Freitag, August 31, 2012

Der kann vor Kraft nich loofen


Wenn ein Angeber so richtig auf die Pauke haute, dann sagten wir kleinen Berliner Bengels vor zig Jahren: „Der kann vor Kraft nich loofen.“

Heute haben die Jungs wahrscheinlich einen anderen Spruch drauf, aber die Angeber sind geblieben. Wir finden sie überall, auch im Feuilleton so angesehener Zeitungen wie der ZEIT. Ich finde, Ijoma Mangold gehört mit seiner/ihrer? Besprechung des Essays „In Anführungszeichen“ von Matthias Dusinis und Thomas Edlinger dazu.

Immer wieder – so empfinde ich das – weisen Autoren auf ihre Klugheit, auf ihre Bildung und ihre Überlegenheit hin, indem sie zu Wörtern greifen, die sonst so gut wie niemand benutzt.

Wenn Mangold von Hypokrisie schreibt, ist Überheblichkeit gemeint. Das würde jeder verstehen. Aber darum geht es Mangold offenbar nicht. Es geht darum, die eigene vermeintliche Überlegenheit zu zeigen.

Das kann zu den lächerlichsten Formulierungen führen. Da heißt es: „Man wird dem Phänomen und seiner philosophisch-politischen Relevanz nicht gerecht, wenn man nur seine Auswüchse ridikülisiert. „RIDIKÜLISIERT!“

Wollen wir uns mal ansehen, wie lächerlich „ridikülisieren“ ist? Ein Beispiel sollte genügen: „Mit dieser Bemerkung ridikülisieren Sie sich!“ Wer würde das sagen wenn er meint: Sie machen sich mit dieser Bemerkung lächerlich.

Priorisieren ist auch so ein „vor Kraft nich loofen können“-Wort. Wer etwas priorisiert, hält eben dieses Etwas für wichtiger als anderes. Ich priorisiere das nicht?
Mir ist das nicht so wichtig.  So geht das stundenlang weiter mit der Angeberei.

Wenn das doch alles wäre! Ist es aber nicht. „Sozialisieren“ ist so ein Wort, das sich zusätzlich noch durch eine gewisse Doppeldeutigkeit auszeichnet.

Ich wurde vor einigen Jahrzehnten sozialisiert?

Nein, ich wurde bis heute nicht in Staatseigentum überführt. Genau das aber meint der Begriff Sozialisierung. Kollektivieren, nationalisieren, verstaatlichen, vergesell-schaften. Alles das hat bei mir nicht stattgefunden – wie auch?

Erzogen worden bin ich von meinen Eltern. Mit ihrer Hilfe und der von vielen anderen Menschen habe ich mich in die Welt eingepasst, habe Toleranz und Wider-spruch gelernt. Das alles ist zusammenzufassen unter dem Begriff Sozialisation.

In der letzten Zeit ist mit sozialisieren allerdings nichts weiter gemeint,  als erziehen, als „mit der Welt und ihren Regeln vertraut machen“, das Hineinführen junger Menschen in die Gesellschaft, in der sie sich nun einmal befinden (Verständnis für andere Gesellschaften hoffentlich inbegriffen).

Das Dumme ist, dass die Hauptwörter (Substantive) Sozialisierung und Sozialisation ein gemeinsames Tuwort/Tätigkeitswort (Verb) haben: sozialisieren.

Und jetzt? Wie wäre es, wenn wir von missverständlichen „Fremdwörtern“ Abstand nähmen? Wenn wir anstelle von „sozialisieren“ das sagen, was wir meinen:
Verstaatlichen oder erzogen und groß werden?