Sonntag, November 08, 2015

Beinlichkeiten

Wenn wir reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist, also einfach drauflos, dann ist das oft lustig, nicht selten aber auch daneben. Das kann, wenn es um wichtige Dinge geht, sehr peinlich sein und ärgerlich.

Glücklicherweise löst sich das gesprochene Wort meist ins Nichts auf wie der Morgennebel. Dumme Sprüche, lächerliche Vergleiche – gesagt, gehört und schnell vergessen.

Wenn wir schreiben, wie uns der Schnabel gewachsen ist, sieht die Sache schon anders aus. Was leicht dahin gesagt ist, wiegt auf einmal schwer. Was im Redeschwall untergeht, haftet im Geschriebenen wie ein Kaugummi auf dem Jungfernstieg, schlimmer noch: wie an der eigenen Schuhsohle. Wir werden es nicht mehr los. Vielleicht aber doch. Es kommt auf den Versuch an.

Für diesen Versuch eignen sich ganz besonders die Versuche, sich bildhaft auszu-drücken. Ein Beispiel, das uns alle naselang, also so gut wie jeden Tag, begegnet, ist das Spiel mit dem Standbein.

Von diesem Spiel ist vor allem im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Themen die Rede. Das liest sich dann beispielsweise so (Hamburger Abendblatt, Kreis Pinneberg, 06. 11. 2015): „Auch der russische Markt, ebenfalls ein wichtiges Standbein, brach ein.“

Ein wichtiges Standbein? Nur eins? Gibt es denn mehrere? Nein, gibt es nicht. Es gibt ein Standbein und ein Spielbein. Jedenfalls ist das bei Zweifüßlern so: Das Standbein gibt Halt, das Spielbein bringt voran. Mehr als ein Standbein gibt es nicht, was bei anderen Lebewesen bis hin zum Tausendfüßler anders sein mag. Aber wir bewegen uns hier in menschlichen Bereichen.

Was so dumm und lächerlich in den Wirtschaftsberichten der Medien mit Standbein bezeichnet wird, ist nichts anderes als Schwerpunkt, B
Geschäftsbereich. Vergessen? Vergessen!

So wird gedankenlos plappernd dahingeschrieben. Und als wenn das nicht genug wäre, brechen die Standbeine auch noch, brechen ein.

Bitte, hängt die schiefen Sprachbilder endlich ab. Sprecht und schreibt einfach. Denkt und schreibt endlich wieder selbst. Kein Wort mehr aus der Galerie schief hängender Sprachbilder.  06. 11. 2015