Mittwoch, Mai 24, 2006

"Behämmert"

24. 05. 2006

„Das ist ja der Hammer!“ – eindeutig Umgangssprache, wenn nicht gar Vulgärsprache. Gemeint ist „Das ist ja ein starkes Stück!“ oder „Das ist ja unglaublich!“ „Das kann doch nicht wahr sein!“

Wie aber verhält es sich mit dem „Wendehammer“? Mit was? Na, mit dem Begriff aus der Kategorie Verkehrsbauwerk, vermutlich erfunden von einem besonders sprachbegabten Beamten oder Angestellten des öffentlichen Dienstes, jedenfalls von niemandem aus dem Handwerk und niemandem, der eine Ahnung von Geometrie hat.

Wikipeda, die freie Enzyklopädie, schreibt dazu: „Ein Wendehammer ist eine rechteckige, trapezförmige oder runde Verbreiterung am Ende einer Stichstraße oder Sackgasse für das Wenden von Fahrzeugen. Je nach Charakteristik kann der Wendehammer unterschiedlich ausfallen. Es gibt sieben Grundformen von Wendehämmern.“

Dann zeigt Wikipeda 8 Wendehammer-Skizzen. Keine davon hat auch nur die geringste Ähnlichkeit mit einem Hammer. In einem Fall könnte man an einen Trichter denken, in einem anderen an einen Kochlöffel. Eine andere Skizze sieht eher wie das Seitenleitwerk eines Flugzeugs aus, und eine andere erinnert fatal an eine Panzerfaust.

Das bedeutet natürlich nicht, dass wir jetzt den Begriff „Wendehammer“ durch „Wendelöffel, „Wendetrichter“ oder „Wendepanzerfaust“ ersetzen sollten. „Wendeplatz“ würde ja genügen.

Einen richtigen Wendehammer aber gibt es. Der wurde geschwungen am 9. Novemer 1989, als DDR-Bürger die Wende von der Diktatur zur Demokratie herbeiführten. Das war wirklich „der Hammer“, das ganz und gar Unglaubliche, ein starkes Stück.

Nach dem Wendehammer zu einigen anderen Hämmern, zunächst zur Sprache:

Da schreibt Sven Felix Kellerhoff in der WELT vom 13. 05. 06 „Die Expertenkommission des Kulturstaatsministers will von der Täter- zur Opferperspektive wechseln…“. Das ist fein formuliert und ganz gemein feige. Der Schreiber hat sich gescheut, die Dinge beim Namen zu nennen. „Die Experten sind im Begriff, die Täter zu Opfern zu machen…“ Na gut, ein Hämmerchen. Aber wenn man sich damit auf den Daumen haut, tut’s auch weh.

Unser Bundespräsident sagt auf dem DGB-Kongress in Berlin neben anderen Unverbindlichkeiten (Hamburger Abendblatt, 23. 05. 06, Titelseite): „Die Führungspersönlichkeiten der Wirtschaft sollten gerade jetzt eine ‚besondere Kultur der Mäßigung und Verantwortung’ zeigen.“ Eine Kultur? Sie sollen sich mäßigen, bescheidener werden, Verantwortung zeigen. Ist das zu deutlich gesagt? Mit dem Wörtchen Kultur wird alles, worauf es ankommt, verniedlicht, undeutlich gemacht und unverbindlich. Wir leben in einer Konsensmilchgesellschaft!

Das sind nur „Sprachhämmer“? Ja, natürlich, aber die Sprache ist eine der gefährlichsten Waffen.

Jetzt zu einem wirklich starken Hammer, der mehr platt machen kann, als man auf den ersten Blick sieht:

„Gemeinden in Niedersachsen schicken Bürger auf Streife“ (DIE WELT, 23. Mai 2006) „53 Kommunen wollen freiwilligen Ordnungsdienst – Ehrenamtliche melden Vergehen an die Polizei – Mehr gefühlte Sicherheit.“ So weit Überschrift und Unterzeile.

Zunächst bin ich nur über das Wörtchen „gefühlte“ („gefühlte Sicherheit“) gestolpert weil ja heute so gut wie alles „gefühlt“ ist und nicht mehr wirklich. Aber dann gingen mir die Augen auf.

Schünemann (CDU), Innenminister von Niedersachsen, zu dem, worum es geht: „… mehr Präsenz zu zeigen und Ansprechpartner zu sein…“, „subjektives Sicherheitsgefühl“ stärken, „Wir wollen kein Denunziatentum haben“ usw. usw.

Es komme darauf an, „die Richtigen“ für den Dienst zu finden und nennt gleich ein paar Voraussetzungen: Infrage kommt, wer deutsch spricht, mindestens 18 Jahre alt ist und einen Schulabschluß oder eine Berufsausbildung hat. (Das Strafregister würde abgefragt.) Polizeibeamte sollen den Freiwilligen in 30 bis 35 Stunden ihre Rechte und Zuständigkeiten erklären. Das erinnert an die Ernennung von Hilfs-Sheriffs in Wildwestfilmen, und das ist noch ein harmloser Vergleich. (In Bayern dürfen Bürgerstreifen – die gibt es nach diesem Beitrag schon – Platzverweise aussprechen und sich Personalausweise zeigen lassen.)

Alles das erinnert mich an den Hauswart und den Blockwart im Dritten Reich. So soll sich also offizielles Spitzeltum bei uns einschleichen?! Das ist ein Hammer!

Fraglos haben wir ein Problem, das täglich größer wird: Gewalt überall, Bedrohung und darum das Gefühl, sich auf den Straßen, nachts sowieso, aber auch tagsüber, nicht mal zu Hause, sicher zu fühlen.

Dieses Problem lässt sich ganz einfach lösen: Polizisten fahren nicht Streife, sondern gehen Streife. Polizisten erhalten ein Revier, für das sie zuständig sind, das sie kennen – vor allem dessen Bewohner. Sie gehen ihr Revier ab, sie sprechen mit den Menschen und geben ihnen so nicht nur das Gefühl von Sicherheit. Sie geben ihnen Sicherheit; denn wo die Polizei ihr Revier kennt, hat es Kriminalität schwer. In diesem Sinne einmal zu Recht zurück zu Kaiser’s Zeiten.

Nun zu Parteihämmern (im Zusammenhang mit der Großen Koalition):

Da verkündet Hubertus Heil, SPD-Generalsekretär, nach einer Präsidiumssitzung seiner Partei, was er stets verkündet, „seit der Wähler Sozial- und Christdemokraten zu einem Bündnis auf Bundesebene gezwungen hat…“ (DIE WELT,13. Mai 2006, „Alles Labbadia oder was…“).

Einspruch, Euer Ehren! Der Wähler hat keine Partei zu irgendetwas gezwungen. Dieser sogenannte Zwang zu einer Großen Koalition ist eine Erfindung der Parteifunktionäre, die um jeden Preis an der Macht bleiben wollten. Die Höhe des Preises interessierte sie nicht; sie müssen die Zeche ja nicht bezahlen. Dafür ist „der Wähler“ da. Wenn das kein Hammer ist!

„Die große Koalition ist ein Bündnis ohne wirkliche Legitimation durch die Wähler, denn sie stand am 18. September nicht zur Wahl“. (Spreng: „Der 22. Mai hat viel verändert – aber wenig geändert“ – Hamburger Abendblatt, 22. Mai 2006, Seite 2). Nein, diesmal kein Hammer, sondern eine ganz schlichte Feststellung.

Aber nun kommt der wirkliche „Hammer“. Kein anderer schwingt ihn, als Roland Koch, derzeit Ministerpräsident von Hessen. „Wir sind aus eigenem Interesse in die große Koalition mit den Sozialdemokraten gegangen…“ (DIE WELT, Seite 5, 22. Mai 2006). Da haben wir’s. Es ging und geht um die Interessen einer Partei, nicht um uns, nicht um den Wähler, nicht um den Souverän, nicht um das Stimmvieh und schon gar nicht um das, was wir alle zusammen sind: Deutschland. Es ging und geht um Roland Koch & Co.

Wenn ich lese, was Helmut Schmidt zum 100. Geburtstag von Gerd Bucerius gesagt hat, kommen mir die Tränen: „Wenn wir denn endlich verstehen lernen, dass eine Demokratie nicht die Erfüllung unserer persönlichen Wohlfahrt bedeuten kann, sondern dass Demokratie vielmehr Beteiligung des Einzelnen an Entscheidung und an Verantwortung verlangt…“

Helmut Schmidt hat, als er das sagte, gewiss nicht an Roland Koch gedacht, aber Roland Koch ist damit gemeint; denn er hatte und hat ja nur das Wohl seiner Partei und damit sein Wohl im Auge.