Montag, Mai 08, 2006

"Gefühlt" - ein Wort spielt sich auf

Trotz des schulmeisterlichen Rohrstocks unserer 16 bundesländlichen Kulturministerinnen und Kulturminister: Unsere Sprache bleibt widerspenstig.

Sie lebt im Zweifelsfall an den Damen und Herren Ministern vorbei. Die haben dann das Nachsehen und wissen im ersten Augenblick nicht, was sie sagen sollen. Mit Hilfe ihrer Referenten fällt ihnen aber bestimmt wieder etwas ein. So weit, so gut; das Spiel kennen wir.

Manchmal aber gerät der Sprachgebrauch wirklich außer Rand und Band, und das sollte dann doch einmal zur Sprache kommen.

Ganz plötzlich steht da ein Wort im Rampenlicht, das uns bisher nicht aufgefallen ist, das wir nicht wahrgenommen haben – ein Wortkomparse sozusagen: „Gefühlt“.

Da ist von gefühlter Kälte die Rede, und dann purzelt es nur so. So gut wie alles ist plötzlich „gefühlt“: die Stimmung, der wirtschaftliche Aufschwung, die soziale Sicherheit (was immer das sein mag), die Gerechtigkeit, auch soziale Kälte wird gefühlt.

So ganz abwegig ist das ja nicht, wenn wir ans Fühlen denken; wir sind ja schließlich kein Thermometer. Mal empfinden wir 2 Grad plus als kalt, weil ein scharfer Ostwind weht, ein anderes Mal machen uns 5 Grad minus nichts aus, weil Windstillle ist und die (leider nicht wärmende) Wintersonne scheint. Es geht doch nichts über Gefühle!

Aber dann fliegt unser kleines, so harmloses Wort aus der Kurve. Plötzlich ist alles „gefühlt“. Nichts ist mehr wirklich. Celsius und Fahrenheit – vergessen, PS und Drehmoment – nur noch gefühlt, nicht gemessen. Tschernobyl und alles und alles nur noch gefühlt, das Gemessene zählt nicht oder wird in Gefühltes umgewandelt.
Zugegeben, das alles ist vielleicht zu hoch gegriffen. In Wirklichkeit geht es beim heutigen Gebrauch des Wörtchens „gefühlt“ um etwas ganz anderes. Es geht darum, dass das, was da gesagt wurde, eigentlich gar nicht stimmt.

Die gefühlten 2 Grad minus waren ja keine 2 Grad minus, sondern 1 Grad plus. Das Thermometer ist da unbestechlich; das Gefühl allerdings auch. Und wenn ich – rein gefühlsmäßig – friere, dann friere ich und fühle mich nicht wohl – Thermometer hin oder her.

Was mit „gefühlt“ gesagt werden soll, ist dies:

Eigentlich ist alles gar nicht so schlimm.

Na, hören Sie mal, vielleicht ist alles noch viel schlimmer. Wahrscheinlich. Dann sollten wir etwas dagegen tun.

Weshalb, glauben Sie, habe ich das alles geschrieben?!