Sonntag, September 18, 2016

In der Ruhe liegt die Kraft


„Heute ist die gute alte Zeit von morgen“, sagte Karl Kraus. Eine verblüffende Erkenntnis, die nicht zu widerlegen ist. Noch treffender, noch gemeiner lässt sich der Irrglaube an die „gute alte Zeit“ nicht aussprechen. Aber hat Karl Kraus wirklich recht?

Wir sprechen von der guten alten Zeit, in der alles besser war, und vergessen trotzdem nicht zu sagen, wie hart wir damals arbeiten mussten, wie wenig wir hatten und dass wir uns durchbeißen mussten, egal wie. Das klingt nicht gerade nach einer guten Zeit.

Kein Wunder. Die gute alte Zeit war wie alle Zeiten: gut und schlecht zugleich, also wie heute. Und genau das ist unsere Chance. Wir müssen nur genau hinsehen und uns das Gute aus der schlechten guten Zeit herauspicken. Das ist gar nicht so schwierig, wie es aussieht.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Art und Weise, wie seinerzeit Politik gemacht wurde: In aller Ruhe, nach der Erkenntnis „in der Ruhe liegt die Kraft.“

Im Palais Schaumburg, dem Amtssitz des Bundeskanzlers, musste es, wenn Konrad Adenauer sich nach dem Mittagessen zu einem Nickerchen zurückzog, still sein. Keine Besucher, keine Telefonate, kein Herumgerennne  auf dem knarzenden Dielenboden. Die Mittagsruhe war heilig.

Als Dwight D. Eisenhower 1959 Deutschland besuchte, überließ Konrad Adenauer seinem Gast sein Doppelbett im ersten Stock des Kanzleramts und streckte sich selbst für ein Stündchen auf dem Liegesessel im Wohnzimmer aus.

Die erste Reise Adenauers in die USA dauerte 18 Tage, und zweimal im Jahr war er  für mehrere Wochen in Cadenabbia zur Erholung beim Boccia-Spiel. (DER SPIEGEL 38/2016) Das  war der Beweis: Man hatte Zeit damals und nutzte sie sinnvoll. Heute jagen wir der Zeit hinterher. Oder jagt die Zeit uns? Heute geht es im politischen Leben im Viertelstundentakt.

In der Ruhe liegt die Kraft, Also doch: Gute alte Zeit. Bessere Ergebnisse als damals werden heute nicht erreicht.