Montag, Oktober 31, 2016
Alle Welt verlangt nach
Transparenz, ganz besonders, wenn es um Politik geht, zugespitzt zurzeit auf
TTIP und CETA. Alles, jede Kleinigkeit soll mitgeteilt werden.
Auf den ersten Blick sieht
das vernünftig aus. Schließlich ist der Wunsch
verständlich, über Entscheidungen, die unser Leben beeinflussen, unterrichtet
zu werden, bevor sie in die Tat
umgesetzt werden. Nur so gibt es die Chance – so klein sie sein mag – sich
rechtzeitig zu Wort zu melden. Auch das dürfte vernünftig sein – und unser
gutes Recht.
Dieser verständliche Wunsch
scheint sich allerdings zu einem Wahn entwickelt zu haben. Transparenz
klingt inzwischen manchmal so wie der Aufruf „kreuzigt ihn!“ Der Begriff hat
sich verselbständigt, und viele folgen ihm blind. So sieht es aus. Und das ist
nicht gut.
Damit zur Wirklichkeit. Totale Transparenz ist
totale Kontrolle. Ein schrecklicher Gedanke. Wenn es nicht Geheimnisvolles,
nichts Geheimes, nichts Vertrauliches mehr gibt, dann gibt es auch kein
Vertrauen mehr.
Wem das zu abstrakt ist,
übertrage diese Ansicht einfach einmal auf sein eigenes Leben, auf seine
Beziehung zu dem ihm am nächsten stehende Menschen. Diese Beziehung beruht auf
Ehrlichkeit, auf Offenheit, vor allem aber auf Vertrauen – nicht auf Kontrolle.
Vergessen wir nicht, dass Kontrolle und Misstrauen ein Zwillingspaar sind.
Auf die heftige TTIP- und
CETA-Diskussion übertragen, auf den politischen Alltag: Ehrlich und offen und
vertrauensvoll ist die Politik nicht auf uns Bürger zugegangen. Die Politik hat
uns misstraut. Das ist ihr Problem und damit leider auch unseres.
Den hartnäckingen Widerspruch
der knapp dreieinhalb Millionen Wallonen hat sich die Europäische Politik
selbst eingebrockt. Und nun?
Zig Politiker malen den
Teufel an die Wand: Die EU ist ruiniert. Sie macht sich lächerlich. Alles der
reine Unfug. Selbst wenn CETA am Widerspruch der Wallonen scheitert, wird alles
Welt weiter mit der Europäischen Union
sprechen. Dem Eindruck, dass sich hier beleidigte Politiker äußern, die sich in
ihrem Ehrgeiz, ihrer Ehre und ihrer Eitelkeit gekränkt fühlen, ist nur schwer
zu widersprechen.
Dieser Text ist dem Beitrag
„Der Transparenz-Wahn“ von Karl-Heinz Büschemann, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG vom 22./23.
Oktober 2016 zu verdanken, einer lesenswerten Betrachtung des Problems.
Eine kleine Spitze hat der
Autor dennoch verdient. Er überschätzt sich und seine Kollegen – nun ja, ein
bisschen überheblich, um nicht schamlos zu sagen: „Journalisten unterscheiden
im Dschungel der Wirklichkeit zwischen Wichtigem und Unwichtigem und
erleichtern den Konsumenten das Zurechtfinden im Komplexen.“
Tun sie das wirklich? Können
sie das überhaupt? Dass sie es wollen, dürfte außer Frage stehen. Mehr aber
auch nicht. Wie wäre es mit etwas mehr Bescheidenheit?
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