Freitag, April 29, 2016

Schleifspuren


Wir gehen immer nachlässiger mit unserer Sprache um. Bitte jetzt nicht gleich an die Immigranten, die Einwanderer denken, die sich mühsam unser Deutsch aneignen. Auch nicht an die sogenannten Bildungsfernen Deutschen, die noch nie richtig Deutsch konnten. Nein, es geht um die Hochgebildeten wie Gertrud Höhler, Literaturwissenschaflerin und Politikerberaterin, die in einem CICERO-Beitrag etwas geschliffen hat, das geschleift werden sollte, so wie früher alte Stadtbefestigungen und Burgen.

Ein Versehen? Ein Einzelfall? Anscheinend nicht. Ein Deutschlandfunk-Text deutet darauf hin. Im DFL-Newsletter von heute war von einem geschliffenen Lenin-Kopf zu lesen. Ich bin gespannt, was der Sender zu folgender E-Mail sagen wird, die ich der Redaktion heute schickte:  

„Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin nicht nur ein begeisterter Hörer Ihres Senders, sondern auch Empfänger Ihres täglichen Newsletters an meine E-Mail-Adresse. Dort war heute zu lesen: "Der Lenin-Kopf des nach der Wende geschliffenen Lenindenkmals in der Leninalle ist wieder ausgebuddelt worden." Den Schreibfehler Leninalle nehme ich hin. Sowas passiert im Eifer des Gefechts. Aber der geschliffene Lenin-Kopf? Der Deutschlandfunk sollte wissen, dass es hier geschleift heißen muss. Sie befinden sich zwar in guter Gesellschaft - auch Gertrud Höhler ist die korrekte Beugung von schleifen abhanden gekommen, wenn es sich um niederreißen, abreißen, dem Erdboden gleich machen handelt. Aber der Deutschlandfunk? Der sollte doch für geschliffenes Deutsch stehen. Viele Grüße - Peter Gudelius“

Dabei ist doch alles so einfach. Aber wie alles Einfache will auch das gelernt sein. Was mein Vater dem Werbetexter ans Herz legte, gilt für jeden, der schreibt:

„Die richtigen Worte zu finden, die klar und verständlich sind, die jedem einleuchten, das ist schon etwas, was der Werber können muss… Gewöhnen wir uns an, jeden Gedanken so einfach wie möglich zum Ausdruck zu bringen! Versuchen wir, jeden Satz so kurz wie möglich zu schreiben! Halten wir uns immer vor Augen, daß auch der einfachste Mensch uns verstehen soll! Dann werden wir schon die richtigen Worte finden… Anschaulich schreiben! Das muß der oberste Grundsatz eines Werbers sein. Wenn er einen Text nieder-geschrieben hat, dann überlege er sich immer erst, ob er dasselbe nicht noch verständlicher, noch einleuchtender sagen kann... Wir können einem angehenden Werber nicht dringend genug empfehlen, in seiner Freizeit immer wieder gute Bücher zu lesen. Die besten klassischen und zeitgenössischen Dichter sind gerade gut genug für ihn! ... Er soll aber auch die Mahnung Luthers beherzigen, den Leuten „auf’s Maul zu schauen“. Er soll die Sprache des Volkes belauschen und mit ihr umzugehen wissen. Er soll volkstümlich schreiben können, damit er vom Volk auch verstanden wird.“