Donnerstag, Juni 30, 2016

Sprachmüll


Es hat sich in den letzten Wochen und Tagen wieder einiges angesammelt, das in die Mülltonne gehört. So viel, wie im Folgenden notiert wird: Es ist nicht alles. Viel Sprachmüll wird immer noch durch die Gegend fließen.

So wird in der Politik – auf allen Ebenen – von Anknüpfungs-, Bezugs- und Refe-renzpunkten gesprochen. Ein Gespräch, eine Sendung (es sind nicht nur Politiker, die so reden)  wird nicht etwa eröffnet, nicht eingeleitet, sondern anmoderiert. Tragfähig und prioritär müssen Dinge sein, wenn man sich um sie kümmern soll, ganz besonders, wenn es um das Empowerment der nächsten Generation geht.

Bemerkenswert auch, mit welcher Begeisterung Politiker die enge Verwandt-schaft von Soziologie und Biologie für sich entdeckt haben. Seit Kurzen haben alle Menschen Wurzeln, sind also standorttreu, wenn man sie nicht aus ihrer Umgebung reißt. Und das bei der von Politikern so angebeteten Flexibilität! Syrer haben syrische Eltern. Afghanen haben afghanische Eltern. Ich habe deutsche Eltern und Großeltern und Urgroßeltern. Aber Wurzeln? Die habe ich nicht. Und die anderen auch nicht. Aber was machen gegen POLLY, die Politiker-Lyrik? Aussichtslos! Es scheint sich hier um zwanghaftes Verhalten zu handeln.

Kein Zweifel deshalb, dass der Zwang, reflektiert zu sein, uns über den Kopf wächst. Und was ist gemeint? Nachdenklich, kritisch, gewissenhaft, nichts anderes. Aber ach: Diese doofen altmodischen Wörter! Warum sollten wir sie hervorkramen, wo es doch mit reflektiert einfacher und schneller geht?!

Einer Politikerin fehlte neulich ein starker Kompass. Jedenfalls behauptete sie das. So taumelt die bildungsnahe Dame wahrscheinlich heute noch orientierungslos durch ihre Welt und unsere Sprache.

Wenn unterschiedliche Auffassungen zu einem von allen akzeptierten Ergebnis geführt werden, sprechen wir von Konsens, von Übereinstimmung. Mir wäre es lieber, wenn es hieße „wir haben uns geeinigt“ und nicht, „wir haben einen Konsens erreicht.“  Wenn aber gesagt wird, man habe die Gespräche konsensual geführt, dann wird mir schlecht. Wir sollten uns aber nicht vormachen. Konsensual wird nicht der Gipfel sein. Jeder Unfug, jeder Irrsinn lässt sich steigern. Beispiele dafür gibt es übergenug, nicht nur im Sprachgebrauch.

Schon bei Kleinigkeiten geht es los. Politiker übernehmen keine Verantwortung. Das wäre ja zu wenig. Sie übernehmen die Verantwortung deutlich – sagen sie. Und dann verschwinden sie im Undeutlichen, was in der Politikersprache eine große Rolle spielt. Was lernen wir? Verantwortung kann man auch undeutlich übernehmen. Wenn wir die Politiker beim Wort nehmen, scheint das möglich zu sein. Das scheint Vorteile zu bieten.

Die Kunst der Rede scheint nicht nur darin zu bestehen, Kleinigkeiten gehörig aufzublasen, sondern auch sich selbst. Beides scheint am besten zu gelingen, wenn man aus einfachen Wörtern etwas Größeres, etwas Bedeutendes, macht. Wie viel beeindruckender ist doch der Möglichkeitsraum gegenüber der Möglich-keit!

Sprachmüll überall. Eine Katastrophe. Weil hinter den Wörtern Gedanken stecken, Absichten. Und die sollen durchgesetzt werden. Das aber, finde ich, ist „unverhandelbar“. Auch so ein Unwort.

Schnell noch angehängt: Shitstorm. Soll heißen: Sturm der Empörung. Noch lang-weiliger kann eine Übersetzung nicht sein. Deshalb: Wie geht es besser? Krawall wäre wohl schon etwas besser.

Wenn wir wirklich hoch hinaus wollen, sollten wir uns an die Stanford University wenden. Dort gibt es einen Lehrstuhl für Komparatistik. Donnerwetter! Es geht um vergleichende Literaturwissenschaft.  Also: Das kann ich auch – oder geht es da um etwas anderes? Nicht um gute oder schlechte Texte?

Ich habe das Gefühl, dass es heute mehr Professoren als Taxifahrer gibt. Und jedes Kaff scheint eine Universität zu haben. Nur richtig lesen, schreiben und rechnen können die Jungs und Mädels nicht. Sollte da irgendetwas nicht stimmen? Sind Bildungsferne und Bildungsnähe so eng zusammengerückt, das weder von Nähe, noch von Ferne und von Bildung sowieso nicht die Rede sein kann?

Schön ist die Geschichte vom Getto in Venedig zum Ghetto überall (DIE ZEIT, 23. März 2016).  Dann wäre da noch „alarmistisch“, „systemisch“  und „verhan-deln“ statt „behandeln“. Auch so ein Unfug.

Schließlich auch noch die Angeberei der Journalisten: Resilienz = Widerstands-fähigkeit – Austerity = Sparpolitik auf Teufel komm raus usw. Warum nennen sie das Kind nicht beim deutschen Namen?