Sonntag, Juli 09, 2017

Merkel sieht schwarz

Es ist immer wieder erstaunlich, wie Politiker versuchen, mit billigster Münze durchs Leben zu kommen – und entnervend, dass wir das auch noch hinnehmen. So atemberaubend schnell unsere Welt sich verändert, Politiker sind da offenbar immer noch einen Schritt schneller – mindestens.

In ihrer heutigen Form werde die Autoindustrie nicht überleben, so Frau Merkel beim Europäischen Rat. Keine guten Überlebenschancen für Deutschlands wichtigsten Indu-striezweig mit rund einer Million Beschäftigten, findet sie. Dieser Befund ist ernst zu nehmen.

Die deutschen Automobilhersteller, alle wie sie da sind, dürften den Wechsel vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb gründlich verschlafen haben. Das ließe sich immer noch machen, sozusagen in einer Hauruckaktion? Das mag sein. Das Dumme ist nur, dass damit hunderttausende Arbeitsplätze verloren gingen – über Nacht. Wie das? Ein Verbrennungsmotor besteht aus einigen tausend Teilen, ein Elektromotor aus wenigen. Weniger Arbeit, weniger Arbeitsplätze, mehr Arbeitslose. Wie gesagt: von heute auf morgen. Das will natürlich niemand. Aber darüber wird nicht gesprochen. Und deshalb wird auch nichts getan, und wenn, dann das Falsche.

Die Alternative Wasserstoffantrieb – weitgehend entwickelt und in der Praxis erprobt – ist offenbar als Alternative kein Thema. Dabei stünden hier Arbeitsplätze nicht infrage. Die Motoren würden sich nicht ändern, nur der Kraftstoff.

Bitte jetzt nicht darüber reden, dass die Wasserstoffproduktion zu anspruchsvoll sei, zu teuer, und dann die Schwierigkeiten mit der Speicherung und überhaupt: die Wasser-stofftankstellen, von denen es zurzeit nur ein paar gibt. Sind das unlösbare Probleme? Bestimmt nicht.

Die deutschen Automobilhersteller sind weder auf die eine noch auf die andere Möglichkeit eingerichtet. Zukunft liest sich für sie so wie die Vergangenheit. Sie konnten sich jeden Unfug, jede Unverfrorenheit bis zu Betrug und Verlogenheit leisten. Die hatten ihre Bundeskanzler und jetzt ihr Bundeskanzlerin auf ihrer Seite. Wie eine Löwin kämpfte Frau Merkel für alles, was Audi, BMW, Mercedes, VW zu ihrem Vorteil für richtig und wichtig hielten.

Wer jetzt glaubt, Frau Merkel will das ändern, der irrt. Alle betroffenen Länder sollten bereit sein, „die Umstrukturierung unserer Autoindustrie in den kommenden Jahren zu begleiten und zu kompensieren“, sagt sie. Im Klartext: Die Automobilhersteller sollen auch in Zukunft ohne Rücksicht auf Vernunft subventioniert werden. Die Herren Krüger (BMW), Müller (VW),  Stadler (Audi), Zetsche (Mercedes), können sich die Hände reiben.

Das ist ja auch einleuchtend. Im Wahlprogramm von CDU und CSU wird erklärt, „dass die deutsche Automobilindustrie auch künftig ihre Weltmarktstellung behauptet.“ Deutschland solle führend werden bei der Produktion alternativer umweltfreundlicher Antriebe. Ein frommer Wunsch. Anscheinend fahren die Herren ihre Unternehmen lieber gegen die Wand – auf unsere Kosten.

Quelle: DER SPIEGEL, 8. Juli 2017