Mittwoch, September 06, 2017

Gewissensfragen

So viele Menschen, so viele Gewissen. Jeder von uns hat eins, obwohl manchmal von gewissenlosen Menschen die Rede ist. Aer auch diese Menschen haben ein Gewissen. Es wird ihnen nur abgesprochen.

Im Allgemeinen bemerken wir unser Gewissen gar nicht. Nur manchmal meldet es sich. Dann sprechen wir von einem schlechten Gewissen. Wir haben irgendetwas getan oder unterlassen und fragen uns auf einmal: War das richtig? Dann ist es zu spät, und wir müssen überlegen, wie wir unseren Fehler wieder gutmachen können.

Besser wäre es gewesen, wir hätten schon vorher auf unser Gewissen gehört. Natürlich brüllt uns unser Gewissen nicht an. Es spricht leise, und manchmal wispert es nur und ist deshalb schon mal zu überhören. Manchmal allerdings wollen wir es auch nicht hören. Wir hören weg. Eigentlich geht das nicht – wegsehen: ja, weghören: nein – und dann wird unser Gewissen schon mal laut. Alarm! Jetzt müssen wir etwas tun. Wenn wir das getan haben, sind wir wieder mit uns im Reinen und haben ein gutes Gewissen.

Weil wir gerade dabei sind, uns gewissenhaft mit unserem Gewissen zu befassen, fragen wir jetzt doch mal, woher unser Gewissen überhaupt kommt und was es uns sagen will. Dass wir ein Gewissen haben, verdanken wir unseren Eltern, Großeltern und vielleicht sogar unseren Urgroßeltern, dem einen oder anderen Menschen wohl auch. Und was sagt uns unser Gewissen? Es sagt: „Das tut man. Das tut man nicht. Das gehört sich. Das gehört sich nicht.“ Das ist das Grundlegende. Anderes kommt noch hinzu. Wir könnten sagen: Das Gewissen ist der Kompass, das Navi, mit dem wir den richtigen Weg durchs Leben finden.

Richtig. Aber jetzt wird es spannend. Erinnern wir uns daran, dass es so viele Gewissen wie Menschen gibt. Viele stimmen überein, andere sind sich ähnlich und wieder andere unterscheiden sich, nicht selten dramatisch. Das geht hin bis zur Gewissenlosigkeit. Sie muss eine große Anziehungskraft haben, wie so viele schreckliche Beispiele aus der Politik über alle Zeiten hinweg zeigen. Wie kommt es, dass sich unzählige gewissenlose Gewissen zu einer vernichtenden Macht verbinden?

Jetzt aber mal runter aus philosophisch angehauchten Wolken auf den Boden der Tatsachen, der so schwankend ist, dass ihm auch nicht ganz zu trauen ist. Dabei werden wir nicht nur der Gewissenlosigkeit begegnen, sondern auch der Verantwortungslosigkeit. Die beiden Begriffe sind sich ähnlich. Wir sollten sie aber nicht verwechseln. Das würde zu Ungerechtigkeit führen.

„Die Abgeordneten des (deutschen) Bundestages sind nur ihrem Gewissen un-terworfen.“ Das dürfen wir mit Fug und Recht infrage stellen; denn es gibt den Fraktionszwang. Der wird fleißig ausgeübt, von allen Parteien, ist aber in keinem Gesetz und auch nicht in der Bundestagsgeschäftsordnung erwähnt. Es dürfte ihn nicht geben.

Die Argumente, die für den Fraktionszwang ins Feld geführt werden, sind erschreckend und lächerlich zugleich: Ohne ihn ließe sich nicht regieren!

Frage: Handeln die Abgeordneten, die sich dem Fraktionszwang unterwerfen und nicht ihrem Gewissen folgen, gewissenlos? Oder nur verantwortungslos? Auch das wäre schlimm.

Machen wir weiter mit dem Amtseid, den Bundesminister abzulegen haben. Wie sieht es da aus?
Artikel 56 unserer Verfassung legt den Amtseid bzw. den Text des Amtseids fest:
Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“
Das mit Gott geht inzwischen nicht jedem mehr über die Lippen, alles andere schon. Und was bedeutet dieses Gelöbnis? Nicht viel bis gar nichts. Der Amtseid ist eine politische Absichtserklärung und sonst gar nichts.

Mögliche rechtliche Folgen, wie sie von vielen wegen vermeintlichen Eidbruchs von Politikern gefordert werden, gibt es nicht. Der Amtseid ist also, mangels Konsequenz, eine inhaltsleere Hülle. Schlimmer noch: er erzeugt eine Erwartung an etwas, das nicht da ist.