Mittwoch, September 23, 2015

Späte Erfüllung


Franz Josef Strauss hat sich die Atombombe gewünscht und nicht bekommen, jedenfalls nicht ganz. Die USA haben sie uns zwar in den 1950er Jahren ins Nest gelegt, aber wir durften nicht ran an sie. Das behielten sich die US-Präsidenten vor.

Nun endlich, nach einigen Jahrzehnten, scheinen wir einen Schritt voranzukommen. „Die USA wollen 20 moderne Atombomben in der Eifel stationieren.“ Schreibt das Hamburger Abendblatt heute, am 23. September 2015, auf Seite 5.

Na ja, es liegen da schon welche, sie sollen nun gegen die ganz moderne Version B61-12 ausgetauscht werden. Technische Wehrertüchtigung wird das genannt. Die 13-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe soll die B16-12 haben. Als wenn die von Hiroshima nicht „genügt“ hätte.

Der noch explosivere Inhalt dieser Abendblatt-Meldung verbirgt sich in zwei Worten: „Atomare Teilhabe“. Machen wir uns klar, was das heißt:

Wenn die Bomben eingesetzt werden sollen – worüber der US-Präsident befindet, dann sollen sie von deutschen Piloten in die Ziele gebracht werden. Deutschland wird also teilhaben an dem zu erwartenden Inferno. Deutschland wird mitmachen, sagt es klarer. Deutschland macht sich mitschuldig, sagt es unmissverständlich. „Die Bundesregierung hat ihren Widerstand gegen die Aufrüstung aufgegeben.“ – so das Hamburger Abendblatt.

Der Bundestag hat zuletzt 2010 mit Mehrheit gegen die Atomwaffenstationierung gestimmt. Und die Bundesregierung, Kanzleramt und Verteidigungsministerium? Da heißt es „sinngemäß“:

Ohne technisch hochwertige Raketen könne die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung nicht gewährleistet werden. Ein Einsatz von Nuklearwaffen ist im Grunde nur eine theoretische Option – Atombomben dienen mehr zur Ab-schreckung. Nicht mehr als der erhobene Zeigefinger, schlimmstenfalls die geballte Faust? Wenn es das doch nur wäre!

Die Missachtung des Parlaments ist ein Skandal. Fast noch skandalöser ist die Argumentation des SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold. Er ist, wie angeblich die Bundesregierung, eigentlich für einen Abzug der Nuklearwaffen. „Doch unsere Nato-Partner sind derzeit dagegen – gerade vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts“, sagt Arnold, und weiter: „Wir leben nun mal in einer Welt, in der wir alle aufeinander angewiesen sind.“ Richtig. Aber sind das westliche Europa und Russland nicht auch aufeinander angewiesen? Sind sie bereit, sich gegenseitig umzubringen?

Bitte jetzt nicht ungläubig gucken und die Augen reiben: Ist es abwegig, hier an die neuesten KZ-Prozesse in Deutschland zu denken? Eine heute 91-jährige Frau hat vor 71 Jahren als sogenanntes „Blitzmädchen“ einige Monate in einem KZ als Funkerin Dienst gemacht. Jetzt wurde sie wegen Beihilfe zum Mord in zig tausend Fällen angeklagt. Hat sie sich freiwillig gemeldet? Vielleicht sogar mit der Absicht, jüdische Menschen umzubringen? Das wurde bisher nicht gefragt.

Fragen aber wird man – wenn überhaupt noch jemand da sein wird, der Fragen stellen kann: Haben Sie mitgemacht – ja oder nein? Und warum haben Sie mitgemacht? Weil alle anderen dafür waren? Dann werden Sie jetzt wegen Beihilfe zum Mord in millionen Fällen verurteilt.

Im Falle eines Falles könnte es der Bundesregierung und Herrn Arnold so gehen.  Aber dieser Fall ist unwahrscheinlich; denn dann ist alles Asche und vielleicht sogar nur hier und da der Schatten eines Menschen, in die Erde gebrannt, wie 1945 in Hiroshima.