Donnerstag, August 23, 2012

Sprachstörung

Unsere Sprache, ob die deutsche oder irgendeine andere, ist lebendig. Wie alles Lebendige entwickelt sie sich, verändert sich, stößt Altes ab und versucht Neues zu gewinnen. Das geht nicht immer reibungslos. Althergebrachte Wörter wie Haus-meister lesen sich auf einmal Facility Manager. Das klingt bedeutender, die Drecks-
arbeit bleibt dieselbe. Das ist, was ich Sprachstörung bezeichne.

Wenn ich eine Ausstellung plane, organisiere, betreue – kuratiere ich sie dann? Ja. Ich plane, organisiere und betreue sie. Zugegeben: Das klingt ziemlich platt, ziemlich gewöhnlich. Dabei handelt es sich um anspruchsvolle Aufgaben. Die Folge: Wir planen, organisieren, betreuen nicht einfach – wir kuratieren.

Ich dachte, ich hätte da etwas entdeckt, das bisher noch niemand entdeckt hätte.
Das war ein großer Irrtum. Auf der FAZ Internetseite FAZ Community fand ich einen Beitrag von Hans Ulrich Gumbrecht, Literaturprofessor in Stanford, mit der Überschrift „Was am Kuratieren nervt.“ Mein Trost: Ich bin mit meiner Meinung nicht allein. Ich habe sogar einen berühmten Professor auf meiner Seite.

Zu den landläufigen Sprachstörungen gehört der Missbrauch des Begriffs Kultur. Was immer wir tun, ist Kultur – oder auch nicht. Wir frühstücken nicht nur, wir haben eine Frühstückskultur. Wir unterhalten uns nicht, wir haben eine Unter-
haltungskultur. Wir streiten nicht, wir haben eine Streitkultur. Da muss ich mich nicht wundern, dass die bayerische Frauenministerin Christine Haderthauer eine „Kultur des Hinsehens und Wehrhaftigkeit“ verlangt (Hamburger Abendblatt, 22. August 2012).

Wie einfach war es doch seinerzeit mit dem Kulturbeutel. Der Inhalt war über-schaubar: Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Waschlappen, vielleicht noch die eine oder andere Kleinigkeit. Dafür haben wir heute Kulturminister, für jedes Bundesland einen, also 16. Damit komme ich zum Stichwort Experten, dem ich gleich ein anderes hinzufügen will: Analysten.

Die Wetterberichte sollen im Laufe der letzten Jahre zuverlässiger geworden sein. So ganz kann man sich auf sie nicht verlassen, aber die meisten von uns haben einen Regenschirm, manche sogar einen Sonnenschirm. Es kann also nicht allzu viel passieren. Übrigens ist der Wetterbericht auf Seite eins im Hamburger Abendblatt wegen seiner Fröhlichkeit und Leichtigkeit wirklich lesenswert.

Bei den Experten und Analysten sieht es nicht ganz so rosig aus. All das Theater, das sie auf die Bühne bringen, ist doch nicht anderes als Theater. Ich will nicht sagen, dass sie alle Schmierenkomödianten sind – aber Experten, Analysten, die uns sagen, wie es um die Welt, um die Weltwirtschaft, um dies und jenes, was noch bedeutend sein könnte – das,  ihnen angedichtet wird und wir allzu gern glauben – das sind sie nicht. Vielleicht wissen sie mehr als wir. Aber sind sie damit klüger? Wir glauben nur, dass sie es besser wissen. Und wenn sie – die Experten und Analysten – daneben liegen, dann wenigstens haben wir eins mit ihnen gemeinsam. Auch wir liegen daneben.