Mittwoch, Januar 21, 2015

Kleine Fragezeichen - nicht nur zur Sprache

Immer wieder mal ist von einer No-Go-Area die Rede, und wahrscheinlich weiß jeder, was damit gemeint ist: ein gefährliches Gebiet, das man nach Möglichkeit meiden sollte, wir könnten auch sagen: eine Sperrzone, ein Sperrgebiet. Aber es ist so gut wie immer von No-Go-Area die Rede. Warum rege ich mich auf? Ich rege mich nicht auf. Ich frage mich nur, wie wir ohne No-Go-Area ausgekommen sind. Kann mir das jemand sagen?

Ähnlich geht es mir mit prekär. Aber da kommt noch etwas Anderes hinzu, eine Undeutlichkeit, Schönfärberei. Unsere Wissenschaftsministerin, Frau Wanka, beklagt, dass große Teile des Wissenschaftlernachwuchses unter prekären Bedingungen arbeitet. Meint sie, dass der Nachwuchs zu schlecht bezahlt wird? Nein, sie kritisiert, dass die jungen Wissentschaftler viel zu oft nur Zeitverträge erhalten. Manchmal einen nach dem anderen. Sie leben also in großer Unsicherheit: Bekomme ich einen Anschlussvertrag? Bekomme ich vielleicht sogar eine Festanstellung? Davor drücken sich offenbar die Institutionen, die die Aufträge erteilen, und das dürften vor allem staatliche Institutionen sein. Mit prekär ist hier also nicht miese Bezahlung gemeint (die kommt vielleicht noch dazu), sondern die Zumutung, sich von einem Vertragchen zum nächsten zu hangeln und zum übernächsten und so weiter. Unsichere Verhältnisse. Das alles schönt Frau Wanka mit dem Wörtchen prekär.

Ganz schlimm finde ich das menschenverachtende Neutralisieren von Menschen. Bei einer Auseinandersetzung zwischen Terroristen und Polizei werden die Terroristen neutralisiert, die Polizisten getötet. Niemand liebt Gewalttäter, Terroristen – aber neutralisieren? Wenn wir sie sonst noch wie hassen, es sind doch Menschen. Haben wir das vergessen?

Noch ein Fragezeichen. Eine Frage zur Vermummung: Die Dschihadisten, die Islamistischen Kämpfer im Nahen Osten laufen alle vermummt herum. Wer sich unter den Hauben, die nur Augen, Nase und Mund sehen lassen, verbirgt, ist nicht zu erkennen. Ich halte das für ausgesprochen feige. Jedenfalls sah ich das so bis mir heute ein Foto eines Polizisten im Einsatz unter die Augen kam, der genauso vermummt war. Feige? Oder notwendiger Schutz? Schutz, den auch Terroristen für sich in Anspruch nehmen? Keine Ahnung.  20. 01. 2015

Durch die Hintertür

Die Dresdner Polizei hat die für heute, 19. Januar 2015 geplante Pediga-Demonstration verboten. Grund: Eine gegen Lutz Bachmann, einen der führenden Pediga-Köpfe, ausgesprochene Morddrohung. Ob gewollt oder nicht – damit ist die im Grundgesetz verankerte Versammlungsfreiheit infrage gestellt, außer Kraft gesetzt – durch eine Polizeianordnung. Das ist schlimm.

Noch schlimmer sind die Reaktionen der Politiker, die für diese Entscheidung Verständnis zeigen, wenn auch mit Bedauern. Fürs Bedauern können wir uns nichts kaufen. Ein Grundrecht ist erst mal weg. Einfach so, durch die Hintertür.

Was Frau Merkel dazu einmerkte, ist zum Verzweifeln: „Ich habe als Bundeskanzlerin, unbeschadet, ob mir die Inhalte gefallen, ein Interesse daran, dass an jedem Ort in Deutschland demonstriert werden kann, weil es sich um ein Grundrecht handelt.“ Die Demonstrationsfreiheit sei ein hohes Gut. „Ein solches hohes Gut muss, so weit als möglich, geschützt sein.“

So weit als möglich? Also nicht unbedingt. Und – wenn der Bund gebeten werde, werde er dazu beitragen. Die Demonstrationsfreiheit eine Ländersache?

Hätte es in Dresden keine vernünftige Lösung geben können? Doch. Man hätte Lutz Bachmann dazu gewinnen können, diesmal nicht an der Demonstration teilzunehmen. Das hätte man nur zu sagen brauchen, und schon hätten die 25.000 wieder laufen können, zu meinem Missvergnügen, aber immerhin.

Seit dem 11. September 2001 wird weltweit hysterisiert, finde ich – mit den schrecklichsten Folgen. Manchmal denke ich, dass ich vielleicht übertreibe. Aber leider sehe ich die Sache realistisch, wie das Dresdener Verbot zeigt. Zu dumm!
(Quelle der Zitate: SPIEGEL ONLINE, 19. Januar 2015, 16:11 Uhr)

Donnerstag, Januar 15, 2015

"Fehleinschätzung" und Schlimmeres


In Dresden wird Khaled I., Flüchtling aus Eritrea, ermordet. Polizeibeamte waren von einem Sturz und einem offenen Schlüsselbeinbruch ausgegangen. Das sah auch ein Arzt bei der Leichenschau so. Erst bei der Obduktion stellte man fest, dass der 20-Jährige durch mehrere Stiche in Brust und Hals getötet wurde. Eine zufällige Oberflächlichkeit? Daran ist zu zweifeln.

Khaled I. wohnte zusammen mit sieben anderen Eritreern in einer Vier-zimmerwohnung. Die Arbeiterwohlfahrt Sachsen, deren Sozialarbeiter die Eritreer betreut, berichtet nun von Hakenkreuzen im Hausaufgang der Wohnung und dass mehrfach gegen die Tür der Flüchtlingswohnung getreten worden sei. Nun, also jetzt, nach dem Mord. Eine zufällige Nachlässigkeit? Daran ist zu zweifeln.

Inzwischen wurde das Operative Abwehrzentrum der Polizei zu dem Fall hinzu-gezogen. Es wurde speziell zur Bekämpfung von Rechtsextremismus geschaffen. Ein weiterer Zufall?  Daran ist zu zweifeln.

Und als wenn das nicht genug wäre, weiß Frau Helma Orosz, Oberbürgermeisterin von Dresden nichts anderes zu sagen als „Ich glaube, dass diese Tat an einem Asylbewerber aus Eritrea, der in unserer Stadt gelebt hat, viele Fragen aufwirft.“ Sie habe Vertrauen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft die Fragen schnell klären könnten.  Welche Fragen? „Nur“ die, die sich unmittelbar um den Mord drehen und nicht um die Hintergründe, nicht um den Rechtsextremismus?  Eine zufällige Leichtfertigkeit? Daran ist zu zweifeln.

Hinter allem steckt Absicht? Es fällt schwer, daran nicht zu zweifeln.

(Quelle: SPIEGEL ONLINE, 15. Januar 2015, 15:34 Uhr)

Vom Draufsatteln und Absatteln

Zugegeben, die deutsche Sprache kann störrisch sein wie ein widerspenstiger Gaul. Deshalb sollte man mit ihr nicht allzu leichtfertig umgehen. Sie kann ganz schön ausschlagen.

Nun sollte man annehmen, dass eine Frau  wie die nordrhein-westfälische Schulmini-sterin Sylvia Löhrmann sattelfest sein sollte, was das unsere Sprache angeht. Weit gefehlt. Zitat: „Die Frage ist aber auch: Wie schaffen wir das*, ohne dass wir ständig von obendrauf satteln?“

Von obendrauf satteln? Wie geht das? Gar nicht. „Wie schaffen wir das, ohne dass wir ständig etwas draufsatteln“ – das wäre wohl – sozusagen abgesattelt – die richtige Form. (Quelle: Hamburger Abendblatt, 15. 01. 2015)

Polly

Obgleich ich finde, dass wir viel zu viele Abkürzungen haben, von denen man oft nicht weiß, wofür sie stehen, will ich ein neues Kürzel einführen. Ich halte das für notwendig.

Polly bezeichnet das Schönsprechen, die Schönsprecherei, die aufgeblasenen Formulierungen, mit denen Politiker und Manager mit Fleiß umgehen. Sie bringen es fertig, die kleinste Kleinigkeit als groß und bedeutend darzustellen. Viele von ihnen merken das möglicherweise gar nicht, weil sie in einer anderen Welt leben, abgehoben von unserer Alltagswelt. Ich will ihnen weder Verstand noch Gefühl im Allgemeinen absprechen, um Himmels Willen, nein! Aber ein Gefühl für unsere Sprache haben sie nicht.

Das Kürzel Polly steht für Politiker-Lyrik. Eine Lyrik, die wie gesagt, auch Manager pflegen. Polly steht in freundschaftlich-gegensätzlicher Verbindung zu Kiss, dem Kürzel für Keep it simple and stupid. (Sag’s einfach, damit es auch Dumme verstehen.)

Hier für einige Polly-Beispiele:

„In einen Dialog treten“. (Ein sprachliches Fettnäpfchen.) Ein Gespräch beginnen, miteinander sprechen – täte es auch.

„Konfrontativ vorgehen“, „konsensualer Wahlkampf“,  „eine abstrakte Gefährdung, aber keine konkreten Hinweise“, „eine robuste Prognose“, „belastbare Daten“, „ein robustes Mandat“ – alles Polly, alles Politiker-Lyrik. Soll gut klingen, ist aber durch die Bank schrecklich.

Mal klingt es bombastisch (konfrontativ, konsensual), mal ist es schlicht falsch. Eine robuste Prognose ist eine genaue Prognose, belastbare Daten sind zutreffende, verlässliche Daten. Mal soll etwas verschleiert werden: Hinter dem robusten Mandat verbirgt sich nichts anderes als ein Kampfeinsatz.

Ich will nicht geschmacklos werden. Aber was Politiker weltweit zu den Morden in Paris, Charlie Hebdo, „trauernd“ gesagt haben, ist so Polly wie nur irgendetwas. Herr Karasek hat es im Hamburger Abendblatt vom 10./11. Januar 2015 auf den Punkt gebracht: „Nach einem so schrecklichen Ereignis wie dem Anschlag in Paris sind die Politiker in ihren ersten Stellungnahmen meist sprachlos. Das aber leider mit vielen Worten.“ Dem ist im Augenblick nichts hinzuzufügen.
10. 01. 2015

Anstiftung zum Denunzieren

Auf den tragischen Überfall auf Charlie Hebdo wird von der Politik, wie zu erwarten, hysterisch reagiert. Innenminister de Maizière hat zur Wachsamkeit aufgerufen.

„Wir müssen sorgsam sein“, sagte er. „Wir haben Radikalisierungsprozesse in Deutschland, bei denen sich Personen äußerlich und innerlich bis hin zu ihren Essensgewohnheiten verändern“, fährt er fort. Da ist die Wachsamkeit der Bürger, der Familien, der Nachbarn, der Sportfreunde oder Mitgläubigen in den Moscheegemeinden wichtig und richtig.“ Natürlich sollen wir nicht jeden, „der mit einer Kapuze im Dunkeln herumläuft, verdächtigen“ – so der Herr Innenminister.

Donnerwetter, da wissen wir jetzt ja Bescheid. Kapuze im Dunkeln? Verdächtig. Aber nicht jeder. Kapuze tagsüber. Unverdächtig, oder vielleicht doch? Wenn ein Übergewichtiger seine Essgewohnheiten ändert, Diät macht und abnimmt – verdächtig oder nicht? Mit Übergewicht kämpft es sich schlecht. Also erst abnehmen und dann ab ins Kalifat? Könnte doch sein, oder? Wird man mich verdächtigen, weil ich viel zu selten zum Friseur gehe und deshalb mal so, mal so sehr unterschiedlich aussehe? Ja, und dann erst die innerlichen Veränderungen, auf die wir nach Herrn de Maizière achten sollen. Wie stelle ich die bei einem äußerlich unverdächtigen Menschen fest?

Was hier so albern klingt, ist ernst zu nehmen. Herr de Maizière fordert uns zum Denunziantentum auf. Da ist es fast eine lässliche Sünde, wenn er die Wieder-einführung der Vorratsdatenspeicherung und eine europaweite Erfassung von Flugdaten für nötig erklärt. Geholfen hat diese Datenspeicherung in Frankreich nicht.
(Zitate: SPIEGEL ONLINE, 11. Januar 2015, 11:30 Uhr)

Mit vollen Hosen schreibt man schlecht

Gute Journalisten prüfen die Dinge genau, bevor sie darüber schreiben. Und wenn sie unsicher sind, sagen sie das oder lassen die Finger ganz von dem Thema. Wenn ein Journalist über einen mutmaßlichen Doppelagenten berichtet, der über 5000 geheime Notizen weitergegeben hat, dann schreibt er das, weil er die Hosen voll hat. Weil den Justitiar seines Verlages falsch verstanden hat.  Wenn jemand etwas getan hat, dann hat er das nicht mutmaßlich getan, sondern tatsächlich. Er ist also ein Täter. Ein Täter, der wegen seiner Tat angeklagt, aber noch nicht verurteilt ist. Es müsste in diesem Fall deshalb heißen: Der Doppelagent, der in Untersuchungshaft sitzt, aber noch nicht angeklagt ist, hat über 5000 geheime Notizen weitergegeben. Das liest sich zwar etwas umständlich, trifft aber die Sache. Vielleicht hat der falsche Gebrauch des Wörtchens mutmaßlich aber einen ganz anderen Grund, nicht die vollen Hosen, sondern die Faulheit. 15. 01. 2015

Samstag, Januar 03, 2015

"Der dritte Weg"

So hat die Autorin Katja Thimm ihre SPIEGEL-Titelgeschichte (1/2015, 29. 12. 2014) überschrieben; sie reicht von Seite 112 bis Seite 120. Bei der kleinen SPIEGEL-Schrift kommt da viel Text zusammen. Viel zu lesen also. Ob auch wirklich viel dabei herauskommt? Mal sehen.

Im Vorspann behauptet Frau Thimm „Nachdem sich die traditionelle Familie als brüchiges Modell herausgestellt hat, entdecken die Deutschen ihre Freunde neu.“ Das klingt so, als könnten wir mit dem Zusammenleben in einer Familie in zwei, drei, manchmal sogar 4 Generationen nichts mehr anfangen, als wollten wir einfach nicht mehr so leben. Wenn das Frau Thimm so sieht, dann sehe ich das anders.

Ich denke, dass der Wunsch nach Familie, nach Familienleben, mit seiner Wärme, auch mit seinen Zankereien, nach wie vor besteht. Es wird nur immer schwieriger, sich diesen Wunsch zu erfüllen.

Familien sind heute nicht nur übers ganze Land verstreut, sondern über Länder, über Kontinente. Von Zusammenleben, so sehr man es sich wünscht, kann da kaum die Rede sein. Deshalb: Die traditionelle Familie ist für mich kein brüchiges Modell. Sie ist eine Lebensform, die wir kaum noch leben können. Viele von uns sind Arbeitsnomaden – gestern in Berlin, heute in München, morgen in London oder sonst wo. Wir gehen dahin, wo wir Arbeit finden und nehmen unsere Kinder mit, aber eben nicht die ganze Familie. Die löst sich, ob wir es wollen oder nicht, schlicht auf.

Also die Freundschaft als dritter Weg, so Frau Thimm. Aber wieso dritter Weg? Den Hinweis auf einen zweiten habe ich erst beim Nachlesen gefunden. Und das mit der Freundschaft ist auch so eine Sache. Wenn ich von Stadt zu Stadt zigeunere, von Land zu Land vielleicht sogar, dann bleiben ja auch die Freunde zurück, und neue müssen gefunden werden. Familie, Familienleben braucht Nähe und Beständigkeit; die fehlt.

Ich sehe nicht alles so wie Frau Thimm. Trotzdem: Respekt. Ich finde, sie ist nicht nur eine kluge Frau, sie ist auch fleißig. Sie hat sich unter den Klugen – ich will nicht sagen Neunmalklugen – umgesehen und hat sage und schreibe 14 von ihnen um sich versammelt, nur für diesen Text. Ich kann es mir nicht verkneifen, ich muss sie hier
notieren:

Heinz Bude, kasseler Soziologie-Professor – Janosch Schobin, Soziologe – Wolfgang Krüger, Psychotherapeut – Daniel Tyradellis, Philosoph – Horst Petri, Psychoanalytiker – Sivlia Bovenschen, Schriftstellerin – Erika Alleweldt, Soziologin, Humboldt-Universität, Berlin – Vincenz Leuschner und Sabine Flick, Soziologen, Freundschaftsforscher, Universität Frankfurt/Main –  Axel Honneth, Soziologie-Professor, Frankfurt/Main – Jaap Denissen, Psychologie-Professor, Universität Tilburg, NL – Ursula Nötzold-Linden, Soziologin, München – Georg Simmel, (1908), Soziologe – Nicholas Christakis, Yale University.

Donnerwetter! So viel Intelligenz, so viel Wissen, so viel Klugheit. Und? „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“ Trotzdem bedauere ich es nicht, die Fleißarbeit von Frau Thimm gelesen zu haben.

An einer Sache rätsele ich immer noch herum: Warum führt Frau Thimm so viele Namen auf? Will sie zeigen, wie fleißig sie war, wie gewissenhaft sie gearbeitet hat? Will sie sich gegen etwas – ja, gegen was?  absichern, zum Beispiel gegen den Vor-wurf, sie schmücke sich mit fremden Federn?

Mit dieser Zitierwut ist Frau Thimm nicht allein, auch nicht der SPIEGEL. Natürlich gibt es einen ehrenwerten Grund, seine Quellen zu nennen: die Fairness, fremdes, angelesenes Wissen nicht als das eigene auszugeben. Aber man kann übertreiben. Oft würde ein allgemeiner Hinweis darauf genügen, dass es die verschiedensten Erkenntnisse, Ansichten, Meinungen usw. von Wissenschaftlern gibt. Aber dann lässt sich der Fleiß der Autoren nicht mehr erkennen. Ist also doch ein bisschen Eitelkeit im Spiel? Wenn ja – einverstanden!

*Ich musste extra noch mal nachlesen, um herauszufinden, weshalb Frau Thimm vom dritten Weg schreibt. Sie bezieht das auf die Einteilung von Heinz Bude: Familie, Wohlfahrtsstaat, Freunde. 02. 01. 2015

PS: Sprach-Firlefanz, sprich: Soziologen-Deutsch

Janosch Schobin spricht von „Verfreundschaftlichung der Gesellschaft“ und von einer „Verfürsorglichung von Freundschaft“. Was diese Begriffe angeht, sagt der Berliner Junge in mir: Au backe, der kann vor Kraft nich loofen.

Am Rande und vielleicht trotzdem aufschlussreich: Ich hatte mich gerade eben vertippt und hatte geschrieben „Verführsorglichung“. Vielleicht verbirgt sich hinter diesem Verschreiber etwas viel Verführerisches als die Fürsorge.

"Alles Feinste bleibt privat"

Mit diesem Slogan wurde vor „tausend“ Jahren für die Cigarettenmarke MURATTI PRIVAT  geworben. Diese Zigarette gibt es längst nicht mehr, und privat bleibt heutzutage kaum etwas, jedenfalls nicht im Internet.

Aber ganz so schlimm scheint es doch nicht zu sein. Wenn wir dem SPIEGEL Artikel „Fliegendes Schwein“ glauben, können wir trotz NSA & Co. immer noch vor neugierigen Blicken schützen. Wir müssen unsere Nachrichten nur verschlüsseln.

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Auf die meisten können wir wohl pfeifen. Nicht nur die NSA kommt uns da auf die Schliche. Aber an einigen Programmen scheinen sich auch diese Experten die Zähne auszubeißen. Witzigerweise sollen sie bei Programmen auf Granit stoßen, die schon 20 Jahre alt und noch älter sind. Sieh mal, die Internet-Opas, die waren tüchtig!

Das Ganze läuft unter dem Stichwort Kryptographie ab. Wir könnten auch sagen: Geheimniskrämerei. Aber Kryptographie macht natürlich mehr her, macht mehr Eindruck.

Als meine Gedanken so spazieren gingen, dachte ich, dass die NSA-Mitarbeiter ihre herausfordernde Arbeit nur leisten können, wenn sie  um jeden Preis, auch um den der eigenen geistigen Gesundheit jede Verschlüsselung entschlüsseln wollen. Das kann krankhaft werden, dachte ich und musste an Kleptomanie denken, die unwiderstehliche Sucht, zu stehlen.

Bei diesem Gedankenspaziergang – ein Wort gibt das andere – verwundert es nicht, dass mir da die Wörter Kryptomanie und Kryptomane einfielen. Ich fand das jedenfalls ziemlich naheliegend, einleuchtend, normal. Ist es aber anscheinend nicht. Noch gibt es diese Wörter weder bei Wikipedia noch sonst wo. Google kennt sie nicht, Wahrigs Wörterbuch schweigt sich ebenso aus wie der Duden..

Ich muss also davon ausgehen, dass ich der Erfinder dieser beiden Wörter bin. Vielleicht sollte ich darauf sogar ein wenig stolz sein. Das Ärgerliche ist nur, dass man mir diese Erfindungen nicht patentieren wird. Monsanto & Co. wird jeder Unfug patentiert, und sie machen Milliarden damit und stiften Unheil ohne Ende.

Meine Worterfindungen, erst mal patentiert, wären dagegen auf der guten Seite. Unsere Sprache um zwei Wörter reicher und ich: Millionär; denn für jede Erwähnung von Kryptomanie und Kryptomane müsste ja eine kleine Lizenzgebühr an mich gezahlt werden. Bei der heutigen Geschwätzigkeit würde schon 1 Cent genügen, um mich reich zu machen. 02. 01. 2015

Donnerstag, Januar 01, 2015

Von Wörtern, die es nicht geben sollte

Es gibt Wörter,die finde ich so hässlich, dass ich sie geradezu hasse. Huch, sind Hass und hässlich verwandt? Eines dieser Wörter ist händisch.

Etwas lässt sich händisch erledigen  Es kann mit der Hand gemacht werden. Handarbeit… handgreiflich, Handarbeit, Handwerk, Handlanger, im Handumdrehen – unsere Sprache hat so viele schöne Wörter, und dann das! Fußläufigkeit, fußläufig – genau so schlimm. Etwas ist so nah, dass man es zu Fuß erreichen kann.

Und dann: Fußläufigkeit, fußläufig, genau so schlimm! Etwas liegt war nicht zum Greifen  nahe, aber immerhin so nah, dass man das Ziel zu Fuß erreichen kann. Und dann auch noch so umständlich. Füßig statt fußläufig würde ja genügen.  Dann sähen händisch und füßig in ihrer Hässlichkeit wenigstens ähnlich aus.

Lassen wir unserem Ärger keinen freien Lauf mehr, wenden wir uns leichtfüßig, leichten Fußes und mit Vergnügen schönen neuen Wörtern zu, wie Singsang-Serie, Plapperprogramme und laborkittelernst, neue Wörter, die oberflächliche Musik- und Showsendungen im Fernsehen bezeichnen und klar machen, dass ein Thema ruhig etwas lockerer behandelt werden könnte, eben nicht laborkittelernst. Da hat das Wörtchen bierernst sozusagen ein Geschwisterchen bekommen.  Applaus für die mir unbekannten Wortschöpfer! Hier zeigt sich die ganze Lebendigkeit unserer Sprache.

Wie lebendig unsere Sprache ist, sehen wir auch daran, dass sie sich  mit Selbstver-ständlichkeit und ohne lange zu fackeln, Fremdwörter einverleibt. Ist ein englisches Wort genauer und weniger umständlich als das deutsche Wort, dann wird zuge-griffen. Unsere Sprache ist, so gesehen, eine Einwanderungssprache.

Wenn sie allerdings aus Bequemlichkeit, aus Dummheit, aus Angeberei ins Alphabet gestopft werden wie Backpacking und Plane Spotter, dann sträuben sich mir die Haare. Beide Wörter, ins Deutsche implantiert, spotten jeder Beschreibung.

Backpack anstatt Rucksack, Backpacking anstelle Rucksackwanderung, Plane Spotter für jemanden, der Flugzeuge (bei Start und Landung) beobachtet und fotografiert? Nein, danke!

Ein bisschen auf der Kippe sind vielleicht die Wörter It-Girl und It-Bag. Gemeint sind Mädchen, Frauen, die für den Augenblick viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, meist aus den oberflächlichsten Gründen. Eigentlich könnte man auch In-Girl sagen. Aber irgendwie klingt It-Girl spritziger. Das merkt man, wenn man das Wort nicht nur liest, sondern ausspricht.

Bei den It-Bags geht es um Handtaschen, „die man einfach haben muss“, zum Beispiel eine Handtasche wie Grace Kelly sie ihrerzeit trug – gezeigt in der aktuellen Aus-gabe der ZEIT (Jahreswechsel 2024/2015). 

Was haben diese beiden Its gemeinsam? Man möchte sie haben. Und was unter-scheidet sie? Eine It-Bag haben zu wollen, ist harmlos, wenn auch teuer. Beim It-Girl
ist es zwar auch teuer, aber nicht unbedingt harmlos. 01. 01. 2015

Von Hellsehern und anderen ehrenwerten Menschen

Die Neugierde des Menschen kennt keine Grenzen. Am liebsten würden wir alles wissen, ganz besonders, was uns die Zukunft bringt. Einzige Ausnahme: Niemand will wissen, wann er sterben wird. Das klingt makaber, ist aber von der Natur gut eingerichtet. Wenn jeder von uns von Anfang an seine Lebensspanne kennte! Ein Gedanke, der die ganze Welt auf den Kopf stellen würde. Dieser Sonderfall sei hier ausgeklammert. Bleiben wir bei den einfachen Fragen.

Was wird morgen sein? Was in einem Jahr, in 10, in 100 Jahren? Wird es besser? Wird es schlechter? Drohen Gefahren, oder winkt das große Glück? Das sind die sozusagen menschlichen Fragen. Aber dann gibt es noch übergeordnete Fragen. Die werden von Politikern gestellt und von anderen bedeutenden Persönlichkeiten – Konzernlenkern und so.

Alle wollen so gut wie alles wissen. Dieser offensichtlich unwiderstehliche Wunsch hat die unterschiedlichsten Berufe hervorgerufen.

Am Anfang war der Hellseher. Der war meist eine Frau, also eine Hellseherin. Dieser Hinweis ist der Political „Correctness“ geschuldet. Schon bei den „alten Griechen“ kam das vor und beschränkte sich schon damals nicht auf das Persönliche.
Dass die Hellseher oft schwarz sahen und drohendes Unheil verkündeten, sei nur am Rande vermerkt. Heute ist das etwas anders: Selbst für Politiker und Wirtschaftsmogule werden gelegentlich glückliche Zeiten geweissagt. Es kommt ganz darauf an, welchen Auftrag sie erteilt haben. Damit zum professionellen Teil der Hellseherei.

Die unterschiedlichsten Berufe haben sich in diesem Bereich entwickelt: Glücks-forscher, Politikwissenschaftler, Entwicklungspsychologen. Eine ganze Industrie ist entstanden. Es gibt sogar Denkfabriken (Think Tanks). die uns aus unserer Gegen-wart in die Zukunft hinein phantasieren.

Alle diese Leute wollen ihr Brot verdienen. Darum denken sie sich die tollsten Dinge aus. Diese Leute sind wirklich klug. Sie nennen sich nicht, wie es sich gehörte, Hellseher, sondern Zukunftsforscher. Sie sehen nicht hell  – sie machen Prognosen. Frage: Ist Prognostiker eigentlich schon als Berufsbezeichnung registriert?

Es gibt viele Witze über Prognosen, und ich habe das Gefühl, wir sollten sie alle ernst nehmen.

Wir sehen ja nicht mal klar, wenn wir zurückblicken. Was wir in unserer Ver-gangenheit entdecken, hat oft mit der Wirklichkeit nicht allzu viel zu tun. Und da wollen wir in die Zukunft schauen? Die ist ja noch nicht Wirklichkeit, sondern nur eine Prognose. 01. 01. 2015