Dienstag, März 28, 2017

"Pioniere der Ausbeutung"

So bezeichnet DIE ZEIT in ihrer Ausgabe vom 23. März 2017 Wal-Mart und Amazon. Diese Handelsriesen haben nach diesem Bericht die amerikanische Wirtschaft aus dem Gleichgewicht gebracht.  Hinzugefügt werden muss: nicht nur die amerikanische Wirtschaft.

Waren früher die Händler die Dienstleister der Hersteller, hat Wal-Mart den Spieß umgedreht. Procter & Gamble machen 14 % ihres Umsatzes mit Wal-Mart, bei Pepsi sind es 13 %, bei Kellogs sogar 20 %. Das schafft Abhängigkeit. Entsprechend rigoros behandelt der Handelsriese seine Lieferanten – bis hin zu den Preisen. Die können gar nicht niedrig genug sein, weshalb Wal-Mart begann, in Billiglohnländern, z.B. in China, in großem Stil einzukaufen. Das setzte die US-Hersteller so unter Druck, dass sie anfingen, ihre Produktion in eben diese Länder zu verlagern. Eine der Folgen: Arbeitsplatzverluste in den USA, geringere Löhne in den USA. Ein kurioser Teufelskreis: Wal-Mart sorgt mit seiner Politik für niedrige Preise, gleichzeitig aber auch für geringere Löhne. Die sind oft so gering, dass die Menschen auf die niedrigen Wal-Mart-Preise angewiesen sind.

Amazon beschäftigt weltweit 300.000 Mitarbeiter, dazu kommen zig tausende Zeitarbeiter, allein für das Weihnachtsgeschäft in den USA 120.000. Billige Arbeitskräfte und doch auf Dauer gesehen nicht billig genug. Amazon setzt auf Automatisierung. 2012 wurde der führende Spezialist für Lagerhausroboter – Kiva – gekauft. 30.000 Kiva-Roboter sparen dem Unternehmen mehrere Milliarden Dollar. Und das dürfte erst der Anfang sein.

Das Wichtigste kommt im ZEIT-Bericht nur hintergründig zur Sprache. Nicht nur Wal-Mart und Amazon arbeiten international, die ganze Weltwirtschaft ist globalisiert. Die Politik ist dagegen national orientiert.

Die Staaten betreiben, zumindest was die Wirtschaft angeht, Kirchturmpolitik, Politik auf Schrebergartenniveau. Und so ist die Wirtschaft inzwischen zu bestimmenden Macht geworden, weltweit. Die Politik wurde zum Erfüllungs-gehilfen degradiert. Die Willfährigkeit von Frau Merkel gegenüber der deutschen Automobilindustrie ist nur ein Beispiel dafür. Herr Trump kann es nicht besser. Die Wirtschaft, nicht zuletzt die Finanzindustrie, gibt den Ton an, tanzt den Staaten auf der Nase herum.


Was vornehm Neoliberalismus genannt wird, ist Raubtierkapitalismus. Der frisst jeden Anstand auf, jedes Verantwortungsgefühl und eine Demokratie nach der anderen.

Montag, März 27, 2017

Was zu viel ist, ist zu viel.

Wenn ein Redner sein Publikum mitreißt und am Schluss alle voller Begeisterung aufspringen, schreibt man gern von Standing Ovations. Nach einem hervorragend dargebotenen Theaterstück werden die Darsteller oft mit nicht enden wollendem Applaus belohnt. Je öfter sie sich verbeugen, ihren Diener machen, desto heftiger wird applaudiert. Ist eine bedeutende Person zu ehren, wie zum Beispiel Martin Walser zu seinem neunzigsten Geburtstag, hält eine oft nicht weniger bedeutende Person eine Laudatio. So weit so gut.

Wenn aber das Handelsblatt dem Herrn Wals „laudadiert“, dann geht das zu weit. „Laudadiert“! Was hat sich der Autor dabei gedacht?  Wahrscheinlich nichts.  Und was kommt beim Nichtdenken heraus? In diesem Fall nichts weiter als Angeberei: Seht her, wie gewählt ich mich ausdrücken kann.

Nichts ist so schlimm, dass es sich nicht noch übertreffen ließe. Michael Altmaier gelingt das mit dem Wörtchen „intimidierend“ mühelos. Was er damit meinte? Einschüchternd, abschreckend zum Beispiel Kennt er diese einfachen Wörter nicht?  Doch, doch, gewiss kennt er sie. Er wollte nur Eindruck machen. Das ist ihm bei mir gelungen. Herausgekommen ist ein schlechter Eindruck – vermutlich nicht nur bei mir. (DIE ZEIT, 2. März: „Du bist, was du liest“)

Kinderglauben

Kleine Kinder glauben, dass ein Werkzeug böse sein kann. Der Hammer, weil sie sich damit den Daumen getroffen haben, das Messer, weil sie sich geritzt haben und die Nadel, weil sie sich damit gestochen haben.

Sind wir erwachsen, geben wir ungern zu, dass wir diesem Kinderglauben noch immer anhängen. Mehr noch: Wir bestreiten das. Dabei sprechen wir im Brustton der Überzeugung von guten und bösen Computerprogrammen – verkürzt: dass es gute und böse Programme gibt, demzufolge gute und böse Computer. Das stimmt aber nicht.

Auch moderne Werkzeuge – Computertechnologie, die korrekterweise Computertechnik genannt werden sollte – sind weder gut noch böse. Ihre Anwendung, was man damit macht, das kann so oder so sein. Auf diesen Unterschied macht „Algorithm Watch“ und widerspricht damit zu recht der Forderung von Steven Hill, auf digitale  Technologien zu verzichten.

Das Team „Algorithm Watch“  erläutert das an den ADM-Systemen (automated decision making). Damit werden Entscheidungsmodelle in Rechenverfahren übersetzt, um daraus Aktionen oder Handlungsvorschläge abzuleiten. Das dürfte oft vorteilhaft sein, aber nicht immer.

Ein Beispiel: Wenn Menschen von einem ADM-Programm betroffen sind, werden sie nach der Datenspur bewertet, die sie hinterlassen. Die Person wird sozusagen an ihrer Vergangenheit festgenagelt, sie verliert die Bedeutungshoheit über diese Vergangenheit. Darüber bestimmen jetzt die Techniker hinter dem Algorithmus. Das sei zwar legitim, sagt „Algorithm Watch“, wird aber zum Problem, wenn ADM zur einzigen Methode der Beobachtung, Erklärung und Prognose menschlichen Verhaltens wird. Damit wird dem Menschen seine Lernfähigkeit abgesprochen.

Noch einmal, damit wir es nicht vergessen: Nicht das Werkzeug ist „gut“ oder „böse“, sondern das, was wir damit machen.

Gleich noch ein Sprung zur Computergläubigkeit, die dem Kinderglauben sehr ähnelt: Es stimmt zwar, dass sich Computer nie, oder so gut wie nie, irren. Aber sie kennen nur ihr Programm, sie kennen nur die Wahrheit, die man in sie hineingesteckt hat. Deshalb sollten wir dem Computer nicht immer alles glauben. Wahrscheinlich wäre es übertrieben, hier den „gesunden Menschenverstand“ ins Feld zu führen. Ein gutes Maß an gesundem Misstrauen sollte genügen.

(Quelle: DIE ZEIT, 02. 03. 2017)

Donnerstag, März 23, 2017

Lerne lachen, ohne zu weinen

Am 19. März abends im Deutschlandfunk: „Lach doch mal! Gespielte Heiterkeit in ernsten Zeiten“. Eine wirklich hörenswerte Sendung. Immer wieder ging es um den Zwang zu lachen, auch wenn einem gar nicht danach zumute ist. Ein besonders krasses Beispiel:


Während eines Fluges reicht eine Stewardess einem kleinen Jungen, der zusammen mit seiner Mutter reist, ein Getränk. Der Junge bedankt sich. Seine Mutter sagt: „Du brauchst dich bei der Tante nicht zu bedanken. Das ist Dienstleistung.“ Die Stewardess lächelte weiter, aber es tat ihr weh. Auf den Jungen, wenn er mal ein Mann sein wird, können wir uns schon heute freuen. Und da jammern Leute, Kinder würden heute überhaupt nicht mehr erzogen. Denkste! Die Sendung endete mit einem Tucholski: „Lerne lachen ohne zu weinen.“ 

Aus Spiel wird Ernst

Mit unserer Sprache lässt sich vortrefflich spielen, mit anderen auch, wie das Englische zeigt. Aber hinter so mancher Spielerei wird es bitterernst. So liest sich „Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr“ wie ein Hilfsangebot für Flüchtlinge (um die geht es hier); in Wirklichkeit handelt es sich um ein Abschiebezentrum. Man muss nur die richtigen Worte finden, schon ist die Welt in Ordnung – scheinbar. Scheinbar, bitte nicht anscheinend. 

Wörter wie Granaten

Fake News, Alternative Fakten, Postfaktische Zeit – Falschmeldungen, faustdicke Lügen und eine Zeit, in der Tatsachen kaum noch eine Rolle spielen, Gefühle desto mehr. Das alles fliegt uns seit einiger Zeit wie Granaten um die Ohren.  Und granatengefährlich ist das alles auch. Wann endlich rufen wir uns wieder zur Ordnung, kommen zu Besinnung und benehmen uns wieder anständig? Es wird höchste Zeit. Ganz besonders, weil wir uns in einem Superwahljahr befinden. Drei Landtagswahlen und die Bundestagswahl allein bei uns. Hoffen wir, dass wir keine schmutzigen Wahlkämpfe erleben werden, aber etwas hysterisch werden sie wohl sein. Das zeichnet sich schon durch das Phantom-Verbot ab, das Andrea Kramp-Karrenbauer ausgesprochen hat.

Montag, März 13, 2017

Unsere Demokratie in höchster Gefahr!

Was ist passiert? Noch mehr Putins, Erdogans, Orbans, Kaczynskis usw. usw.? Nein, es ist viel schlimmer. Der Feind unserer Demokratie ist mitten unter uns, hier in Deutschland! Der Zeitungsverlegerverband Nordrhein-Westfalen hat ihn entlarvt, glücklicherweise und vielleicht sogar in letzter Minute. Deshalb erst einmal ein großes Dankeschön.

Wie man mit gefährlichen Autokraten umgeht, zeigt unsere Bundesregierung ja gerade in überzeugender Weise in der Auseinandersetzung mit Herrn Erdogan und seinen Raufbolden. Bloß nicht den Rücken gerade machen. Das könnte noch mehr Ärger geben.

Die neue Gefahr für unsere Demokratie geht aber nicht von einem Politiker aus, sondern – kaum zu glauben – von einem Werkzeug. Und das soll gefährlich sein?
Aber ja. Und wie! Der Zeitungsverlegerverband hat festgestellt: Adblocker sind Ursache für den Niedergang der Demokratie.

Das muss ein bisschen erklärt werden. Mit einem Adblocker lässt sich Werbung im Fernsehen und im Internet ausschalten. Das kann man, das muss man nicht tun. Das ist Ansichtssache, je nachdem, wie man Werbung beurteilt: Informativ, lustig, anregend oder langweilig, albern, unverständlich usw.

Und jetzt der Hammer: Jeder darf das. Das macht den Einsatz von Adblockern so gefährlich. Wenn diese Sache um sich greift, können wir auf unsere Demokratie bald keinen Pfifferling geben. Das jedenfalls geben die Verbandsherren zu befürchten. In Wirklichkeit fürchten sie um ihr Geschäft. Je mehr Werbung blockiert wird, desto geringer die geldbringenden Reichweiten. Je geringer die Reichweiten, desto geringer die Einnahmen der Zeitungen.


Kein Zeitungsverleger kann das gut finden. Aber er sollte so viel Anstand haben, Demokratie und Gewinnstreben auseinanderzuhalten. Wer das nicht kann oder nicht will, der hat nicht verstanden, dass Demokratie mehr ist als Geld.

Eine affige Geschichte

Claudia Hammond, eine Psychologin, die an der Londoner Dependence der Boston University lehrt, hat sich gründlich über unser Verhältnis zum Geld und unseren Umgang  damit hergemacht (DER SPIEGEL 11/2017).

Macht Geld glücklich? Macht Geld unglücklich? Macht Geld böse? Macht Geld gierig, neidisch, großzügig? Anscheinend stimmt alles irgendwie. Was sind wir doch für komische Wesen!

Nicht alles ist neu. In einer Studie kaufte eine Gruppe ein Jahr lang in einem Supermarkt alles gegen bar, eine andere Gruppe mit Karte. Ergebnis: „Die Cashzahler gaben viel weniger aus – und für gesündere Waren, weniger Kartoffelchips und solche Dinge. Es war, als zählten für die Kartennutzer weder das Geld noch die Kalorien.“ Das ist alles andere als neu, kann man, zumindest in Ansätzen, an sich selbst beobachten.

Verblüffend dagegen, wie wir uns durch höhere Zahlen verführen lassen. In einem Restaurant, das „Studio 97“ heißt, geben wir mehr Geld für ein Essen aus als in einem Restaurant namens „Studio 19“. Mehr scheint uns mehr Wert zu sein.

Wie kurios wir uns verhalten, zeigt ein anderes Experiment. Versuchspersonen wurden aufgefordert, Striche in einer vorgegebenen Länge zu zeichnen. Eine Gruppe längere, die andere kürzere Striche. Beide Gruppen wurden dann nach der Temperatur im Juli in Honolulu gefragt. Ha, ha, ha! Die Gruppe mit den längeren Strichen gab höhere Temperaturen an.

Das schönste Beispiel aber ist wahrscheinlich das mit den Kapuzineraffen. An der Yale University hat man ihnen beigebracht, Spielmarken gegen Essen einzu-tauschen.

Ein Forschungsassistent bietet ihnen eine Traube für eine Spielmarke, manchmal legt er eine weitere Traube dazu. Ein weiterer menschlicher Händler bietet ihnen zwei Trauben und nimmt manchmal eine weg. Ergebnis: Die Kapuziner ziehen es vor, erst mal nur eine Traube zu erhalten und dann vielleicht noch eine oben drauf. Sie verhalten sich wie wir (oder ist es umgekehrt?): lieber etwas dazu bekommen als etwas zu verlieren. Ist das nicht affig?


Auf jeden Fall wird der Seufzer eines genervten Menschen (keine Ahnung, wer es war) verständlich: „Lieber Gott, lass uns endlich Mensch werden“. Der eher böse Spruch eines Zeitgenossen: „Lieber Gott, warum hast Du nicht beim Affen Schluss gemacht?!“

Sonntag, März 12, 2017

Zwei ziemlich beste Feinde. Polittheater vom Feinsten.

Auf der Bühne: Herr Egowahn mit seiner Rüpelhorde will Deutschland Manieren beibringen. Sonst setzt es was! Und dann Engel Merkel mit einer Gemeinde lammfrommer Minister. Schön brav und bloß nicht mucksen, sonst wird man noch von der Bühne geschubst.

Der Herr aus Ankara setzt Deutschland unter Druck, so der STERN auf dem Titel seiner Ausgabe vom 9. März. Dumm nur, dass das nicht stimmt. Es ist schlicht und ergreifend falsch. Deutschland setzt sich selbst unter Druck.

Statt den Meister Egowahn sachlich und mit beherrschter Stimme über Recht und Unrecht aufzuklären, versteckt sich unsere Schauspielertruppe hinter Lokalpolitikern, die glücklicherweise Manns genug sind, Auftritte türkischer Minister zu untersagen. Grund genug, sich für so viel Feigheit vor dem ziemlich besten Feind zu schämen.

Dabei wäre alles so einfach. Ein paar Zeilen an Herrn Egowahn und seine Minister würden alles regeln. Damit die Herren sich nicht die Mühe machen müssen, im türkischen Wahlgesetz zu blättern, hier ist der entscheidende Satz, (Artikel 94/A):

„Im Ausland und in Vertretungen im Ausland kann kein Wahlkampf betrieben werden.“

Die Regierungspartei AKP des Staatspräsidenten R.T.E. hat das Gesetz selbst 2008 eingeführt.

Die türkische Wahlkommission (YSK) legte in einem Beschluss fest, dass Wahlkampf im Ausland in geschlossenen Räumen nicht gestattet ist. Weiter legt der YSK-Beschluss Nummer 109 vom 15. Februar  mit einem Beschluss zum Ausland unter anderem fest, Wahlkampfansprachen seien auch auf offenen Plätzen nicht zulässig.


Na bitte. Sobald unser Kabinett Herrn Egowahn an das türkische Wahlgesetz erinnert hat, kann das Stück beendet werden. Zum Abschluss des Theaterstücks gemeinsamer Auftritt der Kontrahenten auf der Bühne, tiefer Diener des Ensembles vor uns, dem Publikum. Standing Ovations. Erleichterung überall. Die anderen Probleme stehen schlange.

Freitag, März 10, 2017

Putinismus, verständlich erklärt

Zugegeben: Putinismus ist das etwas respektlose, aber zeitgerechte Wort für Autokratie. Wir Leute auf der Straße verstehen leichter, was damit gemeint ist. Wenn wir Putinismus lesen oder hören, denken wir gleich an  eine Person: Wla-dimir Putin. Und dann fallen uns gleich ein paar andere Putinisten ein: Erdogan, Orbán, zum Beispiel, auch Kaczyński, der zwar nicht selbst regiert, aber die Regierung Polens fest in der Hand hat. Es gibt noch mehr, anderswo, aber lassen wir es bei ihnen.

So unterschiedlich diese vier Herren auch sein mögen, eins haben sie gemeinsam: ein politikdurchtränktes Leben. Bei keinem hat ein Beruf eine besondere Bedeutung gehabt. Daraus kann gefolgert werden, dass sie alle in einer Scheinwelt leben, dass sie das Leben der kleinen Leute – die Skala reicht vom Hilfsarbeiter bis zum Professor, so stellt sich das heutige Proletariat dar – nie kennengelernt haben.


Putinisten sind Leute mit beschränkten Kenntnissen und Fähigkeiten, aber mit unbeschränkter Macht. Und die üben sie rücksichtlos aus. Demokratie ist für sie ein Mäntelchen, das sie sich für den großen Auftritt gern umhängen und dann schnell wieder im Kleiderschrank verschwinden lassen.

Kompanie: stillgestanden!

 Zack, zack! Das klappt noch immer. Darauf kann sich auch Herr de Maizière verlassen. Bundeswehr und Polizei üben gemeinsam, wie sie gegen Terrorismus vorgehen sollen und können. Das war bisher nicht vorgesehen. Aber Herr de Maizière ist ein mutiger Mann. Lassen wir ihn mal – wenigstens für einen Augenblick. Vielleicht pfeift ihn da irgendjemand zurück.

Aber mit einem soll er nicht durchgekommen. Er soll uns nicht verschaukeln. Er soll uns kein X fürs U vormachen. Genau das probiert er gerade. Er sagt: Wir müssen uns auf das Undenkbare vorbereiten.

Mann Gottes, wie soll das gehen? Wenn wir etwas nicht denken können, dann gibt es das auch nicht. Jedenfalls nicht in unserem Kopf. Und wie sollen wir uns auf das vorbereiten, das gar nicht existiert? 


Wenn doch unsere Politiker mit dem Schwadronieren aufhören würden! Das würde ihnen und uns das Leben leichter machen. Die Welt würde aussehen, wie sie wirklich ist. Aber das wäre dann doch vielleicht zu langweilig.

Mittwoch, März 08, 2017

Der Zukunftswahn

Immer, wenn vermeintlich bedeutende Menschen von der Zukunft sprechen, wird es gefährlich. Das gilt zumindest für die Politik. Und in der Wirtschaft? Da wird es teuer. Beispiele dafür gibt es genug. Die meisten sind so unappetitlich, dass sie nicht erwähnt werden sollen. Jedem werden auf Anhieb einige einfallen.

Wir haben es offenbar mit einem Problem zu tun. Philosophen werden es bestimmt lösen können, wenn sie es nicht schon längst gelöst haben –theoretisch.

Halten wir uns deshalb gar nicht erst mit der Theorie auf, gehen wir die Sache praktisch an. Wir wollen also nicht debattieren, was Zukunft überhaupt ist, wann sie anfängt (in der nächsten Minute oder erst morgen oder irgendwann). Wir wollen darüber nachdenken, und darüber sprechen, ob wir das, was es noch gar nicht gib, nämlich die Zukunft, gestalten können. Den Wunsch, den Wahn gibt es, wie folgendes Beispiel zeigt.

Ein zukunftstrunkener Politiker schwadroniert vom autonom fahrenden Auto und welch unendlichen Gewinn es der Menschheit, also uns, bringen wird. In einem müssen wir ihm recht geben. Dieses ihm vorschwebende Automobil würde unser Leben verändern, nicht nur unser Leben, sondern auch uns selbst.

Das Auto-Auto unseres Politikers fährt nicht nur problemlos um die Ecke, biegt nicht nur korrekt ab, hält rechtzeitig vor der roten Ampel, benimmt sich so vorbildlich, wie es nicht einmal ein Fahrlehrer kann. Nein, das Auto-Auto kann viel mehr.

Es ist intelligenter als das ebenfalls zukunftswahnsinnige intelligente Haus, in dem wir wohnen sollen. Dieses Haus denkt und handelt für uns. Wir brauchen an nichts mehr zu denken. Es wärmt uns im Winter, es kühlt uns im Sommer. Es öffnet uns die Tür und schließt sie wieder. Der Kühlschrank sagt uns, was wir wann kaufen müssen und wann der Yoghurt das Verfalldatum überschreitet. Fehlt nur noch, dass unser intelligentes Haus unserem intelligenten Auto sagt, wann es wo zu welchen Preisen einkaufen soll. Aber das kommt noch. Davon ist unser Politiker überzeugt. Daran glaubt er fest. Und er weiß auch schon genau, wie das geht.

Das Auto-Auto unseres Politikers weiß nicht nur alles, es kann auch alles. Es stellt nicht nur fest, dass demnächst die Bremsbeläge erneuert werden müssen. Das können heutzutage auch schon normale Autos. Das Auto-Auto blättert im Kalender unseres Politikers und sieht, dass er an einem bestimmten Tag einen Termin in der Sowiesostadt hat und dieser Termin vier Stunden in Anspruch nehmen wird. Zeit genug, die Bremsbeläge zu erneuern. Klug wie das Auto-Auto ist, sucht es nach einer nahegelegenen Werkstatt, findet sie auch, macht einen Termin aus, bringt unseren Politiker zu seiner Verabredung, fährt zur Werkstatt und holt anschließend unseren Politiker ab. Selbstverständlich regelt sein Auto-Auto die Bezahlung der Werkstatt – genügend Geld auf dem Konto vorausgesetzt. Aber auch dafür wird das Auto-Auto gesorgt haben. Man braucht nur ein superintelligentes Smartphone, aber das hat ja bald jeder.

Dann braucht man auch kein eigenes Auto mehr. Man pfeift sich einfach ein Auto-Auto heran, und das erledigt dann alles. Fährt zum Bäcker Brötchen holen, bringt die Kinder in die Schule, zum Tennis, Golf und zum Musikunterricht, bringt erst die Freundin weg, bevor es die Ehefrau aus dem Fitnessstudio abholt. Vergessen wir auch nicht die immer noch notwendigen Fahrten ins Büro. Selbst die längsten Staus verlieren ihre Schrecken. Das Auto-Auto fährt und steht autonom, und wir lesen entspannt die neuesten Nachrichten, lassen uns aus dem neuesten Bestseller ein paar Seiten vorlesen, vielleicht bereiten wir uns sogar auf unsere Arbeit vor, wer weiß?

Der helle Wahnsinn, das alles. Beglückende Zukunft. Wenn da nicht die Gegenwart wäre. Die stört. Zu Beginn der Veranstaltung, auf der unser Politiker auftrat, funktionierte das Mikrofon nicht. Wenn nicht mal das klappt,  wie soll das beim Auto-Auto gehen? Bei einem Prototyp, der gerade durch London fährt, sind zwölf Kameras und fünf Radarsysteme nötig, um einigermaßen durchzukommen. Für Sonderfälle muss ein menschlicher Helfer in einer Datenzentrale aushelfen. Schon bei nur 1.000 Auto-Autos braucht man 1.000 Mitarbeiter dafür – rund um die Uhr. Der helle Wahn-Sinn!


Abgesehen davon: 12 Kameras, 5 Radarsysteme – 17 Fehlerquellen. Und nichts davon kann man selbst in Ordnung bringen. Ein Wahn, der wenig Sinn macht. Viel Vergnügen! 

Vom Alleinsein unter "Freunden"

Facebook, Twitter, Instagram sind großartige Möglichkeiten, unter Menschen zu kommen. Genau das wollen die meisten von uns; denn der Mensch ist nicht fürs Alleinsein geschaffen. Wir sind soziale Wesen. Deshalb auch der Begriff Social Media, Soziale Medien.

Irgendetwas scheint aber nicht zu stimmen. Forscher der University of Pittsburgh haben kürzlich herausgefunden, dass – beispielsweise – Facebook-User sich durchaus einsam, isoliert fühlen können. Je intensiver sie Facebook, Twitter  oder Instagram nutzen, desto isolierter fühlen sich viele. Überraschend, nicht wahr? Denn man ist doch unter Freunden.

Die Forscher haben aus ihrer Studie zwei unterschiedliche Thesen abgeleitet.

Erste These: Menschen, die sich isoliert fühlen, ziehen sich öfter in die Social Media-Welt zurück und suchen dort Anschluss. Das bedeutet: Facebook ist nicht die Ursache für das Gefühl von Isolation, sondern die Folge.

Zweite These: Facebook & Co zeigen den Usern, wie andere Menschen „in der Menge baden“, ganz viele Kontakte haben. Der User fühlt sich davon ausgeschlossen, fühlt sich isoliert. In diesem Fall sind die Social Media die Ursache des Gefühls der Isolation.


Je länger sich die User in den Social Media aufhalten, desto ausgeprägter der Gefühl, allein und ausgeschlossen zu sein. (Diesem Text liegen Informationen zugrunde, die „jetzt“, ein Internetableger der Süddeutschen Zeitung, am 6. März 2017 veröffentlicht hat.)

Montag, März 06, 2017

Der schmutzigste aller Kriege

Jeder Krieg ist schmutzig. Der schmutzigste aller Kriege findet zurzeit statt – im  Internet. Vergleichbar nur mit einem Giftgaskrieg, vor dem bisher alle zurückschreckten. Man sieht nichts, man hört nichts, man riecht nichts. Aber das Gift wirkt. Es tötet. Im Internetkrieg den Verstand. Das genügt, um die Welt ins Chaos zu stürzen. Was ist wahr? Was ist wahrscheinlich? Was stimmt? Was ist gelogen?

Wie in jedem Krieg ist auch hier das erste Opfer immer die Wahrheit. (Selbst die Feststellung Bismarcks hilft hier nicht weiter: „Nie wird so viel gelogen wie vor der Wahl, im Krieg und nach der Jagd.“)

Ebenso wenig hilfreich ist die Anmerkung unserer Bundeskanzlerin, wir lebten offenbar im postfaktischen Zeitalter, in einer Zeit, in der Gefühle mehr bedeuten als Tatsachen.  War das nicht immer so? Wir sollten uns da nichts vormachen.

Kellyanne Conway, Beraterin  des US-Präsidenten Trump, hat den Begriff „Alter-native Fakten“ ins Spiel gebracht: Passt dir die Wirklichkeit nicht, erfinde einfach eine andere. Wir sollten darüber nicht lachen.

Es gibt bestimmt Internetkrieger, die klüger sind als Kellyanne und – gefährlicher. Im Augenblick scheint der Internetkrieg vor allem zwischen Russland und den USA zu toben. Russland hat sich in die US-Präsidentenwahl eingemischt, mischt aber auch die EU nach Belieben auf – können wir überall lesen. Das mag so sein, ist zumindest nicht ganz unglaubwürdig. Und wir, auf der anderen Seite der kriegführenden Parteien? Darüber ist wenig bis nichts zu erfahren.

Nebenbei: Ganz gruselig wird es, wenn wir uns vorstellen, dass das Internet noch ganz andere Möglichkeiten der Kriegsführung zur Verfügung stellt. Mit ein paar Mausklicks lassen sich Atomkraftwerke in die Luft jagen, die Stromversorgung ganzer Länder lahmlegen, den Flugverkehr durcheinanderbringen. Alles gesponnen?

Zurück aus dem Land der Gruselphantasie in die alltägliche Wirklichkeit! Zurück auf den Boden der Tatsachen, die gar keine sind. Zurück zum Schmutz, den die Internetkrieger uns vor die Haustür kippen. Der sieht so aus:

„Obama-Regierung hat das Word Trade Center in die Luft gesprengt. Zwei 60 Kilo schwere ‚Atombomben‘. Trump, der ja Architekt ist, sagt, dass die Gebäude durch Flugzeugangriffe in dieser Form nicht hätten einstürzen können. Ein befreundeter Mann aus B., der zufällig dabei war, also beim Untergang der beiden Gebäude, hat berichtet, dass das Metall noch Tage später geglüht hat. Außerdem seien Messungen durchgeführt worden, die eine extrem hohe Radioaktivität angezeigt haben, was ein Beweis ist.“

„Obama ist schwul, seine Frau transsexuell.“

„Obama ist Anführer der amerikanischen Muslim-Bewegung, hat die ganze Bürokratie damit unterwandert. Deshalb würden momentan jeden Tag 300 Mitarbeiter verhaftet.“

„30 % der unter Obama arbeitenden Regierungsmitarbeiter, aber auch viele Abgeordnete gehören dem größten Pädophilen-Ring der Welt an. Deshalb auch dort jeden Tag Verhaftungen.“

„In 40 europäischen Städten herrscht Bürgerkrieg.“

„In  Schweden herrschen Chaos und Gewalt. Muslimische Einwanderer sind schuld.“

„Einen Klimawandel gibt es nicht.“

Woher kommen solche Fake News, solche getürkten Nachrichten? Da hätten wir zum Beispiel den TV-Sender Fox News, Lieblingssender des US-Präsidenten. Auf die News dieses Senders bezieht sich „The Donald“, wie ihn viele Amerikaner nennen, gern und nachdrücklich, so schräg sie auch sein mögen.

Dann geht es ohne Punkt und Komma weiter: Breitbart news Deutschland, Lifezette.com, Gatewaypundit.com, infowars.com (Alex Jones, „The Donald“-Einflüsterer), newsmax.com, newsmax.de, John Birch Society (Westernheld John Waine war Mitglied der Society), epochetimes.de.

Das sind nicht alle Quellen der wahren Lügenpresse, die hier sprudeln. Das Magazin Compact dürfte sich dazu zählen, Die Junge Welt – um nur zwei Bei-spiele zu nennen. Wer die Unwahrheit sucht, hat viele Möglichkeiten.

Jetzt haben wir wenigstens eine Ahnung davon, wer diesen Schmutz bei uns ablädt. Bleibt die Frage: Was machen wir mit dem Dreck? Ab in die Mülltonne?

Schön wär’s! Es gibt auch bei uns Menschen, die die zitierten Fake News, diese getürkten Nachrichten, für wahr halten: Obama schwul und Michelle trans-sexuell. Ihre beiden Mädchen hat der Storch gebracht?

Keine Aufregung! Noch nicht. Es wird immer Menschen geben, die jeden Unsinn glauben, also auch diesen. Wenn aber wohlsituierte Bildungsbürger unserer Republik das alles für bare Münze halten, und das ist so, dann wird es höchste Zeit, Alarm zu schlagen. Und das bedeutet?

Wer wirklich klüger werden will, darf nicht nur der eigenen Meinung hinterher rennen, sollte nicht nur hören und lesen, was er für richtig hält. Das macht ihn nicht klüger, sondern – auf die Dauer – dumm.

Deshalb sei den COMPACT-Lesern, den JUNGE WELT-Lesern usw. angeraten, auch die vermeintliche Lügenpresse zu lesen, STERN, SPIEGEL, DIE ZEIT, WELT, FREITAG, TAZ …  Das wäre der erste Schritt, sich von Weltanschauungen zu trennen, die schon so viel Unglück gebracht haben.


Alexander von Humboldt hatte da seine eigene Anschauung: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung von Leuten, die die Welt nie angeschaut haben.“

Freitag, März 03, 2017

Die Geschichte vom beleidigten Mikrofon

Es war einmal ein Mikrofon, das fühlte sich sehr unglücklich. Es fragte sich: Weshalb hat man mich zwischen die Stühle gesetzt, zwischen der und die? (Schon Mark Twain regte sich über das deutsche der, die, das auf.)

Wie es der Zufall will: Als sich das unglückliche Mikrofon mit dieser Frage beschäftigte, fand in Stuttgart ein evangelischer Kirchentag statt. Was niemand erwartet hätte – hier wurde dem Mikrofon aus seiner Verzweiflung geholfen.

Im offiziellen Programmheft entdeckte unser Mikrofon folgenden Hinweis: „Die Teilnehmenden sind eingeladen, mitzureden und ihre Meinung deutlich zu machen: über Anwältinnen und Anwälte des Publikums und über Saalmikrofoninnen und –mikrofone.“

Unser Mikrofon hätte am liebsten laut Hurra! geschrieen – hurra, ich bin eine Mikrofonin! Von Nächstenliebe soll auf dem Kirchentag weniger gesprochen worden sein. Das Pampern der Feministinnen hat alle wohl zu sehr in Anspruch genommen. Aber das war unserem Mikrofon, das jetzt eine Mikrofonin war, ziemlich egal. So viel unverhofftes Glück!

Ob dieses Glück von Dauer sein wird, weiß man noch nicht. Wieso eigentlich man, warum nicht frau? Das fragt sich nicht nur die Speerspitze der Feministinnen, die sich im Arbeitskreis Sprachhandeln an der Humboldt-Universität versammelt haben. Wer sich einmal so richtig gruseln will, sollte ihr Pamphlet lesen. Bitte nicht kurz vor dem Zubettgehen! Vor Albträumen wird ausdrücklich gewarnt. Zur Erklärung: Koffa statt Koffer, Kella statt Keller, Computa statt Computer; denn die Wortendung er ist unverschämterweise männlich – so die sprachmisshandelnden Damen der Humboldt-Universität.


Statt Polemik zur Abwechslung etwas Sachliches (das ist wenigstens neutral): Das kleine Wörtchen man bedeutete im Althochdeutschen „irgendein beliebiger Mensch“. Wenn man damals einen Mann meinte, sagte man „gomman“ (Mannmensch). Einen Weibmenschen nannte man wifman, was wir in woman (engl.) heute noch wiederfinden. Mit unserem man sind also alle Menschen gemeint, Frauen wie Männer. Warum also hat frau so ein Problem mit man?

Mittwoch, März 01, 2017

Gesucht und gefunden

Vielleicht ist uns der Gesunde Menschenverstand noch nicht ganz abhanden gekommen. Aber so richtig wollen wir ihm nicht mehr vertrauen. Woran liegt das? Versuchen wir, der Sache auf den Grund zu kommen.

Wenn wir vom Gesunden Menschenverstand sprechen, dann meinen wir unsere Erfahrungen und die Erfahrungen, die unsere Eltern und Großeltern und andere uns vertraute Menschen an uns weitergegeben haben. Das gilt für gute wie für schlechte Erfahrungen. Sie helfen uns, den Weg durchs Leben zu finden.

Nun ist die Welt von ihrer dörflichen Abgeschiedenheit, der Nähe unmittelbarer Erfahrungen, längst weltweit entfernt. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als auf Erfahrungen von Menschen zurückzugreifen, die wir nicht kennen und nie kennenlernen werden. Das ist nicht einfach. Aber wir wissen uns zu helfen: Wir bauen eine Brücke von unseren Erfahrungen hinüber zu denen anderer Men-schen. Diese Brücke heißt Vertrauen. Wir betrachten die Erfahrungen anderer Menschen als unsere eigenen.

Das ist nicht ganz ungefährlich. Aber das müssen wir in Kauf nehmen. Jeder von uns hat schon erfahren, dass nicht jedes Vertrauen gerechtfertigt ist. Auch das gehört zu unseren Erfahrungen. Das sagt uns schon der Gesunde Menschen-verstand.

Zusammengefasst: Bisher beschäftigten wir uns mit Erfahrungen, dem Gesunden Menschenverstand erster und zweiter Ordnung. Beide müssen sein. Aber jetzt kommt etwas ganz anderes ins Spiel.

Zu den eigenen Erfahrungen und denen der Menschen, die unser Vertrauen verdienen (es geht nicht um blindes Vertrauen), kommt ein Drittes: Glauben. Glauben hat etwas Religiöses, und das hat sich bisher immer als ein großes Unglück herausgestellt, nicht zuletzt in der Politik.

Glaubensseligkeit in der Politik verdirbt den Charakter, von allem anderen abgesehen. Glaubensseligkeit macht blind. Und sie macht blindwütig. Das ist gefährlich; denn die Wut treibt den Verstand in die geistige Wüste, aus dem der Verstand nicht mehr herausfindet. Die Folgen sind unabsehbar.

Was sich wie die Nachtgedanken eines Melancholikers liest, beruht auf einer wahren Begebenheit, die sich in diesen Tagen zugetragen hat.

In einer kleinen und unbedeutenden Stadt unserer Provinz betritt ein wohl-situierter Bürger, dem Bildungsferne so fern ist wie vielleicht der Mond, ein Bildungsbürger also, einen Laden. Er verbringt eine halbe Stunde mit dem Studium des Angebots und wählt mit Kennerschaft aus, was ihm gefällt – sehr zur Zufriedenheit des Ladenbesitzers.

In dieser halben Stunde nehmen die Fragen nach Qualitäten und Preisen nur die geringste Zeit in Anspruch. Das Bedürfnis des Kunden, seine politischen An-sichten des Langen und Breiten zu schildern, ist grenzenlos. Es geht, wie könnte es heute anders sein, um „The Donald“, um Donald Trump, den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Es geht um alles. Und alles und jedes ist nicht etwa ironisch gemeint. Es ist die Überzeugung des wohlsituierten Bildungsbürger einer kleinen und unbedeutenden Stadt unserer Provinz. Und das  hört sich so an:

„Obama-Regierung hat das Word Trade Center in die Luft gesprengt. Zwei 60 Kilo schwere ‚Atombomben‘. Trump, der ja Architekt ist, sagt, dass die Gebäude durch Flugzeugangriffe in dieser Form nicht hätten einstürzen können. Ein befreundeter Mann aus B., der zufällig dabei war, also beim Untergang der beiden Gebäude, hat berichtet, dass das Metall noch Tage später geglüht hat. Außerdem seien Messungen durchgeführt worden, die eine extrem hohe Radioaktivität angezeigt haben, was ein Beweis ist.“

„Obama ist schwul, seine Frau transsexuell.“

„Obama ist Anführer der amerikanischen Muslima-Bewegung, hat die ganze Bürokratie damit unterwandert. Deshalb würden momentan jeden Tag 300 Mitarbeiter verhaftet.“

„30 % der unter Obama arbeitenden Regierungsmitarbeiter, aber auch viele Abgeordnete gehören dem größten Pädophilen-Ring der Welt an. Deshalb auch dort jeden Tag Verhaftungen.“

„In 40 europäischen Städten herrscht Bürgerkrieg.“

„In  Schweden herrschen Chaos und Gewalt. Muslimische Einwanderer sind schuld.“

„Grippeimpfstoffe enthalten Quicksilber – gesundheitsgefährdend.“

„Der Autismus nimmt rasant zu – von einem Verhältnis  10.000 zu 1 auf inzwischen 20 zu 1. Schuld daran: die Chemie in Lebensmitteln und Kosmetikprodukten.“

„Einen Klimawandel gibt es nicht, Punkt, aus, fertig.“


Alles das hat unser Bildungsbürger nicht selbst erlebt. Er hat es gelesen. Irgend-wo. Er glaubt es. Er ist überzeugt davon, obgleich alles zu widerlegen ist. Wir  müssen akzeptieren, dass der Glaube Berge versetzt, in diesem Fall: den Verstand verrückt. Ein „verrückter“ Verstand ist der Wirklichkeit, ist den Tatsachen, nicht zugänglich.

Wir sollten uns auf die Dauer mit diesem Befund nicht abfinden. Aber lassen Sie uns einen ersten Schritt tun: Was steckt hinter dem irgendwo? Woher hat unser Bildungsbürger sein „Wissen“? Woher bezieht er seine Wahrheiten?

Da hätten wir zunächst den TV-Sender Fox News, Lieblingssender des US-Präsidenten. Auf die News dieses Senders bezieht sich „The Donald“, wie ihn viele Amerikaner nennen, gern und nachdrücklich, so schräg sie auch sein mögen.

Dann geht es ohne Punkt und Komma weiter: Breitbart news Deutschland, Lifezette.com, Gatewaypundit.com, infowars.com (Alex Jones, „The Donald“-Einflüsterer), newsmax.com, newsmax.de, John Birch Society (Westernheld John Waine war Mitglied der Society), epochetimes.de.

Das sind nicht alle Quellen der wahren Lügenpresse, die hier sprudeln. Das Magazin Compact dürfte sich dazu zählen, Die Junge Welt – um nur zwei Bei-spiele zu nennen. Wer die Unwahrheit sucht, hat viele Möglichkeiten.

Und wer wissen will, was stimmt? Der hat noch ein paar Möglichkeiten mehr. DER SPIEGEL, STERN, SÜDDEUTSCHE, FAZ, DIE WELT, TAZ, DER FREÍTAG  und noch so einiges mehr.  Alle ohne Fehl und Tadel? Nein, natürlich nicht. Irrtümer sind inbegriffen, aber keine Lügen.

Zum Umgang mit diesen beiden Welten eine Frage: Sollten wir nur lesen, was unserer Meinung entspricht? Oder sollten wir auch das lesen, was uns gegen den Strich geht?

Alexander von Humboldt hatte da seine eigene Anschauung: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung von Leuten, die die Welt nie angeschaut haben.“

PS: Noch einmal zurück  zu irgendwo. Wir haben jetzt nicht nur eine Ahnung davon, woher unser Bildungsbürger sein „Wissen“ bezieht: Aus der Lügenpresse, die für sich die Wahrheit beansprucht.


Dort hat er gelesen, was seinem Weltbild entspricht.  Das kann ihn nicht klüger machen. Wir müssen befürchten, dass er damit nicht allein ist. Befürchten ja. Aber fürchten sollten wir uns nicht. So ein kleines bisschen Mut kann doch jeder von uns aufbringen. Die geballte Faust in der Tasche genügt nicht. Deshalb: Mund aufmachen. Bestimmt geht es besser als dieser kleine, schüchterne Versuch.