Dienstag, Juni 26, 2018

Alles normal?

Homosexuell, lesbisch, bisexuell und noch andere Spielarten – alles  das ist nicht die Norm, aber normal. Das jedenfalls dürfte heute die vorwiegende Meinung sein. Warum auch nicht? Herr Wowereit, seinerzeit Bürgermeister von Berlin, hat mit seinem öffentlichen „Ich bin schwul. Und das ist gut so.“ das Eis des Schweigens und Verschweigens gebrochen.

Das ist nun schon recht lange her, und alle konnten sich an diese Normalität gewöhnen. Deshalb ist es längst Zeit, das Normale als normal zu behandeln. Aber noch scheinen wir nicht so weit zu sein. Warum sonst wird immer noch mit dem Hinweis auf das Schwulsein kokketiert. Das ist doch so langweilig wie die lächerlichen Personenbeschreibungen, die sich auf das Jackett, das Hemd, die Krawatte beschränken. Der Mensch als Kleiderbügel? Der Mensch, reduziert auf Sex? Eine verdammt billige Masche. 

Zu viel des Guten.

Wenn ich mich recht erinnere, hat DER SPIEGEL mit einer Rechtschreibung begonnen, die vom Duden abweicht. Besonders deutlich wurde das bei der Zeichensetzung. Vor allem der Punkt wurde und wird sehr häufig recht willkürlich gesetzt, nicht mehr unbedingt am Ende eines Satzes. sondern mittendrin. Das lässt sich als Stilmittel noch hinnehmen. Beim Doppelpunkt sollte der Spaß allerdings aufhören. „Bis hin zur: Zerschlagung?“ (DER SPIEGEL am 23. Juni.) Hier macht der Doppelpunkt nun wirklich  keinen Sinn. Das stört  die Damen und Herren Journalisten offenbar überhaupt nicht. Sie machen sich immer häufiger einen Spaß daraus, einfache Sätze mit einem falsch gesetzten Doppelpunkt zu verunstalten. 

Erzählung

Von heute an werden die Tage wieder kürzer, genauer gesagt: Es wird später hell und früher dunkel, die Länge bleibt.
Herr Seehofer zeigt eine neue Seite, die des Reflektierten – schreibt Thomas Schmid in DIE WELT vom 19. Juni. Der Reflektierte, der Nachdenkliche – es geht wieder mal nicht vornehm genug. Reflektieren? Nachdenken geht doch auch, ist aber wohl nicht anspruchsvoll genug.
Und dann schlägt Herr Schmid richtig zu: „Die Mehrheit der Bürger ist fähig, die große Erzählung vom Drama der Migration zu verstehen.“ Wie pompös! Machen wir’s mal eine Nummer kleiner: „Die meisten Bürger verstehen die Dramatik der Migration.“ Vor allem aber: Was heißt hier „Erzählung“?

Nach meinem Verständnis ist die Erzählung eine entfernte Verwandte des Märchens. Die Erzählung nimmt nicht immer alles ganz genau, nicht selten schmückt sie die Dinge mehr oder weniger aus. Aber so genau nimmt man es seit einiger Zeit nicht mehr. Neuerdings nennt man auch einen Bericht, einen Kommentar Erzählung. Sollte dahinter, ganz versteckt, der Versuch stecken, ehrlich zu sein? Eine Aufforderung, nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen? 

Mittwoch, Juni 06, 2018

Aufgelesen

4. Juni 2018
Aufgelesen:  „Warum müssen sich alle immer anpassen?“ fragt Sophia Bogner in DIE ZEIT vom 30. Mai. und gibt  auch gleich die Antwort: „Es würde doch reichen, wenn wir einander friedlich ignorieren.“ Ihre Ansicht ist so überzeugend, dass sie notiert werden muss. Die Andersartigkeit des anderen, sie nervt, sie pro-voziert…Nirgendwo kann man das besser beobachten als zu Stoßzeiten in der U-Bahn: muslimischer Koranschüler neben tätowiertem Schwulenpärchen mit Dobermann, Glatzköpfige spanische Hipster-Frau mit Sonnenbrille neben Berliner Kneipenwirtin, die früher mal ein Mann war und sich fragt, „wat die ganzen Spanier bloß hier wollen“. Frau aus Pforzheim (gerade hergezogen) neben alter Türkin mit Kopftuch (lebt schon immer in Neukölln), die mit der einen Hand in der Luft wedelt und mit der anderen der Pforzheimerin den Mittelfinger zeigt, weil die so dumm im Weg steht. – Wer sollte sich in diesem U-Bahn-Wagen nun wem anpassen? Und warum? Es würde doch reichen, wenn sie einander friedlich ignorieren.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
„In bester Ordnung.“ So schreibt DIE ZEIT am 30. Mai und ergänzt:“Zu Besuch im Herzen der Finsternis: „Wie der Glyphosat-Hersteller Monsanto versucht, sein schlechtes Image aufzubessern.“ Und jetzt? Der Juni ist erst ein paar Tage alt, und Bayer hat Monsanto gekauft. So schnell kann’s gehen. Interessant: Bayer lässt den Namen Monsanto in der Versenkung verschwinden. Ob das auch für Glyphosat gilt, wird nicht gesagt. Ein paar halbherzige, lächerliche Verbote werden das Gift nicht stoppen.
5. Juni 2018
Aufgelesen, Fortsetzung. „15 % der Grundschüler können am Ende der vierten Klasse kaum rechnen. Sie können einfachste Aufgaben nicht lösen.“ (DIE ZEIT 30. Mai).
Passend dazu „Das Düsentrieb-Dilemma“ (DER SPIEGEL, 2. Juni). Thema: „Der deutsche Ingenieur denkt verbreitet noch in den Gewissheiten von gestern, dabei ist er längst mit den Herausforderungen von morgen konfrontiert.“ Digitalisierung scheint weitgehend ein Fremdwort zu sein, das noch nicht verstanden worden ist.
„19 % aller Zehnjährigen können nicht richtig lesen. Das werden einmal 19 % aller Erwachsenen sein.“ Wir verblöden, sind auf dem Weg zu einer Nation von Analphabeten. „Wer sich in der Bildungspolitik umtut, stößt auf bemerkenswerte Fälle pädagogischen Abenteurertums: Referendare werden als Klassenleiterersatz angeheuert; Akademiker. die vorher noch nie vor einer Klasse standen, sollen plötzlich Migrantenschülern die Feinheiten der deutschen Schriftsprache beibringen. In Ländern wie Schleswig-Holstein kommen seit geraumer Zeit sogar Krankenschwestern, Köche und Freizeitpädagogen ohne Studium zum Einsatz. Eigentlich sollten sie den Schulbetrieb nur unterstützen. Wenn sich die Krankheitsfälle im Kollegium aber häufen, müssen die Laienlehrer als Vertretung ran – mitunter mehrere Monate lang.“ (DIE ZEIT, 30. Mai)
Schon seit Langem beklagen sich die Universitäten darüber, dass sie dem Erstsemester Nachhilfeunterricht geben müsste, damit Studenten der Studienreife wenigstens nahekommen. Ähnliches ist aus Industrie, Handwerk und Dienst-leistung zu hören. Alles spricht dafür, dass es noch schlimmer wird. Die Regierung (Bund) und die Regierungen (Länder) verbocken das seit Jahren. Besserung ist nicht in Sicht. Auch wenn es ein Nazi-Spruch ist, hier soll er einmal zitiert werden: „Deutschland erwache!“ Das  ist nicht schlimmer als das, was unsere Politiker nicht tun, auch wenn es weh tut.
„Die perfekte Lüge“ – Ton- und Videoaufnahmen lassen sich immer raffiinierter und glaubwürdiger verfälschen. Schwarzseher trauen den filmischen Fake News zu, die Demokratie zu zerstören.“ (DER SPIEGEL,2. Juni)
Man muss kein Schwarzseher sein, um das Schlimmste zu fürchten, denn „Es ist sehr einfach, den Leuten etwas als wahr zu verkaufen, das gar nicht wahr ist.“ Mit zwei Fotos zeigt der SPIEGEL wie es geht: „Schülerin Gonzales mit Zielscheibe (Originalvideo), mit US-Verfassung (Fälschung)“. Der Münchner Informatiker Nießner sieht die Sache nicht so dramatisch. „Zusammen mit seinen Kollegen hat er gerade ein Detektivprogramm entwickelt. FaceForensics erkennt mit großer Wahrscheinlichkeit, ob ein Film echt ist oder nicht. Dazu entwickeln die Münchner Forscher zusammen mit der gemeinnützigen AI Foundation ein Browser-Plug-in, das Fake-Videos automatisch entlarven soll. Jeder Nutzer könnte damit befähigt werden, in seinem Firefox- oder Chrome-Browser die Dichtung von der Wahrheit zu trennen.“ So weit, so gut, aber nicht gut genug. Den Fakes bleiben Tür und Tor geöffnet.