Donnerstag, April 16, 2015

Der Bürger, das unbekannte Wesen

Unsere Regierung will mit uns sprechen. Das ist neu. Das hätte sie längst tun sollen. Aber sie hat ja alle Hände und Köpfe voll mit dem Regieren zu tun. Da fällt es schwer, an den Bürger zu denken und mit ihm zu sprechen und, bevor man etwas sagt, zuzuhören. Aber nun soll es ja losgehen. So jedenfalls ist es im Hamburger Abendblatt vom 14. April 2015 auf Seite 3 zu lesen.

„Bis Oktober gibt es nun deutschlandweit 150 Veranstaltungen von mehr als 70 verschiedenen Organisationen, bei denen die Bürger sagen sollen, wie sie sich ‚gut Leben in Deutschland’ vorstellen. Das ist das Motto, unter das die Bundesregierung die ganze Reihe gestellt hat.“ (Zitat HA)

Was dabei herauskommen wird? Es ist zu befürchten: nichts! Das jedenfalls lässt das folgende Zitat aus dem Hamburger Abendblatt vermuten:

„Mit dem Bürgerdialog knüpft die Regierung an den Zukunftsdialog an, den es unter Schwarz-Gelb in der vergangenen Legislaturperiode gegeben hatte. Dabei hatte Merkel mit Experten und Bürgern einen Dialog zu Grundsatzfragen der kommenden Jahre geführt.“

Was ist dabei herausgekommen? Nichts! Na, vielleicht die Große Koalition, die von keinem Bürger gewählt worden war. Die zimmerten sich die Politiker zurecht und nannten ihren Kuhhandel Kompromiss.

Schon der Dialogtitel „Gut leben in Deutschland – was uns wichtig ist“ deutet darauf hin, dass es sich hier um ein Wahlprogramm handelt, rechtzeitig eingefädelt vor der nächsten Bundestagswahl.

Der Dialog „soll schließlich zu einem Aktionsplan werden, der vielleicht noch in dieser Legislaturperiode zu der einen oder anderen politischen Entscheidung führen soll.“ Da werden vor der Wahl hübsche Bilder gemalt, die dann schnell wieder abgehängt werden – die Farben für die Bilder liefert der Dialog mit den Bürgern.

„Gut leben in Deutschland…“ – was fällt einem da ein? Zuerst vielleicht gut essen, aber bitte billig. Verwöhnt werden. Tolle Reisen machen. Weniger arbeiten. Mehr Freizeit. Mehr Ruhe. Keine Aufregung. Bloß keine Experimente. Und nicht das bisschen, das wir haben, mit anderen teilen usw. usw.

Der Ausgangspunkt „Gut leben“ ist falsch, ist beschämend, ist ein Armutszeugnis. Die Tiefe fehlt, das Gefühl für Verantwortung. Es müsste doch auch anders gehen, was vermutlich anstrengender wäre. Aber einen Versuch wäre es wert, einen Versuch, den die Regierung dem Bürger schuldig ist.

Wie wäre es mit dem Motto „Verantwortungsvoll leben in Deutschland, verantwortungsvoll regieren in Deutschland“?

Zu gefährlich wahrscheinlich, weil da mit großer Wahrscheinlichkeit vor allem die Verantwortungslosigkeit zur Sprache kommt:

Der Tanz um die „Schwarze Null“ auf Kosten notwendiger Sozialleistungen. Peinliche Angeberei als Klassenbester in der EU trotz maroder Straßen und Brücken. Verschwendungssucht auf allen Ebenen, aber den anderen Nationen sagen, wie sie wirtschaften sollen. Den Lehrmeister spielen, auch was den Anstand angeht, aber selbst rüpelhaft auftreten. Den Supermann geben und nicht mal ein Schießgewehr haben, mit dem man wirklich treffen kann.

Schaffen wir die „-losigkeit“ ab. Dann bleibt die Verantwortung. Die verlangt der Bürger von der Regierung. Und die Regierung soll sie auch vom Bürger verlangen.

Aber es scheint wieder mal das alte Lied zu sein. Der Dialog wird von oben nach unten geführt und nicht umgekehrt, wie es in einer Demokratie sein sollte. Hören die Lokal-, Regional-Politiker wirklich zu, wenn sich der Bürger an sie wendet?  Und wenn sie es tun, geht das nicht immer mehr verloren, je weiter, je höher diese Dinge gereicht werden? Wenn sie dann ganz oben angekommen sind, in der Bundes-regierung, ist dann noch zu erkennen, was der Bürger wollte? Zweifel sind angebracht. 15. 04. 2015