Dienstag, August 18, 2015

Ansichtssachen

Die eine einzige Wahrheit scheint es nicht zu geben. Oder soll ich gleich schreiben: es gibt sie nicht. Ganz offensichtlich ist, dass ein-und-dieselbe Sache ganz unterschiedlich gesehen werden kann. Es kommt auf den Blickwinkel an, den Standpunkt, von dem aus man das Thema betrachtet. Die beiden Schreiberinnen Silke Burmester ( chrismon 07. 2015) und Amelie Fried (Cicero No. 2 Februar 2015) haben mir das vor Augen geführt, ganz unabhängig voneinander. Sie sehen das Thema Political Correctniss sehr unterschiedlich – gegensätzlich.

Silke Burmester bezweifelt, dass es überall politisch korrekt zugehen muss. Darf man „Du fette Kuh sagen?“ fragt sie, und sie sagt ja, allerdings nur im Selbstgespräch. Aber: „eine dicke Frau“, das sagt und schreibt man nicht mehr. „Man nennt die Dinge nicht mehr beim Namen. Dick ist ‚übergewichtig’, hässlich ist ‚nicht von Vorteil’, jemand, der behindert ist, hat ‚besondere Fähigkeiten’.“ – „Wir sprechen nicht mehr aus, was nicht erwünscht ist“, schreibt Frau Burmester und fährt fort: „Und dennoch ist es Konsens, nicht mehr ‚Negerkuss’ oder ‚Mohrenkopf’ zu sagen. Sondern ‚Schaumkuss’. Aber wer hat diesen Konsens erfunden?“

Hier irrt sich Silke Burmester. Es gibt diesen Konsens nicht. Ich werde weiter Negerkuss und Mohrenkopf, Zigeunerschnitzel sagen – vom  „Zigeunerbaron mal ganz abgesehen.  Aber sonst sehe ich die Sache so wie Silke Burmester.

Amelie Fried ist da anderer Ansicht. Ihre Betrachtung „… ob Ampelmädchen mehr Geschlechtergerechtigkeit bringen“ beginnt sie ähnlich wie Silke Burmester und ich die Sache sehen. Von geschlechtsneutralen Bezeichnungen wie Professx (Lann Hornscheidt , Humboldt-Universität Berlin) hält sie nichts. „Auch ich habe keine Lust, anstrengende politisch korrekte Sprachschöpfungen wie ‚Bürger_innensteig’, ‚Menschin’ oder ‚jedermann und jedefrau’ zu verwenden oder auf Veranstaltungen die ‚Gäste und Gästinnen’ zu begrüßen.“

Einverstanden, Frau Fried, nicht aber mit dem Ausflug ins Polemische. Verstecken sich in Medien und sozialen Netzwerken wirklich Männer, die alles beim Alten lassen wollen? Also: Silke Burmester ist bestimmt kein Mann! Mit dem neuen Unfug wie Professx kann sie nichts anfangen.

Bitte, was ist an Bezeichnungen wie „Studierende“, „Lehrende“, „Teilnehmende“ geschlechtsneutral?

Studierende sind Studenten. Das sind manchmal Frauen, manchmal Männer. Lehrende sind Lehrer, mal weiblich, mal männlich. Wo ist der Unterschied? Frau Fried meint, diese Wattebegriffe (siehe Silke Burmester) schärften unser Be-wusstsein. Das halte ich für eine kühne Behauptung.

Was machen wir nun? Aufeinander eindreschen? Das haben wir ja auch schon bei vielen anderen Themen – bringt offenbar nichts. Es bleibt wohl nichts anderes übrig, als sich mit anderen Meinungen, mit anderen Ansichten abzufinden. Das geht ja auch friedlich. Abgesehen davon: Wenn Silke Burmester Amelie Friedmann eine blöde Kuh nennt (was sie natürlich nicht getan hat) und Amelie zurückblökt „ alberne Zicke!“, dann ändert sich gar nichts. Aber manchmal müssen wir einfach Dampf ablassen.
17. 08. 2015