Donnerstag, Juli 12, 2012

Unfähig oder feige. Das ist hier die Frage

Stellen Sie sich einmal vor, Sie fragen jemanden: „Wie spät ist es?“ Und Sie bekommen zur Antwort: „Wir können den Lauf der Zeit nicht aufhalten.“

Da fassen Sie sich bestimmt an den Kopf und denken: Das ist doch nicht die Antwort auf meine Frage. Wahrscheinlich sagen Sie das auch und fragen noch einmal nach der Uhrzeit.

Sie finden dieses Frage-und-Antwortspiel ziemlich albern? Stimmt, aber es zeigt in aller Kürze, wie die meisten Interviews mit Politikern geführt werden. Hier als Beweis ein kleiner Ausschnitt aus einem Gespräch mit Herrn Gröhe, Generalsekre-tär der CDU, aus dem Hamburger Abendblatt vom 12. Juli:

„Herr Gröhe, verstehen Sie noch die Euro-Krise?“

Gröhe: „Die Stabilisierung unserer Währung ist eine Riesenherausforderung für alle Beteiligten, auch intellektuell. Deshalb sind Gespräche, das ständige Abwägen von Für und Wider so wichtig. Allerdings wundert es mich schon, wenn Volkswirte ihre Überzeugungen  so vortragen, als lieferten sie geradezu mathematische Exaktheit. Bei näherem Hinsehen ist das bei Weitem nicht so.“

Ich finde, Herr Gröhe hat die Frage nicht beantwortet. Ich verstehe, dass Herr Gröhe nicht mit JA oder NEIN antworten will. Das JA wäre zu kurz und schnippisch, und beim NEIN würde sich jeder fragen, wozu man Herrn Gröhe in der Politik überhaupt braucht.

Trotzdem: Warum hakt der Journalist nicht nach? Warum sagt er nicht – charmanter als ich er hier tue: „Bitte, Herr Gröhe, ich wollte gern wissen, ob Sie die Euro-Krise verstehen.“ (Ich lasse offen, was der Journalist besonders betont: das „Sie“ oder das „verstehen“, das ist ihm überlassen.)

Mit der Wiederholung der Frage würde Herr Gröhe nicht zu JA oder NEIN gezwungen, aber etwas genauer müsste er wohl doch antworten. (Natürlich könnte er auch bocken und sich entschließen: „Der bekommt von mir nie wieder ein Interview.“)

Dieses Risiko will offenbar kaum ein deutscher Journalist eingehen. Das ist schade. Die Medien nehmen zwar gern für sich in Anspruch, die 4. Macht im Staate zu sein, aber sie machen ihre Sache (noch) nicht gut genug. Gerade in Politikerinterviews wird das immer wieder deutlich.

Hartnäckiges Nachfragen, Antworten nicht akzeptieren, die keine Antworten sind, mögen den interviewten Politiker zunächst in Verlegenheit bringen, aber auch zum Nachdenken, zu mehr Klarheit anregen. Und damit würde ein ganz kleines Fitzelchen Vertrauen zurückkehren, das die Politiker so bitter nötig haben.

So wie hier, erfunden und beispielhaft, hätte das Interview laufen können:

„Herr Gröhe, verstehen Sie noch die Euro-Krise?“

Gröhe: „Ehrlich gesagt, das ist ein ganz schwieriges Thema. Auch für mich. Wir alle wissen, wie wir da hineingeraten sind. Wie wir da wieder rauskommen sollen, das versuchen wir gerade herauszufinden. Das ist nicht einfach, und wir machen uns die Sache nicht leicht. Aber ich bin überzeugt, wir finden die richtige Lösung.“

Ob das eine etwas ehrlichere Antwort gewesen wäre? Auf jeden Fall eine Antwort, die der Nachfrage eines hartnäckigen Journalisten zu verdanken gewesen wäre.