Sonntag, April 30, 2006

Kultur? Unsere Sprache steht auf dem Spiel

Es geht nicht nur um unsere Sprache. Es geht um unseren Verstand, um unser Verständnis der Welt. Das sieht alles sehr harmlos aus, ist es aber nicht. Wir sind von einer Pandemie bedroht, deren Folgen wir noch gar nicht übersehen - so groß sind sie.

Dabei dreht sich alles nur um das kleine Wörtchen Kultur, wobei einem zunächst nur so harmlose Sachen wie Kulturbeutel einfallen - ein Täschchen, in dem Zahnbürste, Zahnpasta, ein Stück Seife, ein Waschlappen und andere Kleinigkeiten Platz finden.

Das Wörtchen Kulturbeutel ist heute so gut wie unbekannt, und auch das Nachfolge- und Ersatzwort Reisenecessaire ist nicht mehr geläufig. In diesem Bereich findet Kultur offenbar nicht mehr statt.

Ehrlich gesagt, ist das hier nicht das Thema. Es geht um etwas wichtigeres. Es geht darum, wie wir mit unserer Sprache umgehen, wie wir mit uns selbst umgehen, ob wir uns mit schönen, geheimnisvollen Wörtern an der Nase herumführen lassen wollen, oder lieber nicht.

Auch wenn es so manchen vor dem Blick in das Wörterbuch gruselt, es lohnt sich: Kultur ist nach Wahrigs Wörterbuch die "Gesamtheit der geistigen u. künstler. Ausdrucksformen eines Volkes." Na bitte, Kultur hat einiges mit unserer Sprache zu tun, damit also, wie wir uns verständigen, wie wir uns verstehen - oder auch nicht verstehen.

Was jetzt folgt, ist eine Unverschämtheit, ist eine Gemeinheit, aber sie ist notwendig, weil die Dinge endlich einmal beim Namen genannt werden müssen.

Wie begegnet uns die "Gesamtheit der geistigen u. künstler. Audruckformen eines Volkes"? Das ist nicht so genau zu sagen, weil da zu viele unterschiedliche Kulturen auf uns einstürmen.
Die foldende Aufzählung ist umfangreich, aber mit aller Wahrscheinlichkeit nicht vollständig:

Leitkultur - Baukultur - Konsenskultur - Aktienkultur - Streitkultur - Unternehmenskultur -
Schuldzuweiungskultur - Erinnerungskultur - Minderheitskultur - Musikkultur - Rechtskultur - Sprachkultur - Toleranzkultur - Unterrichtskultur - Lernkultur - Sicherheitskultur - Betroffenheitskultur - Teilzeitkultur - Führungskultur - Kooperationskultur.

Dann gibt es noch Varianten: Kultur der Insolvenz, Kultur der Gewalt, Kultur des Respekts, Kultur der Anstrengung, Kultur des Rücktritts. Im Grunde ist es ein und dasselbe:

Die Bequemlichkeit, die Faulheit, nach dem richtigen Wort zu suchen und mehr noch die Absicht, nicht alles so genau zu sagen, dass man später an der Nase gefasst werden könnte.

Frage: Ist das nicht alles menschlich? Ist das nicht alles ganz normal? Ja, natürlich ist es das. Aber ebenso normal ist es, das zur Sprache zu bringen und nicht auf sich beruhen zu lassen. Recht und Unrecht. Es gibt beides. Dem Unrecht freien Lauf zu lassen, ist nicht in Ordnung.

Also: Nicht die Fäuste ballen, sondern den Mund aufmachen und sagen, was Sache ist. Nicht besoffen reden und schreiben lassen von allen möglichen "Kulturen", sondern fragen, was gemeint ist und auf einer Antwort bestehen - auf einer Antwort, die die Frage beantwortet und nicht nur - wie üblich und von Politikern eingeübt - nichtssagend ist.

Nichts hat sich gebessert, 2

Als ich zur Schule ging, war ein Fehler ein Fehler, egal, was für ein Fehler es war. Irgendwann hat sich das geändert. Schreibfehler, zum Beispiel, werden nicht mehr als Fehler gezählt, jedenfalls nicht ganz.

Der Weg vom formalen (Schreib)fehler zum inhaltlichen (Denk)fehler war nicht weit.

Die Ergebnisse lesen wir jeden Tag in der Zeitung:

„Und so zog der Kanzler gestern einen Triumph aus dem Ärmel.“ (Hamburger Abendblatt, 13. November 2002, Seite 4). Günther Hörbst, der Artikelschreiber, hat in der Schule nicht aufgepaßt.

Wie wenig er gelernt hat, zeigt sich einige Zeilen weiter. Da liest es sich: „Haider spukte erwartungsgemäß Gift und Galle...“

Zugegeben: Herr Haider spukt hier und da wie ein schrecklicher Geist, aber in diesem Fall dürfte er gespuckt haben, was nicht gerade fein ist. Aber was ist an Herrn Haider schon fein?

Wohin wir auch springen, von diesem oder von einem anderen Thema, wir springen mitten in irgendeine Kultur.

Von Kulturen gibt es heute mehr als genug. Sie hängen einem geradezu zum Halse heraus – weil: Was immer wir tun, es ist Kultur!

Wir streiten uns? Dafür brauchen, dafür haben wir eine Streitkultur.

In unserem Unternehmen haben wir ein paar Spielregeln? Das nennen wir Unternehmenskultur.

So wie die Technik zur Technologie nach oben geredet und geschrieben wurde, so wird einfaches, normales Verhalten zu Kultur hochstilisiert.

Da steht in der WELT, WR6 vom 14. 11. 2002: „Baukultur aus Stahl – Ingenieure und Architekten setzen beim Bau von Brücken wieder auf mehr Ästhetik und erinnern sich der großen Vorbilder aus dem 19. Jahrhundert.“

Wie wollen wir diesen Wahnsinn, diesen Unsinn noch steigern?

Vielleicht gar nicht, wenn uns noch ein Funke Verstand bleibt. Gemeint ist doch – hoffentlich – nichts anderes als dies: Stahl ist ein moderner Werkstoff, der unserem Einfallsreichtum und unseren Fähigkeiten entspricht wie kaum ein anderer.

15. 11. 2002

Führwahr, wir sollten nicht alles für wahr und richtig halten, was die Zeitungen uns vorsetzen. Die Pinneberger Zeitung schreibt auf Seite 3 ihrer Sonnabend/Sonntagausgabe vom 16./17. November: „Und führ wahr: Aus dem ‚Mops‘ von einst ist ein wandelndes Anschauungsobjekt für den Biologieunterricht geworden...“

DIE WELT läßt sich in ihrer Ausgabe vom 16. 11. nicht lumpen; Seite 23, Sport, Sven Ottke – „Und die Vitrinen sind auch notwendig, weil mein Sohn Marc-Steffen (wird im Dezember ein Jahr alt, d. Red.) so langsam seinem Entdeckerdrang nach kommt.“

Du lieber Himmel! Es geht hier um das Verb nachkommen und nicht um das Tuwort kommen. Man sollte beispielsweise seinen Pflichten nachkommen und nicht jeder Schürze nachlaufen (oder nach laufen?).

Ich sehe es noch kommen, daß wir früher oder später folgenden Wörtern begegnen werden: Der Nach Fahre, das Vor Kommnis, der Spät Entwickler, die Früh Geburt, das Nest Häkchen. – Warum eigentlich nicht? Das gibt doch immer wieder neuen Gesprächsstoff, nicht nur hier zu Lande, sondern bestimmt auch zu Wasser und in der Luft.

Gleich zu Anfang sagte Ursula Schmidt, eine neue, alte Bundesministerin, sie wolle einen Schwankungskorridor (der Rentenversicherung) auf den Weg bringen.*

Das versuche ich mir jetzt klarzumachen. Meine Schwankungsbreite scheint beträchtlich zu sein. Jedenfalls fühle ich mich sehr unsicher.

Kein Wunder; denn einen Schwankungskorridor kann es eigentlich nur in Erdbebengebieten geben, eben dort, wo auch Korridore schwanken. Ob es in der Politik nur Erdbebengebiete gibt? Ob dort immer alles schwankt? Hin und her, aber niemals her zu mir? Wer weiß die Antwort?

Das ist aber bloß die eine Hälfte der nicht nur sprachlichen Katastrophe. Die andere: Wie bringe ich denn einen Korridor – mag er schwanken oder nicht – auf den Weg? Und wenn es mir gelingen sollte – auf welchen Weg?

Ich nehme mich jetzt einmal zusammen und überlege, was die Ministerin Ursula Schmidt gemeint haben könnte. Es wird mir schwerfallen, aber ich überlege.

Vielleicht hat sie sagen wollen: „Alles schwankt hin und her, aber ich will es trotzdem in den Griff bekommen.“ Könnte sein, nicht wahr?

Vielleicht hat sie gemeint: „Ich weiß auch nicht genau, wie sich die Dinge entwickeln, aber ich will dafür sorgen, daß sie uns keine neuen Probleme bereiten.“ Klingt nicht schlecht, ziemlich ehrlich sogar. Ob sie das wirklich gemeint hat?

Dagegen spricht, daß sie einen Schwankungskorridor auf den Weg bringen will. Dazu braucht es wahrscheinlich ganz neue Techniken; denn bisher hat das noch niemand geschafft, ja nicht einmal versucht. Wäre ja auch blöd, so etwas Wahnsinniges zu probieren.

Also noch einmal: Vielleicht hat Ursula Schmidt etwas ganz Einfaches sagen wollen, das jedem einleuchtet, wenn auch nicht gefällt, vielleicht dies:

„Ich weiß auch noch nicht genau, wieviel teurer die ganze Angelegenheit wird,, aber um ein paar hundert EURO pro Jahr werden wir wohl kaum herumkommen.“

(„Wir“, das sind die dummen Arbeitnehmer. Ursula Schmidt gehört ja eher zu denen, die Arbeit geben, betroffen wird sie von den Regelungen, die sie verkündet, wohl kaum sein.)

Müßte sie da nicht ehrlicherweise sagen: „Paßt mal auf, Ihr dürft nicht über Eure Verhältnisse leben, das verbietet sogar die Bibel, und Karl Marx sowieso, Ihr müßt Euch einschränken, bescheidener werden, weniger Ansprüche stellen. Überhaupt: Macht Euch nicht so breit.“

Aber das traut sie sich nicht.

Sie hat Angst, daß wir ihr das übelnehmen könnten. Und genau das würden wir tun, wenn wir verstünden, was sie wirklich meint. Aber wir verstehen Ursula Schmidt ja gar nicht. Wir wollen nicht wirklich wissen, was sie sagt, wir wollen nur glauben. Ach du liebe Güte, wir dummen Schafe, wir recht geschieht uns!

„kontraproduktiv“ – ein bei Politikern außerordentlich beliebtes Wort, um Vorschläge, Anregungen, Äußerungen der Gegenseite schlecht zu machen. Auch Industrie- und Gewerkschaftsfunktionäre benutzen dieses Wort gern. Nur in Disputen zwischen Eheleuten oder Freunden, unter ganz „normalen“ Menschen, kommt dieses Wort nicht vor. Warum nicht? Was sagt es? Und was sagt es nicht?

Ich fange mal mit „produktiv“ an, vielleicht bringt das Licht ins Dunkel.

Produktiv erklärt Wahrig’s Wörterbuch wie folgt: „Produkte hervorbringend, schöpferisch, fruchtbar;...“ Na gut, manchmal sind Wörterbücher etwas altmodisch; man kann sie ja auch nicht jeden Tag neu drucken, das Mundwerk ist da allemal schneller.

Bevor ich den Sprung zu „kontraproduktiv“ mache, noch eine kleine Überlegung dazwischen: Nicht alles ist produktiv, ist schöpferisch; manches bewirkt gar nichts, bringt nichts von der Stelle.

Aber „kontraproduktiv“? Das klingt wie Unkrautvernichtungsmittel. Damit wird nicht etwa gesagt, daß die Sache nichts nützt, damit wird behauptet, daß alles ins noch viel Schlimmere verkehrt wird.

Na ja, so viele Gedanken werden sich die Anwender des Wörtchens „kontraproduktiv“ nicht machen. Hauptsache, dieser verbale Faustschlag trifft den Gegner mit voller Wucht am Kinn.

Wenn wir die Aufgabe hätten, „kontraproduktiv“ aus unserem Wortschatz zu streichen und statt dessen andere, einfachere, genauere Wörter zu benutzen, was würde uns da einfallen? Vielleicht dieses:

Das ist Unsinn. Das führt zu nichts. Das bringt uns zurück, aber nicht weiter. Das ist der vollkommene Blödsinn. Dümmer geht es wohl nicht. Damit wird alles nur noch viel schlimmer. Das ist ein vollkommen ungeeigneter Vorschlag. Das macht alles kaputt.

Ach, es gibt viele Möglichkeiten zu sagen, daß man von diesem oder jenem Vorschlag nichts hält. „Kontraproduktiv“ dürfte die allerdümmste sein; aber sie ist so griffig, weil so unverbindlich. Politik läßt grüßen.

Schnittmenge (f. Mengenlehre) die zwei oder mehr Mengen
gemeinsam zugehörigen Mengenbestandteile

So Wahrigs Wörterbuch, anscheinend von einem Mengenlehre-
buch abgeschrieben.

Man muss dreimal lesen, mindestens, um ungefähr zu begreifen,
was gemeint.

Ein für Politiker hervorragend geeignetes Wort, um das, was sie
sagen, undeutlich zu machen – so ein richtiges Schleierwort.

Da reicht bei einem Thema die Schnittmenge nicht. Gemeint ist:
Wir sehen die Dinge sehr unterschiedlich. Oder: Wir kommen da
nicht auf einen Nenner. Oder: Wir können uns da nicht verständigen.
Oder: Wir haben unterschiedliche Auffassungen. Oder: Da stimmen
wir kaum überein.

Jeden Satz würde jeder verstehen. Bei der „Schnittmenge“ ahnt man
nur, was gemeint ist.

Ich würde gern einmal – gemeinerweise – wissen, wie viele Politiker
die Mengenlehre begriffen haben, eine Politiker-Farce der 70er, die
nicht nur den Kindern, sondern auch den Eltern, nicht zuletzt den
Lehrern unnütze Kopfschmerzen gemacht hat. Das einzige Überbleibsel,
fast hätte ich geschrieben Relikt, ist die Politiker-Mengenlehre, die
allerdings eher an eine Mengenleere oder eine Menge Leere denken lässt.

Schoolworkerin. Unsere Sprache lebt sich zu Tode.

Unsere Sprache ist so lebendig wie nur irgendwas. Täglich kommen neue Wörter hinzu, andere gehen verloren. Das ist ganz normal. Das war schon immer so.

Und doch ist heute etwas anders. Das Gefühl für unsere Sprache geht immer mehr verloren. Abgebrüht wie wir sind und dementsprechend bedenkenlos greifen wir auf das Englische zurück – und verfälschen es zum Gotterbarmen.

Dabei fängt alles ganz harmlos an. Das Wort Streetworker übernehmen wir anstandslos, vielleicht, weil wir das Wort Sozialarbeiter nicht mögen. (Ein Straßenarbeiter, der die Straße pflastert, ist ja offensichtlich nicht gemeint.)

Von einem Schoolworker (vielleicht der Pedell aus der Feuerzangenbowle?) war bisher nicht die Rede. Aber am 10. März dieses Jahres tauchte das Wort Schoolworkerin auf. Es wurde schwarz auf weiß gedruckt.

Eine Workerin. Etwas ganz neues. Eine Sensation. Eine außerordentliche Erfindung. Ja, wirklich: etwas ganz Neues: Die workerin.

Im Englischen gibt es das weit und breit nicht, nur bei uns. Kreatives Deutschland!


PS: Wie weit es der leichtfertige Umgang mit unserer Sprache gebracht hat? Noch viel weiter als bis zum unverständigen und großenteils unverständlichen Gebrauch des Englischen.

Das fing aber schon im Deutschunterricht an – zugegeben vor ziemlich vielen Jahren.

Da war von Tätigkeits- oder Tuwörtern die Rede, von Selbstlauten und Mitlauten, also Vokalen und Konsonanten. Das ging damals ziemlich durcheinander. : Mal hieß es so, mal anders.

Eigentlich war es so wie es heute ist: Niemand sieht so richtig klar.

So kommen wir zu Goethe und Schiller zurück. Sie schrieben, wie es ihnen passte. Wichtig war, was sie zu sagen hatten. Die Form war nicht so wichtig. Auf ihre Grammatik pfeifen wir, auf das, was sie uns gesagt haben, nicht.

Ganz zum Schluss zum Sprachsumpf, durch den wir uns heute kämpfen müssen:
Überall wird gewunken. In den Zeitungen, den Zeitschriften, im Fernsehen. Versteht denn niemand, wie weh das tut?

Es gibt da in der deutschen Grammatik einen kleinen, aber wichtigen Unterschied, den zwischen starken und schwachen Tätigkeitswörtern (Verben). Das liest sich dann so:

Sinken, sank, gesunken Oder – besser in diesem Fall: Stinken, stank, gestunken. Das ist wie sinken ein starkes Verb. Das kann man sozusagen riechen.

Aber: Winken, wank, gewunken? Ist das richtig? Prüfen wir das mal. Ich winke, ich winkte, ich habe gewinkt, ich werde winken, ich werde gewinkt haben, usw.

Wissen Sie, was mir da einfällt? „Winke, winke, winke winke, mit den Händen, mit den Augen, mit dem Mund.“

Nichts hat sich gebessert

Schoolworkerin. Unsere Sprache lebt sich zu Tode.

Unsere Sprache ist so lebendig wie nur irgendwas. Täglich kommen neue Wörter hinzu, andere gehen verloren. Das ist ganz normal. Das war schon immer so.

Und doch ist heute etwas anders. Das Gefühl für unsere Sprache geht immer mehr verloren. Abgebrüht wie wir sind und dementsprechend bedenkenlos greifen wir auf das Englische zurück – und verfälschen es zum Gotterbarmen.

Dabei fängt alles ganz harmlos an. Das Wort Streetworker übernehmen wir anstandslos, vielleicht, weil wir das Wort Sozialarbeiter nicht mögen. (Ein Straßenarbeiter, der die Straße pflastert, ist ja offensichtlich nicht gemeint.)

Von einem Schoolworker (vielleicht der Pedell aus der Feuerzangenbowle?) war bisher nicht die Rede. Aber am 10. März dieses Jahres tauchte das Wort Schoolworkerin auf. Es wurde schwarz auf weiß gedruckt.

Eine Workerin. Etwas ganz neues. Eine Sensation. Eine außerordentliche Erfindung. Ja, wirklich: etwas ganz Neues: Die workerin.

Im Englischen gibt es das weit und breit nicht, nur bei uns. Kreatives Deutschland!


PS: Wie weit es der leichtfertige Umgang mit unserer Sprache gebracht hat? Noch viel weiter als bis zum unverständigen und großenteils unverständlichen Gebrauch des Englischen.

Das fing aber schon im Deutschunterricht an – zugegeben vor ziemlich vielen Jahren.

Da war von Tätigkeits- oder Tuwörtern die Rede, von Selbstlauten und Mitlauten, also Vokalen und Konsonanten. Das ging damals ziemlich durcheinander. : Mal hieß es so, mal anders.

Eigentlich war es so wie es heute ist: Niemand sieht so richtig klar.

So kommen wir zu Goethe und Schiller zurück. Sie schrieben, wie es ihnen passte. Wichtig war, was sie zu sagen hatten. Die Form war nicht so wichtig. Auf ihre Grammatik pfeifen wir, auf das, was sie uns gesagt haben, nicht.

Ganz zum Schluss zum Sprachsumpf, durch den wir uns heute kämpfen müssen:
Überall wird gewunken. In den Zeitungen, den Zeitschriften, im Fernsehen. Versteht denn niemand, wie weh das tut?

Es gibt da in der deutschen Grammatik einen kleinen, aber wichtigen Unterschied, den zwischen starken und schwachen Tätigkeitswörtern (Verben). Das liest sich dann so:

Sinken, sank, gesunken Oder – besser in diesem Fall: Stinken, stank, gestunken. Das ist wie sinken ein starkes Verb. Das kann man sozusagen riechen.

Aber: Winken, wank, gewunken? Ist das richtig? Prüfen wir das mal. Ich winke, ich winkte, ich habe gewinkt, ich werde winken, ich werde gewinkt haben, usw.

Wissen Sie, was mir da einfällt? „Winke, winke, winke winke, mit den Händen, mit den Augen, mit dem Mund.“

Sündenregister

Zwischendurch: Die jungen Schlußredakteurinnen des HAMBURGER ABENDBLATT kennen den Unterschied zwischen Referenz und Reverenz nicht. Sie lassen schreiben „Die Ernennung des bodenständigen Politikers ist offenbar eine Referenz an jene große Zahl der Wähler, die...“ Es geht hier aber nicht um Empfehlung (Referenz), sondern um Ehrerbietung (Reverenz).
Noch einmal zurück zur Sprache. Immer wieder wird geschrieben und auch gesprochen von „Standing Ovations“. Jeder ahnt, was damit gemeint ist, aber nicht jeder würde es so ausdrücken. Von Luthers Rat, dem Volk aufs Maul zu schauen, sind Schreiber und Sprecher inzwischen weit entfernt.

Ovation heißt Huldigung. Eine stehende Ovation ist demnach eine stehende Huldigung. Na ja, so geht es wohl nicht. Also dürfte eine „Standing Ovation“ eine Huldigung sein, bei der alle Huldigenden stehen. Ein bißchen komisch, nicht wahr?

„Früher“ war von rauschendem Beifall oder nicht enden wollendem Beifall oder überwältigendem Beifall die Rede, und es gab noch viele andere, feinere, genauere Formulierungen. Aber für das Feinere, für das Genauere braucht man mehr Zeit. Und die haben wir ja neuerdings nicht mehr. Wir verbrauchen sie ja schon im Übermaß für Fun, für Selbstverwirklichung, für alles mögliche Unmögliche.

Was hat Jörg Schönbohm kürzlich in einem Gespräch mit der WELT gesagt?
„...Aber schauen Sie, in unserem Land leben über sieben Millionen Ausländer. Doch nur zwei Millionen von ihnen haben Arbeit....“

Das ist Demagogie, das ist Irreführung, ist eine Gemeinheit sondergleichen, ist Aufruf zu Ausländerfeindlichkeit, zu Menschenverachtung. Wieso, warum? Die folgende Rechnung gibt die Antwort. In Deutschland leben etwa achtzig Millionen Menschen. Davon haben ungefähr dreißig Millionen Arbeit. Folglich sind fünfzig Millionen Deutsche arbeitslos.
Was unsere Sprache angeht, den Umgang mit ihr, wird es von Tag zu Tag schlimmer. So schreibt DIE WELT in ihrer Ausgabe vom 16. 03. 2002 auf Seite 13 im Beitrag „Marktplatz“:
„Pleiten und Betrugsfällen ... ist mit solchen Halbherzigkeiten nicht bei zu kommen.“
Nicht bei zu kommen. Du haben fertig? Ich auch.
Bevor ich mich heute, 10. April 2002, wieder in meinen Böll vertiefe, noch eine Anmerkung zum Mißbrauch des Wortes KULTUR. Das steht in DIE WELT, 10. April 2002, Seite 28: „Sprachlos in die Pleite. Kirch bringt es an den Tag: Die Deutschen müssen sich erst noch an eine Kultur der Insolvenz gewöhnen. Gemeint ist vom Autor Peter Gillies dies: Die Deutschen müssen sich erst noch an den Umgang mit dem Begriff Insolvenz gewöhnen; sie müssen lernen, wie man damit umgeht.

Weiter hinten im Text: „Zur Kultur tradierter und erfolgreicher Firmen gehörte es immer zuallererst, die Substanz zu sichern. Eine Brücke wurde erst dann vorangetrieben, wenn die bisherigen Pfeiler und Abschnitte gesichert waren.“ Was Autor Gillies mit Kultur bezeicnnet, sind Grundsätze. Herr Gillies war zu faul, den genauen Begriff zu suchen und zu benutzen. Damit ist er leider nicht allein.

Ich ahne schon: Herr Gillies wird sagen, daß er unter Zeitdruck arbeitet; die Zeitung für morgen darf nicht erst übermorgen fertig werden, und da sind solche Bequemlichkeiten einfach notwendig. Aber – Gegenargument: die Tageszeitung war doch immer eine Tageszeitung, und die Zeit war immer zu kurz. Warum war die Zeitung „damals“ sorgfältiger geschrieben?
Etwas nebensächlich Wichtiges zum Thema Sprache: „Wie werthaltig diese Aussage ist, weiß der machtlose Turnierdirektor inzwischen einzuschätzen.“ Hamburger Abendblatt, Freitag, 26. April 2002 – „Kurnikowa kneift.“ Werthaltig – was für ein Wort! Du und ich, was würden wir sagen? Wahrscheinlich dies: „Wieviel Wert diese Aussage ist...“ oder „Welchen Wert diese Aussage hat...“ – Eine werthaltige Aussage? Natürlich, unsere Sprache lebt, sie verändert sich, wir verändern sie, weil wir uns ja auch verändern. Aber müssen wir jeden Unsinn mitmachen? Ich denke da an mein Paradebeispiel „gewunken“. Er hat gewunken. Nein, das hat er nicht. Er hat gewinkt; denn es heißt immer noch „winken, winkte, gewinkt“. So unterschiedlich winken und stinken sind, so unterschiedlich sind auch die grammatischen Formen.
„Stinken, stank, gestunken“ heißt es korrekt. Wenn wir winken dieser Form anpassen wollen, müßten wir sagen und schreiben „winken, wank, gewunken“. Aber wer hat schon gesagt oder geschrieben „er wank ihnen zu“? Noch niemand. Woher kommt „gewunken“?
05. 05. 2002:

Mir fällt gerade ein Zettelchen in die Hände, auf dem steht „Gewinnfalle“? „Gewinnwarnung“? Beide Wörter sind mit einem Fragezeichen versehen. Der Grund dafür ist leicht einzusehen: Beide Wörter sind so neu in unserer Sprache, daß die meisten von uns nicht wissen, was damit gemeint ist; jedenfalls wissen sie es nicht genau.

Was geht uns durch den Kopf, wenn wir die Wörter so nehmen, wie sie vor uns stehen? „Gewinnfalle“ – das könnte eine Falle sein, mit der wir ganz gehörige Gewinne für uns einfangen können. Könnte doch wirklich so sein, oder? So nach dem Motto „Honey is good for trapping“.

„Gewinnwarnung“ – was schießt uns da durch den Kopf? Klar, vor übermäßigen Gewinnen wird gewarnt, weil – zum Beispiel – zu viel Steuern zu zahlen sind, weil es vielleicht als unanständig angesehen wird, so viel Gewinn zu machen. Na, auf jeden Fall – auch wenn wir ihn nicht kennen – wird vor Gewinn gewarnt.

Irrtum! Irrtum in beiden Fällen: Mit „Gewinnfalle“ ist gemeint, daß ein Unternehmen den Mund zu voll genommen hat; es kann die vorausgesagten Gewinne nicht erreichen. Und nun sitzt es in der Falle. Wie soll es klarmachen, daß es sich und der Öffentlichkeit etwas vorgemacht hat? Vielleicht gibt es für diese Aufgabe Spezialisten. Vielleicht? Bestimmt gibt es sie!

„Gewinnwarnung“ ist mit dem Wort „Gewinnfalle“ verwandt. Auch hier ist gemeint, daß der hinausposaunte Gewinn nicht erreicht werden wird. Nicht selten kommt es vor, daß an die Stelle des Wörtchens Gewinn das Wort Verlust gesetzt werden muß. „Gewinnwarnung“ hat den Vorzug, nicht so dramatisch zu klingen. Die Tatsachen sind dann oft um so dramatischer.

So viel zu dem Zettelchen, das mir in die Hände fiel.
Zwischendurch: Die jungen Schlußredakteurinnen des HAMBURGER ABENDBLATT kennen den Unterschied zwischen Referenz und Reverenz nicht. Sie lassen schreiben „Die Ernennung des bodenständigen Politikers ist offenbar eine Referenz an jene große Zahl der Wähler, die...“ Es geht hier aber nicht um Empfehlung (Referenz), sondern um Ehrerbietung (Reverenz).
Heute abend haben Real Madrid und Bayer Leverkusen um den Champions League Pokal gespielt. Zugegeben: Das Spiel war spannend, spannender als die meisten Nationalmannschaftsspiele. Real hat gewonnen. Das war mir schon vor Spielende in dem Augenblick klar, als der Reporter sagte: „Ballack sucht den Strafraum.“ Mein Gott, dachte ich, wenn der nicht mal weiß, wo der Strafraum ist, dann kann das ja nichts werden. Und so wurde es dann auch nichts. Vielleicht hilft Aspirin, um über den Schmerz hinwegzukommen.

Was mir neben dem Spielfeld auffiel, waren die Stewards. Nein, nicht eigentlich die Stewards, sondern diese Bezeichnung. Hießen die nicht noch vor kurzem Linienrichter? Vielleicht verwechsle ich da etwas. Aber ein bißchen ist es so mit der Technologie, die oft nur ganz einfache Technik ist. Oder wie in der Formel 1, bei der die Streckenwärter jetzt Marshals sind. Sind die Jungs an den Rennstrecken nun wirklich Zeremonienmeister, Vollstreckungsbeamte oder Gerichtsvollzieher, wie ein seriöses Wörterbuch notiert? Wenn sie Pech haben, werden sie von einem herumfliegenden Reifen erschlagen, wie vor nicht allzu langer Zeit in Monza.
Schon wieder: Die Wunder der neuen Rechtschreibung
(DIE WELT, 09. 10. 2002, Sportteil)

„Nachdem, was dieses Jahr passiert ist, müssen wir Ferrari bremsen...“

Nachdem?

Richtig wäre: „Nach dem, was dieses Jahr passiert ist...“

Nachdem ich diesen Unsinn gelesen habe, ärgerte ich mich erneut über die Rechtschreibreform, die bis auf Ausnahmen, nur zu Dummheiten geführt hat und zu Verwirrung.

Wahrscheinlich hätte ich jetzt schreiben müssen: „Nach dem ich diesen Unsinn gelesen habe,...
Ach, es geht weiter, schon am 10. Oktober in der WELT, im Wirtschaftsteil, Seite 11:
Die Kolumne „Der Kommentar“. Titel „Die italienische Tragödie“. Thema: Der Ausverkauf der Automobilmarke FIAT an General Motors. Da heißt es: „Die Streik erprobten italienischen Gewerkschaften....“

Was heißt denn das? Die den Streik erprobt habenden Gewerkschaften? Ich will nicht lange debattieren! Es heißt streikerprobte Gewerkschaften, so wie es hartgesottene Krieger heißt oder weichgekochte Kultusminister. Die sind nicht weich gekocht worden, sondern wurden so lange gekocht, bis sie weich waren. Da waren sie dann die weichgekochten Kultusminister. Leider sind sie hartgesottene Burschen, die uns weiter mit ihrem Unsinn quälen.
„kontraproduktiv“ – ein bei Politikern außerordentlich beliebtes Wort, um Vorschläge, Anregungen, Äußerungen der Gegenseite schlecht zu machen. Auch Industrie- und Gewerkschaftsfunktionäre benutzen dieses Wort gern. Nur in Disputen zwischen Eheleuten oder Freunden, unter ganz „normalen“ Menschen, kommt dieses Wort nicht vor. Warum nicht? Was sagt es? Und was sagt es nicht?

Ich fange mal mit „produktiv“ an, vielleicht bringt das Licht ins Dunkel.

Produktiv erklärt Wahrig’s Wörterbuch wie folgt: „Produkte hervorbringend, schöpferisch, fruchtbar;...“ Na gut, manchmal sind Wörterbücher etwas altmodisch; man kann sie ja auch nicht jeden Tag neu drucken, das Mundwerk ist da allemal schneller.

Bevor ich den Sprung zu „kontraproduktiv“ mache, noch eine kleine Überlegung dazwischen: Nicht alles ist produktiv, ist schöpferisch; manches bewirkt gar nichts, bringt nichts von der Stelle.

Aber „kontraproduktiv“? Das klingt wie Unkrautvernichtungsmittel. Damit wird nicht etwa gesagt, daß die Sache nichts nützt, damit wird behauptet, daß alles ins noch viel Schlimmere verkehrt wird.

Na ja, so viele Gedanken werden sich die Anwender des Wörtchens „kontraproduktiv“ nicht machen. Hauptsache, dieser verbale Faustschlag trifft den Gegner mit voller Wucht am Kinn.

Wenn wir die Aufgabe hätten, „kontraproduktiv“ aus unserem Wortschatz zu streichen und statt dessen andere, einfachere, genauere Wörter zu benutzen, was würde uns da einfallen? Vielleicht dieses:

Das ist Unsinn. Das führt zu nichts. Das bringt uns zurück, aber nicht weiter. Das ist der vollkommene Blödsinn. Dümmer geht es wohl nicht. Damit wird alles nur noch viel schlimmer. Das ist ein vollkommen ungeeigneter Vorschlag. Das macht alles kaputt.

Ach, es gibt viele Möglichkeiten zu sagen, daß man von diesem oder jenem Vorschlag nichts hält. „Kontraproduktiv“ dürfte die allerdümmste sein; aber sie ist so griffig, weil so unverbindlich. Politik läßt grüßen.
Nun liegt das alte Jahr schon einige Tage hinter uns (heute ist Samstag, der 4. Januar 2003.) Ganz offensichtlich hat das neue Jahr einige Späße des alten übernommen. Die folgenden Beispiele sprechen dafür – sie knüpfen an die voll tankenden Autofahrer vom 27. Dezember an.

Die Mosel ließ (DIE WELT 4./5. Januar 2003) die Innenstadt von Zell innerhalb einer halben Stunde voll laufen. Weder unsere Kultusminister noch unsere Redakteure haben begriffen, daß das Wort voll eine ganz neue Bedeutung bekommen hat, jedenfalls bei jungen Leuten. Voll heißt „ganz und gar“, „Spitze“ (voll cool sein, voll drauf sein usw.). Wenn eine Sache „voll gelaufen“ ist, dann ist sie großartig gelaufen, so wie geplant, einfach bestens.

Wer glaubt, der sprachliche Unsinn hätte damit seinen Höhepunkt erreicht, irrt. nach einem Bericht der WELT, ebenfalls von heute, 04. 01. 2003, ist die Hauptaufgabe der NMC, der Telefonschaltzentrale der Telekom, „die Leistungsfähigkeit im gesamten Netz sicher zu stellen.“ Sicher stellen bedeutet, etwas mit sicherer Hand zu placieren, es so hinzu tellen, daß es sicher steht. Sicherstellen dagegen heißt dafür sorgen, daß etwas funktioniert, arbeitet, wie man es beabsichtigt. Ist der Unterschied klar? Den Kultusministern nicht. Und die Redakteure machen den Unsinn mit. Heiliger Strohsack!

Noch beeindruckender ist das Beispiel, das DIE WELT schon gestern (03. 01. 2003) druckte: „Händler... warnten davor, den erfreulichen Auftakt (des Börsengeschäfts) über zu bewerten.“ Da bleibt einem wirklich die Spucke weg. Mir fällt im Augenblick als Illustration dieses Unsinns nur „unter zu minieren“ ein. Ja, so wird die deutsche Sprache unterminiert – oder doch unter miniert?
(Hamburger Abendblatt, 20. 12. 2002. „Schwer wiegend“, wo „schwerwiegend“ angebracht gewesen wäre.) Schwer wiegende Vorwürfe – leicht fertige Jungens. Tief greifende Veränderungen – hoch fliegende Pläne. Hier wurde getrennt, was zusammen gehört. Hoffentlich wächst es auch wieder zusammen, sonst verwahrlost unsere Sprache zu undeutlichem Gestammel.
Hoch fliegende Pläne sind Papiere, die der Wind aus dem Fenster und in die Lüfte gewirbelt hat. Hochfliegende Pläne dagegen sind Ideen, die anspruchsvollen Zielen zustreben. Ist das ein Unterschied? Ja oder nein?!
Bis auf drei Schnipsel ist der Papierberg auf meinem Schreibtisch abgearbeitet. Da kann ich mich schnell noch einmal den Wunderlichkeiten unserer Sprache, genauer, dem Umgang mit unserer Sprache, widmen:

An ein und demselben Tag lese ich einmal „Alpträume“ und ein anderes mal „Albträume“. Ich schließe mich da Wahrig’s Wörterbuch an und schreibe Alpträume.

Im HAMBURGER ABENDBLATT, vor einiger Zeit: „Die Aufruhr“. Ich glaube, ich habe mich darüber schon verbreitet. Im selben Blatt wird „enduring Freedom“ mit „dauerhaftem Frieden“ übersetzt. Gemeint aber ist Freiheit. Das können die unmündigen Schlußredakteurinnen der Zeitung allerdings nicht wissen. So jedenfalls würde der Chef vom Dienst Meyer-Schmachtagen argumentieren.

Fernsehen und Presse sprechen und schreiben immer häufiger von „Formaten“ und „Staffeln“. Sie meinen damit Sendeformen und Serien. Es wird ja auch nicht nur moderiert, sondern – vor allem – anmoderiert. Der Sprachwahnsinn kennt kaum noch eine Grenze. Moderation; Anmoderation.

Moderation heißt laut Wahrig „einführende und verbindende, erklärende Worte während einer Sendung.

Was, bitte, ist dann eine Anmoderation? Die Antwort wird schwerfallen; denn einen Moderator gibt es ja im Fernsehen, einen Anmoderator noch nicht.

Das ist es für heute, den 4. Januar 2003.
Nur ein paar Kleinigkeiten heute, am 19. Januar:

„Sozialhilfe kommt auf den Prüfstand“ (Hamburger Abendblatt, 18./19. 01. 2003). Der „Prüfstand“ ist eine Vokabel, die Politiker seit längerem liebendgern benutzen und den die Presse mit Begeisterung aufnimmt.

Warum muß alles auf „den Prüfstand“? Warum wird nicht einfach geprüft? Warum wird nicht untersucht, warum wird den Dingen nicht auf den Grund gegangen. Sicherlich gibt es noch andere Wörter, die besser sind als „Prüfstand“. Wenn es um eine möglichst kurze Formulierung geht, für Zeitungen und Nachrichtensendungen sicherlich ein wichtiger Gesichtspunkt, dann, bitte schön: Es wird geprüft.

„Der Prüfstand“, den die Politiker meinen, ist ein augeblasener Begriff, der vorgaukeln soll, daß da ein zuverlässiges Instrument zur Verfügung steht, so wie in einer Werkstatt, um Autos zu untersuchen. Schwindel, Schwindel, Schwindel mit Wörtern!

Ebenfalls aus dieser Abendblatt-Ausgabe: „Sie ist zurzeit ein Star der Literatuerszene:
Siri Hustvedt...“ – zurzeit? Die Rechthabeschreibreformer machen mich noch völlig verrückt. Was auseinander gehört, schreiben sie zusammen, was zusammen gehört, trennen sie. Ich schreibe weiter zur Zeit.

Und noch einmal, ebenfalls aktuelle Wochenendausgabe des Hamburger Abendblatts: „... vor allem die polnisch stämmigen Deutschen...“ („Polen – Traumland für Auswanderer“, Seite 2)

Wer ist denn nun stämmig? Die Polen? Die Deutschen? Ich denke, stämmige Jungen und Mädels gibt es überall. Also: Wenn schon, dann polnischstämmig. Aber warum nicht ganz einfach: „Die aus Polen stammenden Deutschen“?
Hier noch ein paar „Sprachlichkeiten“:

Herr Koch, Ministerpräsident unseres Bundeslandes Hessen: „Die Welt in der Drohkulisse halten...“ – Was soll man dazu sagen? Kulissen sind Theaterstaffagen., nichts von Bestand, sie täuschen nur etwas vor, befördern Illusionen. Im Theater richtig, im Zusammenleben falsch.

Mal abgesehen davon: „... in der Drohkulisse halten...“ Was heißt denn das? Vollkommener sprachlicher Unsinn, sprachlicher, geistiger Müll. Wer fährt ihn ab?

Ein Wort macht Karriere, ein Wort mit seiner ganzen Familie: lateral, unilateral, multilateral.

Mal ehrlich: Auch Abiturienten, jedenfalls die heutigen, verstehen nicht, worum es geht, bestimmt nicht genau.

Lateral heißt seitlich (Wahrigs Wörterbuch). Unilateral bedeutet einseitig. Multilateral also vielseitig. Wenn wir so einfache und deutliche Wörter haben, warum sprechen wir sie dann nicht aus? Wir sprechen sie ja nicht aus, wir hören und lesen sie nur, und kein Mensch weiß genau, was gemeint ist.

Prima! Wieder das alte Lied: Rede die Menschen noch dümmer als sie es schon sind.

Kampf Rekord, oder Kampf record?
Dann reden diese Jungs dauernd vom Kampf Rekord, nein, nicht vom Kampf record, nicht vom fight record. Sie sprechen Rekord ganz deutlich, ganz eindeutig deutsch aus: REKORD!
Es geht aber nicht um einen Rekord, um eine Höchstleistung. Es geht einfach darum, wieviele Kämpfe der Boxer gemacht hat, wieviele er gewonnen, wie viele er verloren hat und wie die Kämpfe ausgegangen sind (k.o. oder nach Punkten oder, oder, oder).

Was könnte man anstelle von „Das ist sein Kampf Rekord“ sagen? Vielleicht: „So hat er bisher geboxt.“ Oder. „Seine Kampfbilanz.“

Container ist beinahe schon ein deutsches Wort. Container Terminal auch. Wie erfreut war ich – vor Monaten – als ich im Hamburger Abendblatt in einem Interview mit einem bedeutenden Hamburger Reeder das Wort Frachtkiste fand.

Der Terminal, den es damals, vor dem Weltkrieg II nicht gab, war – und ist ein Sammelpunkt.

Einverstanden: Wir müssen die deutschen Wörter nicht anwenden, aber vielleicht sollten wir sie kennen. Verkehrt wäre das gewiß nicht.

Freitag, April 28, 2006

Enthusiasmiert oder begeistert?

Enthusiasmiert. Ich bin es, du bist es, er sie es ist es, wir sind es, ihr seid es, sie sind es. Klar, das kann sich nur um die Fußballweltmeisterschaft handeln, die uns schon heute überwältigt, beispielsweise mit dem Elfmeter des Bundesgerichtshofs gegen die Fifa.

Irrtum, Euer Ehren, es geht um etwas ganz anderes. Im Titelseitenkommentar der WELT von heute , dass deutsche Wirtschaftsvertreter enthusiasmiert waren. Was waren sie wirklich? Sie waren begeistert, vielleicht auch vor Begeisterung aus sich.

Aber es muss ja alles immer ein bisschen feiner sein. Wenn man schon nicht so spricht – hoffentlich – dann schreibt man wenigstens so. Das führt dann nicht selten zu recht abenteuerlichen Ergebnissen. Eines davon liest sich so: „Profitabilisierung der neuen Titel…“

Was, um Himmels willen, könnte damit gemeint sein? Wenn wir versuchen, das herauszufinden, begegnet uns ein einfacher Gedanke: Die neuen Titel des Verlags sollen mehr Profit bringen als bisher, mehr Gewinn. Das ist ja ganz in Ordnung. Und dann könnte man das doch auch so „ordnungsgemäß“ einfach und verständlich sagen. Aber warum hat man studiert?!

Immer wieder ertappe ich mich bei dem Verdacht, ich würde eine deutschtümelnde Sprache lieben. Der eine oder andere mag das so empfinden. Aber das ist nicht so.
Ich habe nichts gegen Fremdwörter. Deshalb ist mir der Begriff Gastwörter sehr viel lieber; wir sollten ihnen Gastfreundschaft gewähren, wir sollten sie – wann immer sie etwas genauer, kürzer, verständlicher, aussprechen – wir sollten ihnen dann immer den Vorzug geben.

Genauso viel, wenn nicht noch mehr, Schindluder treiben wir mit unseren „ureigenen“ Worten. Handlungsbedarf ist so ein Ungetüm. Da scheint es irgendwo einen „gewaltigen Handlungsbedarf“zu geben (DIE WELT, 28. April 2006, Seite 33).
Der gewaltige Handlungsbedarf heißt nichts anderes als „Es muss viel getan werden!“
So etwa würde wahrscheinlich Manne Krug nach seiner Frage „Was lernt uns das?“, antworten.

Warum muss aus jedem Sprachfurz ein Donnerwetter gemacht werden?! Damit bin ich wieder bei der Frage, warum Technik heute nicht Technik heißt, sondern Technologie genannt wird.

Mittwoch, April 26, 2006

Sprachkunststücke

Sprachkunststücke.

Für Kunststücke sind Artisten zuständig. Das gilt natürlich auch für die Sprache. Merkwürdig ist, dass die Sprachartisten gern anonym bleiben, unerkannt sein wollen, und meist bleiben sie es auch.

Wir können nur feststellen, dass sie vor allem in der Politik, in der Verwaltung ihre Bleibe haben, als Minister und Ministeriale, als Beamte, Funktionäre und Juristen. In allen diesen Bereichen scheint man eine besondere Sprache zu sprechen, die im Allgemeinen auf wenig bis gar kein Verständnis trifft oder einfach lächerlich ist.

Zuerst zum Lächerlichen. „Im Sinne der Verpackungsverordnung sind Einwegverpackungen alle Verpackungen, die keine Mehrwertverpackung darstellen.“ Anders gesagt: Alle Schimmel sind Schimmel, die Schimmel sind. Was sich auch auf die Rappen anwenden ließe.

„Erstinverkehrbringer“ – das Wort müssen wir uns auf der Zunge zergehen lassen, das müssen wir genießen: „Erstinverkehrbringer“! Auf so ein Wortmonster kann nur ein Beamter, ein Funktinär, ein Sprachfeind kommen. Gemeint ist der Abfüllbetrieb. (Die Rede ist hier vom neuen Einwegpfandsystem für Getränkeverpackungen.

Und nun zu dem, was möglicherweise ernst genommen werden sollte. Der „Verband deutscher Mühlen“ (was ist das für ein Verband?) will erreichen, dass aus dem Müller ein ‚Verfahrenstechnologe in der Mühlen- und Futtermittelwirtschaft“ wird.

Da haben wir es wieder: Es geht nie hoch genug hinaus. Aus Technik wird mit Begeisterung und ohne hinzusehen Technologie gemacht. Was aus einem Lehrling, einem Hilfsarbeiter oder einem Hilfsschüler, einer Küchenhilfe, einer Zugehfrau, einer Hausfrau heute gemacht wird, soll hier gar nicht erst notiert werden. Die Neigung, sich am Unangenehmen vorbeizumogeln, scheint unwiderstehlich zu sein.
(Tröstlich ist nur, dass der derzeitige Wirtschaftsminister unserer Republik gelernter Müllermeister ist, der sich gegen die Verballhornung seines ehrenwerten Berufs wehrt.

Bevor wir uns so richtig auf das Wort „unaufgeregt“ gewöhnen konnten, kommt schon un-Wort: „Unaufreizend“. Wenn jemand „unaufgeregt“ ist, dann ist er ruhig, besonnen, hat die Sache im Griff, alles läuft ‚wie geschmiert’ – zig Möglichkeiten also, sich genau auszudrücken. „Unaufgeregt“ ist die billige, abgegriffene Wortmünze.

Und nun „Unaufreizend“. Müsste eine Sache sein, die einen kalt lässt, die keine Aufmerksamkeit verdient, die einen nicht reizt. Was ist wirklich gemeint? Und woher kommt dieses Wort?

Wahrscheinlich ist „unaufreizend“ genau so eine Sprachschablone wie „etwas in den Fokus zu nehmen“. Was heißt „in den Fokus zu nehmen“? Nichts anderes als „wenn man genau hinschaut“. Klingt einfach, ist einfach, und jeder versteht es. Macht aber nicht so viel her.

Sprachmüllentsorgung

Sprachmüllentsorgung. Der Missbrauch, der mit den Kombinationen von Kultur und anderen Begriffen (zum Beispiel „Betroffenheitskultur“) getrieben wird, ist nur ein Teil des Sprachmülls, der uns täglich vor die Haustür gekippt wird – korrekter:
uns vor Augen und Ohr geführt wird. Wie können wir damit fertig werden?

Vielleicht sollten wir uns an der kommunalen Müllentsorgung orientieren; denn die funktioniert ja hervorragend. Darauf soll hier eingegangen werden.

Da gibt es eine Tonne für den „normalen“ Hausmüll, dann eine für den Biomüll (Sachen, die kompostiert werden können), weiter eine für Papier, dazu kommt der Gelbe Sack. So haben wir viele Möglichkeiten, uns gut sortiert vom Müll zu befreien.

Also richten wir mal – versuchsweise – drei Sprachmülltonnen ein.

In die erste kommen die Dummwörter, die auf dem Hang zu Schlagwörtern, zur Faulheit und auf Hochnäsigkeit beruhen (siehe Kulturwörter).

Da gibt es auch die „Öffentliche Gesundheit“, die „Therapeutische Behandlung“, die „Verantwortungsträger“, die etwas verantworten sollten, aber nur die Verantwortung tragen – was immer das ist (anscheinend auf die leichte Schulter zu nehmen).

In die zweite stecken wir die Tarnwörter, die verbergen sollen, was gemeint ist. Hier einige Beispiele:

Intensivhaltung = Batteriehaltung von Geflügel
Konventionelle Landwirtschaft = industrielle Landwirtschaft
Kurspflege = Manipulation von Aktienkursen
Kursfantasie = siehe Manipulation von Aktienkursen
Nullwachstum = Stillstand, Stagnation
Schwarze Null = Plus/Minus-Ergebnis
Leicht schwarze Null = beinahe im Plus
Leicht rote Null = immer noch in der Verlustzone
Negative Zuwachsrate = negative Entwicklung
Molkereirestprodukt = Molke
Milchaustauschprodukte = ???
Nicht nachvollziehbar = ich verstehe, ich begreife das nicht

In die dritte Tonne gehören die Unwörter, Wörter, hinter denen Menschenverachtung steht, wie zum Beispiel:

Wohlstandsmüll = Arbeitslose
Ethischer Abfall = Frühchen, die in den Abfall der Kliniken geworfen werden
Humankapital = Mitarbeiter
Ethnische Säuberung = Völkermord und Vertreibung


Menschenmaterial = Soldaten, die im Krieg „verheizt“ werden
Zeitweise ihre Heimat verlassende Menschen = Flüchtlinge

Wahrscheinlich müssen wir für alles, was in diese drei Sprachmülltonnen nicht hineinpasst, auch noch einen Gelben Sack für Sprachmüll einrichten. Es gibt genug, was wir da hineinstecken können. Hier einige Beispiele:

„Die Aktie macht Gewinne und verfügt über Kursfantasie.“ Nanu, eine Aktie mit Fantasie?

„Initiativen in dieser Richtung sind schon angeschoben.“ (Erste Schritte in dieser Richtung sind schon gemacht worden.)

„Die für die Auslandseinsätze notwendige Aufklärungsarbeit ist zwar auf dem Weg, aber noch nicht vorhanden.“ (Da hat sich also etwas auf den Weg gemacht, das es noch gar nicht gibt.)

„Man muss ja auch die Emotionen der Zuschauer abholen.“ (Man muss die Gefühle und Wünsche der Zuschauer berücksichtigen.)

„Außerdem können wir aus den Journalstreifen jeden Karteninhaber nachvollziehen“
sagte Strunk, Postbank-Sprecher.

Nachvollziehen? Hier ist doch gemeint: erkennen, identifizieren. Im allgemeinen wird „nachvollziehen“ benutzt, wenn man sagen will, man hat etwas nicht verstanden, nicht begriffen, es ist einem etwas rätselhaft geblieben, man will sich dieser Meinung nicht anschließen.

Schlimm genug, dass diese Allerweltsformulierung bei jeder Gelegenheit benutzt wird. Immer mehr Menschen schlampen mit unserer Sprache herum. Das ist nicht nur eine Formfrage, das ist eine Frage der Inhalte. Die werden immer weniger ernst genommen. So kommt es zu den Bergen von Sprachmülle, die wir kaum noch bewältigen können. Vielleicht hilft es, wenn wir anfangen, den Müll zu sortieren. Das schärft unsere Blicke.

Wohin wir allerdings mit dem Wort „suboptional“ sollen, muss noch geklärt werden. Der Pressesprecher der Deutschen Bahn hat das Wort in den Mund genommen, wahrscheinlich sogar erfunden. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dumm nur, dass sie sich vor allem in der falschen Richtung bewegt. Goethe, Schiller und Co. sind da bessere Sachen eingefallen.

Kulturbeutelei, die zweite

Kulturbeutelei, die zweite.

Der Missbrauch, der mit dem Wort Kultur in allen seinen möglichen, hauptsächlich aber unmöglichen, Zusammensetzungen getrieben wird, ist wie eine schlechte TV-Novela: ohne Ende. Woran liegt das?

Offenbar gibt es mehrer Gründe. Da ist zum Beispiel der Hang zu Schlagwörtern, mit denen man kurz und kräftig auf ein Thema draufschlagen kann. Da weiß jeder sofort, was Sache ist.

Dazu kommt die Faulheit, nach den passenden Wörtern zu suchen; es ist eben bequemer, von Sprachkultur zu sprechen, als von vom Gefühl für Sprache, den Umgang mit der Sprache. Peng! Sprachkultur sagt alles. Und nichts! Das ist das Fabelhafte an solchen Wörtern. Jeder kann verstehen, was es will, und derjenige, der das Wort in den Mund genommen hat, kann immer sagen, dass er das so nicht gemeint hat, sondern etwas ganz anderes.

Ein weiterer Grund könnte eine gewisse Hochnäsigkeit sein: Man spricht nicht wie der Mann auf der Straße, sondern – besser, das heißt ein höheres Hochdeutsch. Im Mittelalter machte man vom Latein Gebrauch, um den Plebs zu beeindrucken.

Diese und vielleicht noch andere Gründe führen zu folgenden Kulturkatastrophenwörtern:

Rechtskultur, Toleranzkultur, Unterrichtskultur, Lernkultur, Sprachkultur, Sicherheitskultur, Betroffenheitskultur, Teilzeitkultur, Führungskultur, Kultur des Respekts, Kultur der Anstrengung, Kultur des Rücktritts, politische Kultur, Kooperationskultur usw. usw.

Eines machen diese Beispiele auf jeden Fall klar: Wir sind eine Nation, die in ihren fragwürdigen Kulturen noch einmal umkommen wird, zumindest, was die Sprache angeht.

Montag, April 24, 2006

24. 04. 2006

„Wer viel ließt, ist schlauer.“ (Badische Zeitung) Den Schreibfehler, den wir der sogenannten Rechtschreibreform verdanken, mal beiseite gelassen: Stimmt es, dass derjenige klüger ist, der viel liest?

Lassen Sie uns versuchen, darauf eine Antwort zu finden. Was habe ich denn heute gelesen? Die folgende Aufzählung ist nicht vollständig, aber sie genügt, um einer Antwort zu kommen:

Präsident Putin ist zwar kein lupenreiner Demokrat, aber er bringt Russland auf Kurs, nicht nur zum Vorteil des eigenen Landes. (Roger Köppel in „Respekt vor Russland“, DIE WELT, 24. 04. 2006).

„Wenig Interesse an Ganztagsschulen.“ Der Beitrag schmeißt mit Zahlen der Statistik nur so um sich, und alles sieht ganz traurig aus. Über die Gründe, über die Hintergründe wird nichts gesagt.

„Gewalt unter Betrunkenen?“ Seit Tagen ist „die Republik“ in heller Aufregung. Fremdenfeindlichkeit, Hass auf Ausländer und was weiß ich. Vielleicht war wirklich alles „eine ganz alltägliche, wenn auch traurige Affäre.“ Es wäre nicht der erste Fall, in dem Besoffene einen Besoffenen totgeschlagen haben. Trotzdem: Das Öffentlliche Deutschland im Aufruhr. Wann werden wir endlilch normal? Vielleicht nie, weil „wir“ sechs Millionen Juden, Sinti und andere Menschen umgebracht haben.

„Chefsache Integration“, „Steinbrück besteht auf Steuererhöhung“, „Gazprom drängt nach Deutschland“, „VW-Betriebsrat zu längerer Arbeitszeit bereit“, „der HSV patzt und wird wohl nicht Deutsche Meister“, „Ex-Senator Kusch rechnet mit CDU ab“, „Nicht Größe zählt, sondern Erfahrung und gute Ideen“ (sagt die Hamburger Werbeagentur MKK, und ist damit alles andere als originell). „Unterschätzte Diven“, ein Versuch der Wiedergutmachung an Doris Day und Katharina Valente.

So viel habe ich heute gelesen, wenigstens überflogen. Wahrscheinlich war das noch nicht alles. Bin ich nun schlauer? Nein, und wenn doch, dann nur ein bisschen. (Den Fernseher hatte ich gar nicht eingeschaltet. Das wäre wirklich zu viel des Guten gewesen.)

Wir haben es hier mit einem Problem zu tun, das nicht so einfach zu erkennen ist, das wir aber nicht unterschätzen sollten: Wir lesen, hören und sehen viel mehr, als wir verarbeiten können.

Wir fühlen uns i

Wer viel ließt, ist schlauer

24. 04. 2006

„Wer viel ließt, ist schlauer.“ (Badische Zeitung) Den Schreibfehler, den wir der sogenannten Rechtschreibreform verdanken, mal beiseite gelassen: Stimmt es, dass derjenige klüger ist, der viel liest?

Lassen Sie uns versuchen, darauf eine Antwort zu finden. Was habe ich denn heute gelesen? Die folgende Aufzählung ist nicht vollständig, aber sie genügt, um einer Antwort zu kommen:

Präsident Putin ist zwar kein lupenreiner Demokrat, aber er bringt Russland auf Kurs, nicht nur zum Vorteil des eigenen Landes. (Roger Köppel in „Respekt vor Russland“, DIE WELT, 24. 04. 2006).

„Wenig Interesse an Ganztagsschulen.“ Der Beitrag schmeißt mit Zahlen der Statistik nur so um sich, und alles sieht ganz traurig aus. Über die Gründe, über die Hintergründe wird nichts gesagt.

„Gewalt unter Betrunkenen?“ Seit Tagen ist „die Republik“ in heller Aufregung. Fremdenfeindlichkeit, Hass auf Ausländer und was weiß ich. Vielleicht war wirklich alles „eine ganz alltägliche, wenn auch traurige Affäre.“ Es wäre nicht der erste Fall, in dem Besoffene einen Besoffenen totgeschlagen haben. Trotzdem: Das Öffentlliche Deutschland im Aufruhr. Wann werden wir endlilch normal? Vielleicht nie, weil „wir“ sechs Millionen Juden, Sinti und andere Menschen umgebracht haben.

„Chefsache Integration“, „Steinbrück besteht auf Steuererhöhung“, „Gazprom drängt nach Deutschland“, „VW-Betriebsrat zu längerer Arbeitszeit bereit“, „der HSV patzt und wird wohl nicht Deutsche Meister“, „Ex-Senator Kusch rechnet mit CDU ab“, „Nicht Größe zählt, sondern Erfahrung und gute Ideen“ (sagt die Hamburger Werbeagentur MKK, und ist damit alles andere als originell). „Unterschätzte Diven“, ein Versuch der Wiedergutmachung an Doris Day und Katharina Valente.

So viel habe ich heute gelesen, wenigstens überflogen. Wahrscheinlich war das noch nicht alles. Bin ich nun schlauer? Nein, und wenn doch, dann nur ein bisschen. (Den Fernseher hatte ich gar nicht eingeschaltet. Das wäre wirklich zu viel des Guten gewesen.)

Wir haben es hier mit einem Problem zu tun, das nicht so einfach zu erkennen ist, das wir aber nicht unterschätzen sollten: Wir lesen, hören und sehen viel mehr, als wir verarbeiten können.

Wir fühlen uns informiert (in welche Abgründe uns Gefühle führen können, hat jeder von uns schon mal erlebt), aber wir wissen nichts, jedenfalls nicht Genaues, nichts, was wir nachprüfen könnten. Wir schlingen die Nachrichten in uns hinein, ohne sie zu verdauen. Was bleibt uns auch anderes übrig? Am nächsten Morgen wird ja schon wieder serviert – reichlich, überreichlich.

Dazu kommt eine aufregende Entdeckung: das Gefühlte. Celsius und Fahrenheit nennen, soweit naturwissenschaftlich möglich, die Lufttemperaturen, bei denen wir eine Gänsehaut bekommen oder uns die Schweißperlen von der Stirn tropfen. Das ist dann die Realität. Aber es gibt nocht eine andere Dimension, die Gefühlte. Wenn mir fünf Grad minus wie 20 Grad minus vorkommen, dann gelten die sibirischen 20 Grad minus. Es geht doch nichts über Gefühle.

Und so ist es auch mit den Informationen. Viele von ihnen sind gefühlt. Die Wirklichkeit ist anders.

War das nicht immer so? Ja, so wird es auch in der Vergangenheit gewesen sein. Aber da hatten wir noch nicht die globalisierte Informationstechnologie, die uns mit Nachrichten zuschüttet und uns immer ratloser, immer hilfloser macht, so dass uns zum Schluss nur noch das Glauben übrig bleibt, oder das Nichtglauben und das Misstrauen.

Gibt’s ein Rezept? Gibt es eine Möglichkeit, dieser Art von Globalisierung entgegen zu wirken, zu entkommen? Die einzige, die mir im Augenblick einfällt, ist die Beschränkung, die Beschränkung auf das, was einem wirklich wichtig ist.

Die Zeit der Universalgenies der vergangenen Jahrhunderte und Jahrtausende ist vorbei; sie waren überzeugt, das Universum zu kennen und ahnten nicht, dass ihnen das meiste verborgen war.

Diese Art von Unkenntnis und Unverstand teilen wir allerdings mit den Genies, die vor uns waren.

Wer wenig liest, ist schlauer.

Sonntag, April 23, 2006

Kulturbeutelei

Kulturbeutelei. Dem Wort Kulturbeutel begegnen wir nur noch in Wörterbüchern. Da wird erklärt, dass es sich um ein Täschchen für Toilettenartikel (für Reisen) handelt, also Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Waschlappen und ähnliches.

An die Stelle von Kulturbeutel trat dann Reisenecessaire. Inhalt siehe Kulturbeutel. Auch dieses Wort ist aus der Mode gekommen, obgleich noch niemals so viele Menschen so oft und so weit gereist sind wie heute.

Da sind also zwei Wörter so gut wie verschwunden, was uns nicht besonders beunruhigen sollte; denn um die Kultur steht es bestens.

Da haben wir erstens eine Leitkultur. Dann eine Streitkultur, eine Alltagskultur, Sprachkultur, Unternehmenskultur und noch viele, viele andere.

Warum wird mit dem Wort Kultur so ein Schindluder getrieben? Die Antwort ist einfach: Wir sind denk- und sprachfaul geworden. Uns geht alles nicht schnell genug – erst reden, dann denken, wenn überhaupt.

Fastfood-Deutsch ist angesagt. Man wird schon verstehen, was wir sagen wollen. Kurz und knackig, darauf kommt es an. Also los, Leute! Überholkultur (auf den Autobahnen, auf allen Straßen), Einkaufskultur (bei Aldi, Lidl und so weiter), Geizkultur (Saturn und Mediamarkt etc.), Kindergartenkultur, Politikkultur, Arbeitgeber- und Gewerkschaftskultur.

Ob das alles in unserern Kulturbeutel passt? Wollen wir wirklich alles mit auf die Reise nehmen?

Irgendwann hört der Spaß auf; denn in Wahrigs Wörterbuch steht, dass Kultur die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Ausdrucksformen eines Volkes ist (Kunst, Wissenschaft usw.) Da sind wir mal wieder weit über das Ziel hinausgeschossen.

Beziehungsweise

Beziehungsprobleme. Beziehungen sind so eine Sache. Oft sind sie kompliziert und problematisch. Eine intime Beziehung zwischen zwei Menschen ist noch recht einfach; sie schlafen miteinander. Probleme treten dann meist erst später auf – wenn es zum Beispiel mit dem Zusammenschlafen nicht mehr so klappt wie zu anfang, oder wenn irgend etwas anderes dazwischen kommt, vielleicht eine neue Beziehung.

Die Beziehungen zwischen Staaten sind da schon viel verwickelter und schwieriger, weshalb ihnen auch größere Aufmerksamkeit zuteil wird.

So droht das weltweit größte Erdgasunternehmen Gazprom, der EU den Gashahn zuzudrehen. Das stimmt zwar nicht, wird aber von vielen behauptet. Anscheinend nimmt die Bundesregierung diese behauptete Drohung für bare Münze (dumm genug!) und lässt ihren Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagen, dass dies nicht dem Ausbau guter Energiebeziehungen dient

Unterhalten die Bundesrepublik Deutschland und Russland Energiebeziehungen? Wohl kaum. Wenn ja, würden sie auch Maschinenbeziehungen, Chemiebeziehungen, Automobilbeziehungen unterhalten. Davon ist aber nicht die Rede.

Es hätte genügt zu sagen: „Was Gazprom gesagt hat, fördert nicht gerade die guten Beziehungen zwischen Russland und uns. Einzige Entschuldigung: Da Wort Donaudampfschiffahrtskapitän ist noch viel länger als das Unwort Energiebeziehungen. Warum, zum Teufel, lieben wir diese Wortungetüme? Wir fügen immer wieder zusammen, was nicht zusammen gehört. (Anders als Willy Brandt sagte: Hier wächst zusammen, was zusammen gehört.)

Eine typische Verwechslung

Schlagkraft. Da Politiker viel reden, reden sie auch viel Unsinn. Das liegt in der Natur der Sache. Masse hat eben keine Klasse. Daß vor allem Politiker vorzugsweise mit sprachlichen Versatzstücken arbeiten und uns damit langweilen, mit Textbausteinen, die unter anderem auch MicroSoft in seinem Word-Programm anbietet – daran haben wir uns schon gewöhnt. Leider. Wir sollten es ihnen nicht durchgehen lassen. Aber es kommt ja noch schlimmer.

Wenn Politiker anfangen in Bildern zu sprechen, hört der Spaß endgültig auf oder fängt erst richtig an – je nachdem, wie ernst man die Sache nimmt.

So spricht zum Beispiel Frau Dr. Angela Merkel von einem konstruktiven und nach vorn gerichteten Klima, das wir hätten. Dumm ist nur, dass es weder ein konstruktives noch ein nach vorn gerichtetes Klima gibt. Aber als Politiker – pardon – Politikerin muss sein Wort ja nicht auf die Goldwage legen. Wäre ja auch noch schöner!

Herr Christian Wulff hat zwar 2 F im Namen, aber sonst fehlt ihm doch so einiges, zum Beispiel das Sprachgefühl. Nein, das ist keine Verleumdung, sondern die beweisbare Wahrheit, im Hamburger Abendblatt vom 22. 04. 06 nachzulesen.

Herr Christian Wulff, Ministerpräsident des Bundeslandes Niedersachsen und Mitglied des Aufsichtsrats der Volkswagen AG, drängt berechtigterweise darauf, dass die Sanierung des Konzerns schnell vorangebracht wird. So sagt er: „Es kann nicht ein ‚weiter so’ geben, sondern es muss schon eine erhöhte Schlagkraft geben.“

Wahrscheinlich hat er dabei in die Ruderer gedacht, beispielsweise den berühmten Ratzeburger Achter, der im richtigen Augenblick die Schlagzahl erhöhte und so Weltmeister wurde. Falsches Bild also, siehe Dr. Angela Merkel.

Na gut, vielleicht hat der Herr Ministerpräsident und Aufsichtsrat ja in Wirklichkeit an den Kampf von Wladimr Klitschko gegen Chris Byrd um eine Weltmeisterschaft im Boxen heute abend gedacht. Da wäre die Erhöhung der Schlagkraft sicherlich angebracht – für den einen oder den anderen.

Eine typische Verwechslung

Schlagkraft. Da Politiker viel reden, reden sie auch viel Unsinn. Das liegt in der Natur der Sache. Masse hat eben keine Klasse. Daß vor allem Politiker vorzugsweise mit sprachlichen Versatzstücken arbeiten und uns damit langweilen, mit Textbausteinen, die unter anderem auch MicroSoft in seinem Word-Programm anbietet – daran haben wir uns schon gewöhnt. Leider. Wir sollten es ihnen nicht durchgehen lassen. Aber es kommt ja noch schlimmer.

Wenn Politiker anfangen in Bildern zu sprechen, hört der Spaß endgültig auf oder fängt erst richtig an – je nachdem, wie ernst man die Sache nimmt.

So spricht zum Beispiel Frau Dr. Angela Merkel von einem konstruktiven und nach vorn gerichteten Klima, das wir hätten. Dumm ist nur, dass es weder ein konstruktives noch ein nach vorn gerichtetes Klima gibt. Aber als Politiker – pardon – Politikerin muss sein Wort ja nicht auf die Goldwage legen. Wäre ja auch noch schöner!

Herr Christian Wulff hat zwar 2 F im Namen, aber sonst fehlt ihm doch so einiges, zum Beispiel das Sprachgefühl. Nein, das ist keine Verleumdung, sondern die beweisbare Wahrheit, im Hamburger Abendblatt vom 22. 04. 06 nachzulesen.

Herr Christian Wulff, Ministerpräsident des Bundeslandes Niedersachsen und Mitglied des Aufsichtsrats der Volkswagen AG, drängt berechtigterweise darauf, dass die Sanierung des Konzerns schnell vorangebracht wird. So sagt er: „Es kann nicht ein ‚weiter so’ geben, sondern es muss schon eine erhöhte Schlagkraft geben.“

Wahrscheinlich hat er dabei in die Ruderer gedacht, beispielsweise den berühmten Ratzeburger Achter, der im richtigen Augenblick die Schlagzahl erhöhte und so Weltmeister wurde. Falsches Bild also, siehe Dr. Angela Merkel.

Na gut, vielleicht hat der Herr Ministerpräsident und Aufsichtsrat ja in Wirklichkeit an den Kampf von Wladimr Klitschko gegen Chris Byrd um eine Weltmeisterschaft im Boxen heute abend gedacht. Da wäre die Erhöhung der Schlagkraft sicherlich angebracht – für den einen oder den anderen.

Belastbar - ein Wort wird missbraucht

Belastbar. Ein unauffälliges Wort wird missbraucht und fällt deshalb auf. Menschen sind unterschiedlich belastbar, körperlich, geistig, seelisch. Der eine hält mehr, der andere weniger aus. Der eine wird mit jeder Situation fertig, der andere geht schnell in die Knie. Mit belastbar ist die Belastung gemeint, die wir aushalten. So weit, so gut, so war es bisher. Und jetzt?

Jetzt wird – der Missbrauch verbreitet sich wie eine Seuche – dem Wörtchen belastbar eine ganz andere Bedeutung untergeschoben. Das liest sich zum Beispiel so: „Die zur Verfügung stehenden Zahlen sind nicht belastbar.“ Oder heute im Hamburger Abendblatt, Wirtschaftsteil: „Es gibt allerdings keine aktuellen belastbaren Erhebungen, ob die Autofahrer tatsächlich weniger fahren.“

Was, bitte schön, halten die Zahlen und Erhebungen denn nicht aus, was können sie nicht verkraften? Wenn wir uns das fragen, kommen wir dem Versuch, uns zu bschwindeln, ganz schnell auf die Spur.

Nicht belastbare Zahlen und Erhebungen sind unzuverlässige Zahlen und Erhebungen. Sie sind nicht gesichert, man kann sich auf sie nicht unbedingt verlassen.
Aber natürlich denken viele Schlaumeier, die wir vor allem in der Politik finden, dass es nicht gut klingt, wenn man von Zahlen spricht, die noch nicht oder überhaupt nicht zuverlässig sind, auf die man sich nicht verlassen kann. Bevor man sagt „Es gibt noch keine zuverlässigen Daten“, sagt man lieber „Die Daten sind nicht belastbar“. Klingt doch gleich viel besser, oder?

Montag, April 17, 2006

shoppen, toppen, floppen ...

17. 04. 2006

Shoppen, toppen, floppen – was einem so alles auf den cakes geht.

1889 hatte ein Herr Bahlsen den Mut, sein Gebäck Keks zu nennen anstelle des englischen Worts cakes. Von einem solchen selbstbewussten Umgang mit der Sprache sind wir heute weit entfernt.

Das Wort „shoppen“ gibt es im Englischen nicht; trotzdem shoppen wir statt einzukaufen. „Schoppen“ traut sich niemand zu schreiben.

Genau so wenig kennt die englische Sprache das Wort „toppen“. „We shall top it.“ „We have topped it“ etc. = Wir werden es übertreffen, wir haben es übertroffen, aber sonst auch nichts.

Warum schreiben unsere Journalisten „toppen“, warum sprechen unser Rundfunk- und Fernsehmenschen von „toppen“? Übertreffen sagt es doch auch – in unserer Sprache.

Im übrigen hat toppen nach Wahrigs Wörterbuch zwei ganz andere Bedeutungen:
„Toppen“ bedeutet „Benzin durch Destillation von Rohöl scheiden“ und – zweitens – den Golfball oberhalb der Mitte treffen.

Nicht selten „floppt“ auch etwas in Deutschland, in unserer Sprache sowieso. Anders gesagt: da geht etwas daneben, da versagt etwas, da hat etwas keinen Erfolg, jedenfalls nicht den erwarteten. Warum sagen wir dann nicht, dass etwas die Erwartungen nicht erfüllt hat, dass die Sache schief gegangen ist? Es dürfte mindestens zwei Gründe geben: Erstens ist Englisch, auch in unserer Verballhorung, in. Zweitens sind wir zu faul, nach den richtigen Wörtern zu suchen, obwohl sie uns doch eigentlich auf der Zunge liegen müssten.

Was wahrscheinlich in Vergessenheit geraten ist: das deutsche Wörtchen Topp. Damit ist das obere Ende eines Mastes erreicht. Und wenn ein Schiff wegen eines besonderen Ereignisses über die Toppen geflaggt ist, dann heißt das: Fahnen und Wimpel schmücken das Schiff von unten nach oben bis zu den Mastspitzen.

Dann gibt es auch noch ein umgangssprachliches „topp“, was meint: einverstanden (heute OK). Aber dieses „topp“ dürfte nicht mehr auf der Höhe der Zeit sein, so wie auch „cool“ schon gar nicht mehr cool ist.

Samstag, April 15, 2006

Mental gut drauf

Heutzutage sind unheimlich viele Menschen "mental gut drauf". Zumindest sagen sie das, wenn man sie fragt, wie es ihnen geht, wie sie sich fühlen, in welcher Verfassung sie gerade sind.

Was mit "mental gut drauf" sein gemeint ist? Zum Beispiel: "Ich fühle mich gut." "Ich bin hellwach." "Ich weiß, worum es geht." "Ich habe alles im Griff." "Mir macht man nichts vor." Es gibt also eine ganze Reihe von Möglichkeiten, das "mental gut drauf sein" genauer auszudrücken. Aber da müsste man gegebenenfalls ein wenig nachdenken. Und da ist natürlich der Griff in das sprachliche Tiefkühlfach, in die Abteilung Fastfood-Deutsch bequemer.

Diese Bequemlichkeit, diese Faulheit führt zu den absonderlichsten Ergebnissen. So lobt beispielsweise Mechthild Runneborn, freie Fotografin und Mutter von vier Kindern, das Leben in Lohne bei Vechta über den Grünen Klee und sagt: "... und das mentale Gefüge ist offen."

Da haben wir wieder das Wörtchen mental, jetzt nur noch viel geheimnsivoller. Was ist ein mentales Gefüge? Und was ein offenes mentales Gefüge?

Wenn Mechthild Runneborn sagen würde: "Hier sind die Menschen aufgeschlossen", dann würde das jeder sofort verstehen. Aber das "offene mentale Gefüge" macht natürlich mehr Eindruck. Es scheint immer häufiger nicht zuerst ums Verstehen zu gehen, sondern um einen großartigen sprachlichen Auftritt, auch wenn niemand genau versteht, was gemeint ist.

Dienstag, April 04, 2006

Erfindergeist

Ob wir Deutschen nun erfinderischer sind als die Amerikaner (die im Norden) oder die Japaner oder wer weiß wer noch, sei dahingestellt. Wenn man gelegentlichten Meldungen zu diesem Thema trauen darf, befindet sich Deutschland in der Spitzengruppe der Erfindernationen. Das ist beruhigend, gibt Zuversicht für die Zukunft.

Beunruhigend ist dagegen eine Erfindung, die gar keine ist: die Selbsterfindung.

Neuerdings ist die Rede und Schreibe davon, dass sich jemand neu erfunden hat, oder vor der Notwendigkeit stand, sich selbst neu zu erfinden. Das klingt unheimlich aufregend, und das soll es wohl auch.

Was steckt dahinter? Wenn man sich neu erfinden will, dann muss man sich ja wohl schon einmal erfunden haben. Das hat bisher aber noch niemand fertiggebracht. Wir kommen auf die Welt, aber wir erfinden uns nicht.

Ich habe das Gefühl, dass sich hier Soziologen, Psychologen und andere einschlägig Beschäftige etwas ausgedacht haben, das sie reizvoll finden: die Selbsterfindung.

Wenn man einen Augenblick hinter die neue Selbsterfindung blickt, entdeckt man etwas ganz Einfaches. Es geht um Neuorientierung, um den Wunsch, etwas Neues anzufangen und den Versuch neue Wege zu neuen Zielen zu entdecken. So einfach ist das. Zu einfach, um reizvoll zu sein?

Nur einen Katzensprung entfernt vom "sich selbst neu erfinden" begegnet uns das Wort Lebensentwurf. Man ist geneigt, sich vor diesem großen Wort tief zu verneigen und wagt es kaum, sich wieder aufzurichten.

Aber wenn wir dann wieder aufrecht stehen, sollten wir uns fragen, was es denn mit diesem Lebensentwurf wirklich auf sich hat.

Wer von uns hat denn einen Lebensentwurf, einen Plan, wie er sein ganzes Leben gestalten will? Schließlich lässt das Wörtchen Entwurf an etwas Künstlerisches denken. Sicherlich haben wir alle unsere Pläne - was wir beruflich erreichen möchten, wie wir leben wollen und was weiß ich noch - aber ist das ein Lebensentwurf?

Was für ein Gedöns! Viel Lärm um nichts. Und wenn um nichts, dann um wenig.

Heute schon gedeutscht?

Unsere Sprache bezieht ihren Reichtum aus vielen Quellen, Altgriechisch und Latein gehören dazu. Vom Alt- und Mittelhochdeutschen finden sich Spuren, das nachbarliche Französich und das insulare Englisch haben ihren Einfluss.

So ist es nur natürlich, dass sich in unserer Sprache alles mögliche versammelt. Dazu kommen gewisse Moden. Sie kommen und gehen, wie es Moden nun mal an sich haben.

Vor gut hundert Jahren war es "vornehm", Perron statt Bahnsteig zu sagen, eine Fahrkarte wurde Billet genannt (heute Ticket), und ein etwas kürzerer Mantel war ein Paletot. Ja, und dann gab es noch die Pelerine, einen Umhang, den die Damen vornehmlich bei schlechtem Wetter trugen. Nun, das ist lange vorbei.

Heute ist das anders. Vorlieben werden heute nicht mehr von einer Gesellschaftsschicht bestimmt - damals dem Großbürgertum - , sondern von der Politik und der Wirtschaft, Gruppierungen, die vom Alltagsleben recht weit entfernt sind. Und so sprechen und schreiben sie auch:

Konsens statt Übereinstimmung. Dissens statt Meinungsverschiedenheit. Konstanz statt Beständigkeit. Portfolio anstelle von Angebot. Klandestin statt geheim. Leader statt Führer (ist seit Hitler ein Unwort, berechtigterweise), Leadership und nicht Führerschaft.

Und dann Fokus, fokussieren, fokussiert sein, sich fokussieren. Es ist noch gar nicht so lange her, da hat man sich auf etwas konzentriert, hat seine Aufmerksamkeit ganz besonders auf etwas wichtig erscheinendes gerichtet. "In unserem Fokus"... = im Mittelpunkt unserer Arbeit...

Was für ein Firlefanz wird hier getrieben? Was soll diese Sprachgockelei, dieses Angeben, dieses sich Aufplustern mit Wörtern?

Können wir nicht mehr so reden und schreiben wie uns der Schnabel gewachsen ist?

Dummdeutsch

Hochdeutsch, Niederdeutsch, Plattdeutsch - jetzt auch noch Dummdeutsch? Ja, es muss sein. Dummdeutsch verdient alle unsere Aufmerksamkeit, sonst macht es uns wirklich noch dumm.

Was ist Dummdeutsch überhaupt?

Erstens der so oft verunglückende Versuch, sich bildhaft auszudrücken. Beispiel: Der Schwankungskorridor, den eine Bundesministerin auf den Weg bringen wollte und vielleicht noch bringen will. Da hätten wir auch noch das Zeitfenster, das den Zeitraum, die zur Verfügung stehende Zeit, verdrängt hat. (Man sollte die Zeitfenster ganz schnell schließen, denn es zieht wie Hechtsuppe, und bald ist der Zeitraum leergefegt).

Zweitens der Wunsch, auch sprachlich die Muskeln spielen zu lassen. Beispiel: "Wir wollen die Schlagkraft deutlich hochfahren." Spaßeshalber und doch ernst gemeint: Versuchen Sie mal sich vorzustellen, wie Sie eine Schlagkraft deutlich hochfahren würden.

Drittens die schwarz/roten Nullen. Die haben ausnahmsweise nichts mit den Parteien zu tun, sondern mit dem Hang der Manager zur Schönfärberei (die von der Verlogenheit nicht allzu weit entfernt sein dürfte). Eine schwarze Null bedeutet, dass kein Verlust gemacht wurde, aber auch kein Gewinn. Eine rote Null kann kaum etwas anderes bedeuten; denn eine Null bleibt eine Null, ganz unabhängig von der Farbe. Mit den Managern dürfte es kaum anders sein. Eine Null bleibt eine Null.

Zu allem Überfluss gibt es - in den Tarifverhandlungen der Arbeitgeber und der Gewerkschaften das Wörtchen Nullrunde. Dann doch lieber ins Casino von Monte Carlo. Dort gibt es keine Nullrunden, sondern nur Gewinn oder Verlust. Roulette in Monte Carlo - ein Spiel, das eine klare Sprache spricht!

Viertens das negative Wachstum, eng verwandt mit den schwarzen und roten Nullen. Da hat sich etwas nicht so entwickelt, wie gewünscht. Da ist etwas nicht gewachsen. Es ist sogar kleiner geworden. Anstelle des erhofften Erfolgs ein Misserfolg also. Das aber will man nicht zugeben, das soll verschleiert werden. Und in der Formulierung "negatives Wachstum" ist das Wörtchen Wachstum das größere. Vielleicht übersieht der Leser das kleinere "negativ".

Fünftens der Prüfstand. Vielleicht sollte der Prüfstand ein eigenes Kapitel erhalten, aber jetzt ist es erst mal ein Aufwasch zusammen mit den Punkten eins bis vier.

Heutzutage wird so gut wie alles auf den Prüfstand gestellt. Die Politiker sagen das so, die Manager, die Gewerkschafter auch, und die Zeitungen schreiben es so.

Wie viele Prüfstände haben wir eigentlich in Deutschland? Und sind sie alle für die gewünschten und notwendigen Prüfungen geeignet? Vielleicht sollte man mal beim TÜV und bei DEKRA nachfragen.

Warum das gespreizte "auf den Prüfstand stellen" anstelle von prüfen, untersuchen, unter die Lupe nehmen?

Montag, April 03, 2006

Anmoderieren

Peng! Das Wort "Anmoderieren" von Sabine Christiansen rausgeknallt wie eine rechte Gerade, trifft mitten ins Sprachverständnis. OK? Nein, KO!

Moderieren heißt zwischen den verschiedenen Nachrichen einer Sendung eine Verbindung zu schaffen, Übergang vom einem zum nächsten, was wirklich nicht einfach ist. Eine schwierige Aufgabe also.

Aber was ist nun "anmoderieren"? Ist das schwieriger, leichter vielleicht, oder etwas ganz anderes?

Es ist die Eingeschränktheit, die Einfallslosigkeit, die "Sprachlosigkeit" der Dame Christiansen, womit sie nicht allein ist.

"Anmoderieren" ist nicht mehr und nicht weniger, als ein paar passende Worte zur Einleitung einer Sendung zu sprechen. Das ist nicht immer einfach, manchmal sogar sehr schwierig. Aber die richtigen Wörter finden sich immer auf dem Teleprompter. Oder nicht?

Zeitfenster

Fenster sind etwas total Aufregendes, auch wenn einem das im ersten Augenblick gar nicht in den Sinn kommt.

Man kann hinausschauen, aber auch hereinschauen. Man kann Fenster putzen. Man kann es aber auch lassen. (Frauen sind mehr für's Putzen, Männer sind meist dagegen.)

Und dann gibt es so viele unterschiedliche Fenster: Große und kleine, Fenster mit Butzenscheiben, sehr beliebt neuerdings, obwohl meist unpassend. Fenster holzgerahmt und Fenster - bis auf die Scheiben - in Plastik. Dachfenster, Doppelfenster (gemeint sind die Scheiben), die Vielfalt nimmt kein Ende.

Wahrscheinlich haben wir es deshalb auch seit einiger Zeit mit dem "Zeitfenster" zu tun. Was für ein Fenster ist das denn? Eins zum Auf- und Zumachen, zum Lüften, zum Hinaus- und Hereinschauen?

Nein, nein, nein! Das Zeitfenster ist etwas, in dessen Rahmen angeblich etwas passieren soll, in dem etwas getan werden muss. Das scheint ein ziemlicher Unsinn zu sein. (Zum Fensterputzen sind diejenigen, die von einem Zeitfenster reden, nicht bereit.)

Gab es da nicht noch ein anderes Wort, das besser beschrieb, worum es geht? Richtig. Zeitraum!
Das ist die Zeit, in der etwas getan werden könnte, sollte. Die Zeit, die man hat, um etwas zu erledigen.

Höchste Zeit, vor dem Zeitfenster die Jalousien herunterzulassen!

Zeitfenster

Fenster sind etwas total Aufregendes, auch wenn einem das im ersten Augenblick gar nicht in den Sinn kommt.

Man kann hinausschauen, aber auch hereinschauen. Man kann Fenster putzen. Man kann es aber auch lassen. (Frauen sind mehr für's Putzen, Männer sind meist dagegen.)

Und dann gibt es so viele unterschiedliche Fenster: Große und kleine, Fenster mit Butzenscheiben, sehr beliebt neuerdings, obwohl meist unpassend. Fenster holzgerahmt und Fenster - bis auf die Scheiben - in Plastik. Dachfenster, Doppelfenster (gemeint sind die Scheiben), die Vielfalt nimmt kein Ende.

Wahrscheinlich haben wir es deshalb auch seit einiger Zeit mit dem "Zeitfenster" zu tun. Was für ein Fenster ist das denn? Eins zum Auf- und Zumachen, zum Lüften, zum Hinaus- und Hereinschauen?

Nein, nein, nein! Das Zeitfenster ist etwas, in dessen Rahmen angeblich etwas passieren soll, in dem etwas getan werden muss. Das scheint ein ziemlicher Unsinn zu sein. (Zum Fensterputzen sind diejenigen, die von einem Zeitfenster reden, nicht bereit.)

Gab es da nicht noch ein anderes Wort, das besser beschrieb, worum es geht? Richtig. Zeitraum!
Das ist die Zeit, in der etwas getan werden könnte, sollte. Die Zeit, die man hat, um etwas zu erledigen.

Höchste Zeit, vor dem Zeitfenster die Jalousien herunterzulassen!

Kontraproduktiv

Politiker lieben dieses Wort, Arbeitgeber- und Gewerkschaftsfunktionären lieben es auch.
Das ist verständlich; denn mit diesem kleinen, hässlichen Wort kann man jeden platt machen.

Kontraproduktiv heißt nichts anderes als:

Das bringt nichts. Du weißt nicht, wovon du redest. Das stellt die Dinge auf den Kopf. Das ist der blanke Unsinn. Das wirft uns nur zurück. Das macht die Sache nur noch schlimmer.

Es gibt noch viele andere Bedeutungen. Jede sagt genauer, worum es geht. Aber genau um diese Genauigkeit drücken wir uns heute so gern.

Nun müssen wir ja nicht - was die Sprache angeht - mit dem Baseballschläger auf andere losgehen. Es geht auch höflicher. Aber "kontraproduktiv" ist wirklich wie "keulen", totschlagen. Müssen wir so miteinander umgehen?

Kontraproduktiv - ist ja nur ein Wort. Aber was für eins!

Schwankungskorridor

Kaum zu glauben, aber wahr: Unsere alte, neue Bundesministerin Ursula Schmidt will einen "Schwankungskorridor" (es geht um die Rentenversicherung) "auf den Weg bringen". Das stelle man sich mal vor!

Versuchen wir, der Sache auf den Grund zu gehen.

Was können wir uns unter einem Schwankungskorridor vorstellen? Einen Korridor, der schwankt, vielleicht wie ein Betrunkener? Für Erdbebengebiete sollte das nicht ausgeschlossen werden. Aber ist Deutschland ein Erdbebengebiet? Nein, auch wenn es hier manchmal Erdbeben gibt; sie waren bisher sehr zurückhaltend und haben keinen Korridor zum Schwanken gebracht.

Wenn wir schon nicht rauskriegen, was mit dem Schwankungskorridor gemeint ist, dann fragen wir uns doch mal, wie man einen Korridor "auf den Weg bringt", egal, um was für einen Korridor es sich handelt.

Auch da verlässt uns unser Vorstellungsvermögen. Einen Korridor kann man planen, man kan ihn verlängern, verbreitern, freundlicher gestalten. Man kann alles Mögliche mit einem Korridor machen - aber "auf den Weg bringen"? Wie bringt man einen Korridor auf den Weg? Zusatzfrage: Auf welchen Weg?

Gewiss brauchte man ganz neue Fähigkeiten, ganz neue Techniken. um einen "Schwankungskorridor auf den Weg zu bringen". Davon sind wir wohl weit entfernt. Das hat noch niemand geschafft, noch nicht einmal versucht. Es wäre ja auch recht dumm, so etwas Wahnsinniges zu probieren. Da will uns Frau Schmidt anscheinend etwas vormachen - "rein sprachlich gesehen".

Wollen wir einmal überlegen, was Frau Schmidt sagen wollte, sich aber nicht traute, es auszusprechen?

"Wie es mit der Rente weitergehen soll, ist wirklich ein Problem. Wie viel an Beiträgen zusammenkommt, und wie viel ausgegeben werden muss, lässt sich nicht genau sagen. Die Zahlen für Einzahlungen und Ausgaben schwanken gewaltig. Darauf muss ich mich als Ministerin einrichten. Ich darf nicht nur mit den besten Ergebnissen, sondern muss auch mit den schlechtesten rechnen. Da gibt es große Unterschiede. Aber ich muss damit rechnen."

Also: Kein Schwankungskorridor, sondern nur die Ungewissheit, die jeden von uns jeden Tag begleitet.

Warum sagt Frau Schmidt nicht: "Ich weiß es auch noch nicht genau, aber ich will es für uns alle herausfinden."