Samstag, August 22, 2015

Das Schlimmste ist der Geheimnisverrat

Jeder Mensch hat seine Geheimnisse, hält etwas verborgen, von dem niemand etwas erfahren soll. Das klingt fast so, als sollte man das nicht tun. Aber das sieht nur auf den ersten Blick so aus. Es ist notwendig. Wir brauchen unsere Geheimnisse. Hätten wir sie nicht, wären wir allen und jedem ausgeliefert. Deshalb sollten wir uns davor hüten, alles, was wir denken und fühlen, vor allen Menschen auszubreiten. Das geht die anderen einfach nichts an.

Meine sexuellen Phantasien sind meine Sache. Ob ich meine Frau betrüge, ist meine Sache. Wie ich zu diesem und jenem und allem anderen stehe, ist auch meine Sache. Es ist meine Sache, wie ich mich in meinen Geheimnissen einrichte. Auf jeden Fall: Ich will nicht vor der ganzen Welt nackt dastehen. Ich habe ein Recht darauf, meine Geheimnisse zu haben. Genau das wird jetzt infrage gestellt. Hier wird etwas diktiert, das ich mir nicht diktieren lassen will.

Zitat aus einem SPIEGEL-Gespräch 8/2015: „Diktaturen arbeiten immer zuerst mit der Abschaffung von Privatheit und des Geheimen und Verborgenen. Denn nur so lassen sich Menschen effektiv kontrollieren. Google und Co. arbeiten auch an der Abschaffung des Privaten.“

Wenn jeder alles über mich weiß, dann habe ich keine Kontrolle mehr über mich. Dann kann jeder mit mir machen, was er will. Ob ich will oder nicht. 

Deshalb in diesem Punkt zurück von digi(tal) zu ana(log). Hüten wir unsere Geheimnisse. Bleiben wir Mensch. Werden wir nicht zum Teilchen von Bigdata.

(Das SPIEGEL-Gespräch mit Harald Welzer ist hier sehr verkürzt dargestellt, auf den Punkt gebracht worden. Aber ich glaube, das Wesentliche ist gesagt.) 19. 08. 2015)