Samstag, Mai 30, 2015

Von Friedhöfen und anderem Leben

Ich besuche Friedhöfe gern. Das liegt vielleicht daran, dass eine meiner Omas mich in Berlin oft zusammen mit ihrem Damenkränzchen zum Lichterfelder Friedhof mitgenommen hat. Hier in Deutschland sind Friedhofe nicht nur Ruhestätten, sondern sehr oft Parks. Ein Refugium nicht nur für die Toten, sondern auch für die Tierwelt, die sich hier ihres Lebens erfreut.

Wenn die Grabinschriften dem zufälligen Besucher auch nur flüchtigste Begegnungen mit den Toten vermitteln können – ihr Leben bleibt ja im Verborgenen -Nachdenkliches macht sich auf den Weg: Hier ein so kurzes Leben, dort ein so langes. Ein Leben zwanzig Jahre als Witwe oder auch Witwer. Eine unvorstellbare Einsamkeit. 

Auch das Eitle findet seinen Platz, zeigt sich nicht nur in Größe und Prunk der Grabstätte, sondern auch in den stolzen Hinweisen auf die Bedeutung des Toten – vom Kapitän über den Chefarzt und den Generalmusikdirektor, den Kaufherrn ist alles und noch mehr vertreten. Welche Bedeutung das auf der Erde hatte, in der Erde hat und im Himmel haben wird, ist nicht bekannt. Wie herzergreifend einfach liest sich da „meine liebe Frau“, „mein lieber Mann“, unsere geliebte Schwester“. Der Friedhof – eine Welt für sich, voller Leben, voller Gedanken.

Und nun vom Friedhof ins pralle Sprachleben

Die Eitelkeit, die sich auf Friedhöfen zeigt, ruht wenigstens in Frieden, ist ein schwacher Abglanz dessen, was sich in unserem alltäglichen Sprech zu Wort meldet. Man nehme ein paar Fremdwörter – Wörter, die nicht nur den „bildungsfernen“ Menschen fremd sind – würze den Text damit, und schon ist die Inschrift eines sprachlichen Grabsteins fertig.

„Die Spielwiese des Denkens“, ein Text von Ijoma Mangold in der ZEIT vom 23. April 2015, ist ein Beispiel dafür. Frau oder Herr Mangold erwähnt da „unerwartete Peripetien“ (was um Himmels Willen ist das?), schreibt von „hochevolutiven Teilöffentlichkeiten“ und schlägt dann weiter auf mich ein mit „irritationsoffen“, „Selbstreflektion“, „Selbstirritation“, irgendetwas wird „kontextualisiert“ (oder auch nicht). Da wären noch der „semiöffentliche Raum“, die „Selbstaffirmation“, der „Ansprechradius“, die „fluide Unabgeschlossenheit“, der „Backstagebereich“ kommt auch noch vor. Jetzt reicht es? Nein, da haben wir noch das hübsche „diskursiver Tod“, und das „suboptional“ darf natürlich nicht fehlen.

Mensch, Mangold, du wolltest doch nur sagen, dass du Facebook & Co prima findest, weil es die professionellen Damen und Herren Schreiber vom Sockel holt. Das kann man ja auch so sehen. Aber dann sag es doch bitte auch, bevor dich der diskursive Tod ereilt.

Liebe Mangold, lieber Mangold, andere treiben es ähnlich, was die Sache nicht besser macht, wie wir gleich sehen werden:

Ein „Key-Note-Speaker“ ist nicht anderes als der Hauptsprecher einer Veranstaltung. Eine „Location“ ist ein Drehort für einen Film, meint auch den Platz, an dem fotografiert werden soll, und eine „Destination“ ist ganz einfach das Ziel einer Reise, beispielsweise einer Flugreise. Wenn ein neues Produkt vorgestellt wird, wird es „gelauncht“. Wie soll man das aussprechen? Eine „Convention“ ist nichts anderes als eine Tagung, klingt aber nicht so toll. Was „kollusive“ Kontakte" sein sollen, habe ich nicht herausgefunden.

Bleibt für den Augenblick nur noch ein Wort: „Flagshipstore“. Ich denke,  das ist ein Vorzeigeladen, mit dem gezeigt werden soll, wie toll das Unternehmen ist. Der segelt dann den anderen Schaluppen stolz vorweg.

Verdammt! Gibt es kein deutsches Wort für „Flagshipstore“? Wie haben wir das KDW in Berlin oder das Alsterhaus in Hamburg genannt? Wenn wir irgendwelche Begriffe dafür hatten, dann hat das Kriegsschiff „Flagshipstore“ sie alle versenkt. Wer macht sich auf die Suche?

Bevor ich dieses Sprachkapitel zuschlage für heute, noch dies:

Der Begriff „Übergriff“ dürfte allgemein bekannt sein, und was damit gemeint ist, auch. Es geht um etwas Unerlaubtes, etwas, was sich jemand entgegen den Spielregeln anderen gegenüber herausnimmt. So weit in Ordnung. Aber müssen wir dann gleich von „Übergriffigkeit“ reden? Und brauchen wir das Wörtchen „übergriffig“? Bitte mal nachdenken.

Wer Freude daran hat, solchen Kleinigkeiten auf den Grund zu gehen, ist herzlich eingeladen, sich Gedanken darüber zu machen, was unter „gesellschaftlichen Schlüsselfunktionen“ zu verstehen ist. Davon war neulich im Deutschlandfunk die Rede.