Mittwoch, April 26, 2006

Sprachmüllentsorgung

Sprachmüllentsorgung. Der Missbrauch, der mit den Kombinationen von Kultur und anderen Begriffen (zum Beispiel „Betroffenheitskultur“) getrieben wird, ist nur ein Teil des Sprachmülls, der uns täglich vor die Haustür gekippt wird – korrekter:
uns vor Augen und Ohr geführt wird. Wie können wir damit fertig werden?

Vielleicht sollten wir uns an der kommunalen Müllentsorgung orientieren; denn die funktioniert ja hervorragend. Darauf soll hier eingegangen werden.

Da gibt es eine Tonne für den „normalen“ Hausmüll, dann eine für den Biomüll (Sachen, die kompostiert werden können), weiter eine für Papier, dazu kommt der Gelbe Sack. So haben wir viele Möglichkeiten, uns gut sortiert vom Müll zu befreien.

Also richten wir mal – versuchsweise – drei Sprachmülltonnen ein.

In die erste kommen die Dummwörter, die auf dem Hang zu Schlagwörtern, zur Faulheit und auf Hochnäsigkeit beruhen (siehe Kulturwörter).

Da gibt es auch die „Öffentliche Gesundheit“, die „Therapeutische Behandlung“, die „Verantwortungsträger“, die etwas verantworten sollten, aber nur die Verantwortung tragen – was immer das ist (anscheinend auf die leichte Schulter zu nehmen).

In die zweite stecken wir die Tarnwörter, die verbergen sollen, was gemeint ist. Hier einige Beispiele:

Intensivhaltung = Batteriehaltung von Geflügel
Konventionelle Landwirtschaft = industrielle Landwirtschaft
Kurspflege = Manipulation von Aktienkursen
Kursfantasie = siehe Manipulation von Aktienkursen
Nullwachstum = Stillstand, Stagnation
Schwarze Null = Plus/Minus-Ergebnis
Leicht schwarze Null = beinahe im Plus
Leicht rote Null = immer noch in der Verlustzone
Negative Zuwachsrate = negative Entwicklung
Molkereirestprodukt = Molke
Milchaustauschprodukte = ???
Nicht nachvollziehbar = ich verstehe, ich begreife das nicht

In die dritte Tonne gehören die Unwörter, Wörter, hinter denen Menschenverachtung steht, wie zum Beispiel:

Wohlstandsmüll = Arbeitslose
Ethischer Abfall = Frühchen, die in den Abfall der Kliniken geworfen werden
Humankapital = Mitarbeiter
Ethnische Säuberung = Völkermord und Vertreibung


Menschenmaterial = Soldaten, die im Krieg „verheizt“ werden
Zeitweise ihre Heimat verlassende Menschen = Flüchtlinge

Wahrscheinlich müssen wir für alles, was in diese drei Sprachmülltonnen nicht hineinpasst, auch noch einen Gelben Sack für Sprachmüll einrichten. Es gibt genug, was wir da hineinstecken können. Hier einige Beispiele:

„Die Aktie macht Gewinne und verfügt über Kursfantasie.“ Nanu, eine Aktie mit Fantasie?

„Initiativen in dieser Richtung sind schon angeschoben.“ (Erste Schritte in dieser Richtung sind schon gemacht worden.)

„Die für die Auslandseinsätze notwendige Aufklärungsarbeit ist zwar auf dem Weg, aber noch nicht vorhanden.“ (Da hat sich also etwas auf den Weg gemacht, das es noch gar nicht gibt.)

„Man muss ja auch die Emotionen der Zuschauer abholen.“ (Man muss die Gefühle und Wünsche der Zuschauer berücksichtigen.)

„Außerdem können wir aus den Journalstreifen jeden Karteninhaber nachvollziehen“
sagte Strunk, Postbank-Sprecher.

Nachvollziehen? Hier ist doch gemeint: erkennen, identifizieren. Im allgemeinen wird „nachvollziehen“ benutzt, wenn man sagen will, man hat etwas nicht verstanden, nicht begriffen, es ist einem etwas rätselhaft geblieben, man will sich dieser Meinung nicht anschließen.

Schlimm genug, dass diese Allerweltsformulierung bei jeder Gelegenheit benutzt wird. Immer mehr Menschen schlampen mit unserer Sprache herum. Das ist nicht nur eine Formfrage, das ist eine Frage der Inhalte. Die werden immer weniger ernst genommen. So kommt es zu den Bergen von Sprachmülle, die wir kaum noch bewältigen können. Vielleicht hilft es, wenn wir anfangen, den Müll zu sortieren. Das schärft unsere Blicke.

Wohin wir allerdings mit dem Wort „suboptional“ sollen, muss noch geklärt werden. Der Pressesprecher der Deutschen Bahn hat das Wort in den Mund genommen, wahrscheinlich sogar erfunden. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dumm nur, dass sie sich vor allem in der falschen Richtung bewegt. Goethe, Schiller und Co. sind da bessere Sachen eingefallen.