Donnerstag, November 12, 2015

Unsere Demokratie - die beste aller Regierungsformen?

Demokratie ist eine ganz einfache Sache. Das hatten schon die Alten Griechen raus: Herrschaft des Volkes. Das Volk herrscht. Über was und wen? Über sich selbst? Sehen wir uns die Sache einmal etwas genauer an. Wichtig genug ist sie ja. Schließlich leben wir in einer Demokratie.

Weil etwas Ironie ein so ernstes Thema erträglicher macht, sei hier kurz Winston Churchill zitiert: „Es heißt, Demokratie sei die schlechteste Regierungsform – abgesehen von allen anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“

Was ploppt in unserem Kopf beim Begriff Demokratie auf,? „Macht und  Regie-rung gehen vom Volk aus – freie Wahlen und Mehrheitsprinzip – Meinungs- und Pressefreiheit – Gewaltenteilung“ und möglicherweise noch ein paar uns wichtige Dinge mehr – Freiheit zum Beispiel, Menschlichkeit: Liberté, Egalité, Fraternité. So, alles in allem, verstehen wir Demokratie. Aber stimmt das? Sehen wir die Sache vielleicht etwas zu blauäugig?

Die Demokratie, die wir in Deutschland leben und erleben, finden wir in ähnlicher Form in unserer unmittelbaren Nachbarschaft – zum Beispiel in England, Frankreich, Italien, Spanien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und den Baltischen Staaten, in der Schweiz, in Polen... Demokratie, ein Begriff – in Kleinigkeiten verschieden, im Wichtigen gleich. Dass alle Spielarten mehr Fehler haben als ein Hund Flöhe, müssen wir als menschliche Schwäche in Kauf nehmen.

Bei so viel Übereinstimmung wird leicht übersehen, dass es auch noch ganz andere Demokratien gibt – oder sind das gar keine?

Russland nimmt für sich in Anspruch, ein demokratischer Staat zu sein. Diese An-sicht zu teilen fällt schwer. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit? Kleiner lassen sie sich kaum schreiben. Das ist vielleicht das Schlimmste. Oligarchen, Übernacht-milliardäre, rücksichtslose Egoisten und ein unseliger Politklüngel ruinieren eine Demokratie, die gerade erst im Begriff war, aus dem Ei zu schlüpfen – nach jahrhundertelanger Zarenherrschaft und jahrzehntelanger Bolschewikendiktatur. Alle diese Schwächen finden wir in Ansätzen auch bei uns, in unserer Demokra-tiespielart. Aber noch haben wir es unter Kontrolle – halbwegs.

Die USA, angebetetes Demokratievorbild, machen es anders als Russland, nur nicht besser. Im sogenannten Mutterland der Demokratie ist es unmöglich, ohne die Gelder von Lobbyisten und reichen Gönnern, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden. Dabei geht es nicht um Millionen, es geht um Milliarden. Geld regiert die Welt. Alle Gewalt geht vom Geld aus – ist das Demokratie?

Wenn die Oligarchen, die Kapitalisten in all ihren Spielarten, das Volk sind, dann stimmt das. Da müssen wir gar nicht mehr die Deutsche Demokratische Republik bemühen, nicht die Republik Kongo, nicht die Volksrepublik China und schon gar keine Volksdemokratie wie die Nordkoreas.

Lassen sich aus all dem Lehren ziehen? Versuchen wir es. Zuallererst kommt es darauf an, dass wir unsere Form der Demokratie nicht weiter verkommen lassen – das ist das Mindeste – und dass wir uns am Ideal orientieren, auch wenn wir es zehn Mal nicht erreichen werden.

Wir sollten uns klar darüber sein, dass nicht alles Demokratie ist, was sich so nennt. Dabei sollten wir bescheiden bleiben und nicht hochmütig auf andere hinabsehen.

Und schließlich sollten wir uns mit dem Gedanken befreunden, dass unsere Form der Demokratie nicht in jedem Fall und überall anderen Formen des Zusammen-lebens überlegen sein muss. Dass sich das Zusammenleben auch anders als nach unseren Vorstellungen menschlich gestalten lässt, zeigen beispielsweise die Tuareg oder die Masai in Afrika.

Wenn sich in Afrika Tragödien abgespielt haben zwischen den Hutu und den Tutsi, dann liegt das nicht an diesen Völkern und ihrer Auffassung von Demokratie, sondern an der unseligen Europäischen Kolonialpolitik, die mit dem Hochmut vermeintlicher kultureller Überlegenheit, mit Lineal, Kanonen und Gewehren Afrika zerstückelte – und nicht nur Afrika.

Schließlich noch Afghanistan. Der Export westlich geprägter Demokratie hat nicht funktioniert. Zunächst ging es auch gar nicht darum, sondern um reine Machtfragen. Das sah das Englische Empire vor langer Zeit so, dann Russland und anschließend die USA mit Europa im Schlepptau.

Woher nehmen wir das Recht, in Afghanistan „unsere“ Demokratie einzuführen?
Das Leben Afghanistans war und ist wohl anders organisiert – in Stämmen, in Clans, in denen es möglicherweise, wahrscheinlicherweise durchaus demokra-tisch zugeht. Und da mischen wir uns ein, verteidigen Deutschland, also unsere Demokratie, am Hindukusch, wie Peter Struck, seinerzeit Verteidigungsminister, sagte?

Zum Schluss noch einmal: Es gibt nicht nur eine Form der Demokratie. Unsere europäische scheint nicht die schlechteste zu sein, trotz all ihrer Unvoll-kommenheit. Für sie sollten wir uns einsetzen. Aber wir sollten sie nicht exportieren, jedenfalls sollten wir nicht behaupten, nur sie sei die reine Form des kultivierten Zusammenlebens, nur sie sei das Glücksversprechen, das mit allen Mitteln durchgesetzt werden müsse. Lasst uns Mensch bleiben und die anderen Menschen auch. 11. / 12. 11. 2015