Montag, Oktober 24, 2016

Von der Umgehung der Gesetze

„Einmischung unerwünscht. Seit Jahren bemüht sich die Politik um mehr Mitbestimmung für Arbeitnehmer und mehr Frauen in Top-Positionen. Doch Unternehmen wissen längst, wie sie beide Ziele hintertreiben. Ganz einfach und legal.“ So die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG am 20. Oktober auf Seite 19.
Seit Januar dieses Jahres gibt es eine sogenannte Geschlechterquote. Das Gesetz sieht vor, dass 30 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder großer Unternehmen weiblich sein müssen. Davon sind zurzeit nur 100 Unternehmen betroffen, aber immerhin. Die Unternehmen müssen an der Börse notiert und die Aufsichtsratssitze paritätisch zwischen Arbeitnehmern und Anteilseignern verteilt sein. Deutsche Unternehmen mit mehr als 2000 Mitarbeitern sind verpflichtet, einen solchen Aufsichtsrat einzurichten. Das Dumme ist nur, dass das Quotengesetz Schlupflöcher bietet. Und die werden schamlos ausgenutzt.
Einer der Tricks: Bevor ein Unternehmen den zweitausendsten Mitarbeiter einstellt, lässt es seine gute deutsche Aktiengesellschaft (AG) in  eine Societas Europaea (SE) umwandeln. Schon ist sie aus dem Schneider wie beispielsweise der Wohnungskonzern Vonovia SE. Als das Unternehmen noh Annington hieß, hatte es weniger als 2000 Mitarbeiter und deshalb keinen mitbestimmten Aufsichtsrat. Heute hat der Konzern über 6000 Mitarbeiter, aber keine Mitbestimmung und keine Quotenfrauen. SE sei Dank!
Einen anderen Trick wendet der Medizintechnikkonzern Fresenius an. Die Frauenquote im Aufsichtsrat stimmt zwar, aber sie hat keine Bedeutung. Die Entscheidungen werden von einem anderen Gremium getroffen, dem Aufsichtsrat der Fresenius Management SE. Ergebnis: Wie bisher eine reine Männerrunde. Und wie steht es mit der Mitbestimmung?
Trick Nr. 3: Man wandelt ein deutsches Unternehmen in eine ausländische Gesellschaft um, siehe Air Berlin. Die Fluglinie ist inzwischen eine britische Public Limited Company und muss sich nicht mehr an deutsche Regeln halten.  Wetten, dass es noch mehr Tricks gibt? Und wenn nicht, dann wird daran gearbeitet.
Müssen wir resignieren? Müssen wir sagen, die Welt ist nun mal so? Müssen wir uns mit der Auffassung abfinden, dass Gesetze dazu da sind, umgangen zu werden? Gibt es Möglichkeiten, das zu ändern?
Eine Möglichkeit könnte sein, Gesetze deutlicher, d.h. eindeutig zu formulieren. Das ist schwierig, aber möglich. Eine andere, die vielleicht wichtiger ist: Jedem Gesetz einen abschließenden und verbindlichen Paragraphen hinzuzufügen: „Dieses Gesetz ist buchstabengetreu anzuwenden und zu befolgen. Jeder Versuch, dieses Gesetz zu umgehen, ist strafbar.“ (Das gilt für alle, die das Gesetz anwenden, die Behörden, und diejenigen, die das Gesetz zu befolgen haben, die Unternehmen.)
Wer jetzt sagt, dies sei eine sehr kindliche Auffassung, hat recht. Aber soll alles so bleiben, wie es ist?