Freitag, April 29, 2016

Von der Unmöglichkeit des vorurteilslosen Denkens


DIE ZEIT hatte der Ausgabe vom 18. April ein Heft „Kultursommer“ beigelegt. Für mich lauter abgehobene Themen. Christo baut wankende Stege übers Wasser, Hockney ist das Malergenie…“Die großen Festivals, Premieren, Auftritte dieses Sommers“ – alle nicht meine Welten.

Der Beitrag „Denken dürfen“  von Lars Weisbrod hat mich neugierig gemacht, weil da von einem Philosophie-Festival in Köln die Rede ist. Ich habe den Text überflogen. Was fiel mir auf? Egal, worüber man nachdenkt, darüber redet oder schreibt: Es scheint alles Philosophie zu. Also sind wir alle Philosophen. „Philosophieren in unruhiger Zeit“ soll in diesem Jahr das Überthema sein. Das sagt alles. Die Zeiten sind immer unruhig.

Eins scheint die Philosophen, die sich bei diesen Festivals treffen, auszuzeichnen. Sie debat-tieren ruhig, ohne Pöbeleien und Provokationen und verstehen nicht jedes Gegenargument als Agression – alles also ganz anders als in den sogenannten Sozialen Medien. „Was dort noch (bei den Philosophen) praktiziert wird, Genauigkeit, argumentative Schärfe, die ohne Empörung oder voreiliges Moralisieren auskommt, ist gefragt wie nie. Ein Gegengift zu den Scheindiskussionen, Erregungsschleifen und Moralschlachten.“ (Zitat)

Und dann die Stelle im Text, an die ich ein Fragezeichen setze, ein großes: „Für den Philosophen kann es eigentlich kein Gedankenexperiment, keine Argumentation geben, der er nicht erst einmal die Würde zuteil werden lässt, sie vorurteilsfrei zu durchdenken, bevor er sie verwirft.“ Wie geht das? Jeder kommt doch mit seinen Urteilen zum Festival der Denker. Und diese Urteile verwandeln sich bei diesem Festival doch in Vorurteile. Sie sind doch fix und fertig. Wie gehen die Philosophen damit um? Ich denke, die Suche nach Antworten wäre ein Philosophen-Festival wert. Auf die Ergebnisse dürften wir gespannt sein. Sie werden auf jeden Fall sehr philosophisch sein, nämlich unfassbar, wie alles Philosophische.

Philosophie ist eben nicht Physik oder Chemie, nicht berechenbar, aber ohne Frage umso spannender. Mein Vorschlag für das Thema des nächsten Philosophie-Festivals: „Von der Unmöglichkeit des vorurteilsfreien Denkens.“