Donnerstag, August 17, 2017
„Speak you English?“ Dieses Buch
von Gunther Bischoff zum Verlernen typisch deutscher Englischfehler ist leider
in Vergessenheit geraten. Dabei gehörte es heute mehr denn ja auf den
Schreibtisch eines jeden Journalisten.
Das würde uns vor manchen Peinlichkeiten wie „public viewing“*
bewahren. Und es wäre Ansporn für die Schreiber zu überlegen, ob es wirklich
sinnvoll ist, gedankenlos an die Stelle eines deutschen Wortes ein englisches
zu setzen.
Eitle Weltläufigkeit der Autoren
soll hier nicht unterstellt werden, und um den Unfug „Deutsche schreibt
deutsch!“ geht es schon gar nicht. Es gibt immer wieder und nicht einmal so
selten Fälle, in denen ein englischer Begriff schärfer, genauer, treffender
ist. Dies sei vorsichtigerweise erwähnt, um unnötige Empörung gar nicht erst
entstehen zu lassen.
Sehen wir uns ein paar Beispiele
an:
„buzzword“ – wetten, nicht jeder
versteht auf Anhieb, was damit gemeint ist. Nichts anderes als „Schlagwort“.
„Open air“- Kino ist nichts
anderes als ein „Freiluft“-Kino. Gibt es irgendeinen Grund für die englische
Bezeichnung?
„slow motion“ – eine Bildfolge
ganz langsam ablaufen lassen, damit jede Einzelheit mit dem Auge erfasst werden
kann. „Zeitlupe“ drückt das doch viel beeindruckender aus – oder?
„snapshot“ – zu Deutsch:
„Schnappschuss“. Hier könnten wir ein Unentschieden geben. Aber wenn sich der
Autor an deutsche Leser wendet, wäre da Schnappschuss nicht die bessere Wahl?
„breaking news“. Wie lange ist es
her, dass wir bei Eiligen, bei Wichtigem, Telegramme verschicken, sogar
Blitztelegramme! Aber das mit dem Blitz traf die Sache ja. Da kommen wir,
vielleicht überraschend, auf „Blitzmeldung“, „Eilmeldung“. Nichts anderes meint
„breaking news“: eine wichtige Nachricht, die die geplante Sendereihenfolge
durchbricht, die eben wie ein Blitz dazwischen-fährt.
„war room“ – kann was mit Krieg
zu tun haben, hat es glücklicherweise aber nicht immer. „Einsatzzentrale“
trifft die Sache in der Regel besser, beeindruckt aber weniger. Dieses
Kriegerische stammt wahrscheinlich aus Amerika. In amerikanischen Unternehmen
ist ja schon beinahe jeder Abteilungsleiter ein „Officer“. Aber vor dieser
Einstellung müssen wir ja nicht strammstehen.
„newsroom“ – für jede Redaktion,
ob Funk, Fernsehen oder Zeitung etwas, das es schon immer gab. Irgendwo mussten
die Informationen schließlich landen, was aber nichts mit bestimmten
Räumlichkeiten zu tun hatte, sondern auch heute noch eine Sache der
Organisation ist. Wir haben es hier mit einem virtuellen, nicht wirklich
existierend Raum zu tun. Aber das Kind hat jetzt einen Namen, nur im Deutschen
nicht.
Stimmt nicht! „Nachrichtenzentrale“.
Geht doch. Aber irgendwie fehlt da der Duft der großen, weiten Welt. Lassen wir
den Kindern die Trompete.
Donnerstag, August 10, 2017
Heute schon geappt?
Hurra, der neue
Rechtschreib-Duden ist da, 27. Auflage! 5.000 neue Wörter stehen drin, andere
tauchen nicht mehr auf. „Appen“ soll eins der neuen sein, meint wahrscheinlich
das Anwenden einer App. Bisschen komisch vielleicht, aber warum nicht? Das
bringt unser Deutsch nicht aus dem Gleichgewicht.
Hauptsächlich englische Wörter
reißt das Deutsche an sich und gemeindet sie ein. Dazu gehört auch „Hoody“. Das
ist so ein Fummel mit Kapuze. Das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen. Wäre
es nicht viel lustiger, einen Kapuzenpulli „Kapuziner“ zu nennen? Aber jetzt
ist es eben ein Hoody.
Bestimmt wird der Duden noch viel
Prügel einstecken für „seine“ neue Rechtschreibung. Das ist aber ungerecht. Der
Rechtschreibduden schreibt nicht mehr vor, sagt nicht, was richtig oder falsch
ist, sondern er beschreibt. Er beschreibt die Entwicklung unserer Sprache,
notiert an die Stelle nicht mehr benutzter Wörter neue – jetzt gerade sage und
schreibe 5.000.
Auch wenn so Manchem so Manches
nicht gefällt – niemand ist ja gezwungen, alles mitzumachen – schließen wir uns
der Großzügigkeit an, die unsere lebendige Sprache (die reichste weltweit?) uns
vormacht.
Bastian Sik – „Der Dativ ist dem
Genitiv sein Tod“ – hat in einem Deutsch-landfunk-Gespräch gerade sinngemäß
gesagt: Schreibt man uns erst einmal vor, wie wir zu sprechen und zu schreiben
haben, dann wird es nicht lange dauern bis
man uns auch das richtige Denken diktiert. Wie das geht und wohin das
führt, haben uns Deutschen zwei Diktaturen gezeigt. Das sollte reichen.
Wir plagen uns schon genug mit
dem Unsinn der political correctness herum, die uns den Negerkuss und – noch
schlimmer – Astrid Lindgrens Negerkönig verbieten will. Mit welchem Recht?
Mittwoch, August 09, 2017
Schon radikalisiert?
Radikalisieren ist seit einiger
Zeit angesagt. Mal ist die Rede davon, wie Leute radikalisiert werden und mal
von denen, die sich selbst radikalisieren. Das ist kein einfaches Thema. Es
geht in die Tiefe – radix: die Wurzel.
Wie geht das eigentlich, sich
selbst radikalieren? Wie machen wir es, dass wir nur noch eine Lösung kennen
und und sie durchsetzen wollen. Rücksichtslos, alles sozusagen mit Stumpf und
Stiel ausrotten?
Wir sehen nur noch schwarz oder
weiß, Freund oder Feind, gut oder böse. Wir sehen nicht nach links oder rechts,
nicht nach vorn, nur noch zurück auf das, was wir nicht wollen, um keinen
Preis.
Und wie ist es mit der
Radikalisierung anderer? Da gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste: Wir brennen
so für unsere radikale Ansicht, dass wir dieses Feuer mit allen unseren Mitteln
weitertragen wollen, vielleicht sogar das Gefühl haben, das tun zu müssen. Ein
gefährliches Spiel.
Die zweite: Wir wollen einfach
nur herausfinden, wie weit wir andere Menschen verführen können. Wir wollen uns
unsere Überlegenheit beweisen und die anderen mit unserer Stärke beeindrucken.
Das ist die teuflische Variante.
Eine ziemlich philosophische
Betrachtung? Nein, überhaupt nicht. Es ist nur die Reaktion darauf, dass alle
Welt mit dem Begriff Radikalisierung nur so um sich wirft – bis zur
Unerträglichkeit.
Weil das Wörtchen radix schon
gefallen ist: Mindestens genauso auf die Nerven gehend ist die seit einiger
Zeit um sich greifende Unsitte, jeden Menschen irgendwo wurzeln zu lassen.
Zugegeben: Ohne unser Vorfahren
gäbe es uns nicht – Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, von Adelsgeschlechtern
mal abgesehen – aber ist es nicht beleidigend, wenn unsere Eltern so zu
Wurzelzwergen degradiert werden?
Haben wir deutsche Wurzeln oder ganz
einfach deutsche Eltern? Und – beispielsweise – unsere türkischen Nachbarn,
hier geboren und genauso wie wir hier zu Hause, sind die vielleicht entwurzelt?
Überhaupt: Das Rumgezicke mit
Migrationshintergrund usw. Was heißt hier Hintergrund? Haben wir nicht einfache
Begriffe, die jeder versteht? Einwanderer, Zuwanderer meinethalben, Flüchtling
(ach, dieses verquälte „Flüchtende“ grammatisch und in jeder Hinsicht falsch,
so wie das Wörtchen gebraucht,
verbraucht wird.)
Dieses Gezicke haben wir der
sogenannten political correctness zu verdanken. Aber wer hat die erfunden? Und
mit welchem Recht? Und wer befindet darüber, was korrekt ist und was nicht? Wir
sollten uns nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen von selbsternannten
Tugendwächtern. Es genügt, wenn wir ganz einfach höflich sind.
Dienstag, August 08, 2017
Aus der Spur
Das Auto von heute hilft uns mit
den erstaunlichsten Assistenzsystemen, das zu tun, was wir früher ganz allein
konnten: Aufmerksam, vorsichtig und rücksichtsvoll fahren – zur eigenen
Sicherheit und die der anderen. Das haben wir in der Fahrschule gelernt und
sind damit im Grunde genommen gut gefahren. Zugegeben: Wir haben Fehler
gemacht. Aber machen Computer, machen Assistenzsysteme, keine? Sicherheitshalber
sollten wir uns das nicht einreden lassen. Aber jetzt darüber zu sprechen,
würde zu weit führen.
Nehmen wir uns Beispiel einmal
den Spurhalteassistenten vor. Der sorgt dafür, dass wir nicht plötzlich auf die
Gegenfahrbahn geraten. Könnte ja mal passieren, da wir nicht nur autofahren,
sondern auch telefonieren, die neuesten Nachrichten sehen, vielleicht sogar
einen Video-Clip, oder nach dem nächsten Restaurant oder Hotel suchen. Das
alles lenkt natürlich ab. Dafür haben wir jetzt den Aufpasser. Der sorgt dafür,
dass wir nicht aus der Spur geraten.
Wäre so ein Spurhalteassistent
nicht auch etwas für die Politik? Eigentlich ja. Das werden wir gleich sehen.
Und wir müssen unsere Automobilwelt dabei nicht einmal verlassen. Das Theater
um Diesel und um Elektroantrieb spricht Bände.
Der Diesel vor allem, aber auch
jeder Verbrennungsmotor ist des Teufels. Die Galgen stehen schon, die Stricke
sind geknüpft, die Tage der Hinrichtung bekannt. Im einen oder anderen Land
sollen zumindest DieselPKW nicht mehr zugelassen werden. Das ist die eine
Seite. Und die andere?
Das Elektroauto. Schadstoffemission
gleich null. Seine Technik ist die Rettung, die Rettung vor der
Klimakatastrophe. Ein Glaubenskrieg? Ja.
Der Verstand kommt wieder mal zu kurz. Sowas hatten wir immer schon mal. Aber
diesmal dürfte es besonders schlimm sein. Die ganze Angelegenheit gerät aus der
Spur. Nicht nur die Automobilindustrie fährt ins Abseits.
Schalten wir doch mal vom
höchsten Gang, von den Gefühlen, ein,
zwei Gänge runter, schalten wir auf Verstand.
Der Diesel ist eine
Schmutzschleuder, ja. Das haben die Autohersteller – nachsichtig gesagt –
verbockt. Dabei kann er „sauber“ sein, „sauberer“ als Benziner. Das haben die Autohersteller selbst bewiesen.
Sie können „saubere“ Diesel bauen. Das haben sie sogar schon gemacht. Die Sache
ist erprobt. Mit Adblue geht das erwiesenermaßen. Den Herstellern ist das bis
heute weniger wichtig als ihr Profit.
Zusammengefasst: Die
Serienproduktion des „sauberen“ Dieselmotors ist von heute auf morgen möglich.
Die Automobilindustrie muss es nur wollen – oder dazu gezwungen werden. Hier können
wir wirklich einmal vom „gesunden Menschenverstand“ sprechen.
Der sagt uns aber noch etwas
anderes. Der erinnert uns daran, dass unser Globus irgendwann einmal keinen
Tropfen Mineralöl mehr hergeben kann. Egal, wie lange das noch dauert –
irgendwann ist auch mit dem Dieselauto und dem Benziner Schluss. Übrigens auch
mit vielen anderen Dingen, von denen einige noch wichtiger sind als Autos.
Daraus folgert: Lassen wir ab
sofort nur noch „saubere“ (Adblue)Diesel auf die Straße und schaffen wir so
schnell wie möglich die „Dreckschleudern“ ab. Und vergessen dabei nicht, dass
auch dieser Diesel nicht für die Ewigkeit ist.
Das sieht nach der großen Stunde
des Elektroantriebs aus. Null Emissionen, Strom aus der Steckdose. Alles schon
ausprobiert. Alles funktioniert. Noch Fragen? Ja.
Fangen wir mit der Steckdose an.
Es gibt zu wenige Ladestationen? Ja, aber das lässt sich ändern, daran wird mit
Hochdruck gearbeitet, bald kein Problem mehr. Das Aufladen der Batterien dauert
zu lange. Auch das wird sich ändern. Die Reichweiten lassen zu wünschen übrig? Da geht es mit Riesenschritten voran.
Nur eine Frage kommt nicht zur
Sprache: Woher kommt der Strom, den wir aus der Steckdose zapfen? Bei allem
Fortschritt, den die erneuerbaren Energien erreicht haben – und sie werden noch
viel mehr schaffen – der Strom kommt aus Atom- und aus Kohlekraftwerken.
In Deutschland könnte die nicht
sicher beherrschbare Atomkraft ein Auslauf-modell sein, so ganz sicher ist das
aber noch nicht. Bleiben die Stein- und Braunkohlewerke. Sie produzieren auf
die denkbar unsauberste Weise den Strom, den das Elektroauto aus der Steckdose
zieht. Eine ziemlich schmutzige Angelegenheit. Nur der von erneuerbaren
Energien produzierte Strom macht das Elektroauto so sauber wie es uns heute
vorgegaukelt wird. – Aber die schaffen es ja vielleicht mit Ach und Krach, die
Atomkraftwerke überflüssig zu machen, nicht aber die Kohle. Ach ja, die Kohle
ist übrigens genau so endlich wie das Mineralöl. Irgendwann ist da nichts mehr.
Und noch etwas: In der
oberflächlichen Schwarz/weiß-Diskussion der Alter-nativen Diesel/Elektro wird
höchstens am Rande wahrgenommen, dass der Bau einer Lithium-Ionen-Batterie
genauso belastend ist wie der acht Jahre lange Betrieb eines AdBlue-Diesel.
„Was lernt uns das alles?“ würde
Paul Dahlke jetzt fragen, der laut BILD-Zeitung seinem Hund das Schwimmen
lernte.
Die Anwort: Nicht nur
schwarz/weiß sehen. Aus unterschiedlichen Auffassungen keine Feindschaft
machen. Probleme gemeinsam lösen. Und Probleme gibt es mehr als genug. Dazu
gehört beispielsweise die Speicherung des regenerativ erzeugten Stroms. Die
Verfahren sind bekannt und in der Praxis erprobt. Und der mit Wasserstoff
betriebene Motor. Er läuft, aber nur am Rande. Warum eigentlich?
Wir haben also nicht nur
Probleme. Wir haben auch Problemlösungen. Keine davon fällt wie ein Geschenk
von Himmel. Alles hat seinen Preis. Und noch sind wir zahlungsfähig.
Denken wir deshalb daran, dass
Eigentum verpflichtet. Wenn wir schon unsere kleine Erde als unser Eigentum
betrachten, dann sollten wir auch unserer Pflicht nachkommen, sie in gutem
Zustand zu erhalten – genauer gesagt: sie wieder in einen guten Zustand zu
versetzen. Dann könnten wir wieder in die Spur kommen: „keep your lane!“ Nichts
ist wichtiger als das, um sicher das Ziel zu erreichen. Kein „crash“ und kein
Ende im Straßengraben.
PS: Nachzutragen wären hier noch
viele Einzelheiten, z.B.: Warum ist nur von DieselPKW die Rede, nicht von den
LKW? Was ist mit den zigtausenden LKW, die aus allen möglichen Ländern durch
Deutschland fahren? Ganz zu schweigen vom Abschied der USA aus dem Pariser
Umweltschutzabkommen? Und welchen Wert hat die Parisvereinbarung eigentlich?
Usw. usw. Ein Thema ohne Ende.
Wo hast du eigentlich das Brot? Eine märchenhafte und doch wahre Geschichte
Ein wirklich altes Ehepaar, er
91, sie zehn Jahre jünger, beim Frühstück. Ihre Unterhaltung zeigt, dass sie
sich immer noch sehr mögen. Als er ein, zwei Sätze nicht zu Ende bringt, weil
ihm nicht mehr einfällt, was er sagen wollte, sagt sie: „Was meint denn mein
neunzehnjähriger Doktor da mal wieder?“ Er: „Aber hör doch endlich einmal auf
mit dieser witzlosen Zahlendreherei.“ Sie: „Warum, Ich fühle mich dadurch noch
mal wie 18.“
Ihr Gespräch dreht sich um ihre
zunehmende Vergesslichkeit. Namen von Freunden und Bekannten fallen ihnen auf
einmal nicht mehr ein, später vielleicht doch, und manchmal fragen sie sich,
was sie eigentlich aus der Küche holen wollten. Sie haben es vergessen. Oft
hilft es ihnen, ins Wohnzimmer zurückzugehen und sich zu fragen, was sie wollten.
Richtig, ich wollte eine neue Tasse holen.
Und dann sprechen die beiden
darüber, wie peinlich es ihnen ist, unterwegs gute Bekannte zu treffen, die sie
schon tausendmal gesehen und gesprochen haben und deren Name ihnen plötzlich nicht
einfällt.
Damit macht sich unser alter Herr
auf einen Spaziergang, versehen mit dem Auftrag, ein Brot mitzubringen. Prompt
passiert, was schon so oft passiert ist. Er trifft einen seiner früheren
Patienten, man kommt ins Gespräch – nur: Wie heißt dieser Mann bloß? Als der,
das ergibt sich glücklicherweise so, seinen Namen selbst erwähnt – große
Erleichterung.
Beschwingt geht unser alter Herr
nach Hause und berichtet von seiner Begeg-nung. Und seine Frau? Sie fragt: „Wo
hast du eigentlich das Brot?“
Diese Geschichte beruht auf einem
Text von Hans-Georg Voigt, den DIE ZEIT in ihrer Ausgabe vom 27. Juli
veröffentlicht hat.)
06. 08. 2017
Freitag, August 04, 2017
Warum Herr Schreiber nicht mehr schreibt
Herr Schreiber, ein ausreichend
erfolgreicher freier Journalist und Werbe-schriftsteller, stellte eines Tages
fest, dass es aufgrund seines Alters angeraten sei, sich nach mehr Sicherheit
umzusehen, nach einer festen Anstellung.
Wie es ein glücklicher Zufall
wollte, stieß er auf die Möglichkeit, beim Presse- und Informationsamt der
Bundesregierung unterzukommen, nicht von Fall zu Fall, sondern fest angestellt
und auf Dauer. Genau das hatte ihm vorgeschwebt, und es fiel ihm nicht schwer,
eine überzeugende Bewerbung einzuschicken.
Es dauerte nicht lange, und alles
war unter Dach und Fach: die unbefristete Beschäftigung, eine zumutbare
Arbeitszeit, Urlaub, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, ein angemessenes Gehalt.
Schreiber, was willst du mehr?!
Jetzt wollte Herr Schreiber nur
noch eins: schreiben. Damit hat er dann auch sofort losgelegt. Worum es ging,
war ihm klar. Die Leistungen der Bundesregierung sollten im besten Licht
dargestellt werden. Da kamen ihm die Erfahrungen als Werbeschriftsteller
zugute. Darum ging es ja auch immer in der Werbung: das Produkt, die
Dienstleistung, das Angebot – alles musste strahlen.
Natürlich, da gab es Grenzen. Zu
voll durfte man den Mund nicht nehmen. Zumindest die Unwahrheit durfte man
nicht sagen. So gut es ging, sorgte dafür das Gesetz gegen unlauteren
Wettbewerb. Noch gefährlicher war es, wenn die Kunden der Sache auf die
Schliche kamen und ein unehrliches Produkt mit Verachtung straften und nicht
mehr kauften. Das war und ist die höchste Strafe, und jeder will sie vermeiden.
Das alles hatte Herr Schreiber im
Kopf, als er seine ersten Texte für das Presse- und Informationsamt der
Bundesregierung schrieb. Damit hatte er kein Glück. Seine Texte wurden
überarbeitet. Sie wurden richtig gestellt. Was er als kleinen Schritt „in die
richtige Richtung“ darstellte (welch entsetzliche Polit-Formel!) sollte als der
Fortschritt, die Lösung, der Durchbruch, zu lesen sein. Wenn nicht Lüge, so
doch an der Wahrheit haarscharf vorbei.
Und nun schreibt Herr Schreiber
nicht mehr, jedenfalls nicht für das Presse- und Informationsamt der
Bundesregierung. In seinem Vertrag war auch eine Probezeit vereinbart. Die hat
er nicht bestanden.
PS: Wie alle Märchen ist auch
dieses Märchen wahr.
April, April!
Am 2. August 2017, war „Erdüberlastungstag“.
Welch ein Unwort! Aber kein Unding. Alles, was wir uns ab heute von unserem
kleinen Erdchen nehmen, alles das nehmen wir auf Kredit. Wir pumpen es uns, und
unser Konto ist schon heute in den Miesen. Ein Wort sagt alles:
Überziehungskredit, im Allgemeinen: Dispo. Die Zinsen dafür gehen über unsere
Verhältnisse. Wir gehen pleite.
Das Dumme ist nur: Wir merken es
nicht, jedenfalls nicht sofort. Wir leben weiter in Saus und Braus. Wir haben
noch nicht verstanden, dass es genauso ist wie im ganz „normalen“ Leben. Wenn
wir die Stromrechnung nicht bezahlen, wird uns der Strom abgestellt. Wenn wir
die Miete nicht zahlen, fliegen wir raus und so weiter.
Klar, dass wir uns da
zusammennehmen, wenigstens die meisten von uns. Wir schränken uns ein. Und wenn
wir schon nichts auf die hohe Kante legen können für Unvorhergesehenes oder
unser Alter, dann machen wir jedenfalls keine Schulden, so schwer das auch fallen mag.
Aber dass wir seit dem 2. August auf
Dispo leben – das lässt uns kalt?
Wahrscheinlich ist das gar nicht
so. Wir wissen es nur nicht. Wir machen uns keine Gedanken darüber. Was soll
man sich auch denken, wenn man das Wort „Erdüberlastungstag“ liest? Egal. Seit
gestern leben alle Menschen auf unserem kleinen Erdchen auf Pump. Und niemand
macht sich Gedanken darüber, wie wir aus unserem Dispo, aus diesem Schlamassel
herauskommen könnten – wenn es überhaupt noch geht.
Schlimmer kann es nicht kommen?
Aber ja! In Deutschland sind wir schon am 24. April in den Dispo geschlittert,
leben seitdem über unsere Verhältnisse. Das erklärt die Überschrift „April,
April“. Die Jahre werden immer kürzer. Nach nur 4 Monaten ist es in Deutschland
zu Ende. Was alle Länder angeht, ist nach 7 Monaten Schluss. Natürlich könnten
wir da viel öfter als bisher Silvester feiern. Die paar Millionen für das
Feuerwerk kriegen wir trotz der Dispo noch zusammen.
Es wird Zeit, dass wir uns eine
zweite Erde anschaffen. Oder wir reißen uns zusammen. Wenn wir jedes Jahr den
Dispo-Moment um fünf Tage hinaus-zögerten, wären wir zur Jahrhundertmitte
wieder im grünen Bereich, schreibt Stefan Schmitt in DIE ZEIT, 2. August,
Titelseite.
Wenn jeder, der über seine
Verhältnisse lebt, damit bei sich anfängt, sollte das zu schaffen sein. Das
wird allerdings nur dann gelingen, wenn wir gleichzeitig Politik und Wirtschaft
den Wahnsinn austreiben, das Glück der Menschheit hinge einzig und allein vom
Wirtschaftswachstum ab. Es ist, wie wir sehen, nichts anderes als Raubbau.
Donnerstag, August 03, 2017
Ein Prinzgemahl verabschiedet sich
Es gibt Menschen, denen man nicht
widerstehen kann. Sie öffnen einem das Herz. Man ist ihnen hilflos ausgeliefert
– nicht durch das, was sie darstellen, sondern durch das, was sie sind. An der
Spitze dieser wenigen steht ohne Frage Prinz Philip, der Mann an der Seite der
Königin des Vereinigten Königreichs von England, mal links von ihr, mal rechts,
noch öfter hinter, aber niemals vor ihr.
Philip aus dem deutschen Haus
Battenberg, das sich später Mountbatten
nannte und schließlich in die Windsors verwandelte. Mit 96 Jahren ist er
jetzt in den Vorruhestand getreten, nicht, wie zu erwarten, in das nächste Fettnäpfchen. Im Trenchcoat und
mit Bowler hat er im strömenden Regen Schluss gemacht. Der bezeichnete sich als „einen der
erfahrensten Gedenktafel-Enthüller der Welt.
Der Mann wird uns fehlen. Auf den
ersten Blick werden wir seine kühnen Sprüche vermissen. Wer sonst hätte dem
Präsidenten von Nigeria gesagt: „Sie sehen aus, als wollten Sie gleich ins Bett gehen.“ Helmut Kohl
mit „Guten Tag, Herr Reichskanzler“ zu begrüßen, ist ja auch nicht ohne. Zu einem schottischen Fahrlehrer: „Wie
schaffen Sie es, die Leute hier so lange vom Suff abzuhalten, dass sie die
Fahrprüfung bestehen können?“ Bei einer Commonwealth-Veranstaltung in
Birmingham zu einem farbigen Teilnehmer: „Und? Aus welchem exotischen Teil der
Welt kommen Sie?“ Antwort: „Ich bin aus Birmingham.“
Vor allem aber werden wir einen
Mann vermissen, der sich selbst treu geblieben ist und seiner Frau und der
Rolle des „Hausmannes“, die ihm unversehens zugeordnet war. Wie man diese
(undankbare) Rolle mit Anstand und Größe ausfüllt – er hat es allen gezeigt.
So ein bisschen Prinz würde jedem
von uns gut stehen. Aber das ist ein frommer Wunsch.
02. / 3. 08. 2017