Freitag, Juli 14, 2017

Gegen den Bildungswahn

Bildung, Bildung, Bildung. Die Politiker aller Parteien sind sich einig: Es muss mehr in Bildung investiert werden. Eine Bildungsoffensive ist notwendig. Milliarden müssen investiert werden. Bildung ist Investition in die Zukunft – nicht so sehr aus kulturellen Gründen,  sondern aus wirtschaftlichen. Damit es uns auch in Zukunft gut geht. Deshalb ist jeder dafür, die Politiker, wir alle. (Zu befürchten ist: besser als es uns gut tut.)

Es wird höchste Zeit, mit diesem Bildungswahn Schluss zu machen. Wir brauchen keine Bildungsinvestition. Wir brauchen ein Bildungsdivestment. Ein was? Ja, ein Divestment. Das heißt, wir sollten uns hier tatsächlich wirtschaftlich verhalten wie ein Unternehmen, das nicht notwendige Bereiche abstößt, verkauft und sich damit wieder auf das Wesentliche konzentriert.

Wesentlich sind Inhalte. Sie lassen sich immer häufiger nicht mehr erkennen. Der Duden bezeichnet mit „bildungssprachlich“, eine Ausdrucksweise, die immer weniger Menschen verstehen. Wer kann schon etwas mit dem Begriff Divestment anfangen, außer Wirtschaftswissenschaftlern? Ranking, Diversität, Evaluierung, Random-Verfahren – viele ahnen, was gemeint ist, die meisten dürften keine Ahnung haben. Rangfolge, Vielfalt, Bewertung, Zufalls-Verfahren wird jeder verstehen, sogar der höchstgebildete Mensch. Nicht wenige werden auch vor den Bezeichnungen Facility-Management, Facility-Manager ratlos und sprachlos stehen. Was, bitte schön, ist an Haus/Grundstücksverwaltung, an    Hausverwalter, Hausmeister so schlimm?

Wohin dieses bis zur Unverständlichkeit aufgeblasene Bildungsdeutsch führt, zeigt der hemmungslose Einsatz von Technologie anstelle von Technik. Selbst der einfachste technische Vorgang wird zu Technologie hochstilisiert. Wir haben uns daran gewöhnt. Wir merken schon gar nicht mehr, wie oft ohne nachzudenken gesprochen und geschrieben wird. Wir nehmen es nicht mehr so genau damit. Das ist gefährlich; denn diese Oberflächlichkeit beschränkt sich zum Schluss nicht nur auf die Sprache.

Es wird Zeit, dass wir uns zur Ordnung rufen. Da die Sprache der Verständigung dient, sollten wir uns von dem „bildungssprachliche“ Unfug postwendend trennen. Was wir hier brauchen, ist, was wie ein Blitz aus heiterem Himmel eingeschlagen ist: Divestment. Wir könnten auch sagen: Rückbau, pardon, Abriss. Reißen wir den Sprachprotz kurz entschlossen ab! Den Protz wohlgemerkt. Nichts gegen verständliche Fachbegriffe, schon gar nichts gegen Fremdwörter. Nichts gegen oft zu unrecht geschmähte Anglizismen, von denen nicht wenige unsere Sprache bereichern.

Das wäre aber nur der erste Schritt. Der zweite müsste sofort folgen. Nur der würde den Begriff Bildungsoffensive rechtfertigen. Es ist höchste Zeit, dass Schulkinder wieder richtig schreiben und damit auch richtig denken lernen. Es ist nicht schlimm, Fehler zu machen, aber es ist schlimm, sie nicht wichtig zu nehmen. Und es ist wichtig, sie zu berichtigen. Vor allem ist es wichtig, dass wir uns für jeden verständlich ausdrücken, für jeden – vom Tellerwäscher bis zum Hochschulprofessor. Hier ist jeder Cent, jeder Euro gut investiert.

Die Schriftstellerin Oriana Fallaci hat bewiesen, dass es geht – mit ihrer einfachen eindringlichen Sprache. Sie hat nie vergessen, was ihre Mutter, eine einfache Frau, ihr gesagt hatte: „Schreibe so, dass auch ich es verstehe.“