Sonntag, Juni 11, 2017
Manchmal braucht der Kopf einen
Stups, um seine Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken, das wichtig ist, über das
er aber bisher kaum nachgedacht hat. Einen solchen Stups, also Denkanstoß,
haben in jüngster Zeit die rechtsextremistischen Vorfälle in der Bundeswehr
gegeben. Wie konnte, wie kann es dazu kommen?
Wer seine Gedanken auf
Wanderschaft durch dieses Thema schickt, kann dabei einer unerwarteten Frage
begegnen. Könnte einer der Gründe sein, vielleicht der wichtigste, dass wir
seit einigen Jahren eine Berufsarmee haben anstelle einer Bundeswehr, in der wehrpflichtige
Bürger ihren Dienst tun?
Natürlich macht diese Überlegung
kein Vergnügen. Sie ist auch alles andere als lustig. Also sollten wir sie
ernst nehmen und uns zunächst einmal die Unterschiede vor Augen führen.
Eine Armee von Wehrpflichtigen
ist im Idealfall das Spiegelbild der Gesellschaft. Zugegeben: Dieses Ideal ist
nicht zu erreichen, was kein Grund sein sollte, es immer wieder zu versuchen.
Nicht jeder Wehrpflichtige wurde
„eingezogen“. Manche eigneten sich nicht zum Soldaten. Manchmal gab es mehr
Wehrpflichtige, als die Bundeswehr aufnehmen konnte, so wie es der Zufall
wollte. Das war nicht ideal, aber erträglich. und so nahe wie möglich an dem,
was wir Gerechtigkeit nennen. Dazu kam
die Möglichkeit, anstelle des Wehrdienstes einen Zivildienst abzuleisten. Das
musste beantragt und begründet werden und wurde nicht immer genehmigt. Aber
möglich war es. Trotz aller Ausnahmen: Die Bundeswehr kam dem Spiegelbild der
Gesellschaft so nahe wie möglich. Damit hatten extreme Ansichten keine Chance.
In einer Berufsarmee findet sich
diese Vielfalt nicht wieder. Nein, natürlich ist eine Berufsarmee keine
Ansammlung von Rabauken. Der Soldatenberuf ist aller Ehren wert, solange er dem
parlamentarisch legitimierten Schutz der Bürger dient. Davon dürfen wir in
Deutschland ausgehen.
Aber. Und dieses Aber soll nicht
beiseitegeschoben werden: Für Menschen, die in keinem anderen Beruf einen Platz
gefunden haben, für Menschen, die gern Krieg spielen, die zu Gewalt neigen,
dürfte eine Berufsarmee eine große Anziehungskraft haben. Ein wahrscheinlich
nicht ganz und gar zutreffendes und doch naheliegendes Beispiel dürfte die
französische Fremdenlegion sein – berühmt für ihre Härte, berüchtigt für ihre
Brutalität, ihr Rücksichtslosigkeit, auch gegen sich selbst.
Vergleichen wir Wehrpflichtigen-
und Berufssoldatenarmee, dann liegt der Gedanke nicht fern, die Aufgabe der
Wehrpflicht zu bedauern, und der Wunsch, zur Wehrpflicht zurückzukehren, wird
verständlich, sogar einleuchtend.
Aber das sollte nicht einfach mal
so gemacht werden. Etwas mehr Sorgfalt sollte angebracht sein, wenn wir von der
Berufsarmee zur Bürgerarmee zurückkehren wollen . Wir sollten uns von dem
Begriff Wehrpflicht trennen und an seine Stelle die Dienstpflicht setzen. Das
ist keine Wortklauberei, sondern ein wichtiger Unterschied.
Wir haben berechtigte Ansprüche
an unser Land, an unseren Staat. Aber unser Staat hat das Recht, auch an uns
Ansprüche zu stellen. Das Eine geht nicht ohne das Andere. Kurz gesagt: Auch
wir Bürger haben Pflichten.
Zu diesen Pflichten gehört nicht,
dass wir ein Gewehr in die Hand nehmen müssen. Das müssen wir nicht. Aber etwas
anderes, das müssen wir schon tun, wir müssen uns für das, was die Gemeinschaft
uns gibt, revanchieren. Der Zivildienst bietet hierfür die unterschiedlichsten
Möglichkeiten. Ein Dienst zweiter Klasse ist er nicht.
Die älteren Herrschaften unter
uns werden sich daran erinnern, welches Schindluder mit dem Begriff Pflicht
unter dem Nationalsozialismus getrieben wurde. Im Februar 1938 wurde das
sogenannte Pflichtjahr für alle Frauen unter 25 eingeführt. Die jungen Frauen
waren verpflichtet, ein Jahr in der Landwirtschaft oder Hauswirtschaft zu
arbeiten. Nur, wer diese „Pflicht“ abgearbeitet hatte, konnte eine Lehre oder
andere Ausbildung beginnen. Für junge Männer wurde der RAD, der
Reichsarbeitsdienst, Pflicht, geregelt durch das
Reichsjugenddienstpflichtgesetz. Hier wurde etwas zur Pflicht erklärt, was der
Vorbereitung des Krieges diente, bei Licht gesehen: eine Kriegsdienstpflicht.
Dadurch sollte sich niemand
irritieren lassen. Die Dienstpflicht, für die hier gesprochen wird, mit dem
nichts zu tun.
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