Dienstag, November 10, 2015

Schande über Schande, Teil zwei

Ein verängstigtes Land mit Minderwertigkeitskomplexen. Ein Land ohne Selbst-bewusstsein und Selbstwertgefühl. Ein Land, das sich nichts mehr zutraut und deshalb wütend ist, wütend auf sich selbst. Ein Land, das sich selbst zerfleischt.

So ließe sich „American Psycho“ zusammenfassen, ein Beitrag von Markus Feldenkirchen im SPIEGEL 46 vom 7. November, in dem es um Donald Trumps Bewerbung ums Weiße Haus geht. Erst mal weit weg von uns. Damit ließe sich das Thema zur Seite legen,  wenn da nicht noch ein anderes Land wäre, dem es an Selbstbewusstsein, an Selbstwertgefühl, an Vertrauen zu sich selbst und seinen Fähigkeiten mangelt: Deutschland.

Die Flüchtlinge, die von überall her um ihr Leben rennen, manche auch „nur“ um ein etwas besseres Leben – die Flüchtlinge, die Schutz bei uns in Deutschland suchen, machen klar, was uns fehlt: das Vertrauen in uns selbst und unsere Fähigkeiten.

Kaum war „Wir schaffen das“ ausgesprochen, passierte zweierlei. Unendlich viele Menschen fassten sich ein Herz, krempelten die Ärmel hoch und zeigten, dass wir es schaffen können. Und dann die Verzagten, die Ängstlichen, die weniger Gutwilligen bis hin zu den Unwilligen und darüber hinaus den Böswilligen.  Diese Gruppen scheinen nach allem, was zu hören und zu lesen ist, auf dem Vormarsch zu sein. Dass die Politik hier mitspielt – ahnungslos zum Teil, aber auch voller Absicht – sei hier nur am Rande erwähnt. Diese Sache ist zwar nicht erledigt, wurde aber schon in Teil eins besprochen.

Eine Erklärung für dieses „Wir schaffen das nicht“ bis „Wir wollen das nicht schaffen“ – gibt es die? Sehen wir uns die Sache einmal etwas genauer an.

An Egoismus, an der Furcht, etwas abgeben zu müssen, kann es nicht liegen. Oder vielleicht doch? Wirtschaftswunderland, Exportweltmeister, Wirtschafts-wachstum – dreht sich nicht so gut wie alles ums Materielle? So und nicht anders versteht sich Deutschland? Ein schrecklicher Gedanke, aber nicht ganz abwegig.

Als Arbeitskräfte, für die sich Deutsche nicht finden lassen, als Einzahler in die Rentenkassen sind sie willkommen, die Flüchtlinge – als Hilfsbedürftige, als Schutzsuchende nicht. Noch deutlicher lassen sich Menschenverachtung, Herz-losigkeit und Egoismus nicht ausdrücken. Wirtschaftsverbände sehen das aber so.

Wenn wir Deutschland auf Bruttosozialprodukt, auf Bruttoinlandsprodukt, auf Wirtschaft und Wirtschaftswachstum, auf Kapital, Zinsen und Dividende, auf Arbeitsplätze und Arbeitsplätzeabbau reduzieren, dann sieht es um Selbstbe-wusstsein und Selbstwertgefühl schlecht aus. Das ist dann abhängig von den Börsen in Frankfurt, NewYork und sonst wo. Kein verlässlicher Wert also. Schande über uns, wenn wir so denken! Und damit zu einer wichtigen Frage:

Ist das Deutschland? Nein! Deutschland ist Goethe und Schiller, Böll, Lenz und Grass, Brecht und Tucholsky, Heine, Eichendorff, Fontane, die Manns und die Brüder Grimm, Wilhelm Busch… Deutschland ist Bach, Händel und Beethoven, Robert Schumann, Brahms und Schubert… Deutschland ist Kant, Schopenhauer, Nietzsche, Spengler, Marx, Engels… Deutschland ist Alexander von Humboldt, Siemens, Benz, Daimler, Lilienthal, Zuse… Deutschland ist Röntgen, Robert Koch, Einstein, Heysenberg Otto Hahn… Deutschland ist vier Friedensnobelpreisträger – Gustav Stresemann, Albert Schweitzer, Carl von Ossietzky, Willy Brandt… und dazu 29 Nobelpreisträger in Chemie, 25 in Physik, 17 in Medizin, 8 in Literatur.

Das alles zeigt in Beispielen, worauf unser Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein sich wirklich gründen, sich gründen sollten, woraus wir unsere Kraft als Land, als Nation ziehen können. Wir müssen unser Land nicht lieben, aber ein wenig stolz auf unser Deutschland dürfen wir schon sein. Das darf nicht zu Selbstgefälligkeit führen, nicht zu Überheblichkeit. Wir sollten uns nicht anderen überlegen fühlen.

Tun wir, was zu tun ist, genauso wie es Erich Kästner sagte: „Es gibt nichts Gutes, es sei denn, man tut es.“ Deshalb: Helfen wir denen, die Hilfe brauchen, helfen wir jetzt und ohne wenn und aber. Wir haben in aller Bescheidenheit allen Grund zu sagen: „Wir schaffen das.“ 08. 11. 2015