Mittwoch, September 06, 2017

Zur Feier des Tages

Auf den ersten Blick haben Feiertage und Gedenktage nichts miteinander zu tun. Dazu sind sie zu unterschiedlich. Wir feiern Erfolge, glückliche Augenblicke und gedenken der Ereignisse, die uns schmerzen, die wir nicht selten am liebsten vergessen würden. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten. Sehen wir uns die Sache doch einmal in Ruhe an.

Beginnen wir mit dem 9. November. Kein Tag wie jeder andere. Im Gegenteil: ein deutscher Schicksalstag. 1918: der Krieg ist verloren. 1923: Der Hitlerputsch, „Marsch zur Feldherrnhalle“. Der Marsch in die Diktatur nur verschoben.1938: Die „Reichskristallnacht“. Jüdische Bürger werden umgebracht, ihre Gotteshäuser, die Synagogen, niedergebrannt. Aus Niedertracht und Menschenver-achtung auf dem Weg zum millionenfachen Mord. Und dann der 9. November 1989: Die Mauer fällt. Zwei Deutschland auf dem Weg zu wieder einem Deutschland.

Drei Katastrophen, ein glückliches Ereignis. Ein Tag zum Feiern, ein Tag zum Gedenken?  Der 9. November ist beides. Sollten wir ihn feiern, dann dürften wir die dunklen Tage nicht vergessen. Aber wir behandeln diesen Tag wie jeden x-beliebigen, wir beachten ihn nicht, haben ihn nicht auf der Rechnung.

Stellvertretend für diesen gedenkens- und feierwürdigen Tag verordnet die Politik uns den 3. Oktober als nationalen Feiertag, als Tag der deutschen Einheit. Das Verdienst der Politik soll hier nicht beiseite gewischt werden. Sie hat legalisiert, was das Volk erreicht hatte: die Einheit. Das ist aber auch alles.

Berechtigt das die Politik, sich sozusagen ins gemachte Bett zu legen und aus dem 9. November einen 3. Oktober zu machen? Nein. Kein Wunder  also, dass dieser verordnete Feiertag nichts anderes geworden ist als ein freier Tag: statt Gedenk- und Feiertag ein Currywursttag.

Eins zu null für den 9. November, klarer Fall. Aber war da nicht noch etwas? Doch. Da war der 9. Oktober.

Wäre am 9. November die Mauer gefallen ohne diesen neunten Tag im Oktober, ohne die 70.000 Leipziger Bürger, die friedlich, aber unnachgiebig durch ihre Stadt zogen und ihre Freiheit verlangten? Ohne die Nikolaikirche und die Pastoren Führer und Schorlemmer und andere namenlose Bürger? Nein.

Neun Gründe führten die beiden Pastoren in einem Aufruf für den 9. Oktober an und fassten zusammen: „Lassen sie uns im glücklich vereinigten Deutschland nicht den Staatsakt vor dem Brandenburger Tor, sondern die gewaltlose Volkser-hebung der Menschen auf den Straßen des Landes feiern. Was im Osten geschah und geschieht, geht uns alle an. Schließlich ist der 9. November nicht ohne den 9. Oktober denkbar.“

So wäre der 9. Oktober der ideale Nationalfeiertag, unbelastet von den dunklen Seiten des 9. November? Ja. Aber die eine wie die andere Möglichkeit blieb ungenutzt. Trotzdem: Vergessen wir diese Tage nicht – die vier des 9. November und den einen, den 9. Oktober.


Nehmen wir die Erinnerung an diese Tage als Ansporn, uns immer, jeden Tag, für eins einzusetzen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das darf uns niemand aus der Hand schlagen, keine Diktatur der Welt.