Dienstag, August 08, 2017

Wo hast du eigentlich das Brot? Eine märchenhafte und doch wahre Geschichte

Ein wirklich altes Ehepaar, er 91, sie zehn Jahre jünger, beim Frühstück. Ihre Unterhaltung zeigt, dass sie sich immer noch sehr mögen. Als er ein, zwei Sätze nicht zu Ende bringt, weil ihm nicht mehr einfällt, was er sagen wollte, sagt sie: „Was meint denn mein neunzehnjähriger Doktor da mal wieder?“ Er: „Aber hör doch endlich einmal auf mit dieser witzlosen Zahlendreherei.“ Sie: „Warum, Ich fühle mich dadurch noch mal wie 18.“

Ihr Gespräch dreht sich um ihre zunehmende Vergesslichkeit. Namen von Freunden und Bekannten fallen ihnen auf einmal nicht mehr ein, später vielleicht doch, und manchmal fragen sie sich, was sie eigentlich aus der Küche holen wollten. Sie haben es vergessen. Oft hilft es ihnen, ins Wohnzimmer zurückzugehen und sich zu fragen, was sie wollten. Richtig, ich wollte eine neue Tasse holen.

Und dann sprechen die beiden darüber, wie peinlich es ihnen ist, unterwegs gute Bekannte zu treffen, die sie schon tausendmal gesehen und gesprochen haben und deren Name ihnen plötzlich nicht einfällt.

Damit macht sich unser alter Herr auf einen Spaziergang, versehen mit dem Auftrag, ein Brot mitzubringen. Prompt passiert, was schon so oft passiert ist. Er trifft einen seiner früheren Patienten, man kommt ins Gespräch – nur: Wie heißt dieser Mann bloß? Als der, das ergibt sich glücklicherweise so, seinen Namen selbst erwähnt – große Erleichterung.

Beschwingt geht unser alter Herr nach Hause und berichtet von seiner Begeg-nung. Und seine Frau? Sie fragt: „Wo hast du eigentlich das Brot?“

Diese Geschichte beruht auf einem Text von Hans-Georg Voigt, den DIE ZEIT in ihrer Ausgabe vom 27. Juli veröffentlicht hat.)
06. 08. 2017