Sonntag, Juli 07, 2013

Das Spiel mit Worten ist alles, nur kein Spiel

Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ist nichts anderes, als Bürger auf Verdacht auszuspionieren. Nach dem Grundgesetz sollte das eigentlich verboten sein. Aber es gibt ein Gesetz, das dieses Ausspionieren erlaubt. Deshalb ist das Ganze ein umstrittenes Thema. Die Unionsparteien sind dafür. Weil ihnen das Wort Vorratsdatenspeicherung inzwischen zu unbequem geworden ist, haben sie ein neues Wort an seine Stelle gesetzt: Mindestspeicherfrist. In der Sache hat sich nichts geändert. Diese Umbenennung ist keine Spielerei. Wir werden weiter ohne jeden Grund verdächtigt und ohne jeden Grund weiter ausspioniert. Die Unionsparteien spekulieren darauf, dass niemand den Wortschwindel bemerkt.

Kaum hatte ich das gelesen, fand ich Unterstützung für meine Auffassung gleich von zwei, eigentlich von drei Seiten.

Da ist einmal Georg Diez mit seiner Kolumne „Wahre Lügen“ in SPIEGELONLINE vom 5. Juli. Er schreibt in seiner Einleitung: „’Freund, Freiheit, Recht’: Wenn deutsche und amerikanische Politiker über Edward Snowden und seine Enthüllungen sprechen, bedienen sie sich einer pervertierten Sprache, die nicht der Wahrheit dient, sondern nur ihren Interessen.“

Er schreibt weiter: „’Freund ist keine Kategorie des Politischen. Es ist ein offenes Wort, es ist ein schwaches Wort, weil niemand genau weiß, was damit genau gemeint ist: Man kann Freundschaft so oder so definieren, es gibt keine Regeln für den Umgang unter Freunden – es gibt aber Regeln für den Umgang unter Staaten und Regierungen.“

Dann ist da George Orwell, den Georg Diez in seiner Kolumne ausgiebig zitiert:
„Das politische Reden ist vor allem eine Rechtfertigung dessen, was nicht zu rechtfertigen ist.“ (1946) „Das Denken korrumpiert die Sprache, aber die Sprache korrumpiert auch das Denken.“ „Die Worte Demokratie, Sozialismus, Freiheit, patriotisch, realistisch, Gerechtigkeit haben alle mehrere Bedeutungen, die nicht mitieinander in Einklang gebracht werden können. Diese Worte werden oft auf eine bewusst unehrliche Art und Weise verwendet. Das heißt, eine Person hat ihre eigene private Definition, lässt sein Gegenüber aber in dem Glauben, dass er etwas ganz anderes damit meint.“ „Katalog der Schwindlereien und der Perversion“ nannte George Orwell seine Analyse des Journalismus seiner Zeit: „Die Prosa besteht immer weniger aus Worten, die wegen ihrer Bedeutung gewählt wurden, und immer mehr aus Phrasen, die zusammengezimmert werden wie die Einzelteile eines vorfabrizierten Hühnerstalls.“ „Die Sprache der Politik ist dafür gemacht, dass Lügen wahr klingen und das Töten angemessen wirkt.“

Und nun, drittens: Hans Sahl in seiner Erzählung „Vom Manne, der nicht mehr reden wollte.“:

„…Vielleicht lag es auch daran, dass ich zu viel vom Wort erwartete, dass ich ihm eine Bedeutung beigemessen hatte, die ihm nicht zukommt. Ich hatte etwas zu ernst genommen, das nur in Ausnahmefällen, und auch dann mit Vorbehalten, der Erkenntnis dient, sonst von den Menschen dazu benutzt wird, einander zu sagen, dass sie nichts zu sagen haben.“ „Hier fand ich das Wort in seiner schönsten Nutzanwendung bestätigt, hier gab es keine Täuschungen, keine rhetorischen Abschweifungen und Verirrungen.“ (Gemeint ist die Arbeit am Reißbrett einer Konstruktionsfirma; die Worte beschreiben unmissverständlich eindeutige Sachverhalte.)

Diez, Orwell, Sahl – der Zufall hat sie hier zusammengeführt. Viel Stoff zum Nachdenken.