Sonntag, Juni 12, 2016

Vorsicht, Zeitgraben!


In einem ZEIT-Artikel begegnete mir das mir bis dahin unbekannte Wörtchen „herkünftlich“. Irgendjemand muss da herkünftlich aus der Türkei oder sonst woher kommen. So war wohl der Zusammenhang. Ein herkömmliches Wort ist herkünftlich jedenfalls nicht, aber immerhin neu.

In einem lesenswerten Bericht über Melinda Gates erwähnt DIE ZEIT am 19. Mai einen riesigen „Zeitgraben“. Warum sollte es den nicht geben? Schließlich haben wir ja auch das Zeitfenster, das mal geschlossen ist, mal weit offen, das sogar schon mal geschmolzen ist. Hoffentlich fällt niemand in den riesigen Zeitgraben. Er wäre dort für immer und alle Ewigkeit begraben.

Und dann die ling-Sache. Nein, es geht nicht um diese saudumme Geschichte, dass alle Chinesen Ling statt Ring sagen. Es geht um eine bemerkenswerte Bemerkung der Linguistin Elisabeth Wehling, einer Hamburgerin, die in den USA forscht. Dort hat sie offensichtlich Erstaunliches festgestellt.

Sie ist der festen Überzeugung, dass die Endung „ling“ Menschen klein macht und sie abwertet. Ihre Begründung: Das Kleine steht im übertragenen Sinn oft für etwas Schlechtes, Minderwertiges, siehe Schreiberling und Schönling (Lüstling ist ihr nicht eingefallen, schade!) Frau Wehling geht bei dem Wort Flüchtling noch einen Schritt weiter: Zitat: „Außerdem ist ‚der‘ Flüchtling männlich – und damit transportiert dieses Wort sehr viele männliche Merkmale: ‚Der‘ Flüchtling ist eher stark als hilfsbedürftig, eher agressiv als umgänglich.“

Frau Wehling würde lieber von Flüchtenden sprechen. Dabei entgeht ihr, dass ein Flüchtender nicht in jedem Fall ein Flüchtling sein muss. Der Einbrecher, der vor der Polizei flüchtet, ist sicherlich kein Flüchtling, aber ein Flüchtender.

In der Frauengruppe der Berliner Humboldt-Universität wäre Frau Wehling gewiss gut aufgehoben.