Montag, Mai 04, 2015

Letzte Worte

Vor 70 Jahren, in den ersten Maitagen, wurde überall in Deutschland der Zweite Weltkrieg zu Ende gebracht.

Um ganz genau zu sein: Am 2. Mai flüchteten die letzten deutschen Soldaten aus dem Dörfchen Malchow bei Parchim. Am 3. Mai rückten die ersten russischen Soldaten ins Dorf ein. Nichts daran ist so bemerkenswert, dass hier darüber berichtet werden müsste.

Dagegen ist einiges von dem bemerkenswert, was an diesen beiden Tagen in Hamburg geschah.

Am 2. Mai veröffentlichte die „Hamburger Zeitung“ auf ihrer Titelseite  einen Nachruf auf Adolf Hitler. Der Autor: Hermann Okraß. Am 3. Mai erschien in einer Extra-Ausgabe dieser Zeitung das Eingeständnis des Gauleiters und Reichsstatthalters Karl Kaufmann, dass der Krieg unwiderruflich verloren sei. Auch dies ein Nachruf – nicht auf Hitler, sondern auf das Deutsche Reich.

Es lohnt sich, diese beiden Dokumente wieder und wieder zu lesen. Sie sagen mehr über uns Deutsche als die vielen „Dokumentationen“, mit denen uns die Medien überschütten – allen voran die Fernsehsender. So verstörend die vielen Bilder auch sein mögen – sie bleiben oberflächlich und zeigen an den Wahrheiten vorbei.

Wenn ich von uns Deutschen schreibe, dann deshalb, weil so gut wie immer von den Nazis die Rede ist, nicht von Deutschen. Das klingt so, als seien die Nazis so eine Art Besatzungsmacht gewesen, die über Deutschland hergefallen sind. Hier die Nazis, dort wir Deutsche. Wie lange wollen wir uns das noch vormachen?

Hermann Okraß spricht in seinen Nachruf eine klare Sprache: „Wir hatten diesem Manne in seiner Lehre uns verschworen, wir hatten uns zu ihm bekannt in dunklen Tagen unseres Volkes, wir sind ihm auf dem Höhenflug gefolgt, auf dem er unser Volk in kurzen, schönen Friedensjahren führte und haben, wie alle guten Deutschen, im Kampfe neben ihm gestanden.“

Und weiter: „… in  Adolf Hitler sammelten sich wie in einer Linse, die alles Licht in einem Punkt sammelt, die schönsten Tugenden, die heißesten Wünsche, das edelste Sehnen, das ganze schöne Wollen unseres Volkes, die Sehnsucht nach dem Reich, das Drängen nach sozialistischer Gerechtigkeit, der Wille zur gebundenen Freiheit, zum klaren Führertum, das alles sah unser Volk in Adolf Hitler und seiner Idee vereint.“

Wir Deutsche, ein von den Nazi unterdrücktes Volk? Das lässt sich wirklich nicht länger glauben.

Da scheint Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann doch eine ganz andere Sprache zu sprechen. Das sieht aber nur so aus.

Er spricht von heldenhaftem Kampf, unermüdlicher Arbeit für den deutschen Sieg und grenzenlosen Opfern, von unerschütterlicher Pflichterfüllung an der Front und in der Heimat. Dafür hatte sich Herr Kaufmann immer eingesetzt.

Nun aber schreibt er: „Mir aber gebietet Herz und Gewissen in klarer Erkenntnis der Verhältnisse und im Bewußtsein meiner Verantwortung unser Hamburg seine Frauen und Kinder vor sinn- und verantwortungsloser Vernichtung zu bewahren.“

Man könnte glauben, Herr Kaufmann habe – wenn auch erst fünf Minuten nach zwölf – begriffen, woran er sich 12 Jahre lang beteiligt hatte. Weit gefehlt. Er scheut sich nicht zu behaupten „Meine ganze Arbeit und Sorge haben stets nur Euch und der Stadt und damit unserem Volke gehört.“

Gegen Schluss: „Dieser Krieg ist eine nationale Katastrophe und ein Unglück für Europa.“ Wie wahr, Herr Kaufmann. Aber Sie waren doch für diesen Krieg – oder?

Um das Maß voll zu machen, bemüht Herr Kaufmann auch noch Gott: „Gott schütze unser Volk und unser Reich!“

Ein paar Tage vorher war es noch die Vorsehung, jetzt soll es der Liebe Gott sein.

So unterschiedlich sich die Herren Okraß und Kaufmann am 2. und 3. Mai 1945 auch äußerten – sie waren doch Seelenverwandte. Wir müssen nur genau lesen.

03. 05. 2015