Sonntag, Oktober 25, 2015

Wir Deutschen - das große Vorbild

Für einen aufrechten Gang braucht es Selbstbewusstsein. Nur so entsteht ein Selbstwertgefühl, ohne das sich nicht leben lässt, jedenfalls nicht in Würde.

So ist es ganz natürlich, dass wir uns selbst am liebsten im besten Licht sehen, wahrscheinlich etwas übertrieben, aber das ist ja nur menschlich. Die Franzosen, die Italiener, die Polen und überhaupt alle anderen machen es ja genau so. Es ist eben menschlich. So weit, so gut. Aber nicht alles ist gut.

Immer wieder passiert es, dass wir uns für besser halten als die Anderen. Dass die Anderen sich auch so verhalten, macht die Sache für uns nicht besser. Auf diese Weise wird das Urteil, das wir über uns selbst abgeben, ein Vorurteil.

Wir Deutschen halten uns für fleißig, ehrlich, friedfertig, hilfsbereit und außerordentlich ordentlich, um nur einige unserer Charakterzüge zu nennen, die uns von anderen unterscheiden. Wenn wir Franzosen fragen, werden sie das meiste davon auch für sich in Anspruch nehmen. Schwamm drüber. So sind die anderen nun mal.

Zurück zu uns. Zu den vielen Vorzügen, die uns unserer Meinung nach auszeichnen, gehört nicht zuletzt ein ausgeprägter Hang zur Sauberkeit. Das beschränkt sich nicht nur aufs Händewaschen. (Einzige Ausnahme die Regel, dass eine Hand die andere wäscht.)

Nein, in Sachen Sauberkeit kann uns niemand etwas vormachen. Da kennen wir nichts. Da gehen wir sogar auf die Straße. Allein das Getöse der Laubbläser und Laubsauger in jedem Herbst – da bleibt kein Blatt auf dem anderen. Deutschland – Sauberland! Wir Deutschen das Vorbild für allumfassende Reinlichkeit!

Wie anders benehmen sich da doch die anderen, vor allem die Flüchtlinge, die uns jetzt zu Millionen heimsuchen. Nein, was ich jetzt notieren muss, hat mit einem Vorurteil auch nicht das Geringste zu tun. Es geht um Fakten, um Tatsachen. Der Innenminister des Saarlands, Klaus von Bouillon, ist mein Zeuge.

Herr von Bouillon (CDU) ist einer der wenigen Politiker, die sich in der Flüchtlingsfrage wirklich um Antworten bemüht – nicht mit Worten, sondern mit Taten. Er dürfte der einzige Politiker sein, der sein Büro für mehrere Wochen in ein Flüchtlingslager verlegt hat. Er hat gesehen, er hat erlebt, was dort vor sich geht, er weiß also, wovon er spricht. Vor allem hat er Verständnis für die Flüchtlinge und ihre Nöte gezeigt und hat viel getan, um diese Nöte zu lindern.

Eins allerdings hat er nicht getan. Er hat nichts schön geredet. Wenn etwas an den Flüchtlingen zu kritisieren war, dann hat er das kritisiert. “Die schmeißen  alles aus dem Fenster. Das sind sie so gewohnt. Da habe  ich ihnen gesagt: So geht das nicht. Das haben sie verstanden. Das hat gewirkt. Das Dumme nur: Nach 14 Tagen kommen neue Flüchtlinge ins Lager, und das Spiel geht von vorn los: Alles fliegt aus dem Fenster. Aber da darf man nicht aufgeben.“ – So sinngemäß die Äußerungen von Klaus von Bouillon. Nun sind nicht alle Deutschen so wie er.

Wir machen da lieber kurzen Prozess:  Alles einfach aus dem Fenster schmeißen – das geht nicht. Nicht hier in Deutschland. Wer das nicht begreift, hat bei uns nichts zu suchen. So einfach ist das. Wirklich?

Ein kurzer Blick auf den deutschen Alltag. Da gibt es in einer kleinen Stadt in Schleswig-Holstein an einem der Ortseingänge eine Verkehrsinsel, die von einer Bürgerin ehrenamtlich zu einem kleinen Pflanzenparadies gestaltet wurde. Dummerweise befindet sich wenige Meter davon entfernt eine Kreuzung mit der notwendigen Ampelanlage. Die Folge: Autofahrer, die neben der Verkehrsinsel halten müssen, schmeißen, was sie nicht brauchen, mitten zwischen die Pflanzen: Zigarettenkippen, Kaffee-to-go-Plastikbecher, McDonalds-Tüten – einfach alles, alles, alles, was da nicht hingehört.

So komme ich zum Schluss doch noch zu meinen Zweifeln: Wir Deutschen als Vorbild? Wir – die Saubermänner und Sauberfrauen? Das dürfte ein Fehlurteil sein. Wir sollten die Nase nicht so hoch tragen. Mehr Bescheidenheit stünde uns gut zu Gesicht. Mit dieser Bescheidenheit wären wir vielleicht nicht das große  Beispiel, aber doch eins, das Schule macht.
25. 10. 2015