Montag, September 26, 2016

Minimal-invasive Bildung


Bildung schreiben wir in Deutschland groß, ganz groß und immer noch ein bisschen größer. Das machen wir schon so lange, dass wir nur noch einen Bildungsstummel in der Hand haben. (Hinweis für Bildungsexperten: Stellen Sie sich den Bildungsstummel wie einen Bleistiftstummel vor und denken Sie daran: Es muss endlich etwas Neues,  ein neuer „Bleistift“, her.)

Richtig. Darum müsste man sich kümmern, ganz besonders als Politiker. Das gilt vor allem für die, die sich Bildung auf die Fahne geschrieben haben, aber nicht nur für sie.

Nun ist das so eine Sache mit dem Neuen. Erstens muss man sich das Neue erst einmal ausdenken. Und zweitens muss man mit Widerstand rechnen. Wer trennt sich schon gern vom Gewohnten, vom „war doch immer so und eigentlich ganz in Ordnung.“

Sie haben keine Ahnung, wovon die Rede ist? Denken Sie einfach mal an Heinrich von Kleists Verfertigung der Gedanken beim Schreiben. Aus dem Hin-und-herdenken kann sich etwas entwickeln. Das Schreiben begleitet das Denken und umgekehrt. Manchmal kommt etwas Vernünftiges dabei heraus.

Nun gibt es aber auch eine ganz andere Methode. Sie erfordert eine gewisse Intelligenz, vor allem aber die Begabung, fantasievoll mit unserer Sprache umzugehen. Dabei kommt es in erster Linie darauf an, unverständlich zu sein, wenigstens aber geheimnisvoll und bedeutend. Das ist eine wichtige Voraus-setzung. Man muss Eindruck machen.

Was könnte eindrucksvoller sein als die Forderung nach minimal-invasiven Reformen? Einer unserer Politiker verlangte dieser Tage danach.

Keine Idee, was er gemeint haben könnte? Gehen wir einfach auf die Suche, google-hupfen durch die Gegend und sehen uns an, was uns da begegnet.

Invasion! Klingt kriegerisch, ist auch so. Eindringlinge, gegen die wir uns zur Wehr setzen wollen – hoffentlich erfolgreich. Das ist nicht nur auf den Schlachtfeldern so, auch in der Medizin. Da will uns so mancher Eindringling ans Leder.  Das ist ziemlich beunruhigend.

Aber die Medizin  hat hier schon Antworten gefunden: Invasive Operationsme-thoden. Da geht es um Operationen, die geringere Beeinträchtigungen mit sich bringen, weniger Schmerzen verursachen und zu einer schnelleren Heilung beitragen. So, das ist jetzt klar.

Aber was hat sich unser Politiker bei minimal-invasiven Reformen gedacht? Wahrscheinlich hatte er Angst, die Dinge beim Namen zu nennen. Schließlich können auch gut gemeinte und notwendige Reformen Nachteile mit sich bringen. Mit der ganzen Wahrheit rauszurücken ist in der Politik nicht immer einfach – woanders allerdings auch nicht.

Möglicherweise wollte er aber auch nur zeigen, wie bildungsnah, wie bildungs-affin, wie großartig er ist. Damit gehört er zwar zu der großen Gruppe von Politikern, die sich vorwiegend unverständlich ausdrücken. Entweder wollen sie es, oder sie können es nicht anders. So oder so: Politik und Bürger verstehen sich immer weniger.

„Wir brauchen Reformen, die mit möglichst geringem Aufwand zum Erfolg führen, so gut wie keine Nebenwirkungen haben und schmerzfrei sind.“ Wie wäre es damit? Ein paar Worte mehr, verständlich.