Dienstag, März 24, 2015

Vom Sinn des Sinnlosen und anderen Dingen

Hinter den Sinn des Begriffs sinnlos zu kommen, stellt sich als schwieriger heraus als man im ersten Augenblick annimmt. Bedeutet sinnlos nur zwecklos, oder steckt noch mehr dahinter, vielleicht überflüssig? Schwierig zu sagen. Manchmal gibt uns unsere Sprache eine harte Nuss zu knacken auf.

Ich habe noch keine Antwort gefunden, die mich zufrieden stellt. Angezettelt hat meine Denkversuche eine lächerliche Kolumne in der WELT am SONNTAG von heute, 22. März 2015. Unter dem Titel „Wow!“ wurden auf Seite 58 (Stil) „Neue Produkte vorgestellt, die das Leben schöner machen“ – eins fragwürdiger, sinnloser als das andere: hässliche Punps für 870 Euro, eine noch hässlichere Lederjacke um die 4.730,00 Euro, ein „Vintage-Paravent“ (‚Suns and Moons’) für 4.720,00 Euro, jedenfalls in dieser Preisgegend.

Direkt neben diesen für mich sinnlosen Angeboten dann der die ganze übrige Seite füllende Beitrag „Ganze Sätze, ganzes Glück. Ein Minisprachkurs in 13 Lektionen.“ Da haben die Autorinnen Ischka Lehmann und Brenda Strohmaier mit Fleiß vom sinnvoll erscheinenden bis zum Sinnlosen alles Mögliche und Unmögliche zusammengekratzt.

Sollten Frauen wirklich mehr zu sagen haben als Männer. Der Gedanke drängt sich auf, wenn man liest, welche Quellen die beiden Damen anführen: Da ist die Sprachwissenschaftlerin Mechthild von Scheurl-Defersdorf,  die Kognitions- und Sprachforscherin Elisabeth Wehling, Sprachcoach Gabriele Zienterra, die sich Expertin für wertvolle Kommunikation nennt. Diese Damen haben uns offenbar eine Menge zu sagen. Jedenfalls sind sie davon überzeugt. Nebenbei: Erstaunlich, welche Berufe es heutzutage gibt.

Achtsamkeit für jedes Wort und jeden Ausdruck predigt Mechthild von Scheurl-Defersdorf. Das bleibt einem ja jedes Wort im Munde stecken. Natatürlich sollte man seine Zunge hüten. Aber das ist etwas anderes, sinnvolleres.

Mit der Empfehlung der Dame, nicht Alles, was wir beispielsweise am nächsten Tag vorhaben, in die Gegenwartsform zu pressen (Morgen gehen wir ins Kino statt morgen werden wir ins Kino gehen). Das kann tatsächlich Druck ausüben, weil so die Zukunft zur Gegenwart gemacht wird – alles auf einmal denken, alles auf einmal machen. Außerdem ist das eine ziemliche Sprachschlamperei.

Allerdings, wenn es konkret wird, fällt es den Expertinnen schwer, die richtigen Worte zu finden. Mir wird empfohlen, statt „Ich muss morgen meine Steuerer-klärung machen“ sagen „Ich werde mich morgen meiner Steuererklärung widmen.“
Widmen? Wenn das nicht lächerlich ist!

Zugegeben, es ist ein Unterschied, ob ich sage, etwas sei schwer oder etwas sei nicht leicht. Das Schwere wiegt schwerer als das Leichte, belastet also. Da kann ich der „Expertin für wertvolle Kommunikation“ Gabriele Zienterraa folgen.

Aber spätestens hier fragt es sich: Sind zuerst die Wörter da, oder erst die Gedanken?  Folgen die Gedanken und Gefühle den Wörtern, oder ist es nicht doch umgekehrt?

Die Empfehlung von Frau Scheurl-Defersdorf, in ganzen Sätzen zu reden, ist vernünftig. Wenn ich nur die Hälfte von dem sage, was ich meine, muss der Zuhörer das Fehlende hinzufügen, so gut das geht. Das klappt nicht immer. Das angeführte Beispiel zeigt allerdings, dass es durchaus geht. Statt „Darf ich mal durch?“ zu sagen „Lassen Sie mich bitte durchgehen.“ Das Beispiel ist ziemlich albern.

Ohne Frage ist eine kluge Wortwahl wichtig. Aber ist es wirklich so, wie Frau Scheurl-Defersdorf zum Schluss des Beitrags erwähnt wird? „Hebammen berichten, dass Geburten leichter gehen, wenn die Frauen ihre Kinder ‚bekommen’ und nicht ‚kriegen’.“ Wenn das wirklich so sein sollte, käme es doch darauf an, der werdenden Mutter im richtigen Augenblick zu sagen, dass sie ein Kind bekommt, bekommen wird und nicht kriegt, kriegen wird. Frage: Wann ist der richtige Augenblick gekommen?

Gesetzt den Fall, das „Bekommen“ erleichtert die Geburt wirklich, warum dann nicht einen Schritt weiter gehen und sagen: „Sie werden einem Menschen das Leben schenken.“? Das ist so positiv, da wird alles wie von selbst gehen. Aber das würde vielleicht die Hebamme überflüssig machen. Und wenn dann Frau Scheurl-Defersdort anmerkt: „Alles, was Hand und Fuß hat, braucht neun Monate“, dann frage ich mich, dauert ein Seminar in ihrem Institut Lingva Eterna auch so lange? Keine Ahnung, aber das Basisseminar umfasst 85 Stunden.

Eigentlich wollte ich nicht so bissig werden. Aber bei so viel Besserwisserei und Betulichkeit und geistfernem Höhenflug kam mir dann doch die Galle hoch.

Dennoch macht auch das Sinnlose Sinn: Es regt zum Nachdenken an. Und was die sinnlosen Kaufempfehlungen angeht, die ich anfangs erwähnte: Sollte dies und jenes gekauft werden, löst sich die Sinnlosigkeit in Sinn auf. Allerdings nur, wenn die Menschen, die an der Herstellung des Unsinnigen gearbeitet haben, dafür anständig bezahlt wurden. So gesehen dürfte es eigentlich nichts Sinnloses geben. Schließlich hilft auch die Herstellung sinnfreier Produkte Menschen, ihr täglich Brot zu verdienen.

(Bemerkung am Rande: Sinnlos, sinnfrei, sinnvoll, unsinnig und sinnig, und dann noch das Hintersinnige. Unsere Sprache, so reich an Sinn und Unsinn – das reinste Vergnügen!)

Wie zu lesen ist, macht Sinnlosigkeit nicht sprachlos. Das bringt mich zum SPIEGEL-Beitrag „ Die Leiden des Doktor L.“ in Ausgabe 13/ 21. 3. 2015.

Marc Hujer, der Autor dieses Beitrags, schreibt eine zwei Seiten lange Liebes-erklärung? an Norbert Lammert, den derzeitigen Bundestagspräsidenten.  Und wenn es keine Liebeserklärung ist, dann ist es auf jeden Fall eine Huldigung. So oder so: Die beiden gefallen mir. Der Herr Lammert und der Herr Hujer.

Kleine Einschränkung zwischendurch: Was, Herr Hujer meinen Sie, wenn Sie schreiben „Er redet klug, aber häufig über sein Publikum hinweg“? Spricht er so, dass ihn die Leute nicht verstehen, vielleicht so von oben herab? Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe Herrn Lammert bisher gut verstanden, was nicht bedeutet, dass ich seiner Meinung sein musste. Aber das ist ein anderes Ding.

Ihr gemeinsamer Ausflug in die Welt, in der wir leben, führte Sie beide auch in die Welt der beiden Staatsfernsehsender ARD und ZDF. Nicht einmal die beiden berichten live über wichtige Debatten des Bundestages, stellen Sie fest.

Bei aller vernichtenden Kritik, die beide Sendeanstalten (Sende-ANSTALTEN!) verdienen: Wer sollte sich ansehen, was gar nicht mehr stattfindet: wichtige Debatten?

Debatten. Für und Wider. Argument und Gegenargument. Florett oder auch Degen. Zur Sache kommen, ohne gemein zu werden. Gelegentlich ausfallend werdend in der Hitze des Gefechts, aber einräumen, dass man sich ver-sprochen hat, voller Absicht. Und die Rüge als gerecht hinnehmen. „Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch!“ oder „Übelkrähe“. Oder der Zuruf Wehners an Barzel, den Dauerredner: „Nach 1.000 Worten Ölwechsel!“ Wo ist das alles geblieben?

Wo sind die Wehners, die Barzels, die Lambsdorffs, die Fischers, die Schmidts, die Strauß’, die Blüms? Verschwunden. Wir haben nur noch zwei: den Herrn Lammert und den Herrn Gysi. Wie anregend ihr Geplänkel, wenn es um die begrenzete Redezeit geht.

Beispiel: „Herr Gysi, leider gelten auch für prophetische Reden die profanen Regelungen unserer Gechäftsordnung.“ 

Und als Gysi dem Bundestagspräsidenten eine Uhr schenken möchte, weil er das Gefühl hat, seine Redezeit laufe schneller ab als die anderer Redner, erwidert Norbert Lammert: „Also, Herr Kollege Gysi, falls Sie den verwegenen Gedanken mit der Uhr weiterfolgen wollen, bitte ich Sie herzlich darum, die Wertgrenzen einzuhalten, die mich zwingen würden, zunächst beim Bundestagspräsidenten die Genehmigung einzuholen.“

So erfrischend das ist: Das  reicht nicht. Jedenfalls nicht für ein begeisterndes, mit-reissendes Unterhaltungsprogramm, um das sich Fernsehsender reißen. Aber genau darum geht es doch.

Das weiß Norbert Lammert. Das wissen auch alle anderen, nicht zuletzt die Fraktionsvorsitzenden der Union und der SPD. Aber sie wollen nicht mitspielen. Debatten vom Platz des Abgeordneten aus führen und nicht vom Rednerpult – lieber nicht. Keine Pulte, kürzere Redezeiten, mehr Spontaneität – alles was Herrn Lammert vorschwebt: in den Wind gesprochen.

Statt freier Rede, frei von der Leber weg: Papierdeutsch, brav vom Blatt gelesen. Wie sagt Norbert Lammert? „Wenn da einer aus der siebten Reihe zum Rednerpult schreitet, mutiert ihn allein diese Strecke zum Festredner.“

Aber machen wir uns nichts vor. So schön das   alles wäre, es brauchte mehr Frei-heit und weniger Fraktionszwang – mindestens das. Es brauchte den Mut der Abge-ordneten zu reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Man muss nicht Lammert oder Gysi heißen, wenn man etwas Wichtiges zu sagen hat.

Und da ist noch etwas, das vielleicht nicht die Sache des Norbert Lammert ist: Kanzlerin und Minister vor das Parlament zitieren. Rede und Antwort stehen müssen. Mehr Demokratie im Parlament, im Bundestag. Das könnte spannend werden.  Demnächst im Fernsehen?
23. 03. 2015