Mittwoch, Juni 28, 2017
Das mit dem genauen Hinhören hat
bis heute noch nicht so richtig
geklappt. Das gilt zumindest für den Klimawandel, der mit katastrophaler
Geschwindigkeit immer mehr Fahrt aufnimmt. Dann wäre da, vielleicht eine Nummer
kleiner, die Globalisierung, die uns pausenlos vortrompetet wird. Trotz aller
Lautstärke: Ins eine Ohr hinein, zum anderen wieder heraus.
Das alles und noch viel mehr ist
zu viel des Schlechten. Nicht Schwamm drüber, aber dazu später einmal.
Es lohnt sich, auch im
kleinkarierten Politikalltag die Augen aufzusperren und die Ohren zu spitzen.
Da geht von einem
Wahlkampf-Parteitag (die Partei spielt keine Rolle) ein „großes Signal der
Geschlossenheit“ aus. Was soll das heißen? Was ist gemeint? Früher stießen die
Soldaten ins Horn und gaben damit das Signal zum Angriff. Jeder hat
wahrscheinlich schon mal das schreckliche Tuten gehört, wenn sich ein Zug einer
Baustelle nähert. Dann müssen die Arbeiter zur Seite treten. Das ist ein
lautes, ein schrilles Signal, ein wichtiges, aber kein großes.
Damit nicht genug. Gern wird auch
„das stärkere Signal“ erwähnt. Noch lauter, noch schriller? Nee, ehrlich,
keiner hört mehr hin. Nur die Politiker_innen, ganz nach Belieben auch die
Politiker*innen, scheinen das nicht begriffen zu haben.
Wann begreifen Politiker, dass
sie uns zuhören sollten und nicht nur wir ihnen? Eine „oberste Priorität“ hat
das bei ihnen nicht.
Fremd- und befremdende Wörter
„Chillen“ ist ohne Frage ein
Fremdwort – aus deutscher Sicht. Jungs
und Mädels haben da zugegriffen, haben
das englische „to chill“ – kühlen,
beruhigen, entspan-nen – mit Beschlag belegt: Locker, entspannt sein, rumhängen,
nicht hetzen lassen, Mensch sein – alles das schwingt mit. Ein Wort statt
vieler andere. Aber warum nicht? Die
Sprache lebt. Und jedes Fremdwort ist noch lange kein Pickel, der unser Deutsch
zum Jucken bringt.
Ein bisschen doof wird es, wenn einem
plötzlich – kaum hat man sich an „chillen“ gewöhnt – ein gechillter Urlaub
vorgesetzt wird. Na ja, eben ein besonders entspannter Urlaub, ist der erste
Gedanke, was aber irgendwie komisch klingt. Und wirklich: Gemeint ist ein
erlebnisreicher Urlaub. Nun sind Erlebnisse eher aufregend – wenn alles gut
läuft, im allerbesten Sinne des Wortes. Wie soll man da aus chillen noch klug
werden?
Damit zu den befremdenden Worten.
Die scheinen wie die Pilze nach einem warmen Regen aus dem Boden zu schießen.
Da stellt irgendein sich für klug
haltender Kopf fest, dass ein bestimmtes wissenschaftliches Gebiet noch nicht
beforscht wurde, was er für dringend notwendig hält. Damit mag er recht haben.
Aber beforschen statt erforschen?
Das mag noch als lässige Sünde
durchgehen. Aber Beschulen? Das ist mehr als befremdlich. Das ist ein Skandal. Kinder beschulen. Das
klingt nach Strafe, nach Gefängnis, nach allem, was Kindern weh tut. Wie kann
man nur auf ein solches Wort kommen?
Kinder sind neugierig, sind
wissbegierig, wollen die Welt entdecken, aber sie werden beschult, so wie wir
einen Schuh besohlen. Pardon für diesen Gedankensprung! Aber vielleicht wäre es
doch angebracht, dem Erfinder der Be-schulung einmal tüchtig den Hintern zu
versohlen.
Machtergreifung(en)
Blitzartig fällt einem da der 30.
Januar 1933 ein. Hindenburg ernannte Adolf Hitler zum Reichskanzler. Das war
keine Machtergreifung. Das war ein Geschenk. So kann man sich irren. Hitler
hatte schon seit Jahren nach der Macht gegriffen, immer wieder. Mal hatte er
Erfolg, mal bekam er was auf die Finger. Aber er gab nie auf. Und zum Schluss
das Geschenk, das die ganze Welt ins Unglück stürzte. Das ist die
Machtergreifung 1.0.
Das Ganze geschah also nicht von
heute auf morgen. Es war ein Prozess, eine Entwicklung, die sich in der
Öffentlichkeit abspielte. Das Ergebnis – im Falle eines Erfolgs – war absehbar.
Denn Hitler hatte von Anfang an mit offenen Karten gespielt. „Mein Kampf“ ließ
an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Niemand hat das Buch gelesen? Und wenn:
Keiner hat es ernst genommen? Die Quittung haben alle bekommen. Gelernt hat
niemand etwas. Wir machen weiter wie gehabt, machen es, das ist zu befürchten,
noch schlimmer. Damit sei die Machtergreifung 2.0 wie ein Menetekel an die
Wand gemalt.
Auch bei dieser Machtergreifung
geht um einen Prozess, eine Entwicklung. Anders als bei Version 1.0 ist nicht
genau festzustellen, wann die Sache angefangen hat, angefangen wurde und wer
damit angefangen hat. Auf jeden Fall stecken wir mitten in einem Schlamassel
und wissen noch nicht, wie wir da rauskommen sollen.
Schlamassel, Probleme,
Schwierigkeiten? Wenn es nur das wäre. Es ist Krieg! Krieg zwischen den 195
Staaten, die sich rund um den Globus kleingärtnerisch organisiert haben und der
geballten Macht der global organisierten Wirtschaft. Wir könnten das einen
asymmetrischen Krieg der besonderen Art nennen. Üblicherweise verstehen wir
unter einem asymmetrischen Krieg den Kampf eines unbesiegbar erscheinenden,
aber unbeweglichen Kolosses gegen viele kleine flinke Feinde, die nicht zu
fassen sind. Vorteil für die Kleinen. Hier ist es genau umgekehrt. Die Kleinen haben die schlechten Karten.
Anfang Juli treffen sich in
Hamburg die Spitzen der 20 größten Industrienationen zum G20-Gipfel – die ganze
Welt zu Gast in Hamburg. Die Themenliste ist atemberaubend umfangreich, nichts
Wichtiges wird ausgelassen: Freihandel, Klimaschutz, Regulierung der
Finanzmärkte, Förderung der Schwellenländer usw. usw.
Ein paar tausend „Sherpas“,
Berater, werden mit den Großen der Welt anreisen. Der Grund ist nicht ganz
klar. Angeblich haben sie ihre Schularbeiten schon gemacht, hätten also zu
Hause bleiben können. Größe definiert sich auch hier anscheinend durch Masse.
Auf jeden Fall: Große Bühne für
den mächtigsten Mann der Welt – Donald Trump. Oder ist Wladimir Putin der
Mächtigste? Ist da sonst vielleicht noch jemand? Die mächtigste Frau der Welt.
Jeder kennt sie, ihr Name muss deshalb nicht genannt werden.
Ist das Motto „Globalisierung ist
machbar.“, das über allem schwebt, nicht geradezu rührend? Die Versammlung der
politischen G20-Kleingärtner nimmt sich etwas vor, was die anderen schon längst
gemacht haben. Die Wirtschaft hat das längst auf die Reihe gebracht.
Staatsgrenzen? Gibt es für die
Global Player nicht. Und wenn, setzt man sich darüber hinweg. Google, Facebook,
Uber, Weltverbesserer, wie sie sich selbst sehen, gestalten die Welt neu.
Die mächtigsten Zwerge der Welt
haben das nicht verstanden. Sie haben
nicht begriffen, dass sie Marionetten
der Konzerne sind, dass man ihnen auf der Nase herumtanzt. Nicht begriffen?
Vielleicht wollen sie es nicht begreifen, weil sie sich sonst morgens gar nicht
mehr im Spiegel sehen wollen. Wer weiß?
Nein, hier ist nicht der Teufel
an die Wand gemalt. Hier ist dokumentiert, wie die Politik brav wie ein
Hündchen pariert. Wie war das noch mit „too big to fail“? als Millionen von
Bürgern weltweit mit Milliarden bluten mussten, um Banken zu retten? Es wäre
gesünder gewesen, sie in die Hölle fahren zu lassen. Geändert hat sich so gut wie nichts. Die Zwerge schaffen das
nicht.
Wie ist es, wenn die deutschen
Automobilhersteller der mächtigsten Frau der Welt drohen, Arbeitsplätze
abzubauen, Leute auf die Straße setzen zu müssen, wenn ihren Forderungen nicht
Folge geleistet wird? Die Dame knickt ein. Sogar die kalifornische
Umweltministerin verstand nicht, wie sich unsere Dame für die deutschen
Dreckschleudern eingesetzt hat. Wie erklärt es sich, dass das
Bundesverkehrsministerium und die deutschen Automobilhersteller jahrzehnte-lang
unter einer Decke steckten, wirkliche Besserung immer noch nicht in Sicht?
Und die Cum-Cum-Betrügereien, vom
Finanzministerium jahrelang hingenom-men? Das ist der Anfang einer endlosen
Liste von Unterwerfungen – in Deutschland.
Ach ja, ein Land gegen die ganze
Welt. Das geht doch nicht. Komischerweise wird staat-auf, staat-ab von den
Bürgern verlangt, Zivilcourage zu zeigen: nicht wegsehen – hinsehen und
handeln, sich nicht alles gefallen lassen.
Ist denn die Geschichte von David
und Goliath ganz und gar in Vergessenheit geraten?
Das kleine Renten-Ein--mal-eins
Fangen wir da an, wo man immer anfangen sollte – am Anfang:
„Im Mai 1889 verabschiedet der Reichstag des Deutschen Reiches unter
Führung Otto von Bismarcks das Gesetz zur Alters- und Invaliditätsversicherung.
Alle Arbeiter zwischen 16 und 70 Jahren müssen nun in die gesetzliche
Rentenversicherung einzahlen. Der Beitragssatz beträgt 1,7 Prozent und wird
jeweils zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen. Das Gesetz sieht
eine Rente ab 70 Jahren vor, wenn zuvor 30 Jahre lang Beiträge eingezahlt
wurden. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt zu Bismarcks Zeiten bei 40
Jahren.“ (Quelle. www.t-online.de
› Finanzen)
Das
Prinzip ist geblieben, so gut wie alles
Andere hat sich geändert. Daran doktert die Politik seit Jahrzehnten herum. Für
den Bundestagswahlkampf ist die Rente ein großes Thema. Das leuchtet ein. Wer
möchte nicht für sein Alter vorsorgen? Und wer ihm dabei hilft, hat gewonnen.
Was versprechen die Parteien?
Die SPD will das Rentenniveau bis 2030
stabil halten. – Die FDP will den
Anstieg der Beiträge begrenzen und mehr private Vorsorge. – DIE LNKE will die „Rente 67 abschaffen
und verlangt eine solidarische Mindestrente von 1.050,00 €, Eigen- und
Steuergeld-finanziert. – BÜNDNIS 90 /
DIE GRÜNEN: Gesetzliche Rentenversicherung, betriebliche Altersversorgung
und dazu eine private. Ziele: eine Garantierente und dann eine
Bürgerversicherung, in die alle einzahlen, auch Selbständige und Beamte. – CDU/CSU sagen lieber gar nichts.
Darüber will man erst nach der Bundestagswahl sprechen.
An der
Wirklichkeit mogeln sich alle Parteien (mehr oder weniger) vorbei, und von den
„kleinen“ Ungerechtigkeiten spricht niemand: Der Arbeitgeberanteil ist seit
einiger Zeit geringer als der der Arbeitnehmer. Frage: Haben Unternehmen keine
Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter – und sei sie noch so klein ? Würde das
nicht den westlichen, sprich christlichen Werten entsprechen, von denen so oft
die Rede ist?
Wenn
sich die Parteien die Augen zuhalten, nicht hören wollen, aber bis auf die
schweigsame CDU/CSU den Mund weit aufreißen, dann müssen wir ihnen ein paar
Dinge klarmachen.
In den
1960er Jahren finanzierten sechs Beitragszahler einen Rentner, heute müssen das
zwei schaffen. Wie soll das gehen? Es geht nicht. Rente erst ab 67 statt mit 65
ist mehr als Selbstbetrug und Schummelei. Die richtigen Worte wird jeder selbst
finden.
Gegen
Arbeit über 65 Jahre hinaus spricht nichts, wenn sie der Einzelne leisten kann.
Ein Architekt kann sehr wohl auch noch mit 70 Pläne zeichnen, ein Maurer aber
nicht dann noch auf dem Gerüst stehen (DIE ZEIT, 14. Juni 2017).
Das
Allerempörendste aber ist die große Beschäftigungslüge, und wenn nicht Lüge,
dann Selbstbetrug: 45 Jahre regelmäßige Arbeit zu angemessenem Entgelt. Das
wird immer seltener.
Lohndumping
trotz gültigem Mindestlohn, Zeitarbeit, Werksverträge, befristete
Arbeitsverträge in Serie bis hinein in Universitäten – Ausbeutung, hübsch
verpackt. Wie sollen da 45 Jahre zusammenkommen, die ein erträgliches Auskommen
im Alter in Aussicht stellen? Diese Frage ist bis heute ohne Antwort. Die
Parteien sind sprachlos.
Unterstrich- und Sternchen-Deutsch
„Liebe Unterstützer*innen, liebe
Freund_innen“ – deutlicher lassen sich
Minderwertigkeitsgefühle nicht ausdrücken. Fehlt nur noch, dass anstelle von
„Sehr geehrte Damen und Herren“ geschrieben wird: „Sehr geehrte Herr*innen“
oder ganz nach Geschmack „Sehr geehrte Herr_innen.“
Die Damen der Arbeitsgemeinschaft
„Sprachhandeln“ der Humboldt-Universität sind anscheinend unaufhaltsam auf dem
Vormarsch. Sie schreiben Computa statt Computer, Koffa statt Koffer und Kella anstelle
von Keller. Warum? Weil die Wortendung
er nach ihrer Auffassung männlich und damit diskrininierend ist. Ob die Damen
statt Mutter Mutta schreiben, ist nicht bekannt. Konsequent wäre es.
Ex und ...
Wir können den vielen kleinen
Unwörtern nicht ausweichen, die uns täglich begegnen. Dazu sind es zu viele. Nicht
jedes wird es zum Unwort des Jahres bringen. Aber Unwort ist nun mal Unwort und
manches ist ziemlich ärgerlich. Das Wort Ex-Mann gehört zu den besonders ärgerlichen.
Ex-Mann! Dieses Wort hat so etwas Gemeines, Niederträchtiges
und Verachten-des an sich. Es hört sich an wie „Ex und hopp!“, wegwerfend. Und
wenn es zehn-mal nicht so gemeint sein sollte, es wird diesen üblen Ruf nicht los.
Bevor Proteststürme (shitstorms?) losbrechen: Ex-Frau ist
genau so schlimm.
Was wie Wortklauberei aussieht, wie an den Haaren
herbeigezogene Empörung, weist auf etwas Wichtiges hin: eine zunehmende
Respektlosigkeit. Anstand, Höf-lichkeit und gutes Benehmen scheinen immer
weniger zu zählen. Dabei sind sie es, die das Zusammenleben erst erträglich
machen.
Unsere Sprache! Sie bringt es an den Tag.
Alllein ... an der Wahrheit vorbei
Wenn von Alleinerziehenden, meist
Frauen, manchmal Männer, die Rede ist, dann haben viele das Gefühl, hier ginge
es um große Probleme: Was auf vier Schultern verteilt war, ist nun von zwei
Schultern zu tragen. Sollte es so sein, dann wäre das wirklich ein Problem.
Aber ist das wirklich so? Gerade, wenn das Thema ins Licht der Öffentlichkeit
gerückt wird, kommen Zweifel. Der Weg vom Zweifel zum Verdacht ist nicht weit.
Der Verdacht: Alleinerziehend
wird gern als schmückendes Beiwort benutzt, als ein Wort, auf das man durchaus
stolz sein kann – besonders als alleinerziehende Mutter. Diese Ansicht dürfte
sich auf die „höheren Töchter“ des Landes beziehen, besonders auf
Politikerinnen: Seht nur, zu all den Aufgaben, die ich mir aufgebürdet habe,
nun auch noch verantwortungsvollste aller Aufgaben – das Großziehen der Kinder,
meiner! Kinder. Dass diese Kinder auch die Kinder des Mannes sind, wird
unterschlagen.
Beinahe aus Versehen stellt sich
dann heraus, dass von Alleinerziehend nicht die Rede sein kann. Da kommen dann
nicht nur die miterziehenden Omas und Tanten ins Spiel, sondern ausdrücklich
auch der Ex-Mann.
So mogelt sich manche „höhere
Tochter“ haarscharf an der Wahrheit vorbei. Das dürfte mehr als ein dezentes
Make-up sein. Aber es schmückt.
Samstag, Juni 24, 2017
Zwei Fehler in einem Wort
Vor vielen, vielen, unendlich
vielen Jahren waren Fehler noch richtige Fehler. Was falsch war, war falsch. Da
wurde kein Unterschied gemacht. Jedenfalls nicht in den Schulen und nicht im
Deutschunterricht. Nicht nur der Inhalt erhielt Noten, auch die Form, die
Rechtschreibung. Nämlich mit h geschrieben (nähmlich), machte da aus einer 2 –
für den Inhalt des Aufsatzes – eine 2 minus.
Auf einmal fanden das immer mehr
Leute irgendwie autoritär und setzten ihre Auffassung durch: Wichtig ist allein
der Inhalt. Die Form spielt keine so wichtige Rolle. So sahen sie das und
übersahen, dass Inhalt und Form zusammen erst zu einem guten Ergebnis führen.
Viele Jahre danach setzten sich
die Kultusminister der Bundesländer zusammen, um sich eine Rechtschreibreform
auszudenken. Das war eine ziemlich komische Sache. Besonders komisch war und
ist, dass die Kultusminister der 16 Bundesländer den Gedanken nahelegen, dass
wir in Deutschland 16 unter-schiedliche Kulturen haben. Darüber hat sich noch
niemand Gedanken gemacht: Sind es vielleicht gar nicht so viele? Oder sind es
mehr?
Wie auch immer: Die 16 für die
deutschen Kulturen sich zuständig fühlenden Minister machten eine Reform. Sie
modernisierten unsere Rechtschreibung. Jedenfalls behaupteten sie das.
Wie wenig sie davon verstanden,
zeigt ein kleines Beispiel. Aus „Quentchen“ machten sie „Quäntchen“. Das war
zumindest an den Haaren herbeigezogen.
Quentchen hat seinen Ursprung in
quentinus, ein Fünftel, nicht in Quantum. Man muss schon ziemlich
kultusministerisch sein, haarspalterisch, um zu sagen, dass ein fünfter Teil
von irgendwas auch ein Quantum sei. Es dauerte nicht lange, da wurde die Reform
reformiert. Beim Quäntchen ist es geblieben.
Geblieben ist vor allem eine
große Unsicherheit. Medien wie zum Beispiel Zeitungen behelfen sich mit
Computerprogrammen, die aber auch nicht alles wissen und gelegentlich die
hübschesten Fehler produzieren.
Um das Maß voll zu machen: Zu
allem Unglück kommt der offenbar unwider-stehliche Drang hinzu, ohne genau
hinzusehen, englische Begriffe einzuflechten.
Ein Engländer würde „Backshop“
sicherlich verstehen als „Hinterhofladen“, und – schlimmer noch: Selbst Claus
Kleber spricht im heute Journal von „Public Viewing“, wenn er
Fernsehübertragungen in der Öffentlichkeit meint. Im Englischen ist etwas ganz anderes gemeint:
die Aufbahrung eines (prominenten) Toten in der Öffentlichkeit, um ihm die
letzte Ehre zu erweisen.
Und wohin führt das Ganze?
Beispielsweise zu „Mitmach-Flashmop“, dem Wort mit zwei Fehlern.
Fehler Nr. 1: da P. Es heißt
nicht Flashmop, sondern Flashmob.
Fehler Nr. 2: Wenn schon mop,
dann bitte mit zwei P = Mopp!
So findet der Text am Schluss
doch noch zum Anfang zurück.
Der Mopp ist ein hausfrauliches,
hausmännisches Handwerkszeug, um den
Fuß-boden von Schmutz zu befreien.
Frei nach Loriot: „Das Leben ohne
Mopp ist möglich, aber sinnlos.“
Freitag, Juni 23, 2017
Die Geschichte vom beleidigten Telefon
Es war einmal ein Mikrofon, das
fühlte sich sehr unglücklich. Es fragte sich: Weshalb hat man mich zwischen die
Stühle gesetzt, zwischen der und die? (Schon Mark Twain regte sich über das
deutsche der, die, das auf.)
Wie es der Zufall will: Als sich
das unglückliche Mikrofon mit dieser Frage beschäftigte, fand in Stuttgart ein
evangelischer Kirchentag statt. Was niemand erwartet hätte – hier wurde dem
Mikrofon aus seiner Verzweiflung geholfen.
Im offiziellen Programmheft
entdeckte unser Mikrofon folgenden Hinweis: „Die Teilnehmenden sind eingeladen,
mitzureden und ihre Meinung deutlich zu machen: über Anwältinnen und Anwälte
des Publikums und über Saalmikro-foninnen
und –mikrofone.“
Unser Mikrofon hätte am liebsten
laut Hurra! geschrieen – hurra, ich bin eine Mikrofonin! Von Nächstenliebe soll
auf dem Kirchentag weniger gesprochen worden sein. Das Pampern der
Feministinnen hat alle wohl zu sehr in Anspruch genommen. Aber das war unserem
Mikrofon, das jetzt eine Mikrofonin war, ziemlich egal. So viel unverhofftes
Glück!
Ob dieses Glück von Dauer sein
wird, weiß man noch nicht. Wieso
eigentlich man, warum nicht frau? Das fragt sich nicht nur die Speerspitze der
Feministinnen, die sich im Arbeitskreis Sprachhandeln an der
Humboldt-Universität versammelt haben. Wer sich einmal so richtig gruseln will,
sollte ihr Pamphlet lesen. Bitte nicht kurz vor dem Zubettgehen! Vor Albträumen
wird ausdrücklich gewarnt. Zur Erklärung: Koffa statt Koffer, Kella statt
Keller, Computa statt Computer; denn die Wortendung er ist unverschämterweise
männlich – so die sprachmisshandelnden Damen der Humboldt-Universität.
Statt Polemik zur Abwechslung
etwas Sachliches (das ist wenigstens neutral): Das kleine Wörtchen man
bedeutete im Althochdeutschen „irgendein beliebiger Mensch“. Wenn man damals
einen Mann meinte, sagte man „gomman“ (Mannmensch). Einen Weibmenschen nannte
man wifman, was wir in woman (engl.) heute noch wiederfinden. Mit unserem man
sind also alle Menschen gemeint, Frauen wie Männer. Warum also hat frau so ein Problem mit man?
Donnerstag, Juni 15, 2017
Die Haltestelle
Bürgerinnen und Bürger! An
welcher Haltestelle stehen wir? Irgendeine muss es ja sein; denn wir sollen ja
abgeholt werden. Jedenfalls beten uns das die Politiker – egal, welche Farbe
sie tragen – immerzu vor.
Mal ist es ihnen nicht gelungen,
uns abzuholen. Mal haben sie es vergessen, uns abzuholen, obwohl sie sich das
doch so fest vorgenommen hatten. Läuft da was schief, oder läuft da gar nichts?
Klar, das ist nur eine dumme
Redensart. Die Betonung liegt auf dumm.
Wir Bürger stehen ja nicht an einer Haltestelle der Lokal-, Regional- oder gar
Bundespolitik ,und warten darauf, mitgenommen zu werden. Von wem und wohin?
Was jedem, auch den politischen
Busfahrern, auffällt: Auf unheimlich
vielen parteipolitischen Bussen steht keine Liniennummer, aus der man das Ziel
ablesen könnte. Es steht da nur einfach Leerfahrt. (Mit einer Lehrfahrt wären
viele wahrscheinlich durchaus einverstanden, oder? Aber die gehört
wahrscheinlich nicht zum Fahrplan.)
Um es kurz zu machen, um es auf
den Punkt zu bringen: Wir stehen nicht so dumm rum, wie es uns die Politik
einreden will. Wir wollen nicht abgeholt werden. Wir wollen, dass man mit uns
spricht. Wir wollen nicht, dass man uns
ständig über den Mund fährt. Wir wollen zuhören und dass die Politik uns
zuhört. Ist das zu viel verlangt?
Liebe Politikerinnen und Politiker,
stellen sich mal vor: Sie stehen an einer Haltestelle und niemand holt sie ab!
Nicht auszudenken? Dann verlangen Sie so etwas auch nicht von uns.
Mittwoch, Juni 14, 2017
Leyen-Spiel
Es
wäre übertrieben, es wäre eine Zumutung, wenn man von Frau von der Leyen
einen auch nur annähernd so scharfen Blick auf die Bundeswehr verlangen würde.
Aber sie hätte schon etwas genauer auf ihre Soldaten blicken können. Sie hat da
etwas übersehen, das nicht nur im Verborgenen blühte. Oder sollte sie gar
weggesehen haben? Das soll ihr nicht unterstellt werden. Aber sie hat drei
Jahre mit Kinkerlitzchen verplempert, viel in Selbstdarstellung investiert, war
sich selbst zu wichtig und hat nicht begriffen, dass die Bundeswehr kein
x-beliebiges Unternehmen ist mit 41,5 Arbeitsstunden in der Woche und so. (Ein
Offizier der Reserve: Die Offiziere haben gar keine Zeit mehr, sich um ihre
Soldaten zu kümmern. Nach Dienstschluss mal ein Bier mit seinen Soldaten, um
sich besser zu verstehen, zu erfahren, was in den Köpfen vorgeht, auch Beispiel
zu geben? Nicht mehr möglich in diesem Unternehmen.)
Aber nun greift die Dame durch. Der
Fall Franco A. lässt ihr gar nichts anderes übrig. Das geht jetzt Schlag auf
Schlag. Was in irgendeiner Weise an die Wehrmacht erinnert, soll aus den
Kasernen rausfliegen. Ob es auch aus den Köpfen fliegt? Blinder Eifer schadet
nur. In der Bundeswehruniversität in Hamburg hat jemand in vorauseilendem,
falsch verstandenem Gehorsam ein Foto von Helmut Schmidt in Leutnantsuniform
der deutschen Wehrmacht abgehängt. Geht es noch lächerlicher?
Die Wehrmacht als Institution war eine
verbrecherische Organisation. Aber jeder Wehrmachtssoldat? Helmut Schmidt oder
der Jagdflieger Marseille, nach dem eine Kaserne benannt ist, mal eben abhängen
und umbenennen?
Der Jagdflieger Marseille gehört
sicher nicht zu den Vorbildern, auf denen die Tradition einer Armee von Bürgern
in Uniform gegründet werden sollte. Für herausragendes kriegerisches Handwerk
steht er wohl. Das allerdings reicht
nicht für die Ansprüche, die eine ernst zu nehmende Tradition stellt. Es
spricht also nichts gegen eine Umbenennung der Marseille-Kaserne in
Appen/Schleswig-Holstein.
An Möglichkeiten fehlt es nicht. Schill,
Theodor Körner, von Lützow, Ernst Moritz
Arndt aus den Freiheitskriegen 1813/1815. Diese Namen vertragen sich gut mit
dem Eisernen Kreuz, das als traditionsstiftend ausdrücklich anerkannt ist.
Immerhin: In Lüneburg gibt es die Theodor Körner-Kaserne.
Nicht zu vergessen die Kämpfer für
Demokratie in den Revolutionsjahren 1848/1849. Carl Schurz, Friedrich Hecker,
Franz Sigl, Gustav Struve. Eine Carl Schurz-Kaserne gibt es – in Hardheim.
Wenig genug, aber wenigstens nicht alles ist in Vergessenheit geraten, was eine
Tradition begründen kann.
Und dann die Männer des 20. Juli 1944.
Die Graf-Stauffenberg-Kaserne gibt es gleich zweimal in Sigmaringen und in Dresden. Dann die
Olbricht-Kaserne in Leipzig, Ludwig Beck in Sonthofen, Henning von Treskow in
Oldenburg. Albrecht Mertz von Quirnheim, Carl-Heinrich von Stülpnagel und
andere fehlen.
Wie wird Frau von der Leyen mit der
Kurt-Georg-Kiesinger-Kaserne – eingeweiht am 21. Juni 1989 – in Laupheim
umgehen? Herr Kiesinger war ein Nazi der ersten Stunde. Bekommt diese Kaserne
jetzt auch einen neuen Namen?
Irgendwie scheint Frau von der Leyen
Schwierigkeiten mit dem Begriff Tradition zu haben, wie folgendes Zitat zeigt:
„Wir sollten viel stärker die über 60-jährige erfolgreiche Geschichte der
Bundeswehr in den Mittelpunkt unseres Traditions-verständnisses stellen.“ Ist
es nicht übertrieben, hier schon von Tradition zu sprechen? 60 Jahre begründen
noch keine Tradition. Nicht zu vergessen die Tatsache, dass
Bundeswehr-Offiziere und Generalität der Gründungsphase ihre Karriere in der
Wehrmacht gemacht haben. Die Idee des Staatsbürgers in Uniform war nicht ihre
Idee. Die Folgen sind noch heute zu spüren bis hin zum Extremfall Franco A..
Aber nun wird alles anders.
Bildersturm in den Kasernen – das geht am schnellsten. Danach Kasernen
umtaufen. Dann ein neuer Traditionserlass. Der soll bis Ende August geschrieben
sein. Und für alles andere, das wirklich Wichtige, schwebt Frau von der Leyen
„ein breiter, auf zwei Jahre angelegter Prozess“ vor. Das alles hätte doch schon
längst gemacht werden können. Die Dame ist seit mindestens drei Jahren im Amt.
Unter dem Strich: Nicht summa cum
laude. Aber die Bundeswehr zeigt , dass sie sich auf Männer beruft, die ihr
Leben für Freiheit und gegen Tyrannei einsetzten. Sie zeigt, dass sie ihre
Tradition nicht in der Wehrmacht sucht. Und trotzdem stimmt etwas nicht, etwas
Entscheidendes.
Die Abschaffung der Allgemeinen
Wehrpflicht und die Einführung einer Berufs-armee war ein Fehler. Bei allen
Ungerechtigkeiten, die die Allgemeine Wehr-pflicht mit sich brachte – die
Bundeswehr war ein Spiegelbild der Gesellschaft. Das ist eine Berufsarmee
nicht. Bei allem Respekt: Sie hat eine besondere Anziehungskraft für Menschen,
die Kampf und Auseinandersetzung brauchen, die eine besondere Beziehung zu
Gewalt haben, Zuflucht vielleicht auch für Menschen, die nirgendwo sonst eine
berufliche Chance sehen. Ein Bild, das mit dem Bürger in Uniform wenig gemein
hat.
Wohin eine Berufsarmee führen kann,
hat die Reichswehr gezeigt: zum Staat im Staate. Das scheint weit hergeholt zu
sein, ist aber zum greifen nah.
Die meisten Fehler, auch schwere, kann
man korrigieren. Die Entscheidung für eine Berufsarmee gehört dazu. Man muss
sich nur trauen, die allgemeine Wehrpflicht wieder einzuführen.
Dienstag, Juni 13, 2017
Wahnsinn - oder was?
Der Wahnsinn tobt durch die Welt und lässt
kein Land aus. Dieser Wahnsinn hat einen Namen: Globalisierung. Davon redet
alle Welt. Die einen sind begeistert. Die anderen packt die Wut und die
Verzweiflung.
Bevor wir uns fragen, was die
Globalisierung gebracht hat, fragen wir uns: Was ist eigentlich Globalisierung?
Welthandel? Nein. Globalisierung ist Weltwandel mit einer Rücksichtslosigkeit
sondergleichen. Die Ärmsten werden ausgebeutet. Die Reichen lässt das kalt.
Gearbeitet wird dort, wo es am billigsten ist. Und wenn es irgendwo noch
billiger geht: ab durch die Mitte ins nächste Billiglohnland! Nein, das ist
nicht harmlos. Das ist unmenschlich. Das also ist Globalisierung.
Nun zu der Frage, was die Globalisierung
gebracht hat. Die Ergebnisse: Die Politik hat abgewirtschaftet. Die Wirtschaft
regiert. Selbst die mächtigsten Frauen und Männer in der Politik sind
machtlos. Sie tanzen nach der Pfeife der Konzerne, die unsere Welt globalisiert
haben.
Wie konnte das passieren? Ganz einfach:
Die Wirtschaft arbeitet weltweit, kennt keine Grenzen. Die Politik kennt
nur eins: Grenzen. Mein Land, dein Land bis hin zum zwergigsten Ländchen.
Statt Weitsicht Kurzsichtigkeit. Schlimmer noch: Uneinsichtigkeit
(typisch deutsches Wort).
So rennt sich die Politik die Lunge aus
dem Hals. Hase und Igel? Ja, genau das. Wenn die Politik ankommt, sind die
Konzerne schon da. Mit Bobbycars ist kein Rennen gegen die Formel 1 zu
gewinnen.
Also raus aus der Schrebergartenpolitik.
Global denken und handeln. Diese globale Politik braucht nicht viel, nur ein
paar Weltinstitutionen: die UNO, G20, einen zeitgemäßen Sicherheitsrat, eine
Weltbanken-aufsicht, eine Weltjustiz für den Handel.
Einiges davon haben wir schon. Aber wir
gehen damit nicht richtig um. Wir nutzen diese Werkzeuge nicht. Wir arbeiten
nicht zusammen. Wenn einer ein Werkzeug in die Hand nimmt, haut ihm ein anderer
auf die Finger. So macht man das im Sicherheitsrat – und nicht nur dort.
Eigentlich hat die Politik alles, was sie
braucht. Und warum funktioniert es nicht? Vielleich fangen wir immer am
falschen Ende an. Immer nur oben. Immer nur bei den Großen.
Wenn alles von oben bestimmt wird, spielen
die Kleinen immer seltener mit. Auf sie nehmen die Großen keine Rücksicht?
Warum sollten sie dann auf irgend-etwas, auf irgendjemanden, Rücksicht nehmen.
Es wird sich immer jemand finden, an dem man sein Mütchen kühlen kann, einen
Kleineren.
So wird es gemacht, immer schon. Können
wir nicht anders? Oder sind wir nur zu dumm, es mal anders zu probieren.
Globale Graswurzelpolitik? Warum nicht? Den Weltfrieden von unten aufbauen, so
wie ein Haus, von unten nach oben, Stein für Stein?
Ein himmlischer Gedanke. Sternenweit
entfernt von der Hölle von Aleppo.
Der "Heiland"
So hat DIE ZEIT Emmanuel Macron kürzlich auf
Ihrer Titelseite vorgestellt. Übertrieben. Geschmacklos. Aber unsere Politiker
und Medien himmeln ihn an. Der Mann verdient jeden Respekt. Ein Ritter ohne
Fehl und Tadel. Er ist im Begriff, Frankreich auseinanderzunehmen und wieder
zusammenzusetzen. Was er bisher erreicht hat, dürfte er vor allem seiner
Tüchtigkeit verdanken. Aber jetzt braucht er auch Glück. Das sollte ihm
gewünscht werden – in der Hoffnung, dass alles, was ihm vorschwebt, gut für
seine Landsleute, unsere Nachbarn und ihr Wohlergehen gut ist. So viel zu
Emmanuel Macron, zu Frankreich. Nun zu uns. Wir überschlagen uns in unserer
Begeisterung für ihn. Genau besehen, ist das ziemlich peinlich.
Stellen wir uns nur für einen Augenblick vor, ein deutscher Macron
würde unsere konservative Union beiseite schieben, würde SPD und andere Linke
wie auch Grüne ins Abseits schicken – von der Begeisterung würde nichts übrig
bleiben als ein Häufchen Asche.
Ein deutscher Macron ist weit und breit nicht in Sicht. Bei unserer
Gefühlsduseligkeit ein Glück. Bei uns könnte der Weg vom Verführer zum Führer
noch kürzer sein als in Frankreich. (Pardon: Dieser Weg wird Ms. Macron hier
nicht unterstellt.)
Aber es ist höchste Zeit, dass wir uns zusammennehmen. Wir sollten
sofort aufhören, hochnäsig auf Frankreich runterzublicken. Wir sind nicht gut
genug, um uns das zu leisten. Wären wir es, dann wäre es ein Gebot der
Höflichkeit, das nicht auszusprechen. Alle Omas würden sagen: „Das gehört sich
nicht.“
Und dann: Wenn ein Parteiensystem unbeweglich ist, wohlgefällig in sich
ruht, dann ist es unseres. Reißt doch endlich mal die Fenster auf! Macht
Durchzug! Wenn da ein paar Papierchen auf Nimmerwiedersehen davon fliegen, was
solls. Schreibt neue, bessere.
Ein Land enteignet sich selbst
Deutschland steht zum Verkauf.
Wer genug Geld hat sollte zugreifen. Denn ein solches Angebot, ein ganzes Land
zu kaufen, gibt es nicht alle Tage.
Man stelle sich das mal vor: Ein
ganzes Land mit allem Drum und Dran und über 80 Millionen Einwohnern! Der helle
Wahnsinn. Kaum glaublich, aber wahr. Auf jeden Fall: Der Anfang ist gemacht.
Autobahnen und Straßen, Eigentum aller Bürger, werden an die Privatwirtschaft
verkauft.
Noch geschieht das sozusagen
unter der Hand, versteckt hinter dem Kürzel ÖPP. Dahinter verbirgt sich eine vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand
und Unternehmen der Privatwirtschaft in einer Zweck-gesellschaft. So die
hübsche offizielle Umschreibung des Ausverkaufs.
Nicht die Öffentliche
Hand baut Autobahnen und Straßen und hält sie in Schuss, sondern
Privatunternehmen. Die sagen jetzt, wie es gemacht wird und wie viel das
kostet. Und es kostet mehr. Denn die Privatunternehmen wollen, was ja ihr gutes
Recht ist, etwas verdienen, wollen Gewinn machen. Das wird eben teurer, als
wenn es die Öffentliche Hand machte. So wird Gemeingut verscherbelt, auf Kosten
der Bürger.
Hatten wir das
nicht schon? Hatte nicht Berlin seine Wasserversorgung privatisiert? Ja, und alles
wurde teurer und schlechter. Hat nicht Hamburg sein Fernwärmenetz versilbert? Ja.
Und alles wurde teurer, wesentlich teurer als in anderen Großstädten. Auch wenn
in beiden Fällen die Vernunft wieder eingekehrt zu sein scheint,
Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat haben von dem Begriff unveräußerliches
Gemeingut offensichtlich noch nichts gehört.
Wie wir es auch
drehen und wenden: Der Ausverkauf hat begonnen. Da sollte man nicht lange
fackeln. Hier ein Stückchen, da ein Stückchen, das wird auf die Dauer teuer.
Dann doch lieber alles auf einen Schlag kaufen. Ganz Deutschland auf einmal.
Sieht unheimlich teuer aus, ist in Wirklichkeit aber der Reibach. Investoren
aller Länder, vereinigt euch!
Es ist Krieg
Russland führt Krieg gegen die USA. Ohne
Kriegserklärung, ohne Panzer, Bomben und Raketen, mit einer Waffe, die viel
gefährlicher ist: internet. Russland hat – unbemerkt von der Öffentlichkeit, in
den Präsidentschaftswahlkamp eingegriffen. Hat Daten manipuliert und was das
Internet, die neue Waffe, sonst noch so bietet. Für Trump, gegen Hillary? Auf
jeden Fall für Russland. Der Erfolg kann sich sehen lassen. Die USA wüten gegen
sich selbst. So jedenfalls ist das überall zu hören und zu lesen. Die Unruhe
ist groß, die Empörung noch größer.
Das alles ist glaubwürdig. Warum sollte Russland das nicht tun, wenn es
darin einen Vorteil für sich sieht? Es hat keinen Sinn, über Anstand in der
Politik zu reden. Den gibt es nicht.
Aber ist das alles? Führt nur Russland diesen Krieg? Das wäre
unwahrscheinlich. Anders gefragt: Führen die USA diesen Krieg nicht auch?
Greifen sie Russland an? Stiften dort Unruhe, wollen das Putin-Regime infrage
stellen? Möglich wäre das. Nur ist darüber nirgendwo etwas zu erfahren. In
deutschen Medien bisher jedenfalls nicht. Was nicht in der Zeitung steht, gibt
es auch nicht? Kinderglaube!
Nein, dreimal nein. Das ist keine Parteinahme für Russland. Das ist
keine Misstrauenserklärung gegen die USA. Das ist nur die Bitte, sich nicht nur
die eine Seite anzusehen, sondern auch die andere. Diese Sorgfalt wird den
Internetkrieg nicht beenden. Das zu glauben, wäre blauäugig. Aber wenigstens
wird dieser Krieg durch Einäugigkeit nicht weiter befeuert. Wenig genug. Aber
immerhin.
Besserwissenschaftler
Wissenschaftler schaffen kein Wissen, sie
verwalten es nur. Sie greifen sich die Arbeit anderer, drehen und wenden sie
und wissen zum Schluss alles besser. Nur beim Bessermachen, da hapert es.
Bei Politikwissenschaftlern scheint diese Eigenheit besonders
ausgeprägt zu sein. Sebastian Chwala macht sich große Sorgen um die Demokratie
in Frankreich (Deutschlandfunk Kultur – Interview, 12. 06.2017 07.40 Uhr). So
sagt er zum Ergebnis der REM (Republic En Marche) im ersten Durchgang am 11.
Juni: „Das tut einer pluralen Demokratie in Frankreich nicht gut.“
Wenn wir einen Augenblick an unsere Groko, unsere große Koalition
denken, könnten wir geneigt sein ihm recht geben. Demokratie braucht
Opposition, braucht Widerspruch. Im deutschen Bundestag lässt das zu wünschen
übrig. In Frankreich könnte das auch darauf hinauslaufen, ziemlich
wahrscheinlich sogar. Und nun?
Die Franzosen sind temperamentvoller als wir. Das wird den paar
Sozialisten wie den Republikanern im Parlament wenig nützen, auch dem Front
National nicht. Opposition wird sich
eher auf der Straße abspielen. Das ist ein anderes Thema, das bei uns nur
geringe Bedeutung hat.
Den „etablierten“ Parteien Frankreichs wird nicht anderes übrig bleiben,
als festzustellen, was sie falsch gemacht haben – sie, und nicht irgendjemand
sonst. Und sie müssen sich überlegen, was sie wie besser machen könnten. Sie
müssen mit sich selbst ins Reine kommen.
Das empfiehlt sich auch unserer Opposition. Abbitte deshalb zum Schluss
an die Besserwissenschaftler: Sie können uns mit ihren Bedenken auf die Sprünge
helfen. Dumm nur: Springen müssen wir
selber.
Sonntag, Juni 11, 2017
Pflicht und Pflichten
Manchmal braucht der Kopf einen
Stups, um seine Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken, das wichtig ist, über das
er aber bisher kaum nachgedacht hat. Einen solchen Stups, also Denkanstoß,
haben in jüngster Zeit die rechtsextremistischen Vorfälle in der Bundeswehr
gegeben. Wie konnte, wie kann es dazu kommen?
Wer seine Gedanken auf
Wanderschaft durch dieses Thema schickt, kann dabei einer unerwarteten Frage
begegnen. Könnte einer der Gründe sein, vielleicht der wichtigste, dass wir
seit einigen Jahren eine Berufsarmee haben anstelle einer Bundeswehr, in der wehrpflichtige
Bürger ihren Dienst tun?
Natürlich macht diese Überlegung
kein Vergnügen. Sie ist auch alles andere als lustig. Also sollten wir sie
ernst nehmen und uns zunächst einmal die Unterschiede vor Augen führen.
Eine Armee von Wehrpflichtigen
ist im Idealfall das Spiegelbild der Gesellschaft. Zugegeben: Dieses Ideal ist
nicht zu erreichen, was kein Grund sein sollte, es immer wieder zu versuchen.
Nicht jeder Wehrpflichtige wurde
„eingezogen“. Manche eigneten sich nicht zum Soldaten. Manchmal gab es mehr
Wehrpflichtige, als die Bundeswehr aufnehmen konnte, so wie es der Zufall
wollte. Das war nicht ideal, aber erträglich. und so nahe wie möglich an dem,
was wir Gerechtigkeit nennen. Dazu kam
die Möglichkeit, anstelle des Wehrdienstes einen Zivildienst abzuleisten. Das
musste beantragt und begründet werden und wurde nicht immer genehmigt. Aber
möglich war es. Trotz aller Ausnahmen: Die Bundeswehr kam dem Spiegelbild der
Gesellschaft so nahe wie möglich. Damit hatten extreme Ansichten keine Chance.
In einer Berufsarmee findet sich
diese Vielfalt nicht wieder. Nein, natürlich ist eine Berufsarmee keine
Ansammlung von Rabauken. Der Soldatenberuf ist aller Ehren wert, solange er dem
parlamentarisch legitimierten Schutz der Bürger dient. Davon dürfen wir in
Deutschland ausgehen.
Aber. Und dieses Aber soll nicht
beiseitegeschoben werden: Für Menschen, die in keinem anderen Beruf einen Platz
gefunden haben, für Menschen, die gern Krieg spielen, die zu Gewalt neigen,
dürfte eine Berufsarmee eine große Anziehungskraft haben. Ein wahrscheinlich
nicht ganz und gar zutreffendes und doch naheliegendes Beispiel dürfte die
französische Fremdenlegion sein – berühmt für ihre Härte, berüchtigt für ihre
Brutalität, ihr Rücksichtslosigkeit, auch gegen sich selbst.
Vergleichen wir Wehrpflichtigen-
und Berufssoldatenarmee, dann liegt der Gedanke nicht fern, die Aufgabe der
Wehrpflicht zu bedauern, und der Wunsch, zur Wehrpflicht zurückzukehren, wird
verständlich, sogar einleuchtend.
Aber das sollte nicht einfach mal
so gemacht werden. Etwas mehr Sorgfalt sollte angebracht sein, wenn wir von der
Berufsarmee zur Bürgerarmee zurückkehren wollen . Wir sollten uns von dem
Begriff Wehrpflicht trennen und an seine Stelle die Dienstpflicht setzen. Das
ist keine Wortklauberei, sondern ein wichtiger Unterschied.
Wir haben berechtigte Ansprüche
an unser Land, an unseren Staat. Aber unser Staat hat das Recht, auch an uns
Ansprüche zu stellen. Das Eine geht nicht ohne das Andere. Kurz gesagt: Auch
wir Bürger haben Pflichten.
Zu diesen Pflichten gehört nicht,
dass wir ein Gewehr in die Hand nehmen müssen. Das müssen wir nicht. Aber etwas
anderes, das müssen wir schon tun, wir müssen uns für das, was die Gemeinschaft
uns gibt, revanchieren. Der Zivildienst bietet hierfür die unterschiedlichsten
Möglichkeiten. Ein Dienst zweiter Klasse ist er nicht.
Die älteren Herrschaften unter
uns werden sich daran erinnern, welches Schindluder mit dem Begriff Pflicht
unter dem Nationalsozialismus getrieben wurde. Im Februar 1938 wurde das
sogenannte Pflichtjahr für alle Frauen unter 25 eingeführt. Die jungen Frauen
waren verpflichtet, ein Jahr in der Landwirtschaft oder Hauswirtschaft zu
arbeiten. Nur, wer diese „Pflicht“ abgearbeitet hatte, konnte eine Lehre oder
andere Ausbildung beginnen. Für junge Männer wurde der RAD, der
Reichsarbeitsdienst, Pflicht, geregelt durch das
Reichsjugenddienstpflichtgesetz. Hier wurde etwas zur Pflicht erklärt, was der
Vorbereitung des Krieges diente, bei Licht gesehen: eine Kriegsdienstpflicht.
Dadurch sollte sich niemand
irritieren lassen. Die Dienstpflicht, für die hier gesprochen wird, mit dem
nichts zu tun.
Samstag, Juni 10, 2017
"Parlez-vous global?"
Das fragte DIE WELT in ihrer
Ausgabe vom 3. Juni 2017 und berichtete
kurz über eine Rede des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Der
Inhalt der Rede war bemerkenswert. Es ging um den von Donald Trump verkündeten
Ausstieg aus dem Pariser Umweltschutzprogramm. Macrons Antwort: „Ich rufe Sie
auf: Kommen Sie her und arbeiten Sie hier mit uns.“ Damit bot Macron den
Wissenschaftlern, Ingenieuren und Entrepreneuren in den USA eine zweite Heimat
in Frankreich, in Europa, an.
Mindestens so bemerkenswert wie
dieses Angebot: Macron ist der erste französische Präsident, der seine Rede
nicht nur in Französisch hielt, sondern auch in Englisch. Der Erfolg ließ nicht
auf sich warten. „Die großen englischsprachigen Medien verbreiteten die Rede
eifrig, hunderttausendfach wurde sie im anglofonen Internet geteilt. Der Coup
war gelungen. So viel Sendezeit hatte ein französischer Präsident auf
US-Bildschirmen wahrscheinlich noch nie.“ (DIE WELT)
War das nun ein Coup, wie DIE
WELT schreibt? Oder war es mehr? Haben wir es hier mit einem Populisten zu tun,
einem Verführer, möglicherweise einem „Führer“? Eine verrückte Frage*, gewiss.
Aber auch verrückte Fragen dürfen gestellt werden.
Eines sicher: Hier hat einer
seine politischen Vorstellungen, seine Ziele, mit viel Intelligenz, mit Geduld
und gründlicher Vorbereitung bis in die kleinste Kleinigkeit verwirklicht und
hat damit die politische, die parteipolitische Landschaft Frankreichs gründlich
verändert. Links wie Rechts stehen hilf- und möglicherweise auch machtlos da. Im
Augenblick sieht es so aus, als würde „Republic en marche“ aus dem Nichts
heraus bei den Wahlen in den nächsten Tagen die stärkste Partei.
Auch in den USA ist einiges in
Bewegung geraten – Bernie Sanders, und in England – Jeremy Corby. Hier zeigt
sich neues Leben. Nur bei uns nicht.
*So verrückt scheint die Frage
gar nicht zu sein. Schreibt doch Julia Amalia Heyer im SPIEGEL 24 vom 10. Juni
in ihrem Beitrag „Verzaubert und verführt“: „Denn gegen eine gewisse Hybris ist
auch Emmanuel Macron nicht gefeit.“
Aber wir wollen den Teufel nicht
an die Wand malen..
Freitag, Juni 09, 2017
Der lange Weg der Frauen
Am 8. Mai 1949 legte ein seit
Herbst des Vorjahres arbeitender Parlamen-tarischer Rat den Entwurf eines
Grundgesetzes vor. Der Text wurde mit einigen Änderungen am 12. Mai 1949 von
den drei westlichen Besatzungsmächten genehmigt, am 23. Mai veröffentlicht und
damit in Kraft gesetzt.
Dieses Grundgesetz, das heute
noch gilt – wenn auch mit vielen Anpassungen – war als Vorstufe einer
Verfassung gedacht. Die war für die Wiedervereinigung Deutschlands geplant,
endlich 1990 erreicht. Aber die Energie der Politik reichte nicht aus für die
Ausarbeitung der seit 1949 angestrebten Verfassung. Man einigte sich auf die
bequeme Lösung: Die DDR tritt der Bundesrepublik Deutschland bei. In dieser
Hinsicht lebt unsere Republik immer noch ver-fassungslos.
Nun endlich Bühne frei für den
langen Weg der Frauen, der nicht erst 1949 begann. Aber dieses Jahr war eine
wichtige Station auf diesem Weg.
1949 lebten in der werdenden
Bundesrepublik ungefähr genauso viele
Frauen wie Männer. Von den 65 Mitgliedern des Parlamentarischen Rats waren aber
sage und schreibe nur 4 Mitglieder Frauen:
Helene Wessel, (Zentrumsdelegierte
von NRW), Helene Weber (CDU-Dele-gierte NRW), Friederike Nadig (SPD-Delegierte
NRW) und Elisabeth Selbert (SPD-Delegierte Niedersachsen).
Vier Frauen zwischen 61 Männern,
genauer gesagt: vier Frauen unter 61 Männnern. Das hat die Damen aber nicht
eingeschüchtert. Im Gegenteil. Sie haben den Herren den wichtigen 2. Absatz des
Artikels 3) ins Stammbuch geschrieben:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat
fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung
bestehender Nachteile hin.“
Mit der Mitwirkung des Staates war es dann nicht so
toll. Bis 1962 durften Frauen kein Bankkonto ohne Zustimmung ihres Mannes
einrichten. Bis 1977 brauchte jede Frau die Genehmigung ihres Mannes, wenn sie
eine Arbeit annehmen wollte. Bis 1993 dauerte es, bis eine Frau in Deutschland
Ministerpräsidentin werden konnte – Heide Simonis.
Nur 9 Prozent der Abgeordneten des ersten Bundestags
(1949 – 1953) waren Frauen. Im 13. Bundestag (2009 – 2013), also 60 Jahre
später, waren es immerhin 33,4 Prozent – immer noch weit entfernt von Anteil
der Frauen an der Gesamtbevölkerung.
Natürlich hat jeder das Recht enttäuscht zu sein, dass
alles so unerträglich langsam geht. Aber wo wären wir, wenn nicht diese
standhaften vier Frauen vor 68 Jahren diesen einen Satz durchgesetzt hätten:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
Fußnote: Die Ausstellung
„Mütter des Grundgesetzes“ ist bis zum 20. Juni im Foyer der Sparkasse
Südholstein in der Pinneberger Rathauspassage zu sehen. In einem
Zeitungsbericht hat die Journalistin Felicitas Mertin darauf hingewiesen.
Dass sie das Grundgesetz nicht korrekt zitiert, soll
ihr nicht vorgeworfen werden. Dazu ist sie wohl zu jung. Dort heißt es: „Männer
und Frauen sind gleichberechtigt“ und nicht „Frauen und Männer sind
gleichberechtigt“. Diese Reihenfolge konnten die „Mütter des Grundgesetzes“
1949 noch nicht durchsetzen. Wahrscheinlich war ihnen das auch nicht wichtig.
"Allianz gegen Müll im Meer. Oder: Auch lügen will gelernt sein.
Das Thema: Eine Meldung vom 1. Juni 2017 des Presse- und
Informationsamtes der Bundesregierung.
Vorweg eine zynische Bemerkung. Die Damen und Herren des
Bundes-presseamts haben ihren Goebbels nicht gelesen. Der größte Verführer
aller Zeiten hätte sie auf der Stelle entlassen. Beinahe hätte ich gesagt „zum
Teufel gejagt“ – aber der war er ja selbst. Schlimm diese Fake News mit
amtlichem Stempel – so primitiv!
Die Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit, mit der dieses Thema
abgehandelt wird, ist erschreckend. Leere Worte folgen leeren Worten, ein Plan
jagt den anderen, von Taten keine Spur.
Da wird des Langen und Breiten heruntergeleiert, was alles nicht in
Ordnung ist. 140 Millionen Müll wurden in den Weltmeeren festgestellt, jedes
Jahr kommen zehn Millionen Tonnen dazu. Vor allem Plastikverpackungen und
Kunststoffreste gehören dazu. Auf den Ozeanen schwimmen Müllinseln von der
Größe Mitteleuropas. „…ein Großteil des Abfalls in den Meeren stammt aus
Abwässern oder gelangt aus Seen und Flüssen direkt in die Meere“, wird notiert.
„Aus Seen“? – zum Beispiel aus dem Bodensee direkt in die Ozeane? Und das Ganze
ist natürlich sozusagen über Nacht passiert.
Aber jetzt haben sich die G20-Staaten verpflichtet, Abfälle in Flüssen
und Abwasser zu verrringern. Das sieht der G20-Aktionsplan gegen Meeresmüll
vor. Meeresmüll – schon wieder so ein Dummwort. Es handelt sich um Müll im
Meer. „Menschen empfinden Meeresmüll als Gefahr. Inzwischen ist das Thema auch
im Bewusstsein vieler Bürgerinnen und Bürger angekommen“, schreibt das
Bundespresseamt. Bei der Politik anscheinend noch nicht, jedenfalls nicht
wirklich; denn außer Plänen gibt es immer noch nichts. „Deutschland hat 2015
den ‚G7-Aktionsplan gegen Meeresmüll‘ initiiert und damit eine globale Bewegung
in Gang gesetzt. Der Plan zählt weltweit zu den wichtigsten Dokumenten zum
Meeresmüll.“ Den Plan mag es geben, von Bewegung kann nicht die Rede sein. Aber
nun gibt es ja den G20-Plan. Wie die Erfahrung lehrt, wird es nicht der letzte
Plan sein. Aber immerhin. Unsere Republik hat etwas initiiert, sagt das
Bundespresseamt. Es fragt sich nur: was?
So und nicht anders liest es sich auch zum Umweltschutz allgemein und
zu den Maßnahmen speziell zum Klimaschutz – ganz gleich, wer schreibt oder
spricht: Frau Merkel, Herr Altmaier, Frau Hendricks: Der unhaltbare Stand der
Dinge wird „ad nauseam“, bis zum Erbrechen, wiederholt. Über Konferenzen wird
mit Hingabe berichtet, Pläne ohne jede Verbindlichkeit werden als Taten
dargestellt. Deutschland, der Vorreiter in Sachen Umwelt-schutz, das große
Vorbild – das wird uns mit großem Ernst vorgegaukelt. Dabei ist es so gut wie
aussichtslos, die Ziele zu erreichen, die wir uns bis 2020 gesetzt haben. Das liegt
nicht nur am Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken, sondern vor allem an Autos und
LKW.
Die neue Studie des Umweltbundesamtes „Klimaschutz im Verkehr: Neuer
Handlungsbedarf nach dem Pariser Klimaschutzabkommen“ enthält nach SPIEGEL
23/2017 vom 3. Juni auf 33 Seiten eine „Liste des Schreckens“ für die
Verkehrspolitiker die bis auf Weiteres am Verbrennungsmotor festhalten wollen.
Keine Dieselsubventionierung mehr und Wegfall der Pendlerpauschale wären
notwendige Schritte. Dazu auch eine Gebühr, die sich an der Höhe der gefahrenen
Kilometer orientiert. Würden Wege- und Umweltkosten voll angerechnet, heißt es
in der Studie, müsste ein Benziner auf der Autobahn 6,5 Cent pro Kilometer
zahlen. Die Fahrt von Berlin nach Köln würde dann rund 37 Euro zusätzlich kosten.
Usw. usw.
Schon in „Normaljahren“ hat sich die Politik nicht getraut, an diese
Sachen heranzugehen. Im „Superwahljahr 2017“ wird sie es ganz bestimmt nicht
tun. Und dann behauptet unsere Regierung, Deutschland sei Vorreiter im
Umweltschutz? Vorreiter? Verräter wäre wohl der richtige Begriff.
Früher, als noch Zeugnisse geschrieben wurden, fasste man ein solches
Versagen kurz und bündig wie folgt zusammen: „Er hat sich stets bemüht, unseren
Ansprüchen gerecht zu werden.“
07. 06. 2017
Montag, Juni 05, 2017
Nächstenliebe, Nächstenhass
Nächstenliebe
wird gepredigt. Nächstenhass wird gelebt., ausgelebt bis zur grenzenlosen
Verachtung des Nächsten.
Abschiebung
– ein Ekelwort wie kaum ein anderes – gehört inzwi-schen zum Sprachalltag – und niemand scheint es zu
merken. Vielleicht will es auch keiner zur Kenntnis nehmen. Dabei kann es ein
verächtlicheres Wort für Trennung gar nicht geben. Man muss nicht erst im Duden
nachsehen, um zu wissen, was abschieben bedeutet: Jemanden entfernen, der als
lästig empfunden wird. Weg mit ihm! Und darum geht es hier.
Ulf
Poschardt dreht in seinem Titelseitenkommentar der WELT vom 2. Juni 2017 „Die
Richtigen Abschieben“ das Für und Wider hin und her bis er zu dem Ergebnis kommt:
„Aber es lohnt sich, um die Besten zu kämpfen.“ Das klingt richtig gut. Aber ist
es das auch?
Die
Besten? Klarer Fall. Das sind die, die wir für unsere Wirtschaft brauchen,
die das machen, wofür wir keinen Finger
krumm machen wollen, oder für die wir inzwischen zu dumm sind, weil fast jeder
das Abitur hat, aber weder rechnen noch richtig schreiben kann. Ein bisschen
erinnert das an das Märchen vom Aschenputtel. „Die guten ins Töpfchen…“.So
jedenfalls sortiert Herr Poschardt.
Ach
so. Das alles hat mit Nächstenliebe und Nächstenhass gar nichts zu tun?
Vielleicht doch noch einmal darüber nachdenken?
Was
ist, wenn wir in die USA flüchten möchten, und Herr Trump sagt nein? So ein
Pech! Fremdenhass kann auch uns treffen.
Um
auf den Anfang zurückzukommen: „Verachte deinen Nächsten wie dich selbst.“
anstelle von „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“? Wenn das gilt, wohin
kommen wir da?
Sollte
die Hölle noch nicht erfunden sein, dann wird es höchste Zeit.
Sonntag, Juni 04, 2017
Die Entdeckung - neu entdeckt.
Viele Entdeckungen verdanken wir dem Zufall,
andere einer beharrlichen Suche. So war das bisher. Jetzt wurde eine neue
Möglichkeit entdeckt: Herausfinden, was man selbst gemacht hat, was also
bekannt ist und deshalb im Grunde gar nicht entdeckt werden kann. Was so
geheimnisvoll klingt, führen unser Verkehrsminister Dobrindt und der VW-Konzern
als „Reality Show“, als Doku-Soap, vor.
Was Herr Dobrindt als „unzulässige Abschalteinrichtung“ bezeichnet,
nennt Herr Stadler, Audi-Vorstandsvorsitzer, Auffälligkeiten, die Audi bei
24.000 Autos in Europa gefunden hat.
Gefunden? Ja, sagt VW, der Mutterkonzern in Wolfsburg: „Audi hat die
fraglichen Abschalteinrichtungen entdeckt… es wurde Selbstanzeige erstattet.“
Audi baut in seine Autos eine Abschalteinrichtung ein – zulässig oder
auch nicht, spielt zunächst keine Rolle – und „entdeckt“ sie dann? Man braucht
kein Abitur, um festzustellen, dass das nicht geht. Jedes kleine Kind lügt
besser.
Glaube niemand, schlimmer könne es nicht kommen. Es ist noch viel
schlimmer. Bundesverkehrsministerium und die deutsche Automobilindustrie
stecken unter einer Decke, nicht erst seit Herrn Dobrindt, immer aber mit
kräftiger Unterstützung der Auto-Kanzler und der Auto-Kanzlerin.
Kein Wunder, dass die Herren Vorstandsvorsitzenden Müller (VW), Zetsche
(Daimler), Stadler (Audi), Krüger (BMW) uns allen auf der Nase herumtanzen.
Wie feige muss eine Regierung eigentlich sein, um vor dem
Totschlagargument „sonst stehen hunderttausende Arbeitsplätze auf dem Spiel“
davonzulaufen wie vor einem bissigen Hund? Alle wissen doch: Hunde, die viel
bellen, beißen nicht.
Abgesehen von dieser Alltagserfahrung: Wenn es drauf ankommt, gehen die
Arbeitsplätze doch flöten. Da spielen sogar die Arbeitnehmervertreter in den
Aufsichtsräten mit. (Quelle: DIE WELT, 3. Juni 2017, Seite 11)
Samstag, Juni 03, 2017
Angst
Angst. Ein Wort, fünf Buchstaben: a – n – g – s –t.
Sie lauert überall. Sie verfolgt uns. Sie hat uns fest im Griff. Wir können ihr
nicht entkommen. Wir machen die Augen zu und sehen sie trotzdem. Wir halten uns
die Ohren zu und hören dennoch ihre Schritte.
Wohin wir auch blicken: Weit aufgerissene Augen. Panik im Blick.
Verängstigte Menschen, stets auf dem Sprung, der Angst zu entkommen.
Hoffnungslosigkeit. Aussichtslosigkeit. Wir haben keine Angst. Wir sind Angst.
Das alles wird uns von allen Seiten eingeredet. Wir haben Angst vor der
Globalisierung. Wir haben Angst vor Fremden, wobei wir übersehen, wie fremd wir
uns selbst manchmal sind. Wir haben Angst, dass man uns Grimms Märchen weg
nimmt, und wir den Koran auswendig lernen müssen. Wir haben vor allem und jedem
Angst.
Quatsch! Das ist Quatsch, den uns alle möglichen Leute einreden wollen,
weiß der Teufel, warum. Wenn das so wäre, würde man uns unsere Angst von den
Augen ablesen können, würde sie an unseren scheuen Blicken erkennen.
Zu sehen ist etwas ganz anderes. Paris, Nizza, Berlin, London, jetzt
Manchester: Tote über Tote. Das Entsetzen war da, die Verzweiflung. Aber die
Angst? Wo war sie? Und wo ist sie? Es gibt sie nicht. Sie wird uns eingeredet.
Was war und ist und bleiben wird: Warum
mein Sohn, meine Tochter, mein Mann, meine Frau, meine Freundin, mein
Freund? Warum überhaupt?
Die Antwort: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich wieder ins
Bataclan gehen, auf Weihnachtsmärkte, in Fußballstadien, meinen Kindern nicht
Teeny-Konzerte wie in Manchester verbieten würde.
Wer sehen will, wie Angst aussieht, soll sich Evard Munchs „Der Schrei“
ansehen. Sehen wir so aus?