großartigen Stadt austragen. Könnt Ihr uns schon mal mitteilen, wie viel wir schätzungsweise dafür zahlen müssten?’ Peter Gudelius, Quickborn.“

Natürlich lässt sich diese Maschinerie, dieser Unsinn (Wahnsinn?) nicht aufhalten. Aber wir sollten uns wenigstens darüber klar sein, worum es geht: GELD. Klar, dass da auch die Hamburger Wirtschaft für die Olympiade ist. Sie zahlt ja nicht dafür, sondern kassiert. Die Bürger der Frohen und Hanselstadt Hamburg blechen.
 

Zurück in die Schule!

Wie ist das bei Klassenarbeiten? Abschreiben ist nicht erlaubt. Das war schon immer so und sollte auch so bleiben. Diese Regel sollten wir schleunigst auch außerhalb der Schule einführen. Was der Duden uns vorschreibt, sollten wir nicht unbesehen nachschreiben, was ja nichts anderes ist als abschreiben. Und von selbsternannten Sprachwächterx, so würden die Humboldt-Feministinnen wohl schreiben, mal ganz abgesehen.

Also: Nicht abschreiben, nicht nachplappern. Selbst denken und, wenn alle Stricke reißen, sich auf Goethe und Schiller berufen. Lieber deren Chaos als die Befehle „die Buchstaben rechts!“, „die Buchstaben links!“ – so wie es der militärische Gehorsam verlangt.

Na gut, nicht das totale Chaos. Aber bitte zurück zum Prinzip des ersten Duden: kein Wenn und Aber, sondern so und nicht anders. Zwischen richtig und falsch ist kein Platz.

DUDEN, DUDEN über alles

Der gute Konrad Duden hat etwas Gutes stiften wollen, und das ist ihm auch gelungen. Er hat Ordnung in Rechtschreibung und Grammatik gebracht. So wusste lange Zeit jeder, wie er ordentlich mit der deutschen Sprache umgehen sollte. Dass das so gut wie niemandem fehlerlos gelang, lag  nicht an Konrad Duden.

Das Dumme ist nur: Irgendwann, lange nachdem Konrad Duden das Zeitliche geseg-net hatte, war es mit der Duden-Eindeutigkeit, mit den Vorschriften, von denen nicht abgewichen werden sollte, vorbei. Der Grund, den ich vermute: Da war inzwischen ein Unternehmen entstanden, dem es nicht nur um Rechtschreibung ging, sondern auch darum, ein einträgliches Geschäft zu betreiben. Die Vielzahl der Duden-Bücher in all ihren Variationen spricht dafür: Einen Duden für dies, einen Duden für das und noch einen Duden für was anderes usw.

Das mag noch bis zu einem bestimmten Punkt, der mir inzwischen überschritten zu sein scheint, berechtigt sein. Nicht in Ordnung finde ich, dass der Duden inzwischen  auch falsches Deutsch legalisiert, in dem die Redaktion es für umgangssprachlich erklärt. So ist auch „gewunken“ inzwischen Duden-erlaubt, sogzusagen – geadelt.

Ich habe das bis zur Lektüre des aktuellen STERN (03. 09. 2015) für den Höhepunkt dieses Unsinns gehalten. Ich habe micht geirrt. Um diesen Irrtum zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen.

Da gibt es die Frau Dr. Sibylle Hallik. Sie arbeitet im Bundestag und „beantwortet der Politik alle Fragen zum Amtsdeusch“. Wirklich alle“ – so der Bericht von Laura Himmelreich.

Bevor ich notiere, was Frau Hallik macht, will ich kurz festhalten, wie es zu ihrer Arbeit kam. Das war so: 1965 regte sich der SD-Abgeordnete Konrad Porzner über ‚stilistische Grobheiten’ und ‚barbarische Missbildungen’ im damals neu verfassten Raumordnungsgesetz auf. Minutenlang wetterte er im Plenum über Formulierungen wie ‚raumbedeutsame Maßnahmen’ und ‚versorgungsmäßige Aufschließung’. Der SPIEGEL druckte die Rede auf zwei Seiten unkommentiert ab. Da beschloss der damalige Bundestagspräsident, ‚dass es an der Zeit ist, der deutschen Sprache ein Büro im Parlament einzrichten. Das ist lange her.

Was macht Frau Hallik heute? Sie macht weiter, was 1965 begonnen wurde. Sie versucht, Wörter wie Verkehrswegeplanungbeschleunigungsgesetz aus der Welt zu schaffen. Ob ihr das gelungen ist?

Frau Hallik setzt auch die Tradition des Freiherrn von Knigge und Erica Pappritz, der Anstandsdame der jungen Bundesrepublik, fort. So schreibt sie in ihrem 169-seitigen „Ratgeber für Anschriften und Anreden“, dass Briefe an die Kanzlerin nie „mit freundlichen Grüßen“ enden sollten. Sie empfiehlt zwei Alternativen: „mit ausgezeichneter Hochachtung“ oder „mit vorzüglicher Hochachtung“. Sie ist also nicht wie die Kanzlerin in die Alternativlosigkeit verliebt.

Vor allem aber scheint sie sich mit politisch korrekter Sprache zu beschäftigen. Die von Laura Himmelreich genannten Beispiele deuten darauf hin. Frau Hallik rät Politikern und deren Mitarbeitern, statt von ‚geistig Behinderten’ von ‚Menschen mit Lernschwierigkeiten’ zu sprechen. Und weil das Wort ‚Farbiger’ an die Kolonialzeit erinnert (wer weiß heute eigentlich, was Kolonialzeit war?), empfiehlt sie ‚Schwarzer’. Da haben wir schon wieder die Neger-Diskussion – man könnte sich schwarz ärgern.

Und dann die gendergerechte Sprache. Die Polizei, deine Freundin und Helferin? Die Streitkräfte als Arbeitgeberin? Da zitiert Frau Hallik Duden Band neun. Es gibt keine feste Regel, alles ist möglich. Frau Hallik sagt: ‚Ich empfehle, was die Sprachgemeinschaft akzeptiert hat’, (also auch ‚gewunken).

Ich finde, das ist eine sehr lebenskluge Einstellung. Sie bringt uns zu unseren Klassikern Goethe und Schiller zurück. Die schrieben, wie sie es für richtig hielten. Konrad Duden stand ihnen noch nicht im Weg. Die Duden-Redaktion gibt unseren Klassikern recht: Schreibt wie sie, so wie ihr wollt. Das will ich auch den Damen einer feministischen Arbeitsgruppe der Berliner Humboldt-Universität zubilligen. Sollen sie Computer ruhig Computa schreiben und Koffa statt Koffer und so weiter. Sie sollen nur nicht versuchen, den Duden zu spielen. Der hat ausgespielt. Und die meiner Meinung nach überkandidelten Damen der Humboldt-Universität werden hoffentlich nie richtig ins Spiel kommen. Aber man weiß ja nie. Sicherheitshalber will ich mir einen kleinen Nachsatz erlauben:

Sprachpflege

Die Sprache ist wie ein Garten. Sie ist lebendig. So wie im Garten wächst auch in der Sprache so Allerlei, blüht und verblüht, zeigt seine ganze natürliche Schönheit, bringt Neues hervor, lässt Altes verdorren, und so manches ist im Garten wie in der Sprache unerwünscht, weil es das Schöne überwuchert und unterdrückt. Da ist der Gärtner gefragt, hier wie da.

Heute soll nicht gleich zu grobem Werkzeug gegriffen werden, einige Fingerzeige im Sprachgarten sollen genügen. Jeder mag dann sehen, wie er damit umgeht.

Es mag sein, dass sich unter einem Amtsvormund die meisten Menschen einen Mann vorstellen, aber dass der Amtsvormund auch eine Frau sein kann (dass die Amtsvormundschaft auch von einer Frau ausgeübt werden kann und ausgeübt wird), wissen inzwischen viele, und es werden immer mehr. Da fragt es sich, ob Amtsvormünderin (neulich zu lesen im Hamburger Abendblatt) nicht zu den Blüten in unserem Sprachgarten gehört, die eher unwillkommen sind.

Was sonst noch in diesen Tagen bei der Lektüre der Zeitungen auffiel? Da wäre das Wörtchen Lernstandsentwicklungsgespräch, ein typisch deutsches Sprachge-wächs. Ein Gespräch, in dem ein Lernstand entwickelt wird? Und was ist ein Lernstand? Etwa eine Sprachfrittenbude?  In unserer Sprache sollte uns nicht alles Wurst sein.

Mit dem Wort Zeitraum können wir gut umgehen. Mit dem Zeitfenster ist es schwieriger, aber es plappert sich so leicht dahin, ist vermeintlich bildhaft. Wirklich?  Fenster kann man öffnen, schließen, man kann sie putzen – aber verpassen? Ein Zeitfenster verpassen? Ein Politiker warnte neulich davor. Wer von uns hat schon mal ein Fenster verpasst? Schon mal ausprobiert? Nicht auzudenken, wenn jemand auf den Gedanken kommt, die Scheibe eines Zeitfensters einzuschlagen. Das dürfte zu einem Scherbengericht sondergleichen führen.

Kritischer wird es, wenn Mietpreise nicht mehr verlangt, sondern aufgerufen werden. Aufrufen statt verlangen. Aufrufen statt fordern. Schon mal von politischer Korrektheit gehört?

Noch einmal zurück zum Sprachgarten. Muss wirklich jedes ausländische Pflänzlein hinein? Vieles ist eine Bereicherung, noch mehr ist überflüssig und störend, weil es einfache deutsche Wörter überwuchert, bis sie einem nicht mehr einfallen. (Wie haben wir das denn früher genannt?) Foodtruck ist so ein Wort. Glücklicherweise wurde Imbisswagen gleich mitgeliefert. Wie wir sehen: Es geht doch.